Dr. Hans Morschitzky Klinischer und Gesundheitspsychologe Psychotherapeut (Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie) A-4040 Linz, Hauptstraße 77, Tel. 0732 778601 www.panikattacken.at Exposition Vortrag bei der 17. wissenschaftlichen Tagung der AVM „Angststörungen. Bewährte Konzepte und neue Entwicklungen“ im Bildungshaus Puchberg bei Wels am 30.10.2015 Der vollständige Text befindet sich auf der AVM-Seite, derzeit schon auf meiner Homepage: www.panikattacken.at/exposition/Exposition.htm Zusammenfassung Aufgrund neuerer lerntheoretischer Modelle (Inhibitionslernen nach Michelle Craske) und der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie (ACT, Schematherapie u.a.) ergeben sich folgenreiche Veränderungen für die traditionelle Expositionstherapie. Der Abfall von Angst durch Habituation ist keine Voraussetzung für erfolgreiches Lernen! Die neueren Konzepte betonen das Neulernen von Verhaltensweisen und nicht die Beseitigung von Angst-Konditionierungen als Voraussetzung für Verhaltensänderungen sowie vor allem auch ein erfülltes Leben mit und trotz Angst und verzichten auf den kräfteraubenden Kampf gegen Angst, Furcht und Panik. Exposition – Definitionen Das Wort „exposure“ wurde in der VT erstmals von I. Marks 1975 in einem Artikel über Zwänge verwendet. Exposition = wiederholte systematische Konfrontation mit internen oder externen Reizen, die gefürchtet, vermieden oder nur mit Angst ausgehalten werden – in dreifacher Form: • in vivo (Realität), • in sensu (Innenwelt: Vorstellung, Erinnerung), • interozeptiv (Körpersensationen). Exposition = jede Form der Unterbrechung von Vermeidungsverhalten nach außen (gegenüber von Situationen) und nach innen (gegenüber Gedanken, Gefühlen und Körpersensationen), mit dem Ziel, all das tun und erleben zu können, was durch Angst verhindert wird. Aufgrund neuerer lerntheoretischer Konzepte (Inhibitionslernen) und der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie (ACT, Schematherapie u.a.) wird das alte lerntheoretische Erklärungs- und Behandlungsmodell problematisiert und erweitert (Angstabfall im Sinn von Habituation als notwendige Voraussetzung für den Therapieerfolg). Die neueren Ansätze achten mehr auf ein erfülltes Leben mit und trotz gewisser Ängste und verzichten auf den kräfteraubenden Kampf gegen Angst, Furcht und Panik. Ziel ist ein Neulernen und nicht ein „Verlernen“/Löschen. Exposition – Grenzen des traditionellen Vorgehens Nach Michelle Craske (2015) ist die traditionelle Expositionstherapie nicht so erfolgreich, wie oft behauptet wird. Sie nennt folgende Zahlen, bezogen auf alle Angststörungen: 30 % 15-30 % 40-50 % 19-62 % verweigern die Expositionstherapie brechen die Expositionstherapie ab haben nach der Expositionstherapie keinen klinisch relevanten Behandlungserfolg erleben eine Rückkehr der behandlungsrelevanten Symptomatik („return of fear“) M. Craske hat in Reaktion darauf das Konzept des Inhibitionslernens entwickelt. Es stellt eine Rückkehr zu den Wurzeln der Lernpsychologie dar. Dabei werden gleichzeitig in sehr kreativer Weise alle neueren Entwicklungen (Kognitionen, ACT u.a.) berücksichtigt, inklusive Neurobiologie. In faszinierender Weise kommt Craske von lernpsychologischen Grundlagen aus (allerdings nach dem Motto „Neulernen statt Löschen von Angst“) zu den Grundkonzepten der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie (Annehmen und Akzeptieren der Angst; Angstabfall ist keine notwendige Voraussetzung für den Therapieerfolg). Exposition – das Alte in Frage gestellt Die zentralen Annahmen der traditionellen Expositionstherapie sind trotz 40-jähriger Anwendung nicht ausreichend empirisch abgesichert und werden durch neuere lerntheoretische Konzepte und Studien eher in Zweifel gezogen als bestätigt: 1. Die Angstsituation darf erst nach dem Abfall der Angst verlassen werden. Die Angst muss ausgehalten werden und sollte bei der Exposition in Form des Floodings sogar ein Maximum erreichen. Als Folge davon wird rasch eine Habituation im Sinn eines dauerhaften Angstabfalls erreicht. Die Betroffenen sollen so die Bewältigbarkeit von Angst und die Ungefährlichkeit von Panikattacken erleben. 