Helaba Volkswirtschaft/Research USA AKTUELL 16. Juni 2016 Fed: Viele Worte, wenig Substanz AUTOR Patrick Franke Telefon: 0 69/91 32-47 38 [email protected] REDAKTION Dr. Stefan Mitropoulos HERAUSGEBER Dr. Gertrud R. Traud Chefvolkswirt/ Leitung Research Helaba Landesbank Hessen-Thüringen MAIN TOWER Neue Mainzer Str. 52-58 60311 Frankfurt am Main Telefon: 0 69/91 32-20 24 Telefax: 0 69/91 32-22 44 Die Publikation ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden. Das FOMC veröffentlicht ein weiteres umfangreiches, aber nichtssagendes, Kommuniqué Kein Wort zu dem erneut schneller als erwarteten Rückgang der Arbeitslosenquote und den nach oben angepassten Inflationsprojektionen der FOMC-Mitglieder Wir bleiben bei unserer Prognose von zwei Zinsschritten im laufenden Jahr. Insgesamt nehmen aber die Risiken zu, dass der Leitzinspfad (auch 2017) flacher ausfällt als erwartet Abraham Lincolns „Gettysburg-Address“ von 1863 gilt als eine der Säulen, auf denen sein Ruhm als einer der größten US-Präsidenten begründet ist. Die Rede war nur 272 Worte lang und dauerte weniger als zwei Minuten. Aber in dieser Zeit fand Lincoln nicht nur genau den richtigen Ton, um die Stimmung in der vom Bürgerkrieg gebeutelten Nation einzufangen. Er formulierte gleichzeitig eine Art Katechismus des amerikanischen Demokratie- und Freiheitsverständnisses, das bis heute über die Grenzen der USA hinaus als Inspiration gilt. Das FOMC-Kommuniqué von gestern Abend fiel mit 540 Worten rund doppelt so lang aus wie die „Gettysburg-Address“. Leider steht die Länge hier im proportional umgekehrten Verhältnis zur Aussagekraft. Trotz der verglichen mit früher erheblich umfangreicher gewordenen Fed-Statements geht der Erkenntnisgewinn für den Leser bedauerlicherweise zunehmend gegen null. Mit der Länge steigt zudem das Risiko, dass sich immer weniger Marktteilnehmer die Mühe machen, das Kommuniqué tatsächlich zu lesen. Dadurch erreicht die Botschaft viele Empfänger nur noch durch Journalisten gefiltert, die Aussagen jedoch stets verkürzen und zuspitzen. Nicht viel besser schneidet Janet Yellens Pressekonferenz ab. Zwar dauerte sie mit knapp einer Stunde nur halb so lang wie sich Lincolns Vorredner, Edward Everett, genommen hatte. Sie war aber ebenso vergessenswert wie dessen mehr als 13.000 Worte lange Ansprache, mit der sich heute bestenfalls noch Spezialisten auseinandersetzen. Auf die wirklich spannenden Fragen lieferte Yellen einmal mehr keine schlüssigen Antworten. Wieso sollen laut den Projektionen nun 2017 und 2018 weniger Zinserhöhungen angemessen sein als im März? Welche neuen Erkenntnisse in den vergangenen drei Monaten haben zu der Abwärtsrevision des langfristig normalen Leitzinses um 0,3 Prozentpunkte geführt? Noch am 6. Juni hatte Yellen den alten Medianwert von 3,3 % propagiert. Wie realistisch ist es, dass der Rückgang der Arbeitslosenquote praktisch mit sofortiger Wirkung aufhört? Warum sollte die US-Wirtschaft drei Jahre in Folge genau mit dem Trendwert von 2 % wachsen? Fed-Kommunikation: Viel Lärm um nichts? Zahl der Worte im FOMC-Kommuniqué 900 900 "Forward guidance" eingeführt 800 800 700 700 600 600 500 400 500 Greenspan Bernanke Yellen 400 300 300 200 200 100 100 0 1999 2000 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Vertikale Linie: Strukturbruch. Vorher ohne Abstimmungsinformation, danach mit. Quellen: Federal Reserve Board, Helaba Volkswirtschaft/Research H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 1 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A 1 