SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
27.06.1997
Andrew Wiles hat die Fermat´sche Vermutung bewiesen
Von Carsten Heinisch
Sendung: 27.06.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Zitator:
„Es ist jedoch nicht möglich, einen Kubus in 2 Kuben, oder allgemein eine Potenz,
höher als die zweite, in 2 Potenzen mit ebendemselben Exponenten zu zerlegen: Ich
habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis entdeckt, doch ist dieser Rand hier
zu schmal, um ihn zu fassen.“
Autor:
Dies schrieb der französische Mathematiker Pierre de Fermat um 1640 an den Rand
seiner Ausgabe des antiken griechischen Mathematikers Diophantos. Diese – im
Wortsinne – Randbemerkung läuft unter dem Titel „Fermat’sche Vermutung“ und hat
seither die Mathematiker inspiriert. Was meint Fermat? Ausgangspunkt ist die
Beobachtung, dass sich manche – längst nicht alle – Quadratzahlen in die Summe
von zwei anderen Quadratzahlen zerlegen lassen: Beispielsweise ist 25, also 5², die
Summe von 9 und 16, also 3² + 4². Doch was bei manchen Quadratzahlen
funktioniert, geht Fermat zufolge mit höheren Potenzen gar nicht. Mathematisch
ausgedrückt: Für drei beliebige ganze Zahlen a, b und c kann das Gleichheitszeichen
in dem Ausdruck an + bn = cn überhaupt nur bei n = 2 gelten, sonst nicht.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, mit einer solchen Vermutung umzugehen: Entweder
findet man ein Gegenbeispiel, oder man sucht den „wahrhaft wunderbaren Beweis“,
den Fermat in seiner Randbemerkung verspricht.Doch ein Gegenbeispiel wurde trotz
intensiver Suche nicht gefunden. Ein allgemeiner Beweis für die Vermutung aber
auch nicht. Genau solche allgemeinen Aussagen will die Mathematik aber immer
treffen.
Auftritt Dr. Paul Wolfskehl – ein wohlhabender Darmstädter Arzt, der wegen einer
MS-Erkrankung nicht mehr praktizieren konnte und sich dann der Mathematik
widmete. Er arbeitete fast ausschließlich zur Fermat’schen Vermutung – vergeblich.
Als er 1906 starb, vermachte er der Göttinger Akademie der Wissenschaften 100.000
Goldmark; diese Summe sollte sie demjenigen auszahlen, der spätestens 100 Jahre
nach seinem Tod den endgültigen Beweis für die Fermat’sche Vermutung erbringen
würde.
Schon im ersten Jahr nach Auslobung des Wolfskehl-Preises gab es 621
Einsendungen, hauptsächlich von Amateuren. Über die Jahrzehnte sammelten sich
mehrere Regalmeter Korrespondenz an. Ein gültiger Beweis war nicht darunter.
Doch das Wunderbare an der Mathematik ist, dass die verschiedenen Teilgebiete
alle irgendwie zusammenhängen, auch wenn man das nicht gleich erkennt. Und
darum kann ein Beweis in einem Gebiet auch ein Problem auf einer ganz anderen
mathematischen „Baustelle“ lösen. 1993 war genau das der Fall: Der damals 40jährige britische Mathematiker Andrew Wiles kündigte einen Beweis der TaniymaraShimura-Vermutung an, nach der alle elliptischen Kurven modular sind, d. h. gewisse
algebraische Eigenschaften haben. In diesem Beweis nahm er an, dass es eine
bestimmte elliptische Kurve gibt, die eben nicht modular ist. Dann konstruierte er mit
dieser Annahme einen logischen Widerspruch – Beweis abgeschlossen. Und weil
seine fiktive Kurve und damit der Widerspruch auf einem Gegenbeispiel zur
Fermat’schen Vermutung beruhte, war auch die damit bewiesen.
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1995 war Wiles‘ Beweis endlich gedruckt. Die über 100 Druckseiten sind härteste
Kost, selbst für gestandene Mathematiker. Darum dauerte es weitere zwei Jahre, den
vorgelegten Beweis zu prüfen. Dann sprach die Akademie Andrew Wiles den
Wolfskehl-Preis zu; am 27. Juni 1997, heute vor 19 Jahren, wurde er überreicht. Die
ursprüngliche Preissumme von 100.000 Goldmark war durch Kriege, Inflation und
Währungsreformen allerdings auf nur noch ca. 75.000 DM zusammengeschrumpft.
Zum Trost: Knapp 19 Jahre später – im März dieses Jahres – hat Andrew Wiles
schließlich den nach dem norwegischen Mathematiker Niels Henrik Abel benannten
Abel-Preis erhalten, der als der Nobelpreis der Mathematiker gilt. Und der ist mit
umgerechnet rund 700.000 Euro dotiert.
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