Fed: Viele Worte, wenig Substanz

Helaba Volkswirtschaft/Research
USA AKTUELL
16. Juni 2016
Fed: Viele Worte, wenig Substanz
AUTOR
Patrick Franke
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REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos

HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
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60311 Frankfurt am Main
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Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Das FOMC veröffentlicht ein weiteres umfangreiches, aber nichtssagendes, Kommuniqué
Kein Wort zu dem erneut schneller als erwarteten Rückgang der Arbeitslosenquote und den
nach oben angepassten Inflationsprojektionen der FOMC-Mitglieder
Wir bleiben bei unserer Prognose von zwei Zinsschritten im laufenden Jahr. Insgesamt
nehmen aber die Risiken zu, dass der Leitzinspfad (auch 2017) flacher ausfällt als erwartet
Abraham Lincolns „Gettysburg-Address“ von 1863 gilt als eine der Säulen, auf denen sein Ruhm
als einer der größten US-Präsidenten begründet ist. Die Rede war nur 272 Worte lang und dauerte
weniger als zwei Minuten. Aber in dieser Zeit fand Lincoln nicht nur genau den richtigen Ton, um
die Stimmung in der vom Bürgerkrieg gebeutelten Nation einzufangen. Er formulierte gleichzeitig
eine Art Katechismus des amerikanischen Demokratie- und Freiheitsverständnisses, das bis heute
über die Grenzen der USA hinaus als Inspiration gilt. Das FOMC-Kommuniqué von gestern Abend
fiel mit 540 Worten rund doppelt so lang aus wie die „Gettysburg-Address“. Leider steht die Länge
hier im proportional umgekehrten Verhältnis zur Aussagekraft. Trotz der verglichen mit früher erheblich umfangreicher gewordenen Fed-Statements geht der Erkenntnisgewinn für den Leser
bedauerlicherweise zunehmend gegen null. Mit der Länge steigt zudem das Risiko, dass sich
immer weniger Marktteilnehmer die Mühe machen, das Kommuniqué tatsächlich zu lesen.
Dadurch erreicht die Botschaft viele Empfänger nur noch durch Journalisten gefiltert, die Aussagen
jedoch stets verkürzen und zuspitzen.
Nicht viel besser schneidet Janet Yellens Pressekonferenz ab. Zwar dauerte sie mit knapp einer
Stunde nur halb so lang wie sich Lincolns Vorredner, Edward Everett, genommen hatte. Sie war
aber ebenso vergessenswert wie dessen mehr als 13.000 Worte lange Ansprache, mit der sich
heute bestenfalls noch Spezialisten auseinandersetzen. Auf die wirklich spannenden Fragen lieferte Yellen einmal mehr keine schlüssigen Antworten. Wieso sollen laut den Projektionen nun 2017
und 2018 weniger Zinserhöhungen angemessen sein als im März? Welche neuen Erkenntnisse in
den vergangenen drei Monaten haben zu der Abwärtsrevision des langfristig normalen Leitzinses
um 0,3 Prozentpunkte geführt? Noch am 6. Juni hatte Yellen den alten Medianwert von 3,3 %
propagiert. Wie realistisch ist es, dass der Rückgang der Arbeitslosenquote praktisch mit sofortiger
Wirkung aufhört? Warum sollte die US-Wirtschaft drei Jahre in Folge genau mit dem Trendwert
von 2 % wachsen?
Fed-Kommunikation: Viel Lärm um nichts?
Zahl der Worte im FOMC-Kommuniqué
900
900
"Forward guidance" eingeführt
800
800
700
700
600
600
500
400
500
Greenspan
Bernanke
Yellen
400
300
300
200
200
100
100
0
1999 2000
0
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
Vertikale Linie: Strukturbruch. Vorher ohne Abstimmungsinformation, danach mit. Quellen: Federal Reserve Board, Helaba Volkswirtschaft/Research
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USA AKTUELL
Kräftiger Anstieg der Inflation voraus
Lohnauftrieb: Schon fast wieder „normal“?
