MATERIALIEN - Theater Pforzheim

Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Tschick
Nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf in einer
Bühnenfassung von Robert Koall
MATERIALIEN
Premiere: 19. September 2015 im Podium
Kontakt: Junges Theater Pforzheim
Theater Pforzheim • Am Waisenhausplatz 5 • 75172 Pforzheim
Tel. 07231 393259 • E-Mail: [email protected]
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Besetzung
Der Autor
Zum Stück
Interview mit Wolfgang Herrndorf
Blog „Arbeit und Struktur“ Auszug
Jurybegründung Deutscher Jugendbuchpreis 2011
Claudius Seidl: Ein Leseerlebnis
Presse/Rezensionen
„Tschick“ im Unterricht
-Themenfelder
-Unterrichtsideen
Theaterpädagogische Anregungen
Ins Spiel kommen
Schwerpunkt I: Gemeinsames Erzählen
Schwerpunkt II: Dramatisierung
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Inhalt
"Eine Minute stand der hellblaue Lada Niva mit laufendem Motor vor unserer Garage, dann wurde der
Motor abgestellt. Die Fahrertür ging auf, Tschick stieg aus. Er legte beide Ellenbogen aufs Autodach
und sah zu, wie ich den Rasen sprengte. 'Ah', sagte er, und dann sagte er lange nichts mehr. 'Macht das
Spaß?'"
Es ist der erste Tag der Sommerferien. Die Mutter des 14jährigen Maik ist beim jährlichen Entzug, sein
Vater mit jugendlicher Geliebter auf Geschäftsreise, der Rest der Klasse eingeladen bei der
Geburtstagsfeier der Jahrgangsschönsten. Und Maik allein mit Villa, Pool und 200 Euro Taschengeld.
Da taucht Tschick vor Maiks Haustür auf, in einem geklauten Lada. Tschick ist noch neu in Maiks Klasse,
ein Proll aus der Hochhaussiedlung, öfters betrunken, möglicherweise Russenmafia. Trotzdem steigt Maik
ein. Zuerst wollen die beiden noch Richtung Walachei, Tschicks Familie besuchen, aber schon bald
fahren sie einfach drauflos, die Fenster offen, als Soundtrack die einzig verfügbare Kassette…
„Tschick“ ist die Geschichte einer Deutschlandreise durch ein vertrautes, fremdes Land, ein „Roadmovie“,
getränkt mit dem Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Als gleichzeitige „Hymne auf das Jungsein, die
Freundschaft, die Liebe und das Leben“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) avancierte das Werk des viel
zu früh verstorbenen Autors Wolfgang Herrndorf zum erfolgreichsten Jugendroman der vergangenen
Jahre, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ist nun nach vielen Inszenierungen im
deutschsprachigen Raum endlich auch in Pforzheim fest im Repertoire zu sehen.
„Eine Geschichte, die man gar nicht oft genug erzählen kann, lesen will."
(Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung).
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Team
Inszenierung und Bühne — Alexander May
Bühnenbild und Kostüme — Dirk Steffen Göpfert
Dramaturgie — Peter Oppermann
Besetzung:
Maik — Julian Culemann / Sandro Sutato a.G.
Tschick — Henning Kallweit
Isa — Theresa Martini
Aufführungsrechte Rowohlt Theaterverlag, Renbek bei Hamburg
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Der Autor
Wolfangang Herrndorf wurde am 12. Juni 1965 in Hamburg geboren und starb am 26. August 2013
in Berlin.
Er studierte Malerei in Nürnberg und arbeitet als Autor und Illustrator unter anderem beim Haffmanns
Verlag und für die Satirezeitschrift „Titanic“. 2002 erschien sein Debütroman „Im Plüschgewitter“, 2007
der Erzählband „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“.
Mit der Veröffentlichung von „Tschick“ im September 2010 begann sein großer schriftstellerischer
Erfolg. Der Roman stand über ein Jahr lang auf der deutschen Bestsellerliste und wurde mit Preisen wie
dem Deutschen Jugendliteraturpreis, dem Clemens-Brentano-Preis und dem Hans-Fallada-Preis
ausgezeichnet.
Im Februar 2010 wurde bei ihm eine bösartiger Hirntumor diagnostiziert, worauf er den Blog „Arbeit
und Struktur“ begann, in dem er über das Leben mit der Krankheit berichtete. Der Blog erschien 2013
in Buchform.
2014 wurde eine unvollendete Fortsetzung von „Tschick“ aus Isas Sicht veröffentlicht mit dem Titel
„Bilder deiner großen Liebe“. Der Veröffentlichung und dem Titel hatte Herrndorf noch selbst
zugestimmt.
Quelle:
Vgl. http://www.rowohlt.de/autor/wolfgang-herrndorf.html
(zuletzt geprüft am 21.09.2015)
Zum Stück
„Tschick“ wurde von dem ehemaligen Schlingensief-Assistenten und zwischenzeitlichen Chefdramaturgen
am Staatsschauspiel Dresden Robert Koall zu einer Theaterfassung bearbeitet und am 19.11.2011 am
Staatsschauspielhaus Dresden uraufgeführt.
In der Saison 2012/2013 gehörte es mit 764 Aufführungen in 29 Produktionen zu dem meist
gespieltem Stück in Deutschland.
2016 sollen Maik und Tschick sich auch auf der Kinoleinwand auf den Weg in die Wallachei machen.
Quelle:
Vgl. http://www.rowohlt-theaterverlag.de/stueck/Tschick.2950704.html
(zuletzt geprüft am 21.09.2015)
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Interview mit Wolfgang Herrndorf
Der Ort des Gesprächs, irgendwo in Berlin, tut nichts zur Sache. Und dass Wolfgang Herrndorf eigentlich
keine Interviews gibt, merkt man ihm nicht an.
In der Rowohlt-Revue hieß es schon vor Erscheinen Ihres Buches: „Bei einer bestimmten Sorte
Bücher schreiben Rezensenten so verlässlich wie einfallslos: Salinger, Fänger im Roggen, Holden
Caulfield.“ Ein Versuch, gleichzeitig den Salinger-Vergleich ins Gespräch zu bringen, sich ironisch
davon zu distanzieren und die Rezensenten zu mehr Originalität anzuhalten. Hat das funktioniert?
Ich musste eine Runde Bier ausgeben, als die erste Rezension ohne Salinger erschien. Aber es hat eine
Weile gedauert.