USA AKTUELL Kräftiger Anstieg der Inflation voraus Lohnauftrieb: Schon fast wieder „normal“? Verbraucherpreise, Veränderung gegenüber Vorjahr in % (Prognose ab Mai 2016) Stundenlöhne, Veränderung gegenüber Vorjahr in % (Median)* 6 6 5 5 4 Gesamtindex 4 ohne Energie und Nahrungsmittel 3 3 2 2 1 1 0 0 -1 -1 -2 -2 -3 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 -3 Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 1998 0 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 * Bestehende Arbeitsverhältnisse, Dreimonatsdurchschnitt Quellen: FRB of Atlanta, Helaba Volkswirtschaft/Research. Zu diesen Fragen war das Schweigen ohrenbetäubend. Insgesamt wird der Eindruck verstärkt, dass sich die Fed nicht wirklich traut, das Zinsniveau zu normalisieren. Schlimmer noch: Es ist Wasser auf die Mühlen derer, die von vorneherein gesagt haben, die Notenbank würde den Zinserhöhungskurs „auf keinen Fall durchziehen“ und meine das auch gar nicht ernst. Es ist ein Desaster für die Kommunikation und Glaubwürdigkeit der Fed. Ist das Zinsniveau wirklich angemessen? Jenseits der eher esoterischen Betrachtungen der Notenbanker über das mögliche kurzfristige 1 Niveau des „neutralen Zinses“ stellt sich die Frage, ob die Nullzinspolitik angesichts der derzeitigen Lage und des Ausblicks am Arbeitsmarkt und beim Preisklima sinnvoll sein kann. Dies erscheint uns zunehmend fraglich. In den kommenden Monaten wird die Teuerungsrate selbst bei einem weitgehend unveränderten Ölpreis spürbar anziehen. Der Basiseffekt, wenn die Energiepreisrückgänge vor Jahresfrist aus dem Vergleich herausfallen, dürfte die Gesamtrate der Verbraucherpreisteuerung von geschätzten 1,3 % im Mai auf 2,3 % zum Jahresende springen lassen. Die Fed konstatierte in ihrem für diese Sitzung vorbereiteten „Beige Book“ weitverbreitete Engpässe am Arbeitsmarkt – zunehmend auch bei weniger anspruchsvollen Stellen. Das Kommuniqué geht darauf in keiner Weise ein und wir wagen mal die Prognose, dass das Thema im Protokoll der Juni-Sitzung wieder wie gehabt extrem ausgewogen dargestellt wird: „während einige Sitzungsteilnehmer…, wiesen andere darauf hin, dass…“. Nun ist die Arbeitslosenquote im Mai auf 4,7 % gefallen, den tiefsten Stand seit 2007. Damit ist, selbst aus Sicht der Notenbanker, die Vollbeschäftigung quasi erreicht. Trotzdem liegt der reale Leitzins noch im negativen Bereich und seine Normalisierung wird immer weiter aufgeschoben. Dass dies wohl noch eine Weile so bleiben wird, mit den volatilen und revisionsanfälligen Beschäftigungszahlen zu begründen, ist äußerst fragwürdig. Aber zumindest kann man die Logik der Geldpolitiker an dieser Stelle grob nachvollziehen – wenn man es bei 280.000 neuen Stellen pro Monat nicht eilig hatte, die Zinsen anzuheben, warum dann jetzt bei 120.000? Langfristige Trends bestimmen die Arbeitsmarktpartizipation Der jüngste Rückfall bei der Partizipationsrate bietet hingegen keinerlei Anlass für eine expansivere Geldpolitik. Im Gegenteil bestätigt er, dass hier der mittelfristige Abwärtsdruck aus demografischen Gründen dominant bleibt und selbst in einem positiven Szenario nur eine Seitwärtsbewegung der Partizipationsrate plausibel wäre, jedoch kein nachhaltiger Anstieg. Dies wiederum bedeutet, dass der Prognosefehler der FOMC-Teilnehmer, die die Arbeitslosenquote in ihren Projektionen seit Jahren merklich überschätzen, wohl auch 2016/7 groß bleiben wird. Die Idee, man könne mit niedrigen Zinsen gegen strukturelle Arbeitslosigkeit oder eine gefallene Erwerbsneigung vorgehen, ist zudem eines der problematischsten Konzepte der Yellen-Fed. 1 Ein fundamental langfristiges Konzept. Siehe unser USA Aktuell vom Juni 2014 „Wo liegt der neutrale Zins?