1 Durch chemische Einwirkungen verursachte Gesundheitsschäden (Dr. Golka) I Begriffsbestimmungen: MAK-Werte (maximale Arbeitsplatz-Konzentrationen), BAT-Werte (biologische Arbeitsstofftoleranzwerte) und TRK-Werte (technische Richtkonzentrationen) werden vom Ausschuß für Gefahrstoffe (AGS) vorgeschlagen, veröffentlicht und jährlich aktualisiert. Maximale Arbeitsplatzkonzentration (MAK) ist die Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz, bei der im allgemeinen die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt wird. Biologischer Arbeitsplatztoleranzwert (BAT) ist die Konzentration eines Stoffes oder seines Umwandlungsproduktes im Körper oder die dadurch ausgelöste Abweichung eines biologischen Indikators von seiner Norm, bei der im allgemeinen die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht beeinträchtigt wird. Technische Richtkonzentration (TRK) ist die Konzentration eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz, die nach dem Stand der Technik erreicht werden kann. Von wesentlicher Bedeutung ist, daß die MAK-Werte für Einzelstoffe erstellt sind. Sie können nicht auf Mischexpositionen übertragen werden. Maßgebend für die Erstellung eines MAK-Wertes sind wissenschaftlich fundierte Kriterien des Gesundheitsschutzes, nicht die Möglichkeiten ihrer Einhaltung in der Praxis. Dies unterscheidet den MAK-Wert grundsätzlich vom TRK-Wert, der für krebserzeugende Stoffe aufgestellt wird und für dessen Höhe die technische Machbarkeit sowie Möglichkeit der meßtechnischen Überwachung, nicht jedoch die wissenschaftlichen Kriterien entscheidend sind. 2 II Metalle und Metalloide Blei Hinsichtlich der Toxizität ist bei Bleiverbindungen zunächst grundsätzlich zwischen Blei und seinen anorganischen Verbindungen einerseits und den (in früheren Zeiten z.B. als Antiklopfmittel in Vergaserkraftstoffen verwendeten) organischen Bleiverbindungen zu unterscheiden. Blei (Pb) und anorganische Bleiverbindungen Das gegenwärtig wichtigste Zielorgan ist das erythropoetische System, das bei entsprechender Bleiexposition mit einer Anämie und häufig mit einer basophilen Tüpfelung reagiert. Organe, die vor allem in früheren Jahrzehnten von Bedeutung waren, sind die glatte Muskulatur (Darmkoliken, Hautblässe !), das periphere Nervensystem (Polyneuropathie, Radialis-Schädigung mit, im Extremfall, "Fallhand"), das zentrale Nervensystem (Enzephalopathie), die Niere (Schädigung vor allem des Tubulus) sowie die werdende Leibesfrucht. Von besonderer Bedeutung ist, daß Kinder aufgrund der wesentlich höheren Resorptionsrate erheblich stärker durch Blei gefährdet sind als Erwachsene. Für die Praxis ist wichtig, daß die Blutbleibestimmung im Vollblut eine geeignete Methode des Biomonitorings darstellt. Hinsichtlich der Belastung durch das aufgenommene Blei ist gegenwärtig der Parameter -Amino-Lävulinsäure (-Ala) der Parameter der Wahl. Ca. 150 Berufe haben regelmäßig Umgang mit Blei (!). Klassische Expositionsbedingungen sind die Akkumulatorenherstellung, der Bleiabbau und die Verhüttung von Blei. Weitere Expositionen sind z.B. das Entfernen von bleihaltigem Korrosionsschutz ("Bleimennige") oder alten bleihaltigen weißen Anstrichen ("Bleiweiß"). Weitere Expositionsmöglichkeiten bestehen vor allem in der keramischen Industrie (bleihaltige Lasuren) und in der Glasindustrie (Bleikristall). Das zentrale Problem bei der Exposition gegen Blei ist die zusätzliche orale Aufnahme durch mangelnde Arbeitsplatzhygiene. 