Und wie ist das so? Ärgerlich, weil man sieht, wie sich der Aufziehschlüssel im Rücken des
Rezensenten dreht? Oder schmeichelhaft?
Man wird ja nicht wirklich mit der Schreibkunst Salingers verglichen. Sondern mit dem Thema seines
vermeintlichen Hauptwerks.
Sie halten den „Fänger im Roggen“ nicht für sein Hauptwerk?
Nein. „Nine Stories“. Aber egal, ist beides toll.
Dann sprechen wir jetzt über „Tschick“. Warum ein Jugendroman?
Ich habe um 2004 herum die Bücher meiner Kindheit und Jugend wieder gelesen, „Herr der Fliegen“,
„Huckleberry Finn“, „Arthur Gordon Pym“, „Pik reist nach Amerika“ und so. Um herauszufinden, ob die
wirklich so gut waren, wie ich sie in Erinnerung hatte, aber auch, um zu sehen, was ich mit zwölf
eigentlich für ein Mensch war. Und dabei habe ich festgestellt, dass alle Lieblingsbücher drei
Gemeinsamkeiten hatten: schnelle Eliminierung der erwachsenen Bezugspersonen, große Reise, großes
Wasser. Ich habe überlegt, wie man diese drei Dinge in einem halbwegs realistischen Jugendroman
unterbringen könnte. Mit dem Floß die Elbe runter schien mir lächerlich; in der Bundesrepublik des
einundzwanzigsten Jahrhunderts als Ausreißer auf einem Schiff anheuern: Quark. Nur mit dem Auto fiel
mir was ein. Zwei Jungs klauen ein Auto. Da fehlte zwar das Wasser, aber den Plot hatte ich in
wenigen Minuten im Kopf zusammen.
Mit generationsspezifischen Ausdrücken und Angewohnheiten sind Sie dabei sparsam
umgegangen. Trotzdem muss man ja herausfinden, was 1995 Geborene so mit ihrer Zeit und
ihrem Geld anfangen. Sie sind Jahrgang 1965, woher wissen Sie das?
Ich weiß es nicht. Aber das kam mir gar nicht so problematisch vor, dass es sich um Jugendliche handelt
- oder jedenfalls nicht problematischer als Handwerker, Ärzte oder Lokführer, wenn man die im Roman
auftauchen oder sprechen lässt. Ich glaube nicht, dass Jugend ein spezielles Problem darstellt, auch
wenn Scheitern da oft spektakulärer wirkt. Wobei ich mir nicht einbilde, es perfekt gemacht zu haben.
Ich habe meinem Erzähler einfach zwei Wörter gegeben, die er endlos wiederholt, und den Rest über
die Syntax geregelt. Wenn man erst anfängt, mit Slang um sich zu schmeißen, wird man doch schon im
nächsten Jahr ausgelacht.
In Ihrem Blog heißt es: „Ich bin Schriftsteller, und man wird nicht glauben, dass Literatur mich sonst
kaltgelassen hätte. Aber was jetzt zurückkehrt beim Lesen, ist das Gefühl, das ich zuletzt in der
Kindheit und Pubertät regelmäßig und danach nur noch sehr sporadisch und nur bei wenigen
Büchern hatte: dass man teilhat an einem Dasein und an Menschen und am Bewusstsein von
Menschen, an etwas, worüber man sonst im Leben etwas zu erfahren nicht viel Gelegenheit hat:
dass es einen Unterschied gibt zwischen Kunst und Mist. Einen Unterschied zwischen dem
existentiellen Trost einer großen Erzählung und dem Müll, von dem ich zuletzt eindeutig zu viel
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
gelesen habe, eine Unterscheidung, die mir nie fremd war, aber lange verschüttet.“ Was war der
Müll, von dem Sie zu viel gelesen haben? Und wo ordnen Sie „Tschick“ ein? Große Erzählung oder
Mist?
Da können Sie nicht ernsthaft eine Antwort erwarten. Zum Müll: Ich kann mich zum Glück nicht an vieles
erinnern. Ich lese auch nicht allzu viel Gegenwartsliteratur, aber ich bin der König des ersten Kapitels.
Ich habe von fast allem, was rauskommt, mindestens das erste Kapitel gelesen. Oder eine Seite oder
einen Absatz. Der Segen des Älterwerdens: Man braucht nur noch einen Absatz, um zu wissen, dass
einen etwas nicht interessiert.
Versetzen wir uns ins Jahr 2030. Ihr Buch ist seit zehn Jahren Schullektüre. Neuntklässler stöhnen,
wenn sie den Namen Wolfgang Herrndorf hören. Welche Fragen zum Buch müssen in Aufsätzen
beantwortet werden?
Ich fürchte, man wird sich im Deutschunterricht am Symbolträchtigen aufhängen, an der Schlussszene . . .
. . . in der Maik unter Wasser in einem Swimmingpool die Hand seiner Mutter hält, während oben
die Polizei wartet . . .
. . . oder an der Szene mit dem Elixier. Das bin ich jetzt auch schon häufiger gefragt worden: Was das
für ein Elixier ist, das der Alte mit der Flinte den beiden da aufdrängt? Aber das weiß ich ja auch nicht.
Das war nur, weil mich beim Schreiben jemand auf die „Heldenreise“ aufmerksam machte, ein Schema,
nach dem angeblich fast jeder Hollywood-Film funktioniert. Da müssen die Protagonisten unter anderem
immer ein solches Elixier finden. Habe ich natürlich gleich eingebaut.
Nur damit Ihre Helden es eine Minute später aus dem Fenster schmeißen. Ist das eine subtile Kritik
an irgendwelchen Erzählformen?
Nein, bestimmt nicht. Allgemeine Ansichten zur Literatur habe ich nie gehabt und nie verstanden. Mehr
Engagement! Mehr Realismus! Mehr Relevanz! Ist doch alles Quatsch. Sobald Schriftsteller irgendeine
Form von Theorie ausmünzen, läuft sie immer sofort darauf hinaus, dass zum allgemeinen Ziel erklärt
wird, was der Autor selbst am besten kann und schon seit Jahren praktiziert. Das sind keine Theorien,
das ist das, was sich heranbildet in kleinen Hasen, wenn es nachts dunkel wird im großen Wald.
