PowerPoint-Präsentation

Dr. Hans Morschitzky
Klinischer und Gesundheitspsychologe
Psychotherapeut (Verhaltenstherapie, Systemische Familientherapie)
A-4040 Linz, Hauptstraße 77, Tel. 0732 778601
www.panikattacken.at
Exposition
Vortrag bei der 17. wissenschaftlichen Tagung der AVM
„Angststörungen. Bewährte Konzepte und neue Entwicklungen“
im Bildungshaus Puchberg bei Wels am 30.10.2015
Der vollständige Text befindet sich auf der AVM-Seite, derzeit schon auf meiner Homepage:
www.panikattacken.at/exposition/Exposition.htm
Zusammenfassung
Aufgrund neuerer lerntheoretischer Modelle (Inhibitionslernen nach
Michelle Craske) und der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie
(ACT, Schematherapie u.a.) ergeben sich folgenreiche Veränderungen
für die traditionelle Expositionstherapie.
Der Abfall von Angst durch Habituation ist keine Voraussetzung
für erfolgreiches Lernen!
Die neueren Konzepte betonen das Neulernen von Verhaltensweisen und
nicht die Beseitigung von Angst-Konditionierungen als Voraussetzung für
Verhaltensänderungen sowie vor allem auch ein erfülltes Leben mit und
trotz Angst und verzichten auf den kräfteraubenden Kampf gegen Angst,
Furcht und Panik.
Exposition – Definitionen
Das Wort „exposure“ wurde in der VT erstmals von I. Marks 1975 in einem Artikel über Zwänge verwendet.
Exposition = wiederholte systematische Konfrontation mit internen oder externen Reizen,
die gefürchtet, vermieden oder nur mit Angst ausgehalten werden – in dreifacher Form:
• in vivo (Realität),
• in sensu (Innenwelt: Vorstellung, Erinnerung),
• interozeptiv (Körpersensationen).
Exposition = jede Form der Unterbrechung von Vermeidungsverhalten nach außen (gegenüber von Situationen)
und nach innen (gegenüber Gedanken, Gefühlen und Körpersensationen), mit dem Ziel, all das tun und erleben
zu können, was durch Angst verhindert wird.
Aufgrund neuerer lerntheoretischer Konzepte (Inhibitionslernen) und der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie
(ACT, Schematherapie u.a.) wird das alte lerntheoretische Erklärungs- und Behandlungsmodell problematisiert
und erweitert (Angstabfall im Sinn von Habituation als notwendige Voraussetzung für den Therapieerfolg).
Die neueren Ansätze achten mehr auf ein erfülltes Leben mit und trotz gewisser Ängste und verzichten auf den
kräfteraubenden Kampf gegen Angst, Furcht und Panik. Ziel ist ein Neulernen und nicht ein „Verlernen“/Löschen.
Exposition – Grenzen des traditionellen Vorgehens
Nach Michelle Craske (2015) ist die traditionelle Expositionstherapie nicht so erfolgreich,
wie oft behauptet wird. Sie nennt folgende Zahlen, bezogen auf alle Angststörungen:
30 %
15-30 %
40-50 %
19-62 %
verweigern die Expositionstherapie
brechen die Expositionstherapie ab
haben nach der Expositionstherapie keinen klinisch relevanten Behandlungserfolg
erleben eine Rückkehr der behandlungsrelevanten Symptomatik („return of fear“)
M. Craske hat in Reaktion darauf das Konzept des Inhibitionslernens entwickelt. Es stellt eine
Rückkehr zu den Wurzeln der Lernpsychologie dar. Dabei werden gleichzeitig in sehr kreativer Weise
alle neueren Entwicklungen (Kognitionen, ACT u.a.) berücksichtigt, inklusive Neurobiologie.
In faszinierender Weise kommt Craske von lernpsychologischen Grundlagen aus (allerdings nach
dem Motto „Neulernen statt Löschen von Angst“) zu den Grundkonzepten der „dritten Welle“
der Verhaltenstherapie (Annehmen und Akzeptieren der Angst; Angstabfall ist keine notwendige
Voraussetzung für den Therapieerfolg).
