vom 26. Juli 2016

KONJUNKTUR
26. Juli 2016
UPDATE: VOLKWSIRTSCHAFTLICHES UMFELD
von Dr. Jörn Quitzau
Wir erleben derzeit außergewöhnlich turbulente Tage und
Wochen. Seit dem Brexit-Votum am 23. Juni kommt Europa nicht zur Ruhe. Abgesehen von den Nachwehen des
Brexit-Referendums erschütterten in den letzten 14 Tagen
mehrere Terroranschläge (Frankreich und Deutschland)
Europa. Zudem kam es in der Türkei zu einem Militärputsch, der niedergeschlagen wurde und auf den die türkische Regierung mit drastischen Gegenmaßnahmen reagierte.
Konjunkturelle Entwicklung nach Brexit-Referendum
Die Folgen des Brexit-Votums werden zurzeit mit Spannung verfolgt. Vergangene Woche enttäuschte der ZEWIndex sowohl bei der aktuellen Lagebewertung als auch bei
den Erwartungen. Mit Spannung wurde auf den IfoGeschäftsklimaindex geschaut. Dieser reagiert weniger
volatil und ist für die Entwicklung der Realwirtschaft häufig
aussagekräftiger. Am gestrigen Montag kam die positive
Überraschung: Zwar fiel der Ifo-Index von 108,7 auf 108,3
Punkte, doch übertraf er damit die Erwartungen (107,5
Punkte) und verbleibt deutlich über seinem 10-JahresDurchschnitt (105,7). Während sich die Aussichten für die
nächsten 6 Monate etwas eintrübten, nahm die Beurteilung
der aktuellen Geschäftslage sogar etwas zu. Im Übrigen
zeigten sich auch die Einkaufsmanagerindizes (PMIs) relativ unbeeindruckt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Türkei-Krise und die jüngsten Terroranschläge auf die Konjunkturindikatoren auswirken. Erfahrungsgemäß sorgen
Terroranschläge zwar für kurzfristige Verunsicherung, aber
sie haben selten spürbare Auswirkungen auf das BIPWachstum.
Risiko Italien
Das Brexit-Votum hat die Gefahr erhöht, dass auch in
anderen Ländern Referenden über den Ausstieg aus der EU
oder gar aus dem Euro angestrebt werden. Besonderes
Augenmerk legen wir auf Italien, wo im Oktober ein Referendum über die Verfassungsreform von Premierminister
Renzi ansteht. Wenn Renzi diesen Volksentscheid verliert
und danach – wie angekündigt – zurücktritt, besteht das
Risiko vorgezogener Neuwahlen. Nach einem politischen
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Richtungswechsel könnte es sogar zu einem Referendum
über den Euro und letztlich – gleichwohl mit einer geringen
Wahrscheinlichkeit – zum Euro-Austritt kommen. Das
wäre die bisher größte Belastungsprobe für den Euro. Für
den Fall, dass die Probleme im italienischen Bankensektor
gelöst werden und weitere politische Probleme ausbleiben,
erwarten wir für Italien in diesem Jahr ein BIP-Wachstum
in Höhe von 0,8 %.
Risiko Türkei
Zunächst ein gescheiterter Militärputsch, danach die Entlassung von etwa einem Fünftel aller Richter, tausende
Entlassungen weiterer staatlich Bediensteter, die Ausreisesperre für Akademiker, zehntausende Festnahmen und
schließlich der am letzten Mittwoch verhängte dreimonatige
Ausnahmezustand – dramatischer geht es kaum. Politisch
ist die Türkei damit ein noch größerer Risikofaktor. Wirtschaftlich dürften die Auswirkungen vergleichsweise überschaubar bleiben. Wir erwarten, dass aufgrund der jüngsten
Ereignisse die Wachstumsraten in der Türkei leicht unter
das Trendwachstum von 3,5 % fallen werden.
Ausblick
Zu Beginn des Jahres 2016 hatten wir prognostiziert, dass
in diesem Jahr die größten Risiken für die Konjunktur im
politischen Bereich schlummern. Namentlich hatten wir
insbesondere den Brexit, aber auch mögliche Terroranschläge genannt. Die letzten Wochen haben unsere Einschätzung bestätigt. Trotz allem hat sich die Wirtschaft
bisher erstaunlich widerstandsfähig gezeigt. Wir haben unsere Wachstumsprognosen zwar etwas zurückgenommen,
aber wir erwarten sowohl für Deutschland (1,5 % für 2016
und 2017) als auch für die Eurozone (1,5 % für 2016 sowie
1,4 % für 2017) moderates Wirtschaftswachstum. In diesem
insgesamt fragilen Umfeld werden die Notenbanken weiterhin eine sehr lockere Geldpolitik betreiben. Die EZB
bleibt im Wait-and-See-Modus und hält sich alle Optionen
offen. Sie wäre im Falle stärkerer Turbulenzen aber bereit,
zusätzliche geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen.
Konjunktur | 26. Juli 2016
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