Verbraucherpreise, Veränderung gegenüber Vorjahr in % (Prognose ab Mai 2016)
Stundenlöhne, Veränderung gegenüber Vorjahr in % (Median)*
6
6
5
5
4
Gesamtindex
4
ohne Energie und
Nahrungsmittel
3
3
2
2
1
1
0
0
-1
-1
-2
-2
-3
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017
-3
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
6
6
5
5
4
4
3
3
2
2
1
1
0
1998
0
2000
2002
2004
2006
2008
2010
2012
2014
2016
* Bestehende Arbeitsverhältnisse, Dreimonatsdurchschnitt
Quellen: FRB of Atlanta, Helaba Volkswirtschaft/Research.
Zu diesen Fragen war das Schweigen ohrenbetäubend. Insgesamt wird der Eindruck verstärkt,
dass sich die Fed nicht wirklich traut, das Zinsniveau zu normalisieren. Schlimmer noch: Es ist
Wasser auf die Mühlen derer, die von vorneherein gesagt haben, die Notenbank würde den Zinserhöhungskurs „auf keinen Fall durchziehen“ und meine das auch gar nicht ernst. Es ist ein Desaster für die Kommunikation und Glaubwürdigkeit der Fed.
Ist das Zinsniveau wirklich angemessen?
Jenseits der eher esoterischen Betrachtungen der Notenbanker über das mögliche kurzfristige
1
Niveau des „neutralen Zinses“ stellt sich die Frage, ob die Nullzinspolitik angesichts der derzeitigen Lage und des Ausblicks am Arbeitsmarkt und beim Preisklima sinnvoll sein kann. Dies erscheint uns zunehmend fraglich. In den kommenden Monaten wird die Teuerungsrate selbst bei
einem weitgehend unveränderten Ölpreis spürbar anziehen. Der Basiseffekt, wenn die Energiepreisrückgänge vor Jahresfrist aus dem Vergleich herausfallen, dürfte die Gesamtrate der Verbraucherpreisteuerung von geschätzten 1,3 % im Mai auf 2,3 % zum Jahresende springen lassen.
Die Fed konstatierte in ihrem für diese Sitzung vorbereiteten „Beige Book“ weitverbreitete Engpässe am Arbeitsmarkt – zunehmend auch bei weniger anspruchsvollen Stellen. Das Kommuniqué
geht darauf in keiner Weise ein und wir wagen mal die Prognose, dass das Thema im Protokoll der
Juni-Sitzung wieder wie gehabt extrem ausgewogen dargestellt wird: „während einige Sitzungsteilnehmer…, wiesen andere darauf hin, dass…“. Nun ist die Arbeitslosenquote im Mai auf 4,7 %
gefallen, den tiefsten Stand seit 2007. Damit ist, selbst aus Sicht der Notenbanker, die Vollbeschäftigung quasi erreicht. Trotzdem liegt der reale Leitzins noch im negativen Bereich und seine
Normalisierung wird immer weiter aufgeschoben. Dass dies wohl noch eine Weile so bleiben wird,
mit den volatilen und revisionsanfälligen Beschäftigungszahlen zu begründen, ist äußerst fragwürdig. Aber zumindest kann man die Logik der Geldpolitiker an dieser Stelle grob nachvollziehen –
wenn man es bei 280.000 neuen Stellen pro Monat nicht eilig hatte, die Zinsen anzuheben, warum
dann jetzt bei 120.000?
Langfristige Trends
bestimmen die Arbeitsmarktpartizipation
Der jüngste Rückfall bei der Partizipationsrate bietet hingegen keinerlei Anlass für eine expansivere Geldpolitik. Im Gegenteil bestätigt er, dass hier der mittelfristige Abwärtsdruck aus demografischen Gründen dominant bleibt und selbst in einem positiven Szenario nur eine Seitwärtsbewegung der Partizipationsrate plausibel wäre, jedoch kein nachhaltiger Anstieg. Dies wiederum bedeutet, dass der Prognosefehler der FOMC-Teilnehmer, die die Arbeitslosenquote in ihren Projektionen seit Jahren merklich überschätzen, wohl auch 2016/7 groß bleiben wird. Die Idee, man
könne mit niedrigen Zinsen gegen strukturelle Arbeitslosigkeit oder eine gefallene Erwerbsneigung
vorgehen, ist zudem eines der problematischsten Konzepte der Yellen-Fed.