Der Kritiker Gustav Seibt hat „Tschick“ in die Tradition der deutschen Romantik, Tieck, Eichendorff
gestellt. „Tschick“ als Buch der deutschen Romantik, geschrieben mit amerikanischen Mitteln. War
das so beabsichtigt?
Ich weiß nicht, ob Seibt das so meint, aber das wäre ja generell erst mal nicht falsch. Nur dass man von
„beabsichtigt“ bei mir nicht wirklich sprechen kann. Ich denke mir beim Schreiben meist erst mal nicht viel
außer „es sollte nicht langweilig sein“, und wo das dann hinsteuert, kann einem bei einem Roadmovie ja
auch angenehm egal sein . . . Ich merke gerade, dass ich mich in erzromantische Positionen verrenne.
In Wirklichkeit verlassen Sie Berlin doch nie. Was hat es mit den Landschaften auf sich, die Maik
und Tschick durchreisen, wo gibt es diese Mondlandschaften? Wo die Berge, „ungeheuer hoch und
mit Steinzacken obendrauf“?
Im Gegensatz zu meinen Helden bin ich nie in Ostdeutschland gewesen und habe die Reise nur mit
Google Maps unternommen. Da kann man von oben nicht sehen, wie hoch die Berge sind. Aber ich war
nie ein großer Freund der Recherche. Ich habe versucht, Gegenden zu beschreiben, wie Michael Sowa
sie malt: Auf den ersten Blick denkt man, genauso sieht es aus in der Natur! Und wenn man genauer
hinschaut, sind es vollkommen durchkonstruierte Sachen, die archetypischen Landschaften wie in idealen
Tagträumen.
Maiks Mutter ist Alkoholikerin, auch Tschick hat ein Alkoholproblem. Warum gleich zwei Trinker?
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Das liegt daran, dass ich das Buch mit einer großen Unterbrechung in zwei Zügen geschrieben und das
nicht gemerkt habe. Also, es ist mir dann natürlich selbst aufgefallen, aber ich hab' es auch nicht mehr
geschafft, es ganz rauszuschmeißen.
Man hat ja oft einen bestimmten Leser im Kopf, für den man schreibt. Geht Ihnen das auch so beim
Schreiben?
Schon. Keine konkrete Person, aber einen schlauen Leser, der alles kapiert.
In Ihrem nächsten Buch geht es um Amnesien, Explosionen und geheime
Ultrazentrifugenbaupläne. Also ein Thriller?
In gewisser Weise. Man kann das Ganze aber auch dem Genre des Trottelromans zuschlagen. Alle
handelnden Personen sind Trottel. Die Araber sind dumm, faul und stinken, die Europäer sind
ausnahmslos arrogante Rassisten und Päderasten, die Amerikaner foltern alles, was ihnen in den Weg
kommt, und hinter allem stecken - selbstverständlich - die Juden.
Irgendwelche Vorbilder in diesem Genre?
Bei Thrillern kenne ich mich nicht aus. Für den Ton hatte ich Stendhal im Hinterkopf.
Stendhal hat nie über Spionage geschrieben..
Doch, hat er, jedenfalls über so ein Komplott zur napoleonischen Zeit.
Ihr Output ist ziemlich eklektisch. Berlin-Popliteratur, Kurzgeschichten, Jugendroman, Thriller. . .
Als Nächstes liegt hier ein Konzept für Science-Fiction rum.
Ist das Sportsgeist? Oder Langeweile?
Bei mir ist es eher Steuerungsunfähigkeit. Auf das meiste komme ich, wenn ich irgendetwas
Mittelmäßiges sehe oder lese. Schlechte Sachen sind zu schlecht, bei guten fällt mir vor Bewunderung
nichts ein, aber bei Mittelmäßigem denke ich oft, da müsste man nur hier und da ein bisschen an den
Stellschrauben drehen . . . In welchem Genre ich damit lande, ist zweitrangig. Außerdem hatte ich mit
diesem Thriller im Ernst mal die Absicht, einen Bestseller zu schreiben. Das hat nichts mit Kunst oder
ihrem Gegenteil zu tun, sondern nur damit, dass man es irgendwann leid ist, in einer Ein-ZimmerHinterhofwohnung zu wohnen.
Aber die Sache mit dem Bestseller hat „Tschick“ ja jetzt erledigt.
Ich kann mir auch nicht erklären, woran das liegt. Buchhandel, Werbung, Rezensionen - keine Ahnung.
Mein Lektor warf neulich die Theorie ein: „Es könnte auch am Buch liegen.“ Aber ich bin vom
Literaturbetrieb so gründlich desillusioniert, dass ich das nicht glaube.
Welche Illusionen haben Sie da verloren?
Illusionen ist vielleicht übertrieben, ich komme ja schon von der Malerei, da ist es ähnlich oder noch
schlimmer. Roger Willemsen hat neulich etwas Kluges dazu gesagt, dass es im Literaturbetrieb etwa ein
Dutzend Gruppen gibt in Deutschland, meistens Kritikerzusammenballungen mit ein paar Autoren, die
der Kritiker immer wieder bespricht und die auch untereinander auf ungute Weise zusammenhängen
und dann auch das Übliche mit den Preisvergaben . . . Aber das ist uninteressant. Fragen Sie Willemsen,
der konnte das so formulieren, dass es interessant war.
Sie haben Malerei studiert - und aufgegeben. Warum?
Ich konnte nicht das, was ich wollte. Außerdem war man mit Realismus und Lasurmalerei an einer
Kunsthochschule in den Achtzigern nicht wirklich gut aufgehoben. Ich habe am Ende nur noch Comics
gemacht. Bei denen wurden dann irgendwann die Bilder immer kleiner und der Text immer größer, und
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irgendwann gab es überhaupt keine Bilder mehr. Und ich war auch froh, mit bildender Kunst nichts mehr
zu tun zu haben.
Was ist besser an der Literatur?
Die Kundenfreundlichkeit. Es ist ein großer Nachteil der bildenden Kunst gegenüber der Literatur, dass
man sich auch viele Quadratmeter Unsinn schmerzfrei ansehen kann. Man kann die Augen schließen und
nach zwei Sekunden weitergehen. Als Leser, der in einem Tausend-Seiten-Roman feststeckt, ist man sehr
lange sehr allein. Das hat in der Evolution der Literatur etwas Grundsolides und angenehm
Konventionelles wie den Roman hervorgebracht. Da wird es die bildende Kunst nicht mehr hinbringen.