Exposition – das Alte in Frage gestellt
Die zentralen Annahmen der traditionellen Expositionstherapie sind trotz 40-jähriger Anwendung
nicht ausreichend empirisch abgesichert und werden durch neuere lerntheoretische Konzepte und
Studien eher in Zweifel gezogen als bestätigt:
1. Die Angstsituation darf erst nach dem Abfall der Angst verlassen werden.
Die Angst muss ausgehalten werden und sollte bei der Exposition in Form des Floodings sogar
ein Maximum erreichen. Als Folge davon wird rasch eine Habituation im Sinn eines dauerhaften
Angstabfalls erreicht. Die Betroffenen sollen so die Bewältigbarkeit von Angst und die
Ungefährlichkeit von Panikattacken erleben.
2. Sicherheitsverhaltensweisen müssen von Anfang an aufgegeben werden.
Während der Exposition dürfen die Betroffenen aus der Angst machenden Situation keinesfalls
fliehen und in der Angstsituation keinerlei sonstige Sicherheitsstrategien einsetzen (Medikament
oder Handy in der Tasche, Begleitung durch Vertrauenspersonen, diverse Tricks), weil die Angst
dadurch angeblich langfristig verstärkt wird, auch wenn sie kurzfristig reduziert wird.
Exposition – das Neue unter Berufung auf Fachleute
„Misstrauen Sie dem, was Ihr Supervisor noch in der Ausbildung zur Angsttherapie sagte!
Das Prinzip ‚Angsttherapie kommt ohne Exposition nicht aus‘, gilt zwar nach wie vor, aber im Hinblick
auf die optimierte Umsetzung einer Expositionstherapie gibt es wichtige neue Entwicklungen.
Lediglich darauf zu achten, dass Habituation eintritt, vermittelt die falsche Botschaft. Angst soll nicht
per se bekämpft werden, denn sie ist nicht gefährlich. Wichtiger ist es, vielfältige neue Erfahrungen
in angstauslösenden Situationen zu sammeln und zu speichern (Inhibitionslernen) und eine neue
Strategie im Umgang mit Angstgefühlen zu erlernen (MKT, ACT).“
(Hoyer & Heinig, 2015, S. 21)
Der Therapieerfolg ist völlig unabhängig davon, ob während der Exposition die Angst abfällt,
gleich bleibt oder steigt! Im Gegensatz zum bisherigen Verständnis muss Angst bei der Exposition
überhaupt nicht abnehmen. Es geht vielmehr um das Tolerieren-Können von Angst, während durch
die Exposition neue Lernerfahrungen mit sich selbst und mit der Umwelt gemacht werden.
(eigene Formulierung auf der Basis des Inhibitionslernens nach Michelle Craske, 2015)
Man kann auch mithilfe von anfänglichen Sicherheitsverhaltensweisen Agoraphobie dauerhaft
überwinden.
(eigene Formulierung unter Berufung auf Studien von Rachman u.a.)
Zusammenfassender Überblick zum Vortrag:
Neun Aspekte zu Optimierung der Expositionstherapie
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Berücksichtigung neuerer lerntheoretischer Entwicklungen (Inhibitionslernen nach M. Craske)
Berücksichtigung der „dritten“ Welle der Verhaltenstherapie (ACT, MKT, Schema-Therapie u.a.)
Berücksichtigung transdiagnostischer Erklärungs- und Behandlungskonzepte (über Pkt. 2 hinaus)
Berücksichtigung des Konzepts der Emotionsregulierung (z.B. Emotionsvermeidung/-überkontrolle)
Berücksichtigung translationaler Konzepte (medizinisch-biologische Grundlagenforschung)
Berücksichtigung traumabezogener Konzepte (subj. lebensbedrohliche Panikattacke als Trauma)
Ergänzung durch eine virtuelle Expositionstherapie (wenn möglich und sinnvoll)
Differenziertere Bewertung von Sicherheitssignalen und Sicherheitsverhaltensweisen
Berücksichtigung neuerer Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie:
• neuere lernpsychologische Modelle ganz allgemein
• neuere neurobiologische Modelle
• neuere pharmakologische Behandlungskonzepte bezüglich Speicherung des
Erfolgsgedächtnisses während der Exposition
1. Inhibitionslernen nach Michelle Craske (2015) – Allgemeines
• Das Konzept des Inhibitionslernens ersetzt die empirisch wenig abgesicherte emotional processing
theory von Foa & Kozak (1986) sowie das eng damit verbundene Konzept der Habituation.
• Entgegen früheren Annahmen wird bei einer Exposition die konditionierte Angstreaktion (CR)
nicht gelöscht. Vielmehr wird die ursprüngliche Assoziation zwischen dem unkonditionierten Stimulus
(US: z.B. Aufzug, Supermarkt) und dem reaktionsauslösenden konditionierten Stimulus (CS: Atemnot,
Herzklopfen) nur gehemmt (CS≠US) durch eine neu erlernte, nicht angstbesetzte Assoziation.
