SEK‐AV,2.11.2015 TheologischeHerausforderungenfürdasReformationsjubiläum2017 ChristinaAusderAu SehrgeehrteKolleginnenundKollegen,liebeBrüderundSchwestern! Reformationsjubiläum 2017 – viele von Euch und Ihnen können es vielleicht schonbaldnichtmehrhören...dabeihatesnochgarnichtangefangen!Aberder SEKhatjaauchnochZielefürdiesesJahr,untervielenanderenaucheinLegisla‐ turziel,nämlich: „die Entdeckungen der Reformation für heute neu fruchtbar machen und das christlicheZeugnisderprotestantischenKirchenverstärken.“1 DazumöchteichIhnenhiergernedreitheologischeHerausforderungenderRe‐ formationskizzieren,fürdieichjeweilseinenReformatoralsKronzeugenanfüh‐ re.ZurweiterenDebatteanstossenmöchteich: ‐ erstensfürunserVerständnisvonKirchesein–undhiererinnereichan Calvin, der sagt, Wer also Gott zum Vater hat, der muss auch die Kirche zurMutterhaben.2 ‐ zweitens für unsere Kommunikation des Evangeliums, und dafür ziehe ichLutherhinzu,derdemVolkaufsMaulschauenwill.3 ‐ Unddrittensfürdas,wasich,nichtnurderAlliterationgeschuldet,Kon‐ vivenznennenmöchte,diekonkretenExistenzmitundinderWelt,und dafür bringe ich Zwingli als Kronzeugen, für den das Reich Gottes nicht nurinnerlich,sondernauchäusserlichzurDarstellungkommenmuss.4 I. Calvin:Kirche! CalvinistderspätestederdreiReformatoren.ErlässtsichvonLutheranstecken undmachtsichnacheinigenWirreninGenfdaran,eineKircheaufzubauen,die wirklichundwahrhaftigchristlicheKircheist.ErgerätallerdingsbaldinKonflikt 1http://www.ref‐500.ch/de/einfuehrung(1.11.15) 2InstitutioIV,1,1. 3SendbriefvomDolmetschen1530,WA30/7,637. 4ZIX,454,16‐17(indirekterAuseinandersetzungmitLuther):„VultergoChris‐ tus,etiaminexternismodumteneri,eumqueimperat;nonestigitureiusregnum nonetiamexternum.“,zitiertin:ArthurRich,ZwinglialssozialpolitischerDen‐ ker,in:Zwingliana13/1(1969),67‐89. 1/7 mit dem Genfer Rat und den Bürgern und wird der Stadt verwiesen. In Stras‐ bourg kann er ungestört arbeiten und seine Kirche aufbauen, aber als er hört, dassdieGenfervon„Rom“umworbenwerden,schickterdem„Versucher“Kar‐ dinalSardoleteinesoglänzendeVerteidigungderreformatorischenErneuerung derKirche,dassihndieGenferinallerFormzurückrufen.Dortarbeiteteer–al‐ lesanderealsunumstritten–biszuseinemTod23JahrespäterandieserErneu‐ erung. Was, wenn wir uns hier und heute herausfordern liessen von Calvin dem Kir‐ chenlehrer,derkonsequentdaraufbesteht,dassalleinederDienstamWortund dieFeierderSakramentedieKircheausmachen,auchwennsiesonstmitaller‐ handGebrechenundFehlerbehaftetseinmag?Unddasallesanderealsimblin‐ denBuchstabenglaubenundauchnichtimblindenKirchenglauben,5sondernals Erkenntnis, wovon die Bibel wirklich redet, nämlich von Gott und dem Men‐ schen: „Alle unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfasst im Grunde eigentlich zweierlei: die Er‐ kenntnisGottesundunsereSelbsterkenntnis.