Maik und Tschick lassen beim Aufbruch in die Walachei ihre Handys zurück. Warum?
Ich habe mir überlegt, Spannung, ich kann keine Spannung, und wenn ich jetzt noch ein Handy habe,
mein lieber Mann, wie soll ich das denn regeln? Ich will Verfolgungsjagden in der Wüste!
Quelle:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/im-gespraech-wolfgang-herrndorf-wann-hates-tschick-gemacht-herr-herrndorf-1576165.html
(zuletzt geprüft am 21.09.2015)
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Auszüge aus dem Blog „Arbeit und Struktur“
Die Histologie verschiebt sich immer weiter, am 25.2. ist es soweit: Prof. Moskopp
erklärt, es sei ein Glioblastom. Das ist etwas Gehirneigenes, das bildet keine großen
Metastasen, wächst nur sehr schnell, lässt sich nicht endgültig bekämpfen und ist zu
hundert Prozent tödlich.
Ich höre kaum zu. Während Prof. Moskopp redet, fällt mir ein, dass ich mich nie wieder verlieben
werde, nie wieder wird sich jemand in mich verlieben. Stinkend und
krebszerfressen.
Könnten Sie den letzten Satz noch mal wiederholen?
24.3.2010, 16:39
Der Jugendroman, den ich vor sechs Jahren auf Halde schrieb und an dem ich jetzt
arbeite, ist voll mit Gedanken über den Tod. Der jugendliche Erzähler denkt andauernd darüber nach,
ob es einen Unterschied macht, “ob man in 60 Jahren stirbt oder in 60 Sekunden” usw. Wenn ich das
drinlasse, denken alle, ich hätte es nachher
reingeschrieben. Aber soll ich es deshalb streichen?
28.3. 2010, 21:44
Die letzten Tage den Jugendroman gesichtet und umgebaut, Übersicht erstellt,
einzelne Kapitel überarbeitet, neue entworfen. Jetzt von Anfang an: jeden Tag
mindestens ein Kapitel. In spätestens 52 Tagen ist es fertig. Heute: Kapitel 1.
28.3.2010, 22:30
Je länger man googelt, desto sicherer sinkt die Wahrscheinlichkeit, ein Jahr zu
überleben, unter 50 Prozent. Immer noch ohne Schlafmittel.
2.4.2010, 8:00
“Du wirst sterben.”
“Ja, aber noch nicht.”
“Ja, aber dann.”
“Interessiert mich nicht.”
“Aber, aber.”
Der Komödienstadel führt sein tägliches Stück zum Weckerklingeln auf, fünf Sekunden später beendet
der Intendant die Vorstellung. Work!
7.4.2010, 7:20
Zwei bis drei Termine am Tag und stundenlange Wartezeiten: So kann ich nicht
arbeiten. Acht Kapitel in zwölf Tagen.
19.4.2010, 13:17
C. hat mir ein vom Sand und Blut des Irakkriegs gereinigtes Militärkäppi für meine
Frisur gekauft. Wenn ich mit meinem Sichtfeldausfall jetzt Leute anremple, fangen sie
an, sich bei mir zu entschuldigen. Am besten geht’s mir, wenn ich arbeite. Ich arbeite in der Straßenbahn
an den Ausdrucken, ich arbeite im Wartezimmer zur Strahlentherapie, ich arbeite die Minute, die ich in
der Umkleidekabine stehen muss, mit dem Papier an der Wand. Ich versinke in der Geschichte, die ich
da schreibe, wie ich mit zwölf Jahren versunken bin, wenn ich Bücher las. Wobei von Stendhal über
Nabokov bis Salinger alle fehlen, die ich in den letzten ein zwei Jahren schon erledigt hab. Und für den
ganzen Proust reicht’s halt nicht noch mal.
25.4.2010, 8:52
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Zwei Tage lang wenig geschafft, dem Hirn beim Regenerieren zugeschaut. Die
teilweise schon wilden Konzentrationsstörungen haben sich gelegt, die
Schwummrigkeit überwiegend auch. Ob die mühsam zusammengeschraubten Kapitel der letzten
Wochen etwas taugen, weiß ich nicht. Der Anfang des Romans war leicht, der war ja auch am
weitesten, aber immer spürbarer wird jetzt zur Mitte hin das Problem, die Fäden in der Hand zu
behalten. Warum geht es dem Jungen zwei Kapitel scheiße, und dann beginnt das nächste Kapitel mit
Aufbruch und Begeisterung? Unterbricht die Sache mit dem Vater nicht den Lesefluß komplett? Mir fehlt
die Übersicht, und ich wage es nicht, diese Probleme auf eine Schlußkorrektur zu verschieben.
28.4.2010, 20:47
Endlich schleppt sich die Romanhandlung raus aus Berlin. Der Lada ist fachmännisch kurzgeschlossen, und
grad hab ich die Jungs auf die Autobahn gejagt und mich unter den Tisch gelacht über den Einfall, daß
sie keine Musik hören können. In Gegenwartsjugendliteratur ist es zwingend notwendig, die Helden
identitätsstiftende Musik hören zu lassen, besonders schlimm natürlich, wenn der Autor selbst schon
älteres Semester ist, dann ist die Musik auch gern mal Jimi Hendrix, der neu entdeckt werden muß, und
Songtextzitate gehören sowieso als Motto vor jedes Buch. Aber der Lada hat leider nur einen verfilzten
Kassettenrekorder. Kassetten besitzen die Jungs logischerweise nicht, und dann finden sie während der
Fahrt unter einer Fußmatte die Solid Gold Collection von R. Clayderman, und ich weiß auch nicht,
warum mich das so wahnsinnig lachen läßt, aber jetzt kacheln sie gerade mit “Ballade pour Adeline”
ihrem ungewissen Schicksal entgegen. Projekt Regression: Wie ich gern gelebt hätte. Ein Motto aus
meinem Lieblingsfilm steht dem Buch trotzdem voran, ich hoffe das geht okay:
Dawn Wiener: I was fighting back.
Mrs. Wiener: Who ever told you to fight back?
11.5.2010, 17:32
Der ungeheure Trost, der darin besteht, über das Weltall zu schreiben. Heute die
Szenen mit dem Sternenhimmel, mit Starship Troopers und der Entdeckung der Nacht eingebaut. Wie
der Held sich erinnert, mit acht Jahren in der Dunkelheit durch den Hogenkamp gejoggt zu sein, die
einzige wirklich autobiographische Stelle. Warum ist der Anblick des Sternenhimmels so beruhigend?