“ H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 1 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A 2 USA AKTUELL In jedem Fall nimmt der Lohndruck zu. Die durchschnittlichen Stundenlöhne steigen mit einer Jahresrate von 2,5 %, einem halben Prozentpunkt mehr als im Schnitt der Jahre 2010 bis 2014 und deutlich oberhalb der Inflationsrate. Andere Indikatoren, die stärker auf die Lohnentwicklung bei bestehenden Arbeitsverhältnissen abstellen, wie der „Wage Growth Tracker“ der Atlanta Fed, zeigen ebenfalls einen höhere Dynamik. Hier ist die Zuwachsrate zudem schon wieder fast auf dem Durchschnittswert der Vorkrisenjahre 2003 bis 2007 angekommen. Projektionen: „Too much information“? Zu viele Informationen – oder zu wenig Erläuterungen Wegen der fehlenden Aussagekraft des Kommuniqué fokussieren immer mehr Marktteilnehmer auf die Projektionen der einzelnen FOMC-Mitglieder. Diese werden aber nicht erläutert. Was steht beispielsweise hinter den bizarren Erwartungen eines Sitzungsteilnehmers, der einen weiteren Zinsschritt 2016 für angemessen hält – und dann bis Ende 2018 keine weitere? Wir können nur raten. Erstaunlich ist auch, dass der Medianwert für den Leitzins für Ende 2016 unverändert blieb. Zwar verschob sich die „central tendency“ um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte nach unten, dennoch bleibt offenbar ein „harter Kern“ dabei, dass zwei Zinserhöhungen im zweiten Halbjahr angemessen sind. Wir halten deshalb zunächst an unserer Prognose fest, dass der Leitzinskorridor im Dezember tatsächlich bei 0,75 % bis 1 % liegen wird. Aber der zögerliche Kurs der Fed und die Abwärtsrevisionen des Leitzinspfads durch die Mehrheit der Teilnehmer (zumindest gemessen am Median werden nun sowohl 2017 als auch 2018 weniger Zinsschritte für angemessen erachtet) deuten auf zunehmende Risiken hin, dass die Fed die von uns 2017 erwarteten vier Zinserhöhungen nicht „liefern wird“, sondern wie schon 2016 Ausreden findet. Angesichts der erwarteten Überraschungen für die Fed in den kommenden Monaten – ein deutlicherer Rückgang der Arbeitslosenquote und schnelleres Anziehen der Teuerung – dürften sich aber auch bei den Notenbankern zunehmend Zweifel an der Angemessenheit eines negativen Realzinses einstellen. Sollten die Briten am 23. Juni mehrheitlich für einen Austritt aus der EU stimmen – wovon wir nach wie vor nicht ausgehen – würden die daraus wohl folgende Verunsicherung an den Finanzmärkten und eine Aufwertung des Dollar gegenüber Pfund und Euro die Fed zusätzlich bremsen. In unserem „Brexit-Szenario“ (Wahrscheinlichkeit 40 %) sehen wir 2016 maximal noch eine Zinserhöhung. Für Risiken und Nebenwirkungen… Dass die extreme Geldpolitik Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringt, erkennen selbst manche Notenbanker inzwischen an. Eine echte Kosten-Nutzen-Analyse findet aber nicht statt. Verweise auf die angebliche Asymmetrie der Risiken – man könne ja im Zweifelsfall die Zinsen stets schneller und stärker erhöhen – übersehen geflissentlich, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Rezession nach sich ziehen würde. Hätten die heutigen Notenbanker den Mumm, dies in Kauf zu nehmen, trotz der nach wie vor hohen Stabilitätsrisiken durch die vielfach rekordhohe Verschuldung? Rentenmarkt: Laufzeitprämie nahe Allzeittief Nullzins animiert zur Kreditaufnahme Laufzeitprämie* bei 