Extinktionslernen besteht im Aufbau einer kontextabhängigen inhibitorischen CS-US-Assoziation.
Erworbenes Furchtgedächtnis und neu erlerntes Erfolgsgedächtnis stehen in Rivalität zueinander.
Es geht darum, dem Extinktionsgedächtnis mit allen möglichen Mitteln zum Durchbruch zu verhelfen.
• Erfolgreiche Exposition besteht in der Stärkung der inhibitorischen Assoziationen durch Förderung des
Extinktionsverhaltens sowie in der Konsolidierung und Zugänglichkeit des Extinktionsgedächtnisses.
Das Konzept der Extinktion bezeichnet also keine Löschung, kein Vergessen, kein Verlernen, sondern
ein zusätzliches Lernen (die Angst „verlernen“ widerspricht auch neurobiologischen Erkenntnissen).
• Fazit: Anstelle der Abschwächung der ursprünglichen Angst und des dazugehörigen
Angstgedächtnisses durch Habituation geht es beim Inhibitionslernen darum, dass neue
Gedächtniseindrücke erfolgreicher Lernvorgänge gespeichert werden, die das ursprüngliche
Angstgedächtnis relativieren, aber nicht löschen. Die Angstreaktion wird nicht verlernt, sondern
nur nicht mehr gezeigt, sie wird durch entgegengesetzte inhibitorische Assoziationen ergänzt.
1. Inhibitionslernen nach Craske (2015) – die Folgen für die Expositionstherapie
• Menschen mit Angststörungen haben ein Defizit an inhibitorischer Lernfähigkeit. Der Schwerpunkt
der Exposition liegt daher auf einem Lernprozess, auf einem Neu-Lernen, und nicht auf einer
Angstreduktion.
• Im Mittelpunkt steht das Inhibitionslernen und nicht die Habituation an die Angst, denn Habituation
ist nicht der zentrale Lernmechanismus.
• Es geht nicht um die (unmögliche) Löschung von Angstreaktionen, sondern um die Vermittlung
wirksamer Assoziationen in Angstsituationen. Es geht um die Optimierung der Extinktion, wodurch
optimales Inhibitionslernen möglich ist.
• Fazit: Der Erfolg einer Expositionstherapie beruht im Aufbau neuer Lernerfahrungen – nicht in der
(unmöglichen) Löschung alter Lernerfahrungen und auch nicht im Abfall der Angst während der
Konfrontation! Diese Sichtweise deckt sich mit neurobiologischen Erkenntnissen.
1. Inhibitionslernen nach Michelle Craske (2015) – zentrale Punkte
1. Widerlegen angstbezogener Erwartungen – Motto: „Überprüfe deine Erwartungen!“
2. Vertiefte Extinktion – Motto: „Kombiniere sukzessiv verschiedene Angstreize (trinke z.B. Kaffee in
einem Supermarkt oder ziehe dich in einem überfüllten Raum wärmer an)!“
3. Verstärkte (massierte) Extinktion (Extinktion mit gelegentlicher Verstärkung) – Motto: „Lass dich von
deiner Angst immer wieder neu überfluten durch einen Wechsel leichte-schwierige Aufgaben)!“
4. Variierte Extinktion (Stimulus-Variation) – Motto: „Sorge für Abwechslung durch viele Situationen!“
5. Kontextvariabilität (multiple Kontexte: Orte, Zeiten, ohne Partner) – Motto: „Variiere den Kontext!“
6. Verzicht auf Sicherheitsverhalten und Sicherheitssignale – Motto: „Verlass dich auf dich selbst!“
7. Erinnerungsreize (Abrufhinweise) – Motto: „Hole die Erinnerung zurück, nutze Gedächtnisstützen!“
8. Erneute Konsolidierung (Rekonsolidierung) – Motto: „Aktiviere dein Furchtgedächtnis vor der
Exposition (Vorstellung/Erinnerung), um danach eine erfolgreiche Lernerfahrung abzuspeichern!“
9. Verbalisierung der momentanen Empfindungen (Affekt-Labeling: der ventrolaterale präfrontale
Kortex hemmt dadurch die Amygdala) – Motto: „Fasse dein Befinden in Worte!“
10. Aufmerksamkeitsfokus auf dem konditionierten Stimulus (CS) – Motto: „Bleib dran!“
11. Positive Valenz – Motto: „Formuliere das Ziel möglichst attraktiv und stelle es dir auch so vor!“
12. Kognitive Extinktionsverstärker – Motto: „Erweitere dein Gedächtnis mithilfe eines Medikaments!“
2. Die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie – Angstvermeidung ist Erlebnisvermeidung
• Das Konzept der Vermeidung und die Gegenstrategie der Exposition gewinnen durch die
achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Therapiekonzepte eine umfassendere Bedeutung.