“6 DieErinnerunganKircheseinheisstnatürlichoffeneTüreneinrennenbeimSEK. Und es istein wunderbares Zeichen, dass Kirche mehr ist als das Gärtchen der eigenenKirchgemeinden,wennsichdieeuropäischenGEKE‐Synodalen2017in Bern und die GEKE‐Vollversammlung 2018 in Basel treffen. Das sind tolle Be‐ gegnungenundErfahrungen–fastwieKirchentag! Aber Kirche findet auch im Schweizerischen Alltag statt. Kirche im Sinne von Calvin als ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit, Wächterin von Gottes WahrheitundHüterinvonPredigtundSakrament.WennsiedasüberdieJahr‐ hundertehinwegverantwortungsvolltunwill,dannmusssiesichdemStudium des Wortes Gottes widmen – und das heisst: Theologie treiben! Wie kann eine Kirchebestehen,derenVertreterundVertreterinnen,derenLeiterinnenundLei‐ ter sich vorwiegend mit soziologischen Studien, empirischen Untersuchungen undorganisationstheoretischenÜberlegungenbeschäftigen?!Wasistdasfürei‐ ne Kirche,die sich anMitgliederzahlen undMitgliederwünschenmisst, dieihre 5InstitutioIII,2,2. 6InstitutioI,1,1. 2/7 SEK‐AV,2.11.2015 PfarrerinnenundPfarrerpredigenlässt,wasihnenindenSinnkommtunddie sieSakramentefeiernlässt,oftinstaubigerVernachlässigungundlustloserUn‐ wissenheit?! MüsstenwirnichtinallerHerausforderungdurchdieMegatrendsderZeitgeiste alsKirchezuerstundzunächstwiederTheologietreiben?UnsvomWortGottes herausfordernlassenundvonnichtsanderem?Nichtnuralleineundisoliertals PfarrerinnenundPfarrer,sondernauchundgerademitalldenen,dienachGot‐ tes‐ und Menschenerkenntnis suchen? Müssten wir unser Heil – unser eigenes unddasjenigeunsererKirche–nichtzunächstundzuvorderstsucheninderge‐ meinsamenundfortwährendenAuseinandersetzungmitdemWortGottes?Das istdurchauseinVotumfürdasRingenumeinBekenntnis–nichteinmalig,son‐ dernunabgeschlossenunddeswegenimmerwieder.UndesisteinVotumfürei‐ neintensiveAuseinandersetzungmitdenSakramenten–systematischundprak‐ tisch theologisch. Calvin nennt die Vernachlässigung desAbendmahls ein „ganz sicheresFündleindesTeufels“.7WielernenwirGottesGegenwartzuschmecken und zu sehen? Und wie machen wir das so, dass es ausstrahlt in den Alltag – nichtnurinunseren,sonderndenAlltagderGesellschaft,derDörferundStädte. Wie strahlen wir aus, dass wir nicht nur Gott zum Vater haben, sondern auch KirchezurMutter? II. Luther:Kommunikation! Calvin übernimmt das Wesen der Kirche aus der Confessio Augustana, aber er ergänzt:Sieistnichtnurdort,wodasEvangeliumreingepredigtunddieSakra‐ menteevangeliumsgemässgereichtwerden,sonderndort,wodiesesEvangelium auchgehörtwird!UndHörenbedingtVerstehen,dashatseinerseitsMartinLu‐ therwohlverstanden.EristnichtnuralsdergrosseReformator,sondernauch als der grosse Bibelübersetzer in die Geschichte eingegangen – nicht wörtlich, sondernso,dasses„dieMutterimHause,dieKinderaufderGasseundderge‐ meinde Mann auf dem Markte“ verstehen könnten – was ihn dazu führte, sein berühmtes „sola“ einfach so in den Text von Röm 3, 28 einzufügen. Dort steht 7InstitutioIV,17,46. 3/7 nämlichimTextnichtsvonsolagratia,„alleindurchdenGlauben“,sondernnur „durchdenGlauben“. EsgibtimmernochvieleneueBibelübersetzungen,auchsolche,wiedieBibelin GerechterSprache,diesichgegenAnfeindungenwehrenmusste,weilihreExe‐ getinnenundExegetenliebgewordeneÜbersetzungenoderTextgenauigkeithin‐ tersichliessenzugunstenvontheologischenÜberlegungen. AberwirhabennochmalseinganzanderesÜbersetzungsproblem!EineTheolo‐ ginundJournalistinsagtineinerspannendenDiskussionüberdieKommunika‐ tiondesEvangeliums,„Für„normale“MenschenistdasEvangeliumeineWort‐ hülse.EssindschöneWorte,abersiesindleer.