ver.di-Bundesverwaltung Ressort 4 Bereich Mitbestimmung 6.8.2014 Neue Aufgabe für den Aufsichtsrat: Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand, im Aufsichtsrat und in den beiden obersten Führungsebenen Am 1.5.2015 ist das „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ in Kraft getreten. Es hat u. a. zahlreiche Vorschriften, die für Aufsichtsräte relevant sind, geändert oder neu eingefügt. Für wen gilt die 30%-Geschlechterquote? Der in der Öffentlichkeit stark beachtete Teil des Gesetzespakets ist die Einführung einer Geschlechterquote von mindestens 30% Frauen und mindestens 30% Männern im Aufsichtsrat (vgl. § 96 Absatz 2 Aktiengesetz). Die Quote ist ab 1. Januar 2016 zu beachten, gilt aber nur für gut 100 Unternehmen in Deutschland. Das sind Unternehmen, die a) börsennotiert sind und b) zusätzlich einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat haben (z. B. nach dem Mitbestimmungsgesetz). Im ver.di-Organisationsbereich gilt die Regelung zur Geschlechterquote für ca. 40 Unternehmen. Achtung! Wir empfehlen unseren Mitgliedern in diesen Aufsichtsräten, durch Beschluss der Arbeitnehmerbank rechtzeitig einen Widerspruch gegen die sogen. Gesamterfüllung zu beschließen. Nur so wird sichergestellt, dass jede Seite im Aufsichtsrat die Geschlechterquote bei ihren Mandaten erfüllen muss. Eine Wahl mit Gesamterfüllung birgt rechtliche Risiken und würde obendrein in etlichen Fällen dazu führen, dass die Anteilseignerseite von dem 1 höheren Frauenanteil auf der Arbeitnehmerseite profitieren würde. Zur Geschlechterquote gibt es in Kürze eine gesonderte Veröffentlichung des Bereichs Mitbestimmung Welche Unternehmen müssen künftig Zielgrößen beschließen? Die zweite Säule des neuen Gesetzes bestimmt die verpflichtende Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand (Geschäftsführung), im Aufsichtsrat und den obersten Führungsebenen des Unternehmens. Diese Regelung betrifft in Deutschland ca. 2500 Unternehmen. Voraussetzung: das Unternehmen muss a) entweder börsennotiert sein oder b) einem der Mitbestimmungsgesetze unterliegen (MitbestG, Drittelbeteiligungsgesetz, MontanMitbestG, Mitbestimmungs-Ergänzungsgesetz). Was beinhaltet eine Zielgröße? Mit einer Zielgröße wird festgelegt, welcher Frauenanteil in einem bestimmten Bereich (z. B. im Vorstand) bis zu einem ebenfalls festzulegenden Termin erreicht werden soll. Die jeweilige Zielgröße kann prozentual oder in absoluten Zahlen beschrieben werden. Über die Zielgrößen muss das Unternehmen – meist im sog. Lagebericht – berichten und bei Nichterreichung der Zielgröße auch die Gründe offenlegen. Weitere Sanktionen gibt es nicht. Wer muss die Zielgrößen für den Frauenanteil beschließen? Grundsätzlich gilt folgende Kompetenzverteilung: • Der Aufsichtsrat muss für seine eigene Zusammensetzung und für den Vorstand die Zielgrößen beschließen (vgl. § 111 Absatz 5 AktG). • Der Vorstand (bzw. die Geschäftsführung) muss die Zielgrößen für die beiden obersten Führungsebenen beschließen (vgl. § 76 Absatz 4 AktG). Diese Aufgabenteilung gilt für die Aktiengesellschaft, die europäische Aktiengesellschaft (SE), die Genossenschaft und die paritätisch mitbestimmte GmbH. Für die drittelbeteiligte GmbH ist vorgesehen, dass die Gesellschafterversammlung Zielgrößen für den Frauenanteil in der Geschäftsführung und im Aufsichtsrat festlegt, es sei denn, sie hat diese Aufgabe dem Aufsichtsrat übertragen. 