Diese aus dem Buddhismus abgeleiteten Ansätze vertreten die zentrale These:
Vermeiden von Erfahrung führt zu Problemen und Leidenszuständen.
ACT-Grundannahme: Der primäre seelische und körperliche Schmerz ist eine ganz normale
menschliche Erfahrung. Erst durch Vermeidungs- und Kontrollstrategien entwickelt sich daraus
der unnötige sekundäre Schmerz, der zu Leidenszuständen führt.
• Der Kampf gegen Ängste ist sinnlos und ein nicht zu gewinnendes Spiel. Von den verschiedenen
Richtungen innerhalb der „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie erweitert vor allem die
Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) das lerntheoretische Konzept der negativen
Verstärkung durch Flucht und Vermeidung in Richtung einer allgemeinen „Erlebnisvermeidung“
(experiental avoidance). Der werte- und handlungsorientierte Ansatz von ACT soll zu mehr
Lebenserfüllung und nicht einfach nur zu weniger Angst führen.
• Exposition ist demnach eine Behandlungsmethode, die die Tendenz zur Erlebnisvermeidung
gegenüber der Außenwelt, das heißt gegenüber von Situationen, und gegenüber der Innenwelt,
das heißt gegenüber Gedanken, Gefühlen und Körpersensationen, unterbricht und damit neue
und hilfreiche Erfahrungen mit sich selbst und der Umwelt ermöglicht.
2. Die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie – zentrale Botschaften
Es werden folgende Botschaften vermittelt:
• Deine Angst muss nicht abnehmen oder verschwinden, damit du erfolgreich handeln
kannst. Es geht vielmehr darum, dass du jene Ziele im Leben anstrebst, die aus deinen
zentralen Werten resultieren.
• Ändere deine Einstellung zu deinen Ängsten. Gib den Kampf gegen die Angst auf und
konzentriere dich auf das, was du erreichen willst, um ein erfülltes Leben führen zu
können. Der Kampf gegen die Angst durch Vermeiden und Unterdrücken ist ein nicht zu
gewinnendes Spiel.
• Exposition stellt in diesem Sinn eine sehr universell einsetzbare Strategie dar.
Letztlich sind alle psychischen Störungen in irgendeiner Weise zumindest auch
Störungen der Wahrnehmung, der Verarbeitung und der Kontrolle von Emotionen.
• ACT und andere „dritte-Welle“-Richtungen weisen auf die zentrale Bedeutung der
Erlebnisvermeidung für die Entwicklung psychischer Störungen (z.B. Angststörungen) hin.
3. Transdiagnostische Konzepte - Allgemeines
Gegenwärtig zeigen sich in der Fachwelt einander entgegengesetzte Tendenzen:
• Auf der einen Seite wird die Zahl der psychischen Störungen immer mehr erhöht (siehe DSM5)
und das Angebot an störungsspezifischen Behandlungsmanualen ständig ausgeweitet.
• Auf der anderen Seite werden aus transdiagnostischer, also Diagnosen übergreifender Sicht
unterschiedliche psychische Störungsbilder durch einander ähnliche dysfunktionale
Problemlösungsversuche zumindest in ihrer Ausprägung verschärft, wenn schon nicht verursacht.
Transdiagnostische Konzepte implizieren symptom- und problemübergreifende Therapien.
Bekanntestes Programm: Unified Protocol for Transdiagnostic Treatments of Emotional Disorders
von David Barlow u.a. (im Frühjahr 2016 auf Deutsch) mit 8 Modulen, u.a.:
• Psychoedukation und besseres Verständnis für Emotionen
• Emotionsbezogenes Wahrnehmungstraining
• Kognitive Umstrukturierung
• Verringerung des emotionalen und verhaltensbezogenen Vermeidungsverhaltens
• Wahrnehmung und Tolerierung körperlicher Empfindungen
• Interozeptive und situationsbezogene Exposition
3. Transdiagnostische Konzepte – spezielle Aspekte
Es handelt sich vor allem um folgende Prozesse:
• Kontroll- und Unterdrückungsversuche von Gedanken, Gefühlen und Symptomen,
• exzessives Vermeidungsverhalten in Bezug auf Emotionen, Körpersensationen und
Situationen,
• Sicherheitsverhalten durch zahlreiche Tricks,
• vergangenheits- und zukunftsbezogenes Grübeln statt effektives Handeln.
