Thomas Manns republikanische Wende?

Dr. Tim Lörke
Thomas Manns republikanische Wende? im Rahmen der Sektion „Von Denkfiguren und
Klischees“
Die Entwicklung von Thomas Manns politischen Vorstellungen ist in der Forschung noch
immer ein scharf umstrittenes Feld. Eines steht dabei aber scheinbar außer Frage: die
sogenannte republikanische Wende, die Thomas Mann 1922 vollzogen habe, als er sich
bedingungslos auf die Seite der Weimarer Republik stellte. Die Metapher der ‚Wende‘ setzt
voraus, dass Thomas Mann zuvor ein antidemokratischer Monarchist gewesen sei, der sich
nun, eines Besseren belehrt, zu einem Demokraten gewandelt habe.
Der Vortrag zeigt, dass von einer radikalen Wende nicht gesprochen werden kann. Denn wie
schon Thomas Manns Kriegsessays bis hin zu den Betrachtungen eines Unpolitischen bei
einer genauen Lektüre zeigen, kann man nicht von einem monarchistisch gestimmten Thomas
Mann sprechen, vielmehr zeugen bereits diese Essays von der Distanz, in der Thomas Mann
zum Deutschen Reich und seiner politischen Verfassung steht. Und auch seine
demokratischen Interventionen nach 1922 entwerfen letztlich eine Idee von Demokratie, die
mit heutigen Vorstellungen nicht leicht zu vermitteln ist. Allein seine Begründung, für die
Republik zu stehen aus romantischer Haltung, verweist darauf.
Thomas Manns politische Idee einer besonderen Demokratie wird aus seinen Texten
entwickelt. Deutlich wird dabei, dass der Begriff der republikanischen Wende vor allem eine
heutige Demokratiedefinition zugrunde legt, die Manns eigene Begriffsbestimmung eher
verdeckt und darum seinen Essays nicht angemessen ist. Damit wird keineswegs Thomas
Manns beherzte Abwehr des Nationalsozialismus in Frage gestellt, es wird vielmehr deutlich,
auf welcher Grundlage er die sich etablierende Diktatur verabscheut.