2 Welche Fristen sind zu beachten? Die ersten Beschlüsse zu den Zielgrößen müssen bereits bis 30. September 2015 gefasst sein. Zudem sind Fristen zur angestrebten Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Frist zur Zielerreichung darf hier erstmalig maximal bis zum 30. Juni 2017 laufen. Die folgenden Fristen dürfen nicht länger als jeweils fünf Jahre sein. Alle betroffenen Aufsichtsräte müssen also in den nächsten Wochen – durch ordnungsgemäßen Beschluss - festlegen, welche Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand bzw. in der Geschäftsführung und im Aufsichtsrat selbst gelten. Ausnahme: in Unternehmen, für die bereits die zwingende Geschlechterquote von 30% gilt, entfällt die Festlegung einer Zielgröße für den Frauenanteil im Aufsichtsrat. Ebenfalls bis zum 30. September 2015 muss der Vorstand (bzw. in der GmbH die Geschäftsführung) die Zielgröße für den Frauenanteil in den beiden obersten Führungsebenen des Unternehmens beschließen. Auch diese Zielgrößen sollen bis zum 30.06.2017 erreicht werden. Dass die Zielvorgaben für die oberen beiden Führungsebenen vom Vorstand bzw. von der Geschäftsführung festgelegt werden, schließt eine Einflussnahme und Beteiligung des Aufsichtsrats nicht aus. Im Gegenteil: Da der Aufsichtsrat verpflichtet ist, die Unternehmensleitung zu überwachen und darauf zu achten, dass gesetzliche Vorgaben korrekt umgesetzt werden, sollte er den Vorstand (bzw. die Geschäftsführung) auf jeden Fall auffordern, die Überlegungen zu den Zielgrößen für die obersten Führungsebenen vorab dem Aufsichtsrat vorzustellen. Die nächste Sitzung des Aufsichtsrats sollte genutzt werden, um das Thema Zielgrößen mit dem Vorstand zu erörtern und zu versuchen, eine gemeinsame Herangehensweise zu finden. Welche rechtlichen Vorgaben gelten für die Zielgrößen? Die neuen Vorschriften enthalten nur wenige zwingende Vorgaben: Es gibt keine Mindestvorgabe für die Zielgrößen. Eine Zielgröße kann also theoretisch zwischen null und hundert Prozent liegen. Liegt aber der Frauenanteil (im Aufsichtsrat, im Vorstand oder bei den beiden obersten Führungsebenen) bislang unter 30%, so darf die Zielgröße den bestehenden Anteil nicht unterschreiten (vgl. § 111 Absatz 5 Satz 2 AktG für Festlegungen durch den Aufsichtsrat, § 76 Absatz 4 Satz 2 AktG für Festlegungen durch den Vorstand). 3 Für jede Zielgröße muss eine Frist zur Erreichung der Zielgröße beschlossen werden. Sie kann höchstens fünf Jahre betragen (bei der erstmaligen Festlegung aber nur max. bis 30. Juni2017). Liegt also der Ist-Zustand unterhalb von 30%, darf die festzulegende Zielgröße diesen Anteil nicht unterschreiten. Sind jedoch bereits mehr als 30% Frauen im Aufsichtsrat oder im Vorstand oder auf den beiden obersten Führungsebenen vertreten, so kann die Zielvorgabe rein juristisch bei einem niedrigeren Wert ansetzen (was allerdings gleichstellungspolitisch kontraproduktiv und daher sachlich kaum begründbar wäre). Eine Zielgröße von null Prozent mag rechtlich zulässig sein, sie wäre aber das Anspruchsloseste, was ein Aufsichtsrat tun kann. Im Übrigen würde sie das gleichstellungspolitische Ziel des Gesetzes verfehlen. Andererseits sollte eine Zielgröße nicht aus der Luft gegriffen sein, sondern auf sachlichen Überlegungen und nachvollziehbaren Planungen basieren. Dabei sind alle Möglichkeiten ernsthaft auszuloten, um die Ziele der Gesetzgebung umzusetzen. Das gilt besonders hinsichtlich des Frauenanteils in den Vorständen, denn hier bestehen die größten Defizite! Behandlung des Themas „Zielgrößen“ im Aufsichtsrat Bevor der Aufsichtsrat über die Zielgrößen beschließt, sollte er sich umfassende Informationen über die Geschlechteranteile im Unternehmen beschaffen. Dies kann bei der Zielgröße für den Frauenanteil im Vorstand unter dem Aspekt einer Nachwuchsplanung relevant sein. Die Aufsichtsratsmitglieder sollten den Vorstand bzw. die Geschäftsführung auffordern, vor einer Entscheidung über die geplanten Zielvorgaben bei den beiden obersten Führungsebenen im Aufsichtsrat zu berichten, um auch in diesen Bereichen, die der Unternehmensleitung unterstehen, die geplanten Maßnahmen bzw. Vorhaben zu kennen. Dazu sollte der Aufsichtsrat anfordern: Angaben zum Geschlechterverhältnis