2. Sicherheitsverhaltensweisen müssen von Anfang an aufgegeben werden. Während der Exposition dürfen die Betroffenen aus der Angst machenden Situation keinesfalls fliehen und in der Angstsituation keinerlei sonstige Sicherheitsstrategien einsetzen (Medikament oder Handy in der Tasche, Begleitung durch Vertrauenspersonen, diverse Tricks), weil die Angst dadurch angeblich langfristig verstärkt wird, auch wenn sie kurzfristig reduziert wird. Exposition – das Neue unter Berufung auf Fachleute „Misstrauen Sie dem, was Ihr Supervisor noch in der Ausbildung zur Angsttherapie sagte! Das Prinzip ‚Angsttherapie kommt ohne Exposition nicht aus‘, gilt zwar nach wie vor, aber im Hinblick auf die optimierte Umsetzung einer Expositionstherapie gibt es wichtige neue Entwicklungen. Lediglich darauf zu achten, dass Habituation eintritt, vermittelt die falsche Botschaft. Angst soll nicht per se bekämpft werden, denn sie ist nicht gefährlich. Wichtiger ist es, vielfältige neue Erfahrungen in angstauslösenden Situationen zu sammeln und zu speichern (Inhibitionslernen) und eine neue Strategie im Umgang mit Angstgefühlen zu erlernen (MKT, ACT).“ (Hoyer & Heinig, 2015, S. 21) Der Therapieerfolg ist völlig unabhängig davon, ob während der Exposition die Angst abfällt, gleich bleibt oder steigt! Im Gegensatz zum bisherigen Verständnis muss Angst bei der Exposition überhaupt nicht abnehmen. Es geht vielmehr um das Tolerieren-Können von Angst, während durch die Exposition neue Lernerfahrungen mit sich selbst und mit der Umwelt gemacht werden. (eigene Formulierung auf der Basis des Inhibitionslernens nach Michelle Craske, 2015) Man kann auch mithilfe von anfänglichen Sicherheitsverhaltensweisen Agoraphobie dauerhaft überwinden. (eigene Formulierung unter Berufung auf Studien von Rachman u.a.) Zusammenfassender Überblick zum Vortrag: Neun Aspekte zu Optimierung der Expositionstherapie 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Berücksichtigung neuerer lerntheoretischer Entwicklungen (Inhibitionslernen nach M. Craske) Berücksichtigung der „dritten“ Welle der Verhaltenstherapie (ACT, MKT, Schema-Therapie u.a.) Berücksichtigung transdiagnostischer Erklärungs- und Behandlungskonzepte (über Pkt. 2 hinaus) Berücksichtigung des Konzepts der Emotionsregulierung (z.B. Emotionsvermeidung/-überkontrolle) Berücksichtigung translationaler Konzepte (medizinisch-biologische Grundlagenforschung) Berücksichtigung traumabezogener Konzepte (subj. lebensbedrohliche Panikattacke als Trauma) Ergänzung durch eine virtuelle Expositionstherapie (wenn möglich und sinnvoll) Differenziertere Bewertung von Sicherheitssignalen und Sicherheitsverhaltensweisen Berücksichtigung neuerer Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie: • neuere lernpsychologische Modelle ganz allgemein • neuere neurobiologische Modelle • neuere pharmakologische Behandlungskonzepte bezüglich Speicherung des Erfolgsgedächtnisses während der Exposition 1. Inhibitionslernen nach Michelle Craske (2015) – Allgemeines • Das Konzept des Inhibitionslernens ersetzt die empirisch wenig abgesicherte emotional processing theory von Foa & Kozak (1986) sowie das eng damit verbundene Konzept der Habituation. • Entgegen früheren Annahmen wird bei einer Exposition die konditionierte Angstreaktion (CR) nicht gelöscht. Vielmehr wird die ursprüngliche Assoziation zwischen dem unkonditionierten Stimulus (US: z.B. Aufzug, Supermarkt) und