21.07.2015 / Im verwunschenen Geisterwald - Môtiers 2015

Date: 21.07.2015
Ausgabe Burgdorf+Emmental
Berner Zeitung
3401 Burgdorf
034/ 409 34 34
www.bernerzeitung.ch
Genre de média: Médias imprimés
Type de média: Presse journ./hebd.
Tirage: 14'224
Parution: 6x/semaine
N° de thème: 820.001
N° d'abonnement: 1096724
Page: 21
Surface: 81'788 mm²
Im verwunschenen Geisterwald
Gut getarnt: Der Genfer Alexandre Joly präsentiert mit «My Love Mother Nature» ein riesiges Kaleidoskop...
KUNST Liegts am Absinth,
wenn man im Val-de-Travers
wandelt und plötzlich fünffach
sieht? Nicht unbedingt. Die
Ausstellung «Art en plein air»
in Mötiers zeigt Kunst, die
halluzinieren lässt: Über sechzig Kunstschaffende spielen
hier mit Formen der Wahrnehmung.
BHder zug
tenzwerge grinsen unter ihren nicht scheut, erlebt im Grünen
roten Zipfelmützen hervor. Will- manch Wundersames.
kommen in Mötiers, einer Gemeinde im Val-de-Travers, wo Was ist Kunst, was Folklore?
der Absinth wieder fliesst, seit Irritation stellt sich bereits im
das Verbot 2005 aufgehoben Dorfkern ein. Was ist Kunst, und
wurde.
was ist Folklore? Zwei- oder drei-
Alle vier Jahre wird das Dorf mal hinschauen lohnt sich. An
von der Kunst heimgesucht und einem riesigen Wäscheständer
erwacht aus seinem Dornrös- hängen Leintücher. Wie Vorhän-
chenschlaf. 1985 fand die erste ge verdecken sie die WandmaleSonntagsidylle: Es plätschert der Ausgabe von «Art en plein air» in reien auf der dahinter liegenden
mit Geranien geschmückte Dorf- und um das Dorf herum statt. Häuserfassade. Das Zürcher
brunnen, es schläft ein Kätzchen Dieses Jahr kann man den Kunst- Künstlerduo Relax (Chiarenza &
neben einer Giesskanne, und die weg bereits zum siebten Mal be- Hauser & Co.) hat Häretiker exzessiv auf einem ausgedörrten gehen. Wer sich einen halben Tag einst von der Kirche gebrandStück Rasen positionierten Gar- Zeit nimmt und auch die Höhe markte Abweichler - auf die
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Réf. Argus: 58556188
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Wand gezeichnet. Eine Interven-
Fünffaches Ego
tion, die von der bewegten Geschichte der Gegend erzählt. Por-
trätiert ist unter anderem die als
Hexe hingerichtete Ururgrossmutter von Pierre-Andre Delachaux, dem einstigen Gemeinde-
rat und Initianten von «Art en
ple in air».
Ob Geranien, Glocken oder
Milchkannen: Oft entpuppt sich,
was wie Volksgut erscheint, als
subtiles Kunstwerk. Der Tessiner
Andrea Crociani hat einen Hühnerhof aufgebaut, in dem echtes
Federvieh rund um ein völlig demoliertes Autowrack nach Körnern pickt. Hat in diesem apoka-
lyptisch anmutenden Käfig die
Natur über die Zivilisation gesiegt? Die Vögel des Waldes kön-
nen hingegen in einem von Ingo
Giezendanner bemalten Vogel-
häuschen nisten. Der Zürcher
Künstler, den man sonst als
zeichnenden Chronisten des urbanen Raumes kennt, hat der Be-
hausung auf Zeit seine typische
schwarzweisse Handschrift verpasst.
Besuch beim heiligen Isidor
Doch nebst solch von feiner Ironie geprägter Arbeiten gibt es bei
diesem rund vierstündigen Spaziergang auch grosse Gesten zu
entdecken. Um diese zu finden,
muss man über schwankende
Holzbrücken in den Wald
hochsteigen, wo zwischen moos-
bewachsenen Steinen und in
Höhlen mancher Geist heraufbeschworen wird.