3 Das Bild einer akuten Bleivergiftung kann aufgrund der kolikartigen Beschwerden mit einer akut intermittierenden akuten Porphyrie verwechselt werden. Das Problem ist vor allem das Erkennen von "versteckten" Expositionen, so daß bei einer Anämie, insbesondere wenn eine basophile Tüpfelung vorliegt, auch eine Bleiexposition in Erwägung gezogen werden muß. Organische Bleiverbindungen Das Zielorgan einer organischen Bleivergiftung ist das zentrale Nervensystem. Eine akute Intoxikation ist durch akute psychosomatische bzw. psychiatrische Krankheitsbilder gekennzeichnet. Quellen sind verbleite Kraftstoffe oder entsprechende Kraftstoffzusätze. Die Aufnahme von organischen Bleiverbindungen erfolgt auch perkutan. Seit geraumer Zeit sind die Blutbleispiegel in Deutschland rückläufig, was insbesondere auf die zunehmende Verwendung von bleifreiem Benzin zurückgeführt wird. Quecksilber Zielorgan ist das zentrale Nervensystem mit dem klassischen Vergiftungsbild des "Erethismus mercurialis" (erhöhte Reizbarkeit, schwere Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen, Tremor). Das ZNS wird sowohl durch Metalldämpfe als auch durch die stark lipophilen organischen Quecksilberverbindungen geschädigt. Zielorgan von zweiwertigen anorganischen Quecksilberverbindungen ist die Niere. Klassische chronische Quecksilberexpositionen sind selten geworden. Die Bedeutung des in Amalgamen enthaltenen Quecksilbers wird kontrovers diskutiert. Bekannt geworden ist auch die Belastung durch organische Quecksilberverbindungen durch belastete Nahrungsmittel wie z.B. Fisch (Minamata Krankheit in Japan). Chrom 4 Klassische Zielorgane von Chrom sind die Schleimhäute (Entzündungen bis hin zur Perforation der Nasenscheidewand !), die Lunge (Lungenkrebs) und die Haut (Chromatekzem, "Maurerekzem"). Die Exposition erfolgt z.B. beim Schweißen, wobei die Exposition auch von der Art der verwendeten Schweißelektrode abhängig ist, sowie durch Chrompigmente in verschiedenen Industrien. Von großer praktischer Bedeutung ist das allergogene Potential von Chromaten und Dichromaten ("Mauererekzem"). Die einzelnen Chromverbindungen weisen eine unterschiedliche Wasserlöslichkeit und eine unterschiedliche Toxizität auf. Gegenwärtig ist nur Zinkchromat, das u.a. zum Korrosionsschutz verwendet wird, als humankanzerogen (IIIA1-Stoff) klassifiziert. Mangan und die vor allem früher zur Herstellung von Trockenbatterien verwendete Mangan-Verbindung Braunstein (MnO2). Bekanntestes Krankheitsbild ist bei chronischer Exposition der Manganismus, der klinisch dem Parkinson ähnelt. Weiterhin wurden bei akuter Exposition Manganpneumonien beobachtet. Thallium Zielorgane der akuten Intoxikation sind das Kopfhaar, das zeitlich verzögert, mit Ausnahme der nasalen Anteile der Augenbraue, ausfällt, das periphere Nervensystem mit einer Hyperalgesie in der Frühphase und einer Polyneuritis sowie das zentrale Nervensystem mit einer subakuten Myelo-Optiko-Neuropathie (SMON). Berufliche Expositionen bestehen u.a. bei der Thallium-Gewinnung aus Schwermetallerzen, der Herstellung von Supraleitern, photoempfindlichen Zellen und farbigen Gläsern. In früheren Jahren kam es auch in der Umgebung von Zementwerken zu einer erhöhten Thalliumexposition. Cadmium 5 Zielorgane sind die Nase mit einer Schleimhautdegeneration und einer Anosmie sowie die Lunge. Bei akuter Exposition durch Metalldampf werden grippeähnliche Symptome beobachtet, später ein toxisches Lungenödem, bei chronischer Exposition ein Lungenemphysem. Bei chronischer Exposition gegen Cadmium wird eine vermehrte Einlagerung von Cadmium in der Niere, vor allem der Rinde, beobachtet, die zu Nierenschäden (vermehrte Eiweißausscheidung) führt. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Prostatakarzinom wird diskutiert. Bei einer schweren Intoxikation zeigen sich Knochendestruktionen und pathologische Frakturen (Itai-Itai). Exposition besteht bei der Verhüttung sulfidischer Erze, der Verwendung im Korrosionsschutz ("Oberfächenanode"), der Herstellung von Nickel-Cadmium-Akkus usw. Von besonderer Bedeutung sind die langen Halbwertszeiten von ca. 20 Jahren. Nierenschäden können auch noch Jahre nach Expositionsende neu auftreten. Daher sollte man bei Nierenschäden stets nach einer Cadmiumexposition fragen. Bei beruflich Exponierten sind als empfindliche Nierenparameter Harneiweiße (nicht das Serum-Kreatinin!) zu untersuchen. Vanadium Eine akute Vanadium-Intoxikation bewirkt eine Reizwirkung, eine chronische Intoxikation eine Bronchitis. Charakteristisch ist eine grün-schwarz gefärbte Zunge. Entsprechende berufliche Expositionen sind vor allem beim Umfang mit Erdölrußen, die 15 bis 50 % Vanadium enthalten, zu erwarten. Weitere Expositionsmöglichkeiten sind bei der Exposition gegen Erdölschlacken und bei der ChromvanadiumHerstellung gegeben. Arsenwasserstoff (Arsin) ist hoch toxisch und entsteht, wenn arsenhaltiges Material in Kontakt mit Wasserstoff in nascendi gerät. Zielorgan ist vor allem der Erythrozyt. Klassische Symptome der lebensbedrohlichen akuten Vergiftung sind Zyanose, Hämolyse und eine Verminderung des Kapillartonus. Das hochtoxische Arsin ist in hohen Konzentrationen nicht wahrnehmbar. 6 Die chronische Exposition gegen dreiwertige Arsenverbindungen führt im Bereich der Haut zu einer Hyperkeratose und Hautkrebs, in der Lunge zu Tumoren und bei Exposition in früheren Jahrzehnten zu Hämangiosarkomen der Leber. Exposition bestand (bis 1942) durch Arsenspritzbrühe und besteht gegenwärtig bei der Verhüttung von Erzen, der Anwendung von Antifowlingfarben sowie bestimmter Metallbeizen. Phosphor (anorganisch) Elementar weißer oder gelber Phosphor ist stark reduzierend und hoch toxisch. Der rote Phosphor ist viel weniger toxisch. Zielorgan ist die Haut mit Brandwunden und Nekrosen sowie, bei Resorption aus der Wunde, der Magen-Darm-Trakt und die Leber (akute gelbe Leberatrophie). Historisch wurden auch schwere Knocheninfektionen, vor allem im Unterkiefer, beobachtet. Gegenwärtig von Bedeutung ist Phosphinwasserstoff, der extrem toxisch durch seine Enzymblockade wirkt. Das klinische Bild der akuten Vergiftung ähnelt der Arsinvergiftung, jedoch ohne Zeichen einer Hämolyse. Phosphinwasserstoff wird im Darm aus bei der Begasung von Silos und Speichern verwendeten Metallphosphiden abgespalten (!). Beryllium Die akute Intoxikation äußert sich durch eine toxische Pneumonie, die chronische durch eine Lungenberylliose, die klinisch der Sarkoidose sehr stark ähnelt. In früheren Jahrzehnten wurde dieser Stoff bei der Leuchtstoffröhrenherstellung verwendet. Gegenwärtig werden Beryllium und seine Legierungen vor allem im HighTech-Bereich für Leichtbauteile mit stärkster mechanischer Beanspruchung vermehrt eingesetzt. Eine chronische Berylliose kann bereits nach sehr kurzer massiver Einwirkung (Stunden!) entstehen und sich mit einer Latenz von bis zu 25 Jahren klinisch manifestieren. 