dem reaktionsauslösenden konditionierten Stimulus (CS: Atemnot, Herzklopfen) nur gehemmt (CS≠US) durch eine neu erlernte, nicht angstbesetzte Assoziation. Extinktionslernen besteht im Aufbau einer kontextabhängigen inhibitorischen CS-US-Assoziation. Erworbenes Furchtgedächtnis und neu erlerntes Erfolgsgedächtnis stehen in Rivalität zueinander. Es geht darum, dem Extinktionsgedächtnis mit allen möglichen Mitteln zum Durchbruch zu verhelfen. • Erfolgreiche Exposition besteht in der Stärkung der inhibitorischen Assoziationen durch Förderung des Extinktionsverhaltens sowie in der Konsolidierung und Zugänglichkeit des Extinktionsgedächtnisses. Das Konzept der Extinktion bezeichnet also keine Löschung, kein Vergessen, kein Verlernen, sondern ein zusätzliches Lernen (die Angst „verlernen“ widerspricht auch neurobiologischen Erkenntnissen). • Fazit: Anstelle der Abschwächung der ursprünglichen Angst und des dazugehörigen Angstgedächtnisses durch Habituation geht es beim Inhibitionslernen darum, dass neue Gedächtniseindrücke erfolgreicher Lernvorgänge gespeichert werden, die das ursprüngliche Angstgedächtnis relativieren, aber nicht löschen. Die Angstreaktion wird nicht verlernt, sondern nur nicht mehr gezeigt, sie wird durch entgegengesetzte inhibitorische Assoziationen ergänzt. 1. Inhibitionslernen nach Craske (2015) – die Folgen für die Expositionstherapie • Menschen mit Angststörungen haben ein Defizit an inhibitorischer Lernfähigkeit. Der Schwerpunkt der Exposition liegt daher auf einem Lernprozess, auf einem Neu-Lernen, und nicht auf einer Angstreduktion. • Im Mittelpunkt steht das Inhibitionslernen und nicht die Habituation an die Angst, denn Habituation ist nicht der zentrale Lernmechanismus. • Es geht nicht um die (unmögliche) Löschung von Angstreaktionen, sondern um die Vermittlung wirksamer Assoziationen in Angstsituationen. Es geht um die Optimierung der Extinktion, wodurch optimales Inhibitionslernen möglich ist. • Fazit: Der Erfolg einer Expositionstherapie beruht im Aufbau neuer Lernerfahrungen – nicht in der (unmöglichen) Löschung alter Lernerfahrungen und auch nicht im Abfall der Angst während der Konfrontation! Diese Sichtweise deckt sich mit neurobiologischen Erkenntnissen. 1. Inhibitionslernen nach Michelle Craske (2015) – zentrale Punkte 1. Widerlegen angstbezogener Erwartungen – Motto: „Überprüfe deine Erwartungen!“ 2. Vertiefte Extinktion – Motto: „Kombiniere sukzessiv verschiedene Angstreize (trinke z.B. Kaffee in einem Supermarkt oder ziehe dich in einem überfüllten Raum wärmer an)!“ 3. Verstärkte (massierte) Extinktion (Extinktion mit gelegentlicher Verstärkung) – Motto: „Lass dich von deiner Angst immer wieder neu überfluten durch einen Wechsel leichte-schwierige Aufgaben)!“ 4. Variierte Extinktion (Stimulus-Variation) – Motto: „Sorge für Abwechslung durch viele Situationen!“ 5. Kontextvariabilität (multiple Kontexte: Orte, Zeiten, ohne Partner) – Motto: „Variiere den Kontext!“ 6. Verzicht auf Sicherheitsverhalten und Sicherheitssignale – Motto: „Verlass dich auf dich selbst!“ 7. Erinnerungsreize (Abrufhinweise) – Motto: „Hole die Erinnerung zurück, nutze Gedächtnisstützen!“ 8. Erneute Konsolidierung (Rekonsolidierung) – Motto: „Aktiviere dein Furchtgedächtnis vor der Exposition (Vorstellung/Erinnerung), um danach eine erfolgreiche Lernerfahrung abzuspeichern!“ 9. Verbalisierung der momentanen Empfindungen (Affekt-Labeling: der ventrolaterale präfrontale Kortex hemmt dadurch die Amygdala) – Motto: „Fasse dein Befinden in Worte!“ 10. Aufmerksamkeitsfokus auf dem konditionierten Stimulus (CS) – Motto: „Bleib dran!“ 11. Positive Valenz – Motto: „Formuliere das Ziel möglichst attraktiv und stelle es dir auch so vor!“ 12. Kognitive Extinktionsverstärker – Motto: „Erweitere dein Gedächtnis mithilfe eines Medikaments!