Und ich brauche nicht einmal den Anblick. Vorstellung und Beschreibung reichen. Als ich noch auf der
Kunstakademie war, war das immer mein Einwand gegen die Abstraktion: Der Himmel. Leider war ich
mit dieser Meinung ganz allein.
17.5.2010, 13:07
C. hat das erste Kapitel sehr effektiv zusammengestrichen. Die Überlegungen mit dem Anwalt mußte ich
wieder reinschreiben, das scheint mir zu wichtig als Information über seine Naivität, aber ansonsten ist
Geschwindigkeit das Wichtigste.
23.5. 2010, 15:00
Tage der Arbeit. Passig kommt und liest die erste Hälfte, findet es so mittel,
Roadmovie, kein Ziel, keine Aufgabe. Nicht schlechter als Plüschgewitter, aber die
waren ja auch schon mittel.
1.6. 2010, 11:53
Müdigkeit weg. Und hey, ich kann auch drei Kapitel am Tag. Das wollen wir doch
erstmal sehen, ob sie beim Deutschen Jugendbuchpreis ein rasend schnell
zusammengeschissenes Manuskript von einem durchredigierten unterscheiden
können.
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
12.6. 2010, 14:00
Passig kommt zum Korrekturlesen für den fertigen Roman vorbei. Deadline hätten wir geschafft, aber
gestern Anruf in Oldenburg: die Ausschreibung für den
Jugendbuchpreis ist ausgesetzt, keine Haushaltsmittel, endgültige Entscheidung erst in einem Monat.
Völliger Tonusverlust, Müdigkeit, kann den ganzen Tag kaum stehen. Passig korrigiert, ich liege schlapp
in der Gegend rum. Als ich über eine strittige Stelle diskutieren will, sagt sie: “Mit mir diskutieren kannst
du, wenn du tot bist.” Mein Bedarf an Witzen ist gedeckt.
Nebenbei habe ich auch Geburtstag, Passig formt auf der Torte eine traurige 45 aus
Erdbeeren und Heidelbeeren.
11.8. 2010, 23:00
C. liest das Kapitel und gibt den Ratschlag, den sie immer gibt: kürzen, das muß alles schneller in die
Handlung münden, und hat wie immer recht. Was ich bräuchte, wären im Grunde Korrekturleser, die
direkt hinter mir den Besen durchschwingen. Ich
verplempere unglaublich Zeit, nicht nur an aussichtslosen Stellen herumzufeilen,
sondern kann auch die Qualität der guten nicht erkennen.
11.9. 2010, 11:32
Das erste Exemplar von Tschick mit der Post. Ganzen Vormittag Korrekturen gemacht.
Rechtschreibfehler bedrücken mich kaum noch, aber die vielen überflüssigen und falschen Sätze. Eine
Einladung des Goethe-Instituts in New York abgelehnt. Februar, was ist im Februar?
8.10. 2010, 16:07
Drei Wochen ist Tschick raus, und in keiner Buchmessenbeilage und keiner Zeitung. Es
ist mir nicht so gleichgültig wie früher.
Quelle: http://www.wolfgang-herrndorf.de/
(zuletzt geprüft am 21.09.2015)
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Jurybegründung für den Deutschen Literaturpreis 2011
Es gibt sie tatsächlich: die sprichwörtliche Walachei. Dorthin unterwegs: zwei Jungs, beide aus
verschiedenen Gründen Außenseiter, beide 14 Jahre alt. Tschick, eigentlich Andrej Tschichatschow: Ein
russischer Migrant, klug, aber schweigsam im Unterricht, erscheint schon mal alkoholisiert in der Schule.
Maik Klingenberg, kein Spitzname: Vater nahezu bankrotter Geschäftsmann mit Geliebter, Mutter
zwischen Entzugsklinik und Tennisplatz lebend. Und hoffnungslos verliebt in Tatjana Cosic, die „super“
aussieht und ein Meter 65 groß ist, wie Maik durch die Schuluntersuchung weiß.
Tschick und Maik schnappen sich eines Abends einen alten Lada und fahren los. Mit Tempo und Witz
begleitet der Autor seine Figuren auf ihrer Reise durch die deutsche Provinz, ohne auch nur eine
Sekunde aus den Augen zu verlieren, dass Tschick und Maik tatsächlich erst 14 sind. Seine scharfe
Beobachtungsgabe, seine geistreichen Schilderungen von Menschen, Szenen und Begegnungen sowie
sein Faible für skurrile Situationen übergibt Herrndorf dem Ich-Erzähler Maik, der im Rückblick von
diesem Abenteuer berichtet.
Bei der erneuten Lektüre der Lieblingsbücher seiner Kindheit fielen Herrndorf deren Erfolgs-kriterien
auf: Die Erwachsenen werden möglichst rasch aus der Geschichte verbannt, jugendliche Helden brechen
zu einer großen Reise auf und die geht raus aufs Wasser. Das schien ihm, so Herrndorf während einer
Lesung, „ein gutes Konzept für ein Jugendbuch zu sein“. Und auch wenn das Wasser den Straßen
Ostdeutschlands weichen musste und die Dampfer zu einem Lada wurden, ist das Konzept
aufgegangen: Tom Sawyer alias Maik und Huckleberry Finn alias Tschick gehen auf große Fahrt. Sie
sind aber eben erst 14 und das stellt sie immer wieder, wie beispielsweise vor einer Autobahnfahrt, vor
die Frage: Wie kann man erwachsen wirken, falls ein vorbeirauschender Fahrer ins Wageninnere
blickt? Ein Hitlerbärtchen? Das sollte, so denken die beiden, in Ostdeutschland kein Problem darstellen.
Solche Formen bittersüßer Ironie beherrscht der Autor auf virtuose Weise.
