Jens Ole Schneider, M - Deutsche Thomas Mann

Jens Ole Schneider, M.A.
Künstlertum mit bürgerlichem Gewissen. Manns Storm-Rezeption und die Ästhetik des
‚Uneigentlichen Erzählens‘ in Buddenbrooks
„Meine Verbindung mit Storm“, so schreibt Thomas Mann in den Betrachtungen eines
Unpolitischen, „ist Stammesverwandtschaft […].“ Gegen den antibürgerlichen
„Mönchsästhetizismus Flauberts“ repräsentiere Theodor Storm, so Mann, den Inbegriff des
„bürgerlichen Künstlertyps“, der sich zwar in Opposition zu seinem Milieu befindet, ohne
allerdings dessen Werte und Normvorstellungen ganz zu verabschieden.
Der Vortrag wirft die Frage auf, inwiefern die Thomas Manns Storm-Rezeption leitende Idee
eines ‚Bürgertums auf Abwegen‘ bzw. eines ‚Künstlertums mit bürgerlichem Gewissen‘
bereits in seinem Roman Buddenbrooks zum Ausgangspunkt einer narrativen
Darstellungsform wird. Die These lautet, dass sich Mann in seinem frühen Roman einer
Ästhetik bedient, die man mit dem Narratologen Wolf Schmid als ‚Uneigentliches Erzählen‘
beschreiben könnte: Obwohl nämlich in den Buddenbrooks auf den ersten Blick ein
nullfokalisierter, mit enormen Überblickskompetenzen ausgestatteter Erzähler auftritt, zeigt
sich beim näheren Hinsehen, dass dessen Erzählweise durch die Zeit- und
Raumwahrnehmung und nicht zuletzt durch den ‚Idiolekt‘ des dargestellten bürgerlichen
Milieus eingefärbt ist. Im Rahmen eines narratologischen close readings möchte zeigen, dass
selbst dort, wo der Erzähler die größte skeptische Distanz zu den Figuren aufbaut, nämlich in
der Darstellung von Krankheit und Verfall, er sich bestimmter Begrifflichkeiten und
Formulierungen bedient, die aus der Denk- und Redeweise der Figuren übernommen sind.
Abschließend soll überprüft werden, inwiefern das ‚Uneigentliche Erzählen‘ Manns Vorläufer
in der Erzähl- und Darstellungsweise Theodor Storms hat, ob und inwiefern sich somit das
Verhältnis Manns zu Storm nicht nur auf inhaltlich-thematischer, sondern auch auf formalästhetischer Ebene beschreiben lässt.