“ 2. Die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie – Angstvermeidung ist Erlebnisvermeidung • Das Konzept der Vermeidung und die Gegenstrategie der Exposition gewinnen durch die achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Therapiekonzepte eine umfassendere Bedeutung. Diese aus dem Buddhismus abgeleiteten Ansätze vertreten die zentrale These: Vermeiden von Erfahrung führt zu Problemen und Leidenszuständen. ACT-Grundannahme: Der primäre seelische und körperliche Schmerz ist eine ganz normale menschliche Erfahrung. Erst durch Vermeidungs- und Kontrollstrategien entwickelt sich daraus der unnötige sekundäre Schmerz, der zu Leidenszuständen führt. • Der Kampf gegen Ängste ist sinnlos und ein nicht zu gewinnendes Spiel. Von den verschiedenen Richtungen innerhalb der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie erweitert vor allem die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) das lerntheoretische Konzept der negativen Verstärkung durch Flucht und Vermeidung in Richtung einer allgemeinen „Erlebnisvermeidung“ (experiental avoidance). Der werte- und handlungsorientierte Ansatz von ACT soll zu mehr Lebenserfüllung und nicht einfach nur zu weniger Angst führen. • Exposition ist demnach eine Behandlungsmethode, die die Tendenz zur Erlebnisvermeidung gegenüber der Außenwelt, das heißt gegenüber von Situationen, und gegenüber der Innenwelt, das heißt gegenüber Gedanken, Gefühlen und Körpersensationen, unterbricht und damit neue und hilfreiche Erfahrungen mit sich selbst und der Umwelt ermöglicht. 2. Die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie – zentrale Botschaften Es werden folgende Botschaften vermittelt: • Deine Angst muss nicht abnehmen oder verschwinden, damit du erfolgreich handeln kannst. Es geht vielmehr darum, dass du jene Ziele im Leben anstrebst, die aus deinen zentralen Werten resultieren. • Ändere deine Einstellung zu deinen Ängsten. Gib den Kampf gegen die Angst auf und konzentriere dich auf das, was du erreichen willst, um ein erfülltes Leben führen zu können. Der Kampf gegen die Angst durch Vermeiden und Unterdrücken ist ein nicht zu gewinnendes Spiel. • Exposition stellt in diesem Sinn eine sehr universell einsetzbare Strategie dar. Letztlich sind alle psychischen Störungen in irgendeiner Weise zumindest auch Störungen der Wahrnehmung, der Verarbeitung und der Kontrolle von Emotionen. • ACT und andere „dritte-Welle“-Richtungen weisen auf die zentrale Bedeutung der Erlebnisvermeidung für die Entwicklung psychischer Störungen (z.B. Angststörungen) hin. 3. Transdiagnostische Konzepte - Allgemeines Gegenwärtig zeigen sich in der Fachwelt einander entgegengesetzte Tendenzen: • Auf der einen Seite wird die Zahl der psychischen Störungen immer mehr erhöht (siehe DSM5) und das Angebot an störungsspezifischen Behandlungsmanualen ständig ausgeweitet. • Auf der anderen Seite werden aus transdiagnostischer, also Diagnosen übergreifender Sicht unterschiedliche psychische Störungsbilder durch einander ähnliche dysfunktionale Problemlösungsversuche zumindest in ihrer Ausprägung verschärft, wenn schon nicht verursacht. Transdiagnostische Konzepte implizieren symptom- und problemübergreifende Therapien. Bekanntestes Programm: Unified Protocol for Transdiagnostic Treatments of Emotional Disorders von David Barlow u.a. (im Frühjahr 2016 auf Deutsch) mit 8 Modulen, u.a.: • Psychoedukation und besseres Verständnis für Emotionen • Emotionsbezogenes Wahrnehmungstraining • Kognitive Umstrukturierung • Verringerung des emotionalen und verhaltensbezogenen Vermeidungsverhaltens • Wahrnehmung und Tolerierung körperlicher Empfindungen • Interozeptive und situationsbezogene Exposition 3. Transdiagnostische Konzepte – spezielle Aspekte Es handelt sich vor allem um folgende Prozesse: • Kontroll- und Unterdrückungsversuche von Gedanken, Gefühlen und Symptomen, • exzessives Vermeidungsverhalten in Bezug auf Emotionen, Körpersensationen und Situationen, • Sicherheitsverhalten durch zahlreiche Tricks, • vergangenheits- und zukunftsbezogenes Grübeln statt effektives Handeln. Typische transdiagnostische Themen sind: • das Ausmaß an subjektiver Kontrolle über Situationen, • die Unfähigkeit, Unsicherheit zu tolerieren, • der Umgang mit Emotionen. 