“8 Wiekriegenwireshin,dasswirimReformationsjubiläumnichtnurschöneWor‐ teproduzieren,diefür„normale“Menschenleersind,sondernauchvolle,gefüll‐ te Worte? Dafür können wir nicht mit nur auf die „Soli“ verweisen, und auch „Glaubemachtfrei“istnichtsehrüberzeugend. Werwillüberhaupthören,waswirzusagenhaben?WenndieKirche,dieChris‐ tinnenundChristendieAntworthaben,wasistdanndieFrage?Hatüberhaupt jemanddadraussennochFragen,aufdiewirAntwortenzubietenhaben? Dasjenige,wasdieReformatorenalsdasWesentlicheindenEvangelienundder gesamten Bibel wiederentdeckt haben – die bedingungslose Zuwendung Gottes zumMenschen–verstehtdasjemand?Interessiertdasjemanden? KommunikationdesEvangeliums–undnichtnurKommunikationdesReforma‐ tionsjubiläums!–unddaswiebeiLuthernichtalsblosseÜbersetzung,sondern als Verlebendigung, Visualisierung, Verleiblichung des Wortes Gottes in die Probleme,FragenundFreudendesAlltagshinein.EinAuftrag,deranjedenEin‐ zelnenvonunsgestelltist,aberundvorallemauchandieKirchealsKommuni‐ kationsgemeinschaft,welchedasEvangeliuminPredigtundSakrament,undda‐ bei auch in neue Formen und Möglichkeiten übersetzt, ansteckend vermittelt undbefreiendverkündet.MüsstenwirnichtinderNachfolgeLuthershiernoch vielmutiger,fröhlicherundkreativersein,wennwirdasEvangeliumsoverkün‐ denwollen,dasseshierundjetztgehörtundverstandenwird? 8http://www.ref.ch/glaube‐spiritualitaet/herbstgespraech‐teil‐1‐ kommunikation‐des‐evangeliums‐mission‐impossible/(21.9.15). 4/7 SEK‐AV,2.11.2015 III. Zwingli:Konvivenz! Undjetztnochdasdritte!Ichhabelangegesucht,obwireinK‐Wortfinden,das dasjenigeaufdenPunktbringt,wasichvonZwinglibeisteuernmöchte:die–vor allemreformierte–Überzeugung,dassChristseinaucheineöffentlicheDimensi‐ onhat,eineVerantwortunginderWeltundfürdieWelt,weilChristusKönigal‐ lerLebensbereicheistundsichdasimLebenvonChristundKircheauchmani‐ festierensoll. Konvivenz,unserglücklicheFund,beinhaltetgenaudies.UrsprünglicheinBegriff aus der brasilianischen Befreiungstheologie von Paulo Freire, der die Lebens‐ und Hilfsgemeinschaft unter der armen Bevölkerung bezeichnete, welche dann im kirchlichen Bereich zu Basisgemeinden wurden. Der Missionstheologe Theo Sundermeier hat den Begriff übernommen für sowohl die binnenkirchliche als auchdieinterreligiöseGemeinschaft.KonvivenzheisstZusammenlebenmitdem AnderenundFremden,derunddienichtalsDefiziente,sondernalsEbenbürtige wahrgenommenwird. Sundermeier verwendet den Begriff im missionstheologischen Zusammenhang. Was,wennwirihn–imGefolgevonZwingli–fürdieExistenzderKircheinder säkularenundmultireligiösenGesellschaftausweiten? Zwingli,derReformatorausdenToggenburgerBergen,dersichschonalskatho‐ lischer Priester in Glarus in die eidgenössische Politik und das Söldnerwesen einmischteunddasReichGottesnichtnuralseininnerliches,sondernauchals ein äusserliches Reich vertrat. Die kommende Gerechtigkeit Jesus des Christus hat hier und jetzt schon zu tun mit den äusseren Verhältnissen in der Welt. Zwingli schreibt – lange vor Bonhoeffer ‐ : “Wer könnte leugnen, dass der Tag desHerrngekommenist?NichtderletzteTag,woderHerrdieganzeWeltrich‐ tenwird,sonderneinvorletzterTag,dadiegegenwärtigenVerhältnisseerneuert werden.“9 DervorletzteTagistangebrochen,dasReichGottesisthierundjetztunteruns undverändertjetztschondieWelt–abernichtso,wieesdieSchwärmerunddie 9Deveraetfalsareligionecommentarius,ZwingliWerke,BdIII,633. 