Brexit-Referendum: Wirtschaftliche Folgen

TRENDS
27. Juni 2016
BREXIT-REFERENDUM: WIRTSCHAFTLICHE FOLGEN
von Dr. Jörn Quitzau
Der Ausgang des Referendums über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union hat die Finanzmärkte
auf dem falschen Fuß erwischt. Der beschlossene Brexit
trübt die konjunkturellen Aussichten – insbesondere für
Großbritannien, aber auch für die Eurozone. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass sich durch das Referendum
zunächst einmal nichts an der Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union ändert. Erst wenn das britische Parlament den Ausstieg beschlossen hat, beginnt eine
zweijährige Übergangsfrist, in der die Modalitäten der
Trennung verhandelt werden müssen. Die langfristigen
wirtschaftlichen Folgen lassen sich erst genauer einschätzen, wenn die Details der Trennung beschlossen sind.
Konjunkturelle Folgen für Großbritannien
Die kurzfristigen Wachstumsaussichten haben sich dennoch eingetrübt, weil nach dem Referendum tiefe Verunsicherung um sich greift. Verunsicherung ist Gift für die
Konjunktur, da sich Verbraucher und Unternehmen mit
Konsum- und Investitionsausgaben zurückhalten. Die britische Wirtschaft dürfte für den Rest dieses Jahres stagnieren,
sodass wir für das Gesamtjahr 2016 nur noch eine Wachstumsrate von 1,5 % statt bisher 1,9 % erwarten. Für das
kommende Jahr senken wir unsere Wachstumsprognose
von 2,1 % auf 1,4 %. Das langfristige Trendwachstum dürfte durch den Ausstieg Großbritanniens voraussichtlich von
2,1 % auf 1,8 % sinken. Wir erwarten zudem eine höhere
Inflationsrate (0,9 % statt 0,7 %) für das laufende Jahr, weil
die Schwäche des britischen Pfunds die Importpreise in die
Höhe treiben wird.
Konjunkturelle Folgen für die Eurozone
Auch für die Eurozone haben wir unsere BIP-Prognose für
2016 und 2017 jeweils von 1,6 % auf 1,4 % revidiert. Sofern das Brexit-Referendum keine Domino-Effekte – also
Referenden oder Austritte weiterer Länder – zur Folge hat,
erwarten wir aber keinen Rückgang des Trendwachstums in
der Eurozone. Für den wirtschaftlichen Ausblick sind die
Risiken gleichwohl gestiegen.
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Devisenmarktreaktionen
Das Britische Pfund ist unmittelbar nach Bekanntwerden
des Brexit-Votums gegenüber dem US-Dollar auf ein 30Jahres-Tief gefallen. Gegenüber dem Euro fallen die Verluste etwas geringer aus, weil der Euro durch das BrexitVotum ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wird. Größte
Profiteure als „Safe haven“-Währungen sind der Japanische
Yen, der US-Dollar und der Schweizer Franken. Das Pfund
dürfte weiter unter Druck bleiben, nicht zuletzt weil die
Bank of England statt einer Zinserhöhung im vierten Quartal nun wohl eine Zinssenkung um 25 Basispunkte im dritten Quartal durchführen wird. Die von uns bisher erwarteten zwei Zinserhöhungen im Jahr 2017 dürften ausfallen.
Kleiner Trost: Die Schwäche des Pfundes stärkt die britischen Exporte und schwächt die Importe und trägt
dadurch etwas zur Stabilisierung der Konjunktur bei.
Die Schwankungen am Devisenmarkt werden in den nächsten Monaten ausgeprägt sein, weil es erhebliche Unsicherheiten über das weitere Prozedere gibt – einschließlich der
Frage, ob Großbritannien in seiner jetzigen Form zusammenbleibt oder ob etwa Schottland seine Unabhängigkeit
erklärt, um in der EU bleiben zu können.
Langfristige Auswirkungen für die EU
Entscheidend ist, ob die verbliebenen EU-Mitgliedsländer
den Zusammenhalt stärken oder ob es zu weiteren Referenden in anderen Ländern und letztlich zu Auflösungserscheinungen kommt. Wir sind zuversichtlich, dass es keine
Domino-Effekte in der EU geben wird. Gleichwohl geht
mit Großbritannien zwar nur eines von 28 Ländern von
Bord, aber gemessen an der Bevölkerung ist Großbritannien größer als die 15 kleinsten EU-Länder und gemessen am
Bruttoinlandsprodukt ist es größer als die 19 kleinsten Länder zusammen. Der Verlust ist also immens. Zudem geht
ein wichtiger Nettozahler der EU verloren und das außenpolitische Gewicht Großbritanniens sowie dessen wirtschaftspolitisch liberale Ausrichtung werden der EU fehlen.
In jedem Fall stehen der EU unruhige Zeiten bevor.
Trends | 27. Juni 2016
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