4. Das Konzept der Emotionsregulierung – mangelnde Angst-Managementfähigkeit Die mangelhafte Fähigkeit zur Emotionsregulierung ist ein zentraler Risikofaktor für die Entwicklung einer emotionalen Störung (Angststörung, Depression u.a.). Mit ständigen in-vivo-Expositionen allein ist dieses Problem nicht lösbar (ähnlich wie bei sozialen Defiziten eine reine Konfrontationstherapie nicht die Lösung ist). Menschen mit Angststörungen • können mit der Intensität und Generalisierung ihrer Angst nicht umgehen, sodass sie zunehmend mit innerer und äußerer Vermeidung reagieren; • haben Defizite bezüglich des Inhibitionslernens, sodass die Extinktion erschwert ist; • können ihre Furcht angesichts bestimmter Reize mithilfe des präfrontalen Cortex nicht so gut hemmen wie Gesunde; • haben ein unzureichendes Diskriminationslernen, sodass sie leichter ängstlich reagieren; • haben eine mangelhafte Fähigkeit zur optimalen Speicherung und Abruffähigkeit von erfolgreichen Expositionserfahrungen. 5. Translationale Konzepte – Bedeutung der Grundlagenforschung • Es geht dabei um die Bedeutung der medizinisch-biologischen Grundlagenforschung für die klinische Praxis, speziell vor allem um die Furcht-Konditionierung und Furcht-Extinktion, die üblicherweise im Rahmen von Tierstudien erfolgt, und ihre Relevanz für die Expositionstherapie. Menschen mit Phobien haben eine spezielle Form der Wahrnehmung, verglichen mit anderen Personen, sodass bei ihnen eher eine Furchtreaktion entsteht. Typische Forschungsthemen sind derzeit z.B. die Bedeutung des Hippocampus als Ort der Gedächtnisspeicherung, aber auch epigenetische Aspekte, beispielsweise bei der posttraumatischen Belastungsstörung. • Von besonderer Bedeutung ist auch ein neuer Forschungszugang zum zusätzlichen Einsatz von Medikamenten zur Konsolidierung des Extinktionsgedächtnisses, d.h. aus anderen Gründen als bei der üblichen Kombinationstherapie von Psycho- und Pharmakotherapie. Nicht nur Antidepressiva, sondern vor allem auch andere Substanzen sind bedeutsam für Lernen und Gedächtnisspeicherung (D-Cycloserin, Cortisol u.a.). Darauf wird bei Punkt 9 genauer eingegangen. 6. Traumabezogene Konzepte (Panikattacke als Trauma) • Die erste oder die schlimmste Panikattacke wird von vielen Betroffenen als subjektive Todesbedrohung erlebt, so abgespeichert und auch wiedererinnert, d.h. als traumatische Erfahrung erlebt. Sie ist noch nicht bewältigt durch Psychoedukation über Panikattacken sowie die weitere Erfahrung der Ungefährlichkeit und die Erweiterung des Bewegungsspielraums nach einer Expositionstherapie. • Wie bei posttraumatischen Belastungsstörungen besteht auch bei Panikstörungen oft das Ziel der Rekonstruktion eines sogenannten „kalten Gedächtnisses“, indem alle heißen Elemente aus belastenden Erfahrungen verortet und vergeschichtlicht werden (Neuner et al., 2013). • Es geht um einen effizienteren Umgang mit den Furchtstrukturen nach dem Motto: Neben der Hemmung der Furchtreaktion soll auch wieder eine bessere Teilnahme am aktuellen Leben erfolgen. 