7 III Erstickungsgase Kohlenmonoxid (CO) Kohlenmonoxid weist eine 240fach größere Affinität zu Hämoglobin als der Sauerstoff auf. Entsprechend sind Hypoxien in verschiedenen Organen zu beobachten. Bedeutsam ist, daß, ggf. auch nach einem symptomfreien Intervall, verschiedene Nachkrankheiten, wie Parkinson, Epilepsie, Herzrhythmusstörungen, u.U. Herzinfarkt beobachtet werden. Die Halbwertszeit des CO beträgt 5 Stunden, 20 Minuten, bei 100 % O2-Behandlung ca. 80 Minuten, bei Karbogen-Gabe (O2 plus 5 bis 7 % CO2) kürzer. Schwefelwasserstoff (H2S) Zielorgane sind das Auge mit der klassischen Spinner-Keratitis, die Atemwege mit Reizerscheinungen bis hin zum Lungenödem, Enzyme der Zellatmung, sowie das zentrale Nervensystem mit diversen neurologischen und psychiatrischen Ausfällen. H2S entsteht u.a. immer dann, wenn organisches Material in Fäulnis übergeht bzw. wenn Mineralsäuren auf Schwermetallsulfide einwirken. Die Substanz ist sehr toxisch (MAK-Wert: 10 ppm). Der charakteristische "faule Eiergeruch" wird in höheren Konzentrationen nicht mehr wahrgenommen. Es verursacht derzeit immer noch Todesfälle, insbesondere bei unerwarteter Freisetzung aus "bewegter Gülle". IV Sonstige chemische Stoffe, Lösemittel, Pestizide Aromatische Amine Aromatische Amine können in Urothel der ableitenden Harnwege Tumoren auslösen. Eine berufliche Exposition war vor allem bei der Herstellung krebserzeugender aromatischer Amine bzw. von Azofarbstoffen auf der Basis krebserzeugender Amine gegeben. Das wichtigste aromatische Amin hinsichtlich der Krebsauslösung ist das Benzidin. 8 Da das Benzidin auch aus wasserlöslichen Verbindungen im Organismus wieder freigesetzt werden kann, sind z.B. auch Maler und Färber, die entsprechende Farbstoffe in früheren Jahrzehnten verarbeitet haben, gefährdet. Durch aromatische Amine ausgelöste Urotheltumoren haben eine Latenzzeit von bis zu 40 Jahren und länger! Es ist erwiesen, daß sog. "langsame Acetylierer", die eine geringere Acetylierungskapazität im Organismus aufweisen, bei Exposition gegen krebserzeugende aromatische Amine ein erhöhtes Harnblasentumorrisiko aufweisen. Von großer Wichtigkeit ist, daß grundsätzlich jeder Urotheltumorpatient nach Risikoberufen und nach der Exposition gegen aromatische Amine bzw. Azofarbstoffe bis hin zurück zur Schulentlassung zu befragen ist. Halogenkohlenwasserstoffe Zielorgane sind die Leber mit einem chronischen Leberzellschaden und, bei Exposition gegen Halothan, mit einer Hepatitis sowie das zentrale Nervensystem, das bei chronischer Exposition das Bild eines geringgradig ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndroms bieten kann. Hinsichtlich einzelner chlorierter organischer Verbindungen werden die folgenden aufgeführt: Vinylchlorid ist krebserzeugend. In früheren Jahrzehnten konnten durch entsprechende Exposition Hämangiosarkome, Akroosteolysen und Raynaudsyndrome ausgelöst werden. Die höchste Lebertoxizität weist Tetrachlormethan (Tetrachlorkohlenstoff) auf. Die anderen halogenierten Kohlenwasserstoffe weisen eine geringere und teils sehr unterschiedlich ausgeprägte Lebertoxizität auf. In früheren Jahrzehnten wurden halogenierte Lösemittel aufgrund ihrer Unbrennbarkeit gern verwendet. Bei Kontakt mit offener Flamme bzw. Hitze entsteht jedoch das hoch toxische Phosgen. Benzol 9 Eine chronische Benzolexposition schädigt das Knochenmark. Klinisch werden Thrombozytopenie, Leukopenie, Anämie sowie eine (häufig akute myeloische) Leukämie beobachtet. Bei hoher akuter Exposition wird ein "Benzolrausch" ausgelöst. Die Exposition war im Labor (historisch !) sowie u.a. durch Benzin, das mehrere Prozent Benzol enthält, gegeben. In