Ebenso großartig wie Maik und Tschick sind die anderen Figuren dieses Roadmovies mit starken
Charakteren ausgestattet. Man sieht sie wie im Kino lebendig vor sich, wie überhaupt der ganze Roman
sehr filmisch erzählt ist: Horst Fricke, „der beste Schütze seiner Einheit“, Isa, das schmutzige Mädchen,
das so gut singen kann, die Sprachtherapeutin, die wie der Teufel Auto fährt, um Tschick ins
Krankenhaus zu bringen und sogar noch der vom nächtlichen Anruf Maiks aus dem Krankenhaus
geweckte Mann, der nach kurzer Zeit versteht, welche Finte sich Maik für die Krankenschwester
ersonnen hat, damit die nicht seine Eltern anruft. Von all diesen Begegnungen nehmen Maik und Tschick
etwas mit. Ihr Erfahrungskoffer ist prall gefüllt, als ihre Reise jäh endet.
Tschick ist ein Abenteuer- und auch ein Bildungsroman, mit dem Herrndorf die Modernisierung seiner
Kindheitslektüren perfekt gelungen ist. Das feine Gespür des Autors für jugendrelevante Themen,
komische Dialoge, der jugendlich-authentische Erzählton und der bis zum filmreifen Finale konsequent
durchgehaltene Spannungsbogen machen den Roman herausragend.
Quelle: http://www.djlp.jugendliteratur.org/jugendbuch-3/artikel-tschick-129.html
(zuletzt geprüft am 21.09.2015)
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Theater Pforzheim – Materialmappe Tschick
Claudius Seidl: Ein Leseerlebnis
Eineinhalb Stunden, hatte die Dame in der Telefonzentrale gesagt, eineinhalb Stunden
werde es dauern, mindestens, bis der ADAC kommen und mir helfen könne. Es tue ihr
furchtbar leid, aber sie hätten so viel zu tun.
Zur Hölle, sagte ich zu mir, zur Hölle mit dem ADAC!
Ich stand mit einer Autopanne an einer Straßenkreuzung, nördlich von Berlin Es war Juni, früher Abend,
die Sonne würde noch eineinhalb Stunden scheinen. Manchmal kam ein Auto vorbei, und wenn gerade
keines kam, dachte ich, dass das alles so aussah wie „North by Northwest", der Hitchcock-Film, in dem
Cary Grant an so einer Kreuzung steht, und dann kommt ein Flugzeug, und Cary Grant rennt um sein
Leben.
Ich hatte Tabak, ich hatte eine Flasche Wasser, ich hatte ein Telefon dabei. Mir konnte nichts passieren.
Außer, dass vielleicht ein paar Nazis vorbeikämen oder Dorfschläger, denen meine Brille nicht gefiel.
Oder Wildschweine aus dem nahen Wald. Oder doch ein Flugzeug? Ich schaltete das Radio an, im
Deutschlandfunk kam eine Kultursendung, und dann schaltete ich wieder aus; wer weiß, dachte ich, wozu
ich die Batterie noch brauchen würde. Ich saß im Auto, rauchte, kam mir komisch dabei vor.
Noch fünfundachtzig Minuten.
Und dann fiel mir ein, dass ich am Nachmittag endlich dieses Buch gekauft hatte, „Tschick" von
Wolfgang Herrndorf, das ich eigentlich mitbringen wollte, als Geschenk; ich war unter wegs zu einer
Geburtstagsparty. Ich riss das Geschenkpapier auf, eine Entschuldigung dafür, dass ich kein Geschenk
hatte, würde mir schon einfallen. Und dann fing ich zu lesen an, und nach zehn Minuten wünschte ich,
dass der ADAC erst käme, wenn es Nacht würde oder ich das Buch ganz gelesen hätte.
Im Herbst zuvor war das Buch erschienen, und dass ich es mir nicht sofort besorgt hatte, das hatte an
den Rezensionen gelegen, die ich, wie es mir vorkam, alle gelesen hatte, und fast alle waren sehr schön,
Texte, in einem warmen, fast schon zarten Ton geschrieben, voller Wehmut, weil der Autor krank war,
todgeweiht; und dass dieser Autor ein wundervolles Jugendbuch geschrieben habe, fast so schön wie
der „Fänger im Roggen."
Wie schön, wie traurig, hatte ich gedacht. Und dass ich mich für Jugendbücher überhaupt nicht
interessiere. Für den „Fänger im Roggen" schon gleich gar nicht. Und so hatte ich das Buch, die
Besprechungen, den Autor längst wieder vergessen, als mein Freund Maxim, der selbst ein sehr guter
Schriftsteller ist, mir erzählte, dass er das beste deutsche Buch seit langem gelesen habe. Seit Jahren.
Seit einer Ewigkeit.
Was ist das für ein Buch.
Es heisst „Tschick", und Wolfgang Herrndorf hat es geschrieben.
„Tschick", aha. Hab die Besprechungen gelesen. Ist das nicht dieses Jugendbuch?
Liest du jetzt Jugendbücher?
Ich lese gute Bücher.
Ich hatte nicht gewusst, dass man so schreiben kann wie Wolfgang Herrndorf. Ich hatte es mir vielleicht
manchmal gewünscht - und als ich dann an der Kreuzung stand, mich mit dem Rücken an einen Zaun
lehnte und Herrndorf las, da war ich ganz erleichtert, dass ich damals, ein halbes Jahr zuvor, als das
Buch herauskam, niemand um eine Besprechung gebeten hatte.
Ich hätte es nicht gekonnt. Ich hätte, vor laute Freude über die Freiheit, die ich in jedem Satz fand,
versucht, genauso zu schreiben. Oder so ähnlich. Und hätte, weil ich das nicht konnte, gar nichts
abgegeben. Eine leere Datei. Einen Zettel, mit der Aufschrift: Alter Finne, das ist ganz gut.
Es ist die Geschichte von Maik und Tschick, die ein Auto stehlen und in die Welt hinaus fahren, aber
eigentlich ist es die Geschichte von Maikund der Welt, die, wie Maik findet, bisschen doof ist, bisschen
bescheuert und überhaupt nicht logisch oder verständlich - und als ich das las, war es die Geschichte
von Maik und mir.
Ich bin nämlich erwachsen, seit ein paar Jahren schon, und ich bin erwachsen genug, zu wissen, dass
einer, der 14 ist, eigentlich immer recht hat. Maik also: spricht über die Liebe, über das Leben, über die
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Welt. Spricht vor allem immer wieder über die Frage, was richtig und was falsch sei. Und hat so absolut
und hundertprozentig recht, dass ich, als ich da stand, an einen Zaun gelehnt in der Abendsonne, immer
wieder aufsah, in den Himmel blinzelte und dann so laut lachte, dass es vermutlich sogar die
Wildschweine im nahen Wald hören konnte.