1
Ein fundamental langfristiges Konzept. Siehe unser USA Aktuell vom Juni 2014 „Wo liegt der neutrale Zins?“
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USA AKTUELL
In jedem Fall nimmt der Lohndruck zu. Die durchschnittlichen Stundenlöhne steigen mit einer Jahresrate von 2,5 %, einem halben Prozentpunkt mehr als im Schnitt der Jahre 2010 bis 2014 und
deutlich oberhalb der Inflationsrate. Andere Indikatoren, die stärker auf die Lohnentwicklung bei
bestehenden Arbeitsverhältnissen abstellen, wie der „Wage Growth Tracker“ der Atlanta Fed,
zeigen ebenfalls einen höhere Dynamik. Hier ist die Zuwachsrate zudem schon wieder fast auf
dem Durchschnittswert der Vorkrisenjahre 2003 bis 2007 angekommen.
Projektionen: „Too much information“?
Zu viele Informationen –
oder zu wenig
Erläuterungen
Wegen der fehlenden Aussagekraft des Kommuniqué fokussieren immer mehr Marktteilnehmer
auf die Projektionen der einzelnen FOMC-Mitglieder. Diese werden aber nicht erläutert. Was steht
beispielsweise hinter den bizarren Erwartungen eines Sitzungsteilnehmers, der einen weiteren
Zinsschritt 2016 für angemessen hält – und dann bis Ende 2018 keine weitere? Wir können nur
raten. Erstaunlich ist auch, dass der Medianwert für den Leitzins für Ende 2016 unverändert blieb.
Zwar verschob sich die „central tendency“ um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte nach unten, dennoch
bleibt offenbar ein „harter Kern“ dabei, dass zwei Zinserhöhungen im zweiten Halbjahr angemessen sind. Wir halten deshalb zunächst an unserer Prognose fest, dass der Leitzinskorridor im Dezember tatsächlich bei 0,75 % bis 1 % liegen wird. Aber der zögerliche Kurs der Fed und die Abwärtsrevisionen des Leitzinspfads durch die Mehrheit der Teilnehmer (zumindest gemessen am
Median werden nun sowohl 2017 als auch 2018 weniger Zinsschritte für angemessen erachtet)
deuten auf zunehmende Risiken hin, dass die Fed die von uns 2017 erwarteten vier Zinserhöhungen nicht „liefern wird“, sondern wie schon 2016 Ausreden findet. Angesichts der erwarteten Überraschungen für die Fed in den kommenden Monaten – ein deutlicherer Rückgang der Arbeitslosenquote und schnelleres Anziehen der Teuerung – dürften sich aber auch bei den Notenbankern
zunehmend Zweifel an der Angemessenheit eines negativen Realzinses einstellen.
Sollten die Briten am 23. Juni mehrheitlich für einen Austritt aus der EU stimmen – wovon wir nach
wie vor nicht ausgehen – würden die daraus wohl folgende Verunsicherung an den Finanzmärkten
und eine Aufwertung des Dollar gegenüber Pfund und Euro die Fed zusätzlich bremsen. In unserem „Brexit-Szenario“ (Wahrscheinlichkeit 40 %) sehen wir 2016 maximal noch eine Zinserhöhung.
Für Risiken und Nebenwirkungen…
Dass die extreme Geldpolitik Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringt, erkennen selbst manche Notenbanker inzwischen an. Eine echte Kosten-Nutzen-Analyse findet aber nicht statt. Verweise auf die angebliche Asymmetrie der Risiken – man könne ja im Zweifelsfall die Zinsen stets
schneller und stärker erhöhen – übersehen geflissentlich, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit
eine Rezession nach sich ziehen würde. Hätten die heutigen Notenbanker den Mumm, dies in
Kauf zu nehmen, trotz der nach wie vor hohen Stabilitätsrisiken durch die vielfach rekordhohe
Verschuldung?