früheren Jahrzehnten wurde, aufgrund seines Lösungsverhaltens, Benzol gern im Labor verwendet (!). Die Homologen des Benzols Toluol (Methylbenzol), Xylol (Dimethylbenzol) und Styrol (Vinylbenzol) weisen, da sie nur zu einem äußerst geringen Prozentsatz am Ring oxidiert werden, kein Knochenmark-toxisches Potential auf. Diese Stoffe, die in Kraftstoffen sowie in diversen Lösemitteln verwendet werden, lösen akut ebenfalls Pränarkosen bzw. Räusche aus und können, bei chronischer Exposition, zu einem (meist geringgradigen) hirnorganischen Psychosyndrom führen. Charakteristisch ist, wie bei vielen anderen Lösemitteln auch, eine entfettende Wirkung der Haut. Wichtig hinsichtlich eines durch chronische Exposition ausgelösten Lösemittelsyndroms ist, daß ein Beweis durch apparative Diagnostik oder charakteristische Laborparameter im allgemeinen nicht möglich ist. Diese Verfahren dienen vielmehr der Ausschlußdiagnostik. Wegweisend sind Krankengeschichte, Arbeitsplatzbeschreibung und psychischer Befund sowie Länge und Höhe der Exposition. Nach Expositionsende ist der Verlauf unterschiedlich, jedoch keine rasche Verschlechterung des Krankheitsbildes. Nitro- und Aminoverbindungen des Benzols Charakteristisch ist die sehr gute Hautpermeabilität. Ein Tropfen Anilin löst eine Methämoglobinämie (Zyanose !) aus. Nitroverbindungen können durch Nitroreduktasen zu Aminoverbindungen verstoffwechselt werden, so daß ebenfalls eine Methämoglobinbildung erfolgt. Ein weiteres Zielorgan ist das Urothel, in dem Tumoren ausgelöst werden können. Klassische Nitroverbindungen sind diverse Sprengstoffe wie z.B. das Trinitrotoluol (TNT). 10 Sogenannte "Nitroverdünner" enthalten keine Nitroverbindungen, sondern lösen, bei beliebiger Zusammensetzung, Nitrozelluloselacke (Name !) auf. Schwefelkohlenstoff CS2 Das Zielorgan ist das zentrale Nervensystem, wobei akut eine Pränarkose, chronisch ein hirnorganisches Psychosyndrom oder Parkinson-ähnliche Symptome ausgelöst werden können. Weiterhin werden, neben einer sensorischen Polyneuropathie, auch Schädigungen der Gefäße beschrieben. Die berufliche Exposition ist bei der Viskosefaserproduktion, bei der Zellophanproduktion, die aus Viskose erfolgt, sowie bei der Gummivulkanisation gegeben. Methanol Methanol wird als Grundstoff in der chemischen Industrie und im Labor sowie bei der Treibstoffproduktion verwendet. Bei oraler Intoxikation finden sich schon bei der Aufnahme geringer Mengen Sehstörungen bis hin zur Erblindung, eine Acidose sowie Parkinson-Symptome. Bei Genuß von "schwarz" gebranntem Alkohol werden immer wieder schwerwiegende Vergiftungen beobachtet. Organische Phosphorverbindungen Die akute Intoxikation ist durch die Blockierung der Acetylcholinesterase mit resultierenden massiven Vagusreizungen charakterisiert. In früheren Jahrzehnten (und gegenwärtig bei Verwechslung mit Nahrungsmittelölen) traten Vergiftungen durch Trikresylphosphat auf, die nach ein- bis drei Wochen zu schlaffen Lähmungen führen. Fluor und seine Verbindungen Flußsäure, Flußspat, Fluorapatit Flußsäure verursacht lokale Verätzungen, die mit 10 %iger Calciumglukonatlösung zu umspritzen sind. Schon relativ kleine Flußsäureverätzungen von der Größe eines Fünfmarkstückes können zu bedrohlichen systemischen Vergiftungen führen ! 