Februar 2016 - Institut für Auslandsbeziehungen

Auswärtige Kulturpolitik im Spiegel der Presse
Monatstrend Februar 2015
von Mirjam Schneider
Von der Multikultur zur Monokultur?
Während die Finanzkrise die EU in „Gläubiger und Schuldner“ geteilt und eine Kluft
zwischen Norden und Süden aufgerissen habe, sorge die Flüchtlingskrise für eine
„neue Ost-West-Spaltung“, so Ivan Krastev, Leiter des Centre for Liberal Strategies
(CLS) in Sofia und Fellow des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM)
in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stünden kulturelle Fragen: Denn die Renationalisierungstendenzen in Osteuropa seien die Antwort auf eine „grassierende Angst“, dass die „Fremden“ die
„historisch gewachsene Kultur untergraben und unsere liberalen Gesellschaften zerstören könnten.“ Die Menschen fürchteten, „dass Fremde ihre Länder übernehmen
und ihre Lebensweise bedrohen könnten“. (22.02.2016; faz.net/e-paper)
In Polen habe unter anderem die Angst in der Bevölkerung, dass die „Substanz des
‚Polentums’“ bedroht sein könnte, der rechtsnationalistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu ihrem Wahlsieg verholfen, so der polnische Dichter Adam
Zagajewski in der Neuen Zürcher Zeitung. Die Partei setze auf ein „Gefühl der Gemeinschaft“; dafür fördere die Regierung nur noch „patriotische Filme, nur patriotische Theaterstücke“. Unter den Künstlern und Kulturschaffenden jedoch herrsche
deshalb der Eindruck, „man habe uns unser Land gestohlen – einen Raum der Freiheit, in dem verschiedene Stimmen zu Wort kamen, verschiedene Temperamente“.
Das neue Regime breite einen „riesigen ideologischen Schleier“ aus über „Nation,
Kirche, Familie, Patriotismus, Tradition“. (16.02.2016; S. 23)
Auch in Kroatien sei eine solche kulturelle Flurbereinigung nun Programm, so der
Publizist Nenad Popocic im Interview mit der Zeit: Gleich an seinem ersten Arbeitstag habe der neue kroatische Kulturminister Zlatko Hasanbegovic den Ausschuss zur
Förderung unabhängiger Medien aufgelöst. Freie und unabhängige Kultur sei „ein
sichtbarer und faszinierender Ausdruck dessen, was eine offene Gesellschaft sein
kann“ und gerade darum für die neuen Machthaber der „erste Feind, denn ohne eine
gleichgeschaltete Kultur- und Medienszene kann man Gesellschaften nicht dirigieren.“ Die Regierungsvertreter förderten eine „homogene Kultur“ und versprächen
den Menschen damit „Geborgenheit, Gemeinschaft, Heimat, Tradition, Kollegialität,
Nachbarschaft“, also „einfache Antworten für Menschen, die wirtschaftliche Not leiden.“ Doch damit produzierten sie auch „innere Feinde“, die mit dieser Homogenität
1
nicht in Einklang stehen: „Homosexuelle, Ausländer, politisch Unbequeme“.
(25.02.2016; S. 40)
Die kulturellen Homogenisierungsbestrebungen in den Ländern Osteuropas dürfen
indes laut dem polnischen Kulturminister Piotr Gliński nicht vom „Werteverfall“
getrennt betrachtet werden, wie es sich in den Augen der Osteuropäer in Westeuropa
breitmacht. „Ich denke, dass die kulturellen Tendenzen, die sich im Westen entfalten,
uns in eine Art Sackgasse führen können“, betont er im Interview mit der Welt. Angesichts der „Krise der europäischen Kultur“, ihrer „Dekadenz“ suche man in Osteuropa nach Alternativen. Denn die Kultur der „satten westlichen Gesellschaften“ huldige
„in großem Maße dem Egoismus und Egozentrismus“. In Köln habe er zu einer Zeit,
als in der Ukraine Krieg geführt wurde, „viele diskutierende Kaffeehausbesucher“
gesehen. Der Krieg „interessierte diese Leute überhaupt nicht. Ich konnte nicht verstehen, wie dieses Europa so gleichgütig sein kann“. (26.02.2016; S. 24)
Innerhalb der in den westeuropäischen Gesellschaften geführten Mediendebatten ist
zwar nicht vom „Wertezerfall“ die Rede. Doch es werden zunehmend Stimmen laut,
die fordern, das Bedürfnis nach Solidarität und verbindlichen Werten, wie es in den
kulturellen Homogenisierungsbestrebungen vieler osteuropäischer Staaten, aber auch
in den Ängsten vieler Westeuropäer zum Ausdruck käme, ernster zu nehmen.