Rentenmarkt: Laufzeitprämie nahe Allzeittief
Nullzins animiert zur Kreditaufnahme
Laufzeitprämie* bei 10jährigen Treasuries in %
Schulden des Unternehmenssektors in % des sektoralen Output*
95
95
90
90
85
85
80
80
3
75
75
2
70
70
65
65
60
60
0
55
55
-1
50
6
6
5
5
4
4
3
2
1
langfristiger
Durchschnitt
0
-1
1961 1966 1971 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006 2011
* Unterschied zwischen der Rendite einer 10jährigen Anleihe und einer alternativen
Anlage über zehn Jahre zu den erwarteten kurzfristigen Zinssätzen.
Quellen: Adrian/Crump/Moench, Helaba Volkswirtschaft/Research
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1
50
1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
* „Nonfarm, non-financial corporate business“
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research.
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USA AKTUELL
So ist aktuell die größte Gefahr einer Fehl- oder Überbewertung, die sich traditionell später als die
Ursache von Finanz- oder Bankenkrisen herausstellt, wohl am Rentenmarkt zu verorten. Relativ zu
den historischen Normen bewegen sich die Märkte hier am meisten im Extrembereich. Dies kann
nachhaltig geänderte Strukturen („Sparschwemme“, Demografie usw.) widerspiegeln. Es kann
aber auch primär Folge der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken sein. Vor allem in letzterem Fall
könnte sich die Bewertung am Rentenmarkt mittelfristig als erhebliches Stabilitätsrisiko erweisen.
Darüber hinaus wächst das Problem umso mehr, je länger die Phase sehr niedriger Geldmarktzinsen andauert: Der Schockwert eines Zinsanstiegs auch nur in die Nähe historischer Niveaus nimmt
zu, je mehr Marktteilnehmer ihn vorher für völlig ausgeschlossen gehalten haben. Allein die Normalisierung der Laufzeitprämie von ihrem aktuellen negativen Wert würde – ohne zusätzliche
Zinserhöhungen durch die Fed – die Rendite zehnjähriger Treasuries um rund 200 Basispunkte
steigen lassen.
Es stellt sich auch die Frage, inwiefern das ständige Gerede über angebliche Deflationsrisiken und
eine „zu niedrige“ Teuerung seitens der Fed und anderer Zentralbanken zu einer selbsterfüllenden
Prophezeiung werden kann. Fakt ist, dass Medien wie Bloomberg aber auch die Wirtschaftsseiten
von Zeitungen die aus den Marktpreisen abgeleiteten „Inflationserwartungen“ heute viel regelmäßiger und prominenter thematisieren als früher. Dabei fallen die von Akademikern und selbst Notenbankern oft angesprochenen Probleme bei der Interpretation dieser Zahlen oft unter den Tisch,
weil sie für den Durchschnittsleser/-hörer/-zuschauer zu kompliziert sind.
Mit Vollgas in die
nächste Kreditblase?
Fragen nach Risiken im Hinblick auf eine mögliche Kreditblase werden gerne pauschal mit Verweisen auf die sogenannten „makroprudenziellen Instrumente“ abgeblockt. Solche regulatorischen
Maßnahmen können theoretisch zielgerichteter als Änderungen des Leitzinses eingesetzt werden.
Ihre Wirksamkeit ist allerdings in der Praxis im Großen und Ganzen nach wie vor ungetestet. Sie
haben zudem einen entscheidenden politischen Nachteil: Konstruktionsbedingt führen sie im Falle
einer Verschärfung zu einer Kreditrationierung primär zu Lasten der schlechtesten Risiken. Dies
öffnet einer Konfrontation Tür und Tor zwischen den nicht gewählten Notenbankern sowie Regulierern auf der einen und Politikern, die die Interessen von „besonders schützenswerten“ Gruppen
wie Einkommensschwachen und Minderheiten vertreten, auf der anderen Seite. 
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