Ich lachte, weil es so richtig war, so wahr, so schön. Ich lachte, weil es so einfach war.
So ein Vierzehnjähriger, der sich seine Gedanken macht und seine Meinungen formuliert, der tut das ja,
ohne dass so schreckliche Dinge wie Erfahrung, Enttäuschung, der Wille zu Konsens und Kompromiss und
die Frage, ob das, was da gerade gedacht wird, sich überhaupt durchsetzen lasse in der sogenannten
Wirklichkeit, ohne dass also all das, was uns Erwachsene beschwert, bedrückt und behindert, ihn
irgendwie beeindrucken könnte. Niemand denkt so klar wie ein Vierzehnjähriger - und wenn es einer
wie Maik ist, einer, der, schon weil er eh keine Chance hätte, nicht Klassensprecher sein, nicht allen
gefallen will und der glaubt, auch bei den Mädchen hätte er kein Glück: wenn so einer denkt, wird es
so klar, dass man es, als erwachsener Leser, kaum fassen kann. Die Klarheit, das Glück.
Denn so ein Vierzehnjähriger hat ja naturgemäß noch nicht studiert, hat nicht allzu viel gelesen, verfügt
kaum über abstrakte Begriffe, an welchen er sich, wenn er selber nicht mehr weiter weiß, absichern und
festhalten könnte. Er denkt, weil Erfahrung ihn nicht behindert, zwangsläufig abstrakt. Und er hat aber
nur konkrete Wörter und gänzlich unabstrakte Sätze zur Verfügung. Es scheint einem also, wenn man
das so liest als erwachsener Mensch, das Denken, das Wahrnehmen und das Urteilen gewissermaßen in
seiner reinsten Form gegen überzutreten. Es ist fast schon die Art von Prosa, nach welcher die
Philosophen so häufig vergeblich suchen. Was jetzt natürlich viel schwerer, tiefer, eigentlicher klingt, als
es wirklich ist; fast schon nach einer heideggerhaften Arbeit am Begriff - wo doch Wolfgang
Herrndorfs Sprache so leicht und uneigentlich und so modern ist, dass man das Buch immer wieder kurz
weglegen muss: nicht etwa, weil man es nicht verstanden hätte. Sondern weil man es so gut verstanden
hat, dass man gleich noch einmal drüber nachdenken und sich überlegen möchte, ob man den Absatz
noch einmal lesen sollte. Denn „Tschick" ist natürlich nicht deshalb so gut, weil der Text und sein Sprecher
hier das Richtige sagen (so über Mädchen, die Liebe, das Leben und die Freiheit); das Buch verdankt
alles der Art, dem Stil, wie sie es sagen - ja man kann das Buch auch als eine der schönsten und
elegantesten Stilübungen in deutscher Sprache lesen: Das Gegenteil von Stil ist Prätention, und wenn
einer sich alle Prätentionen versagt, ist er schon mal auf einem guten Weg. Herrndorf ist aber noch
strenger. Er versagt sich alle Wörter und Begriffe, alle Sätze und Wendungen, die ein Vierzehnjähriger
niemals sagen würde: einerseits, weil er sie eben noch nicht kennte; und andererseits, weil er es nicht
nötig hat, weil er, wenn er seine Würde wahren will, es gar nicht nötig haben darf, auch nur eine
Erwachsenenfloskel, einen Satz im Autoritätsdeutsch der Eltern, Lehrer und anderer Respektspersonen zu
sagen; weil ein Vierzehnjähriger eben nicht viel hat, womit er Punkte machen könnte, außer der absolut
strengen und genauen Stilisierung seiner eigenen Jugend. Seiner Differenz zur falschen Welt der
Erwachsenen. Seinem Widerstand gegen das falsche Leben.
Dass da Leben, Sprechen, Denken in eins fallen, ist ja logisch - und dass der Plot aber davon erzählt,
wie Maik und jener Tschick, der noch nicht einmal sein Freund ist, wenn die Story beginnt, ein Auto
klauen und sich auf den Weg machen in ein Land, das sie Walachei nennen und das sie natürlich nie
erreichen werden; dass die Jungs dabei Freunde werden; und dass sie, wenn das Buch zu Ende ist, noch
immer nicht erwachsen geworden sind. Das ist das Glück des Lesers, der mit dieser Sprache, diesen
Sätzen, dieser Prosa überall hin reisen würde, gern auch bis in die Walachei und weiter.
Ich glaube, ich war auf Seite 8o, als der Mann vom ADAC kam. Es war noch immer hell, ich hätte noch
eine Stunde weiterlesen können, aber das Auto war nach drei Minuten wieder startklar.
Ich musste es nicht stehlen, nicht knacken. Ich hatte meinen Führerschein dabei und meinen Fahrzeugbrief
und meine Autoschlüssel.
Ich startete den Motor und traute mich nicht, in die Walachei zu fahren
(Claudius Seidl ist Publizist und Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sein Essay
ist ein Originalbeitrag für das Programmheft der Dresdener Uraufführung von „Tschick“)
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Presse/Rezensionen
„Man lacht viel, wenn man "Tschick" liest, aber ebenso oft ist man gerührt, gelegentlich zu Tränen.
"Tschick" ist ein Buch, das einen Erwachsenen rundum glücklich macht und das man den Altersgenossen
seiner
Helden
jederzeit
schenken kann.“
(Von
G.
Seibt;
Quelle:http://www.sueddeutsche.de/kultur/wolfgang-herrndorf-tschick-zauberisch-und-superporno1.1011229; zuletzt geprüft am 21.09.2015)
„'Tschick' ist ein schöner, trauriger Abenteuerroman aus dem rätselhaften deutschen
Osten, der nur einen Nachteil hat: Dass er viel zu schnell zu Ende geht."
(Jörg Magenau, Deutschlandradio).
„Man sieht die Welt mit anderen Augen nach diesem Buch."
(Rolling Stone).