11 Eine chronische Fluorvergiftung führt zur Osteoporose, Osteosklerose und Bandverkalkung. Differentialdiagnostisch ähnelt dieses Krankheitsbild einem M. Bechterew, beginnt jedoch zumeist im Becken. Salpetersäure, Nitroglyzerin, Nitroglykol Expositionen bestehen vor allem in der Sprengstoffindustrie. Einwertige Alkoholverbindungen weisen eine hohe Hautresorption auf. Heinz-Körperchen werden nur bei aromatischen Nitroverbindungen beobachtet. Charakteristisch bei Nitroglyzerin ist zunächst die periphere Gefäßerweiterung infolge einer zentralen Wirkung und Gegenregulation kommt es dann zum diastolischen Blutdruckanstieg (!). Als Montagskrankheit werden plötzliche Todesfälle in Nitroglyzerinproduktionsstätten bezeichnet. Alkyl-, Aryl-, Alkylaryloxide Wichtige Vertreter dieser Stoffgruppe sind Epichlorhydrin, ein Industriegrundstoff, Chlorphenole, wie z.B. das lange Zeit als Holzschutzmittel verwendete Pentachlorphenol, Chlorkresole, "Dioxine" und Bis(chlormethyl)Äther (Dichlordimethyl-Äther). Charakteristisch ist, daß durch oben aufgeführte Stoffe eine Chlorakne ausgelöst werden kann, die aus historischen Gründen auch "Perna-Krankheit" (von Perchlornaphthalin) genannt wird. Die einzelnen Verbindungen weisen unterschiedliche Toxizität auf. "Dioxine", deren bekanntester Vertreter das Tetrachlordibenzodioxin (TCDD, "Seveso-Gift") ist, lösen bei hoher, durch Unfall bedingter Exposition, eine vermehrte Bildung von Krebs aus, ohne daß ein bestimmtes Zielorgan bevorzugt wäre. Für Dichlordimethyläther ist bei chronischer Exposition die Entstehung von Lungenkrebs bekannt. Kommen diese Stoffe mit Hitzeeinwirkung oder offener Flamme in Berührung, so kann durch Phosgenbildung ein akutes Lungenödem ausgelöst werden. 12 "Dioxine" sind nicht mutagen, lösen jedoch im Tierversuch vermehrt Tumoren aus. Chlorakne entsteht nur bei sehr hoher "Dioxin"-Exposition. Hinsichtlich der krebsauslösenden Wirkung dieser Substanzgruppe bestehen sehr starke Unterschiede zwischen den einzelnen Spezies. Bei Menschen konnte 20 Jahre nach dem Unfall in Ludwigshafen ein verdoppeltes Krebsrisiko bei damals hoch Exponierten beobachtet werden. Halogenierte Alkyl-, Aryl- und Alkylarylsulfide Wichtigster Vertreter ist Gelbkreuz (Lost, Senfgas, Dichlordiethylsulfid). Berufliche Exposition besteht bei Mitarbeitern des Kampfmittel-Räumdienstes. Dieser Stoff durchdringt selbst Leder und löst lokal Blasenbildung und Geschwürsbildung aus. Systemisch werden akut schwere Bronchitiden oder Magen-Darm-Störungen und toxische Nephritiden ausgelöst. Chronisch entstehen vermehrt Tumoren im Bereich der Bronchien und des Larynx. Para-t-Butylphenol Bekannt geworden ist diese Substanz durch die Auslösung der "Weißfleckenkrankheit". Weiterhin können auch Leberzellschäden sowie eine euthyreote Struma ausgelöst werden. Erkrankungen der Zähne durch Säure Charakteristisch ist zunächst ein "Stumpfwerden" der Zähne, vergleichbar dem Gefühl nach dem Trinken von Limonade. Später kann es zu Schmelzdefekten kommen. Bekannt ist vor allem, neben Schädigungen durch organische und mineralische Säuren in entsprechenden Produktionsbetrieben, die sogenannte "Zuckerbäckerkaries", die durch häufiges Abschmecken von zuckerhaltigen Zubereitungen und den dann bakteriell entstehenden organischen Säuren bedingt ist. Benzochinon Diese Substanz entsteht in alkalischer Körperflüssigkeit aus Hydrochinon und führt zu einer charakteristischen Verfärbung der Hornhaut im Lidspaltenbereich. Später kommt es zu einer Abnahme der Sensibilität der Hornhaut. 13 Eine Expositionsmöglichkeit besteht zum einen bei der Hydrochinon-Produktion, zum anderen beim Umgang mit Entwicklern im Fotolabor.
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