Es sei ein „Gebot politischer Klugheit“, so etwa Peter Graf Kielmansegg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zu berücksichtigen, dass der Mensch „das Eigene, eine ihm
vertraute, einigermaßen stabile Umwelt“ brauche. „In einer Welt blasser Universalismen ist er heimatlos“. Zwar sei auch das Eigene immer „im Wandel“ begriffen,
„aber der Wandel darf sich nicht zu dramatisch, zu abrupt vollziehen“. Der Mensch
„muss ihm folgen können, ohne das Eigene zu verlieren“. Er brauche „ein Grundgefühl der Sicherheit, dass ihm seine Welt nicht ganz abhanden kommt, auch im Wandel nicht“. (02.03.2016; S. 11)
Auch eine westeuropäische „political correctness“ trage dazu bei, zu verwässern,
welchen kulturellen Errungenschaften man sich zugehörig fühlen und welche Werte
als verbindlich betrachtet werden müssten: „Das politisch korrekte Europa“, so ein
Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung, „verteidigt zurzeit fast bedingungslos jede Kultur, die nicht die unsrige ist“. Die Kritik an „fremden Kulturen und Religionen“ habe
sich nach dem Kolonialismus und dem Zweiten Weltkrieg in ein „gesamteuropäisches Tabu“ verwandelt, während sich gleichzeitig in muslimischen Ländern „der
wörtliche und fundamentalistische Glaube an den Koran und seine Dogmen immer
weiter ausbreitete“. Im westeuropäischen „Multi-Kulti-Denken“ gelte das „gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener – und auch archaischer und enorm rück2
schrittlicher – Kulturen“ als „Maximum des Möglichen“, und das „Behaupten von
Wertvorstellungen durch die Aufnahmegesellschaft“ quasi automatisch als „rassistisch“. Hier müsse wieder deutlicher werden, dass „Respekt verdient, was die Menschenrechte einhält“. (17.02.2016; S. 24)
Allen Beiträgen im Februar gemeinsam ist der Tenor: Von einer „Wertegemeinschaft“
ist die EU weiter entfernt denn je. Aber vielleicht liegt hier ja auch gerade die Chance
der Flüchtlingskrise, nämlich dass sie die europäischen Länder „zwingen wird, sich
über grundsätzliche Werte zu verständigen“, wie es ein Beitrag in deutschlandradio.de
prognostiziert. Diese Verständigung könnte dann „der Anfang sein, der schmerzhafte
Anfang einer Europäischen Wertegemeinschaft“. (29.01.2016)
Die neuen deutsch-iranischen Kulturbeziehungen
Iran kehrt auf die internationale Bühne zurück; das „Tauwetter in Teheran“ komme
auch den Kulturbeziehungen zugute, so der Tagesspiegel. Eine „Sensation ersten Ranges“ sei die Ausstellung des iranischen Museum of Contemporary Art (TMoCA), die
für Winter 2016/17 in Berlin geplant sei. Gezeigt würden Werke von Pollock, Bacon,
Johns und Warhol, die in den siebziger Jahren „auf Betreiben der Schah-Gattin Farah
Pahlevi“ gekauft und nach der Revolution von 1979 jahrzehntelang „unter Verschluss
gehalten“ wurden. Für diese habe Außenminister Frank-Walter Steinmeier während
seines Teheran-Besuchs eine Absichtserklärung zur Ausleihe unterschrieben. Aus
dem Auswärtigen Amt heiße es, das Projekt sei „in besonderer Weise geeignet,
Sichtweisen hier bei uns, aber auch im Iran über die Wertschätzung der klassischen
europäischen Moderne aus der Sammlung des TMoCA zu verändern und im Sinne
eines kulturellen Austausches zueinanderzubringen.“ Der Abschluss des Leihabkommens, so der Beitrag weiter, wäre das „Sahnehäubchen“ auf den politischen Verhandlungserfolgen des Außenministers mit Iran. Das Auswärtige Amt werde sich an
den Kosten für die Leih-Ausstellung beteiligen. (01.02.2016; S. 19)
Bei aller neuen Weltoffenheit würde im Innern des Landes nach wie vor eine Debatte
ausgetragen, die sich als „mehr als hundertjähriger Kampf der Geistlichkeit gegen die
‚Gottlosigkeit’ der materialistischen westlichen Moderne“ beschreiben ließe, so die
Süddeutsche Zeitung. „Seit der ersten Begegnung Irans mit der westlichen Moderne im
19. Jahrhundert stellte sich dem Klerus die bange Frage: Wie kann sich die Religion
gegenüber der Moderne und Aufklärung behaupten?“ Auch die „gebildeten Schichten“ habe stets die Frage beschäftigt, „wie sich die eigene Kultur und Lebensart vor
der Verwestlichung, die bald als Krankheit bezeichnet wurde, schützen ließe“. Diese
„Spannungen zwischen Religion und westlicher Moderne“ seien keinesfalls aufgelöst, sondern beschäftigten nach wie vor den Klerus. Viele Hoffnungen knüpften sich
3
nun daran, „dass sich die neu gewählten Reformkräfte im iranischen Parlament gegen die konservativen Hardliner besser behaupten“. (01.03.2016; S. 11)
Noch herrsche im Land jedoch eine „massive Beeinträchtigung künstlerischer und
journalistischer Freiheit durch die Justiz und Behörden“, so Ali Fathollah-Nejad im
Interview mit dem Institut für Auslandsbeziehungen. Die Hoffnungen vieler Kulturschaffender auf eine stärkere Öffnung des Iran stünden derzeit im Widerspruch zu
den von offizieller Seite geäußerten Warnungen vor einem „Kultur-Imperialismus“
des Westens, der die „Grundpfeiler der Islamischen Republik unterhöhlen“ würde.
So habe Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei vor wirtschaftlicher sowie „kultureller Infiltration durch den Westen mithilfe inländischer Akteure“ gewarnt. Für eine
künftige kulturelle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Iran sei zu wünschen, dass man sich nicht mit Projekten auf zwischenstaatlicher Ebene begnüge.
Vielmehr müsse es das Ziel sein, die beiden Gesellschaften in ihrer Vielfalt zusammenzubringen. Eine „zivilgesellschaftliche ‚Kultur von unten’“ sei einer „staatlich
reglementierten ‚Kultur von oben’“ vorzuziehen.
Dr. Mirjam Schneider ist als freie Journalistin, Redakteurin und Lektorin tätig. Sie war
wissenschaftliche Assistentin im Fach Internationale Literaturen an der Universität
Tübingen sowie Koordinatorin des ifa-Forschungsprogramms „Kultur und Außenpolitik“.
4