Typische transdiagnostische Themen sind:
• das Ausmaß an subjektiver Kontrolle über Situationen,
• die Unfähigkeit, Unsicherheit zu tolerieren,
• der Umgang mit Emotionen.
4. Das Konzept der Emotionsregulierung – mangelnde Angst-Managementfähigkeit
Die mangelhafte Fähigkeit zur Emotionsregulierung ist ein zentraler Risikofaktor für die Entwicklung
einer emotionalen Störung (Angststörung, Depression u.a.). Mit ständigen in-vivo-Expositionen allein
ist dieses Problem nicht lösbar (ähnlich wie bei sozialen Defiziten eine reine Konfrontationstherapie
nicht die Lösung ist).
Menschen mit Angststörungen
• können mit der Intensität und Generalisierung ihrer Angst nicht umgehen, sodass sie zunehmend
mit innerer und äußerer Vermeidung reagieren;
• haben Defizite bezüglich des Inhibitionslernens, sodass die Extinktion erschwert ist;
• können ihre Furcht angesichts bestimmter Reize mithilfe des präfrontalen Cortex nicht so gut
hemmen wie Gesunde;
• haben ein unzureichendes Diskriminationslernen, sodass sie leichter ängstlich reagieren;
• haben eine mangelhafte Fähigkeit zur optimalen Speicherung und Abruffähigkeit von erfolgreichen
Expositionserfahrungen.
5. Translationale Konzepte – Bedeutung der Grundlagenforschung
• Es geht dabei um die Bedeutung der medizinisch-biologischen Grundlagenforschung für die
klinische Praxis, speziell vor allem um die Furcht-Konditionierung und Furcht-Extinktion, die
üblicherweise im Rahmen von Tierstudien erfolgt, und ihre Relevanz für die Expositionstherapie.
Menschen mit Phobien haben eine spezielle Form der Wahrnehmung, verglichen mit anderen
Personen, sodass bei ihnen eher eine Furchtreaktion entsteht. Typische Forschungsthemen sind
derzeit z.B. die Bedeutung des Hippocampus als Ort der Gedächtnisspeicherung, aber auch
epigenetische Aspekte, beispielsweise bei der posttraumatischen Belastungsstörung.
• Von besonderer Bedeutung ist auch ein neuer Forschungszugang zum zusätzlichen Einsatz von
Medikamenten zur Konsolidierung des Extinktionsgedächtnisses, d.h. aus anderen Gründen als
bei der üblichen Kombinationstherapie von Psycho- und Pharmakotherapie.
Nicht nur Antidepressiva, sondern vor allem auch andere Substanzen sind bedeutsam für Lernen
und Gedächtnisspeicherung (D-Cycloserin, Cortisol u.a.). Darauf wird bei Punkt 9 genauer
eingegangen.
6. Traumabezogene Konzepte (Panikattacke als Trauma)
• Die erste oder die schlimmste Panikattacke wird von vielen Betroffenen als subjektive
Todesbedrohung erlebt, so abgespeichert und auch wiedererinnert, d.h. als traumatische Erfahrung
erlebt. Sie ist noch nicht bewältigt durch Psychoedukation über Panikattacken sowie die weitere
Erfahrung der Ungefährlichkeit und die Erweiterung des Bewegungsspielraums nach einer
Expositionstherapie.
• Wie bei posttraumatischen Belastungsstörungen besteht auch bei Panikstörungen oft das Ziel der
Rekonstruktion eines sogenannten „kalten Gedächtnisses“, indem alle heißen Elemente aus
belastenden Erfahrungen verortet und vergeschichtlicht werden (Neuner et al., 2013).
• Es geht um einen effizienteren Umgang mit den Furchtstrukturen nach dem Motto: Neben der
Hemmung der Furchtreaktion soll auch wieder eine bessere Teilnahme am aktuellen Leben erfolgen.