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Wer sich einen halben Tag Zeit nimmt
und auch die Höhe
nicht scheut, erlebt
bald Wundersames.
Eine der schönsten Arbeiten des
Rundgangs steht mitten im Wald
auf einer kleinen Lichtung. Mit
Moos getarnt fügt sich das Kalei-
doskop des Genfers Alexandre
Joly perfekt in die Umgebung ein.
Das magische Objekt, wie es wohl
die meisten in ihrer Kindheit be-
sassen, hat nichts an Faszination
eingebüsst. Das Wort Kaleidoskop
stammt aus dem Griechischen
doo-Pantheon, von Benin bis und bedeutet «schöne Formen seHaiti auch als Sankt Isidor be- hen». Und genau das kann man
kannt, dessen Name in der hier: Die Spiegelungen des Waldes
Mundart des Val-de-Travers ergeben ein psychedelisch anmuSchwermut bedeutet».
tendes Bild. Dieser Effekt wird
noch durch die Präsenz kleiner,
Grüsse aus Palermo
bunter Glasperlen verstärkt. HipAuf einem mit allerlei weltlichen pies werden dieses Werk lieben.
Opfergaben wie Spirituosen und Nicht an die Kindheit, sondern an
Früchten dekorierten Thron sitzt die Teenagerzeit dürfte manchen
eine von Kerzenschein beleuchte- Besucher die Arbeit des Bieler
te Steingestalt. Die in der Dunkel- Duos Haus am Gern erinnern. Eiheit aufscheinenden Voo doo- ne Art Fotokabine lädt zum Sitzen
püppchen, Federn und Tierskelet- ein. Wer in den dort angebrachten
te verlieren bald ihren Schrecken, Zauberspiegel sieht, erblickt sich
wenn Isidor sonor, aber freund- selbst gleich fünffach - von vorne,
lich auf Französisch zu parlieren von hinten und zweimal von der
beginnt: Er scheint kein Böse- Seite. Haus am Gern, bestehend
wicht zu sein.
aus Barbara Meyer Cesta und RuVor Geistern fürchtete sich an- dolf Steiner, haben dieses Objekt
geblich ausgerechnet der grosse einer Kamera aus dem 19. JahrAufklärer Jean-Jacques Rousseau hundert nachempfunden. Eine
(1712-1778). So notierte er in sei- Tafel fordert die Besucher auf,
nen Bekenntnissen: «Wenn ich in ihre Fünffach- Selfies gleich auf eider Nacht eine Figur unter einem ner speziell für diesen Anlass einweissen Leintuch erblicken wür- gerichteten Facebook- Seite zu
de, hätte ich Angst.» Die Baslerin posten. Denn Haus am Gern war
Cecile Hummel lässt in genau je- schon im Vorfeld überzeugt: «Diener Höhle, in der der Philosoph se Aufnahmen werden in allen soangeblich gerne sein Mittags- zialen Netzwerken auftauchen.»
schläfchen abhielt, Geister aus
Helen Lagger
der Vergangenheit schweben
Schwarzweisse Fotografien längst
AAusstellung: bis 2 0. 9.
Verstorbener bevölkern die HöhJeweils 10-18 Uhr. Montags
Als Erstes empfiehlt sich ein
Besuch bei «Zäca». Mit mulmigem Gefühl betritt man einen mit
Tierhörnern gekrönten Bretter- le. Es sind Aufnahmen aus den geschlossen.
verschlag. Hier haust laut den Dreissigerjahren, die Hummel in www.artmotiers.ch
Genfer Künstlern Jonathan De- Palermo gefunden und vergröslachaux und Zoe Cappon «ein sert hat.
himmlischer Bauer aus dem Voo-
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Skurril: «Zäca» von Jonathan
Delachaux und Zoe Cappon.
zvg
. in dessen Innenraum sich der Wald spiegelt.
Buh: «Les fantömes de J.-Jacques
Rousseau» von Cecile Hummel.
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