5/7 Bauernwollten,dassessichschonganzundgarhierrealisierenwürdeunddas Vorletztegarnichtmehrgelte. In der Studie von Frank Mathwig und Felix Frey„Sorgt für das Recht!“ ist wun‐ derbar ausgeführt, wie gerade eine direkte Demokratie ein Interesse daran ha‐ ben muss, dass „fremde Richter“ dafür sorgen, dass auch für die ohne Stimme gesorgtist.IndergegenwärtigenSituationistdiesbrisanterdennje. Nur‐dasWesendergöttlichenGerechtigkeitistnichtderfremdeRichter,son‐ derndieLiebe,undimLiebesgebotsinddennauchalleForderungendergöttli‐ chenGerechtigkeitzusammengefasst.DieLiebeistfürChristinnenundChristen dasMass,andemallesgemessenwerdensoll–unddasführtzueinerradikalen Gesellschaftskritik.ZwinglihatsichzwarentschiedenvondenSchwärmerndis‐ tanziert. Er wirft ihnen vor, dass sie den Unterschied zwischen göttlicher und menschlicherGerechtigkeitverwischenwürden,weilsiesoLiebevonmenschli‐ cher Seite her erzwingen. Göttliche Gerechtigkeit kann nur von Gott her kom‐ men,undderletzteTagdesHerrnlässtsichnichtausdemVorletztenherzwin‐ gen. AberallesVorletztemussvomLetztenhergesehenwerden.DiemenschlicheGe‐ sellschaftbleibtaufdasReichGottesbezogenundmusssichanihrmessenlas‐ sen.Dashatimmer„Luftnachoben“,undkeinemenschlicheInstitutionhateinen Absolutheitsanspruch. Dass es Luft nach oben hat, erkennt man allerdings nur, wenndazuvonGotther„Oberlicht“10herkommt,wieesKarlBarthgernenennt. WennnunderStaatdiesvergisst,istesnichtnurandenfremdenRichtern,son‐ dernvorallemauchanderKirche,ihndaranzuerinnern.DieKircheistaufdas prophetische Wächteramt verpflichtet, die sozialethische Verantwortung der ChristinnenundChristenimGefolgederalttestamentlichenPropheten,denStaat aufdenSchutzderSchwachenundHilflosenzuverpflichten.Diesistradikalerals eseinevölligeAbsageanpolitischeGegebenheitenwäre,weileseinJazumZu‐ sammenleben, ja zum politischen Mitdenken beinhaltet, ja einer Konvivenz. NichtgegendenStaatKirchesein,nichtohnedenStaat,sondernmitdemStaat, 10KarlBarth,DerRömerbrief1922.Zürich1984(unveränd.Abdruckvon1922), 116. 6/7 SEK‐AV,2.11.2015 so dass dieser Staat innerhalb und ausserhalb seiner Grenzen sich einsetzen kannfürmenschenwürdigesLeben. Es kann auch sei, dass dies gelegentlich auch radikaler ist als eine demokratie‐ theoretische Reflexion und Kirche im Sinne des ÖRK nicht nur eine Legitima‐ tionsfunktionfürdenStaathat,sonderndafüreinstehtdass:„WerimLebenwe‐ nighat,sollmehrimRechthaben.“11 HiessedamitnichteinReformationsjubiläum‐geradeinreformierterTradition, dasssichKirchedazuvonderBesinnungaufdasEigenelöstunddarübernach‐ denkt,wassiezutunhatinderWeltundfürdieWelt?Woundwiesiesichein‐ setzenmussfürdieSchwächsten,dieVerfolgten,dieWitwenundWaisen?Was wäre, wenn wir hier nicht nur dem kirchlichen Mainstream der Reformation nachdenkenundnachleben,sondernauchdenpolitischenundkritischenradika‐ lenFlügeln? IVFazit KircheernstnehmenalsGeschöpfdesWortes,KommunikationdesEvangeliums, sodasseshierundheutewiederverständlichwirdundKonvivenzalsmitStaat undZivilgesellschaftgemeinsamesEngagementfürdasReichGottes,zwarnoch nicht,aberdochschonjetzt–dreiHerausforderungenderReformatorenanun‐ serKircheseinüberdieJahrhundertehinweg.Wennwirunsdavonprovozieren lassen,hat,someineich,sichdasReformationsjubiläumgelohnt. 11ZitiertimBerichtvonMathwig/Frey,4/21. 7/7
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