„Mit „Tschick“ hat Herrndorf perfekt umgesetzt, was er vor Jahren einmal über sein Schreiben gesagt
hat: „Ich möchte die Bücher schreiben, die ich selber gerne lese, im Grunde ist das
Unterhaltungsliteratur. Vladimir Nabokov hat einmal gesagt, gute Literatur erkenne man daran, dass es
einem kalt den Rücken runterläuft. So muss es sein! Der ganze Mist, den Literaturkritiker schreiben, so
Nabokov, könne man vergessen, es komme nur darauf an, dass es einen erwischt, kalt erwischt. Genau,
so ist das.“
(Quelle:http://www.tagesspiegel.de/kultur/tschick-rezension-endkomischerroadroman/1956422.html;zuletzt geprüft am 21.09.2015)
„Herrndorf besitzt das Talent, mit den Jugendlichen auf Augenhöhe zu bleiben. Er weiß, was sie
denken, sprechen, womit sie sich beschäftigen und, vor allem, wie sie agieren. Sowohl Maik als auch
Tschick sind zwei völlig normale Jungs, die nicht über sich selbst hinauswachsen, sondern einfach (recht
abenteuerliche) Erfahrungen sammeln und dabei ein Stück erwachsen werden, aber gleichzeitig eben
nicht wirklich etwas dazulernen.
(Quelle: http://www.jugendbuch-couch.de/wolfgang-herrndorf-tschick.html;
21.09.2015)
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zuletzt
geprüft
am
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„Tschick“ im Unterricht
Themenfelder
-Coming of Age, Sexualität, Erwachsen werden, Rollenfindung,
-Adoleszenz und Initiation
-Alter und Tod
-Immigration und Integration
-(Spät-) Aussiedler
-(ost) deutsche Lebenswelten und Landschaften
-Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung
-Außenseitertum und Mobbing
-Jugendsprache
-Familie und Schule
-Freiheitsdrang und Abenteuerlust
Unterrichtsideen
- Vergleich jugendlicher Aussteigerfiguren/jugendlicher Helden wie z.B. Tom Sawyer, Huckleberry Finn
(Mark Twain), Holden Caulfield (J.D. Salinger: ‚Fänger im Roggen’), Edgar Wibeau (U. Plenzdorf: ‚Die
neuen Leiden des jungen W.’), Taugenichts (J. v. Eichendorff: ‚Aus dem Leben eines Taugenichts’)
-kreatives Schreiben: innerer Monolog, Tagebuch, Blog, Retrospektive, weitere
Begegnungen, Landschaften, Dialoge, Wunschphantasien, Songs
-sachliches Schreiben: Personencharakteristik, Rezensionen, Stellungnahme
-Recherchieren: Migration und Integration in Deutschland, Autor-Biografie
(s. auch Auszüge aus dem Internettagebuch), Ost-Deutschland
(„Mondlandschaft“ – Bergabbau in der Lausitz, sorbische Ortsschilder etc.)
-Einblicke in die Autorenwerkstatt: Roman-Bauplan, Sprachanalysen
(konzeptionelle Mündlichkeit)
-Diskutieren und Argumentieren: Mobbing, Grenzen von Freiheitsdrang und Abenteuerlust.
-Spielen/Inszenieren: eine Gerichtsverhandlung, Eltern-Gespräche, Schulszenen
Quelle: Vgl. Der Verlag Knapp&Gutknecht hat ein begleitenden Lehrer- und Schülerband zu „Tschick“
herausgegeben mit diversen Unterrichtsideen sowie einer Zusatzidee.
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Theaterpädagogische Anregungen
Ins Spiel kommen
Die große Reise
Wie kann man mit theatralen Mitteln eine Reise, das Unterwegssein mit dem Auto darstellen? Wie kann
man für den Zuschauer unterschiedliche Orte und Situationen entstehen lassen?
-Variante 1:
Die TeilnehmerInnen werden in zwei Grupppen A und B aufgeteilt. Gruppe A trifft eine Musikauswahl,
die sie mit Abenteuer und Freiheit verbinden. Gruppe B bewegt sich zu der Musik frei im Raum,
beobachtet von Gruppe A bezüglich Körperausdruck, Stimmung und Bewegungsqualitäten. Die
Gruppen werden gewechselt. Im Nachhinein beschreiben sich die Gruppen gegenseitig, was sie
wahrgenommen haben.
-Variante 2:
Der Spielleiter wählt eine kurze Passage aus dem Roman oder der Bearbeitung aus und die
TeilnehmerInnen setzen das Gehörte unmittelbar in Bewegung um. Dabei geht es nicht um eine
pantomimische Darstellung, sondern um das Aufnehmen der Atmosphäre, der Stimmung, der
verschiedenen Haltungen und den Positionen zueinander im Raum.
Schwerpunkt I: Gemeinsames Erzählen
Ein-Wort-Geschichte
Die TeilnehmerInnen stellen sich in einen Kreis. Der Spielleiter gibt den Titel der Geschichte vor (z. B.
„Party“, „Das Flusspferd“, „Nicht eingeladen“ etc.). Alle TeilnehmerInnen erzählen gemeinsam eine
Geschichte, wobei jeder reihum immer nur ein Wort sagt.
Freies Erzählen
Der Spielleiter gibt einen Ort aus dem Roman vor. Zwei TeilnehmerInnen stehen nebeneinander auf der
Bühne und erzählen abwechselnd von der Reise zu dem genannten Ort. Dabei erzählt der eine
Teilnehmer immer sehr positiv, der andere durchweg negativ. Es wird nicht im Dialog erzählt, sondern
als vermeintlich eine Person, die zwischen den Extremen wechselt. Der Spielleiter stoppt den
Erzählenden nach ein paar Sätzen und gibt dem jeweils anderen das Wort. Mimik und Gestik können
bei den Sprechern selbstverständlich eingesetzt werden.
Schwerpunkt II: Dramatisierung
Die TeilnehmerInnen bilden Kleingruppen à maximal vier Personen. Jede Gruppe wählt eine kleine
Textpassage aus dem Roman aus, die sich zur Dramatisierung für die Bühne eignet. Aufgabe ist es nun,
eine Strichfassung zu erstellen bzw. das Erzählte in wörtliche Rede umzuwandeln. Dabei ist zu beachten,
was für Passagen der Romanvorlage zur Regieanweisung werden können, bzw. was sich szenisch mit
theatralen Mitteln darstellen ließe. Die Rollen sollen klar erkennbar sein, möglich sind auch
Rollenwechsel, die klar verdeutlich werden sollen. Zuletzt werden die Dramatisierungen als szenische
Lesung oder als Spielszene vorgestellt und besprochen.
Quelle: Vgl. http://www.herr-rau.de/wordpress/2011/02/wolfgang-herrndorf-tschick.html, zuletzt
geprüft am 21.09.2015)
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