Arbeitspapier 5

Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz
GRUNDZÜGE DES VERFASSUNGSPROZESSRECHTS
Sommersemester 2016
§5
Verfahrensgrundsätze
Die §§ 17 ff. BVerfGG enthalten allgemeine, freilich im Einzelnen rudimentär ausgestaltete
Verfahrensgrundsätze. Das BVerfG ist nicht Herr des eigenen Verfahrens, da bereits Art. 94
Abs. 2 Satz 1 GG von der Gesetzesakzessorietät des Verfassungsprozessrechts ausgeht. Das
Verfassungsprozessrecht hat verfassungskonform zu sein; ist dies nicht der Fall, muss das
Gericht ggf. eine entsprechende Bestimmung des BVerfGG verwerfen.
1.
Allgemeines
Auch im Verfassungsprozess gilt der Grundsatz des fairen Verfahrens. Aus diesem Grund
enthalten die §§ 18, 19 BVerfGG Regeln über die Ausschließung von Richtern von
Mitwirkung und über die Befangenheit. Eine Befangenheit eines Richters wird nur
ausnahmsweise angenommen. In der Regel erklären sich Richter selbst für befangen. Im
Einzelnen kann z. B. zu einer Befangenheit führen:
-
eine frühere Tätigkeit als Gutachter zu einer entsprechenden Rechtsfrage,
insbesondere wenn das Gutachten für eine der Parteien erstattet wurde;
-
die Mitwirkung des jeweiligen Richters an dem angegriffenen Akte (etwa als
Regierungsmitglied oder Abgeordneter);
-
frühere Rolle als Prozessbevollmächtigter.
Auch der Verfassungsprozess kennt ein allgemeines Akteneinsichtsrecht für Beteiligte (§ 20
BVerfGG). Vor dem BVerfG besteht lediglich in der mündlichen Verhandlung
Vertretungszwang (§ 22 I 1 Halbs. 2 BVerfGG).
2.
Allgemeine Verfahrensgrundsätze
Prozessgrundrechte: Zunächst geltend auch vor dem BVerfG die allgemeinen
Verfahrensgrundrechte, namentlich Art. 103 I GG und Art. 101 I 2 GG, auch wenn diese
Grundrechte gegenüber dem Gericht nicht mit der Verfassungsbeschwerde selbstständig
durchsetzbar sind.
Untersuchungsgrundsatz: Im Verfassungsprozess gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 26 I 1
BVerfGG): Das Bundesverfassungsgericht erhebt den zur Erforschung der Wahrheit
erforderlichen Beweis. Dieser Grundsatz ist allerdings aus funktionalen Gründen zu
modifizieren. Geht ein fachgerichtliches Verfahren voraus, hat dieses Gericht die
notwendigen Tatsachen festzustellen. Das BVerfG prüft diese grundsätzlich nicht selbst nach
(kein „Superberufungsgericht“). In Relation zum Gesetzgeber muss das BVerfG auch
Rücksicht darauf nehmen, dass der Gesetzgeber das Primärzugriffsrecht auf die relevanten
Tatsachen hat, zumal die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts immer auch subjektive
Wertungen erfordert und politisch streitig sein kann. Dementsprechend ist in jedem Einzelfall
zu fragen, welche Informationserhebungskompetenzen dem Verfassungsgericht funktional
zufallen sollen.
Dispositionsgrundsatz: Dieser Grundsatz besagt, dass die Verfahrenbeteiligten über den
Streitgegenstand verfügen. Das Gericht wird nur auf Antrag tätig (vgl. § 23 I BVerfGG) und
ist insoweit grundsätzlich auch an die Anträge der Parteien gebunden. Diese können auch ihre
Anträge zurücknehmen, wobei dies nur hinsichtlich der Präsidentenanklage (§ 52 BVerfGG)
und der Richteranklage (§ 58 I BVerfGG) explizit geregelt wurde. Für die
Verfassungsbeschwerde hat das Gericht die Rücknahmemöglichkeit allerdings beschränkt,
sofern das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Verfassungsrechts, dem die
Beschwerde ebenfalls diene, einer Rücknahme entgegenstehe. Ähnliches nimmt das Gericht
auch in Bezug auf Normenkontrollverfahren an.
Mündlichkeit und Öffentlichkeit: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet nach § 25 I
BVerfGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung, es sei
denn, dass alle Beteiligten ausdrücklich auf sie verzichten. Eine gesetzliche Ausnahme betrifft
die Verfassungsbeschwerde im Kammerverfahren (§ 93d I 1 BVerfGG) und vor dem Senat
(§ 94 V 2 BVerfGG).
Das BVerfG ist ein Gericht. Es entscheidet daher in einem gerichtlichen Verfahren, das den
allgemeinen verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen muss. Soweit nichts anderes
bestimmt ist, sind hinsichtlich der Öffentlichkeit, der Sitzungspolizei, der Gerichtssprache,
der Beratung und Abstimmung die Vorschriften des GVG nach § 17 BVerfGG entsprechend
anzuwenden. Eine Ausnahme enthält nur § 17a BVerfGG. Nach § 17a Abs. 1 BVerfGG sind
abweichend von § 169 Satz 2 GVG Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und
Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres
Inhalts zulässig
1.
in der mündlichen Verhandlung, bis das Gericht die Anwesenheit der Beteiligten
festgestellt hat,
2.
bei der öffentlichen Verkündung von Entscheidungen.
Dies erklärt die üblichen Fernseh- und Zeitungsbilder über das Eintreten eines Senats in den
Sitzungssaal.