10jährigen Treasuries in % Schulden des Unternehmenssektors in % des sektoralen Output* 95 95 90 90 85 85 80 80 3 75 75 2 70 70 65 65 60 60 0 55 55 -1 50 6 6 5 5 4 4 3 2 1 langfristiger Durchschnitt 0 -1 1961 1966 1971 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006 2011 * Unterschied zwischen der Rendite einer 10jährigen Anleihe und einer alternativen Anlage über zehn Jahre zu den erwarteten kurzfristigen Zinssätzen. Quellen: Adrian/Crump/Moench, Helaba Volkswirtschaft/Research H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 1 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A 1 50 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 * „Nonfarm, non-financial corporate business“ Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research. 3 USA AKTUELL So ist aktuell die größte Gefahr einer Fehl- oder Überbewertung, die sich traditionell später als die Ursache von Finanz- oder Bankenkrisen herausstellt, wohl am Rentenmarkt zu verorten. Relativ zu den historischen Normen bewegen sich die Märkte hier am meisten im Extrembereich. Dies kann nachhaltig geänderte Strukturen („Sparschwemme“, Demografie usw.) widerspiegeln. Es kann aber auch primär Folge der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken sein. Vor allem in letzterem Fall könnte sich die Bewertung am Rentenmarkt mittelfristig als erhebliches Stabilitätsrisiko erweisen. Darüber hinaus wächst das Problem umso mehr, je länger die Phase sehr niedriger Geldmarktzinsen andauert: Der Schockwert eines Zinsanstiegs auch nur in die Nähe historischer Niveaus nimmt zu, je mehr Marktteilnehmer ihn vorher für völlig ausgeschlossen gehalten haben. Allein die Normalisierung der Laufzeitprämie von ihrem aktuellen negativen Wert würde – ohne zusätzliche Zinserhöhungen durch die Fed – die Rendite zehnjähriger Treasuries um rund 200 Basispunkte steigen lassen. Es stellt sich auch die Frage, inwiefern das ständige Gerede über angebliche Deflationsrisiken und eine „zu niedrige“ Teuerung seitens der Fed und anderer Zentralbanken zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. Fakt ist, dass Medien wie Bloomberg aber auch die Wirtschaftsseiten von Zeitungen die aus den Marktpreisen abgeleiteten „Inflationserwartungen“ heute viel regelmäßiger und prominenter thematisieren als früher. Dabei fallen die von Akademikern und selbst Notenbankern oft angesprochenen Probleme bei der Interpretation dieser Zahlen oft unter den Tisch, weil sie für den Durchschnittsleser/-hörer/-zuschauer zu kompliziert sind. Mit Vollgas in die nächste Kreditblase? Fragen nach Risiken im Hinblick auf eine mögliche Kreditblase werden gerne pauschal mit Verweisen auf die sogenannten „makroprudenziellen Instrumente“ abgeblockt. Solche regulatorischen Maßnahmen können theoretisch zielgerichteter als Änderungen des Leitzinses eingesetzt werden. Ihre Wirksamkeit ist allerdings in der Praxis im Großen und Ganzen nach wie vor ungetestet. Sie haben zudem einen entscheidenden politischen Nachteil: Konstruktionsbedingt führen sie im Falle einer Verschärfung zu einer Kreditrationierung primär zu Lasten der schlechtesten Risiken. Dies öffnet einer Konfrontation Tür und Tor zwischen den nicht gewählten Notenbankern sowie Regulierern auf der einen und Politikern, die die Interessen von „besonders schützenswerten“ Gruppen wie Einkommensschwachen und Minderheiten vertreten, auf der anderen Seite. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 1 6 . J U N I 2 0 1 6 · © H E L A B A 4
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