7. Virtuelle Expositionstherapie Die virtuelle Expositionstherapie (VRET virtual reality exposure therapy) wird mittlerweile dort, wo sie von den finanziellen Voraussetzungen her möglich ist, immer häufiger durchaus recht erfolgreich eingesetzt, vor allem bei spezifischen Phobien (z.B. Flugangst, Höhenangst, Tierphobien), teilweise auch bei sozialer Phobie und bei Panikstörungen, vor allem aber auch in der Forschung. Sie bringt jedoch bei Panikstörung mit Agoraphobie neben der Exposition in vivo bei gleichzeitiger kognitiver Therapie keinen zusätzlichen Behandlungseffekt (wenngleich sie auch bei dieser Störung durchaus wirksam ist). 8. Differenziertere Bewertung von Sicherheitssignalen und Sicherheitsverhaltensweisen • Forschungsbefunde (von Rachman u.a.) haben ergeben: verschiedene Hilfsmittel oder Sicherheitsverhaltensweisen wie Fluchtmöglichkeit gefährden nicht den Therapieerfolg, sondern sind zumindest anfangs durchaus sinnvoll: sie vermindern die Verweigerungs- und Abbruchrate, erleichtern erste Erfolge, fördern die eigenständige Exposition, führen zu längerer Exposition, ermöglichen trotzdem eine kognitive Neubewertung und einen anhaltenden Therapierfolg und sind gerade bei schwerer Angststörung effektiver als die konventionelle Expositionstherapie. • Nicht der anfängliche vollständige Verzicht, sondern das langsame Ausschleichen von Sicherheitsstrategien im Laufe der Exposition ermöglicht zahlreichen Betroffenen erst den dauerhaften Therapieerfolg. • Die weltweit größte Studie zur Exposition bei Panikstörung mit Agoraphobie, durchgeführt als Multi-Center-Studie in Deutschland, hat ergeben: Bei schwerer Panikstörung mit Agoraphobie beschleunigt die anfängliche Begleitung durch einen Therapeuten den Therapieerfolg, auch wenn ein Therapeut als Sicherheitssignal anzusehen ist – Hauptsache, es stellt sich bald ein erstes Erfolgserlebnis ein, als deren Folge dann eine Exposition allein möglich ist. Ähnlich kann man auch den Umstand eines anfänglichen Hilfsmittels (wie Handy oder Tranquilizer in der Tasche) sehen. 9. Neuere Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie – neuere lernpsychologische Modelle ganz allgemein Forschungen zum Bereich des Extinktionslernens und Umlernens (in Deutschland laufen dazu verschiedene Forschungsprojekte, und zwar an den Universitäten in Bochum und Duisburg-Essen). Diese haben eine große Bedeutung nicht nur für Angststörungen, sondern beispielsweise auch für posttraumatische Belastungsstörungen, Schmerzstörungen, Essstörungen, Abhängigkeitserkrankungen, für menschliche Zustände wie Trauer nach Tod oder Verlust des Partners, aber auch für medizinische Bereiche wie die Immunologie. 9. Neuere Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie – neuere neurobiologische Modelle • Inhibition der Amygdala durch den ventromedialen präfrontalen Kortex, was die Grundlage für das Extinktionslernen darstellt • Speicherung von Kontextinformationen im Hippocampus, was auch die Basis für ein erfolgreiches Inhibitionslernen ist • Bedeutung der Insel-Region für die Interozeption, für die Wahrnehmung und die Sensibilität bezüglich viszeraler Aktivitäten • Bedeutung des dorsalen und rostralen anterioren Cingulums für die Antizipation von CS und US 9. Neuere Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie – neuere pharmakologische Behandlungskonzepte • bessere Speicherung des Erfolgsgedächtnisses während der Exposition durch die Gabe von D-Cycloserin (ein Tuberkulose-Mittel), Cortisol u.a. • Hemmung („Löschung“) des Angstgedächtnisses durch Blutdruckmittel wie Propranolol (in Österreich Präparat Inderal). Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Für Betroffene werden diese neuen Sichtweisen von Exposition dargestellt in: Morschitzky, H. (2015). Endlich leben ohne Panik. Die besten Hilfen bei Panikattacken. Munderfing: Fischer & Gann Verlag. – Dazu gibt es auch eine App für IOS und Android. Morschitzky, H. (2017). Endlich frei von Platzangst. Das Leben zurückerobern. PatmosVerlag.
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