7. Virtuelle Expositionstherapie
Die virtuelle Expositionstherapie (VRET virtual reality exposure therapy) wird mittlerweile
dort, wo sie von den finanziellen Voraussetzungen her möglich ist, immer häufiger
durchaus recht erfolgreich eingesetzt, vor allem bei spezifischen Phobien (z.B. Flugangst,
Höhenangst, Tierphobien), teilweise auch bei sozialer Phobie und bei Panikstörungen, vor
allem aber auch in der Forschung.
Sie bringt jedoch bei Panikstörung mit Agoraphobie neben der Exposition in vivo bei
gleichzeitiger kognitiver Therapie keinen zusätzlichen Behandlungseffekt (wenngleich sie
auch bei dieser Störung durchaus wirksam ist).
8. Differenziertere Bewertung von Sicherheitssignalen
und Sicherheitsverhaltensweisen
• Forschungsbefunde (von Rachman u.a.) haben ergeben: verschiedene Hilfsmittel oder
Sicherheitsverhaltensweisen wie Fluchtmöglichkeit gefährden nicht den Therapieerfolg, sondern
sind zumindest anfangs durchaus sinnvoll: sie vermindern die Verweigerungs- und Abbruchrate,
erleichtern erste Erfolge, fördern die eigenständige Exposition, führen zu längerer Exposition,
ermöglichen trotzdem eine kognitive Neubewertung und einen anhaltenden Therapierfolg und
sind gerade bei schwerer Angststörung effektiver als die konventionelle Expositionstherapie.
• Nicht der anfängliche vollständige Verzicht, sondern das langsame Ausschleichen von
Sicherheitsstrategien im Laufe der Exposition ermöglicht zahlreichen Betroffenen erst den
dauerhaften Therapieerfolg.
• Die weltweit größte Studie zur Exposition bei Panikstörung mit Agoraphobie, durchgeführt als
Multi-Center-Studie in Deutschland, hat ergeben: Bei schwerer Panikstörung mit Agoraphobie
beschleunigt die anfängliche Begleitung durch einen Therapeuten den Therapieerfolg, auch wenn
ein Therapeut als Sicherheitssignal anzusehen ist – Hauptsache, es stellt sich bald ein erstes
Erfolgserlebnis ein, als deren Folge dann eine Exposition allein möglich ist. Ähnlich kann man auch
den Umstand eines anfänglichen Hilfsmittels (wie Handy oder Tranquilizer in der Tasche) sehen.
9. Neuere Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie –
neuere lernpsychologische Modelle ganz allgemein
Forschungen zum Bereich des Extinktionslernens und Umlernens (in Deutschland laufen
dazu verschiedene Forschungsprojekte, und zwar an den Universitäten in Bochum und
Duisburg-Essen).
Diese haben eine große Bedeutung nicht nur für Angststörungen, sondern beispielsweise
auch für posttraumatische Belastungsstörungen, Schmerzstörungen, Essstörungen,
Abhängigkeitserkrankungen, für menschliche Zustände wie Trauer nach Tod oder Verlust des
Partners, aber auch für medizinische Bereiche wie die Immunologie.
9. Neuere Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie –
neuere neurobiologische Modelle
• Inhibition der Amygdala durch den ventromedialen präfrontalen Kortex, was die Grundlage
für das Extinktionslernen darstellt
• Speicherung von Kontextinformationen im Hippocampus, was auch die Basis für ein
erfolgreiches Inhibitionslernen ist
• Bedeutung der Insel-Region für die Interozeption, für die Wahrnehmung und die
Sensibilität bezüglich viszeraler Aktivitäten
• Bedeutung des dorsalen und rostralen anterioren Cingulums für die Antizipation von CS
und US
9. Neuere Entwicklungen außerhalb der Verhaltenstherapie –
neuere pharmakologische Behandlungskonzepte
• bessere Speicherung des Erfolgsgedächtnisses während der Exposition durch die Gabe
von D-Cycloserin (ein Tuberkulose-Mittel), Cortisol u.a.
• Hemmung („Löschung“) des Angstgedächtnisses durch Blutdruckmittel wie Propranolol
(in Österreich Präparat Inderal).
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Für Betroffene werden diese neuen Sichtweisen von Exposition dargestellt in:
Morschitzky, H. (2015). Endlich leben ohne Panik. Die besten Hilfen bei Panikattacken.
Munderfing: Fischer & Gann Verlag. – Dazu gibt es auch eine App für IOS und Android.
Morschitzky, H. (2017). Endlich frei von Platzangst. Das Leben zurückerobern. PatmosVerlag.