in der Belegschaft, Informationen über die beiden obersten Führungsebenen (Tätigkeitsbereich, Anzahl der Personen, Geschlechterverhältnis, Alter und potentielle Veränderungen), ggf. auch zum Unterbau der beiden obersten Führungsebenen (z. B. Auflistung der AT-Gruppen). Ferner sollte dargelegt werden, mit welchen Maßnahmen/Konzepten die jeweiligen Zielgrößen erreicht werden sollen. Zielgrößen ohne hinterlegte Maßnahmen zu ihrer Erreichung sind abzulehnen. Im Anschluss an den Beschluss des Aufsichtsrats ist eine regelmäßige Kontrolle der Zielerreichung und der eingeleiteten Maßnahmen sicherzustellen. Eine Beschlussfassung über Zielgrößen im Umlaufverfahren wird regelmäßig der Bedeutung dieser Aufgabe nicht gerecht. Eine ernsthafte Befassung setzt u. a. auch eine inhaltliche Dis4 kussion innerhalb des Aufsichtsrats sowie zwischen Vorstand und Aufsichtsrat voraus. Sollte dennoch – bei der erstmaligen Beschlussfassung über die Zielgrößen – anstelle einer zusätzlichen Präsenzsitzung ein Umlaufverfahren durchgeführt werden, dann sollte die erste Frist zur Erreichung der Zielvorgaben z. B. auf ein Jahr verkürzt werden, um dann im nächsten Jahr mit mehr Zeit und besserer Informationsgrundlage für die Zukunft fundierte Entscheidungen treffen zu können. Bedeutung der Zielgrößen für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats Die Zielgrößen haben keine verbindliche Wirkung für künftige Wahlen der Arbeitnehmervertreter/-innen im Aufsichtsrat. Für diese Wahlen gilt vielmehr das jeweilige Mitbestimmungsgesetz nebst Wahlordnung. Nach der ver.di-Richtlinie für AR-Wahlen gilt aber (immerhin schon seit 2003), dass bei ver.di-Wahlvorschlägen für AR-Wahlen die Geschlechter entsprechend unserer organisationspolitischen Grundsätze zu beachten sind. Die Zielgrößen, die wir im Aufsichtsrat beschließen, sollten für uns daher eher nur die Untergrenze für den Frauenanteil auf der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat sein. Die Zielgröße für den Aufsichtsrat könnte künftig von Bedeutung sein, wenn beim Ausscheiden eines Aufsichtsratsmitglieds (ohne Ersatzmitglied) eine gerichtliche Bestellung erforderlich wird. Das zuständige Registergericht hat bei seiner Entscheidung einen weiten Ermessensspielraum; daher ist es möglich, dass das Gericht sich zunächst beim Unternehmen nach der geltenden Zielgröße für den Frauenanteil im Aufsichtsrat erkundigt und in dem Fall, dass die Zielgröße noch nicht erreicht wurde, dazu auffordert, eine Frau zur Bestellung vorzuschlagen. Hier bleibt die gerichtliche Praxis abzuwarten. Veröffentlichung der Zielgrößen und Bericht über deren Erreichung oder Nichterreichung Die börsennotierten Unternehmen müssen die Zielvorgaben und die dazu gehörigen Umsetzungsfristen in einer Erklärung zur Unternehmensführung veröffentlichen, alle übrigen Unternehmen in der Regel im Lagebericht. Jedes Jahr hat das Unternehmen darüber zu berichten, welche Zielgrößen erreicht werden sollen. Am Ende der beschlossenen Frist für die Erreichung der Zielgröße muss das Unternehmen berichten, ob die Vorgaben erfüllt worden sind. Dabei müssen insbesondere auch die Gründe für das Nichterreichen einer Zielgröße angegeben werden. 5 Das ist zugleich die einzige Form einer „Sanktion“: Sollten die Zielgrößen am Ende der Frist verfehlt werden, muss das Unternehmen in seinem Lagebericht erklären, welche Maßnahmen getroffen worden sind und warum diese nicht dazu beigetragen haben, die Ziele zu erreichen. -------------------------------------------------------------------------------------------------------Verfasser: Martin Lemcke, August 2015 Für weitere Fragen steht der Bereich Mitbestimmung in der ver.di-Bundesverwaltung zur Verfügung: Per E-Mail: [email protected] Telefon: 030 – 6956 -1370 /1375 6
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