Akutes Koronarsyndrom – ST-Elevationsmyokardinfarkt Definition

Lernhilfen zur Hauptvorlesung „Kardiologie“ WS 2015/2016 Hildebrandt/Schmidt/Baars
Akutes Koronarsyndrom – ST-Elevationsmyokardinfarkt
Definition: „Akutes Koronarsyndrom“
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Sammelbegriff für verschiedene Phasen der koronaren Herzerkrankung, die unmittelbar lebensbedrohlich sind
umfasst einen fließenden Übergang von der instabilen Angina pectoris, dem Infarkt
ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) bis zum Infarkt mit ST-Streckenhebung (STEMI)
vorläufige Diagnose bei Patienten mit längeranhaltender Angina pectoris (> 20 min),
solange zwischen einem akuten Myocardinfarkt und einer instabilen Angina pectoris
noch nicht unterschieden werden kann
Auslöser:
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Schwere körperliche Belastung
Ärger, Angst
Schwere Trauerfälle
Starke berufliche Anstrengungen
Abusus von Kokain oder Mariuhana
Infektionen der Atemwege und übermäßiges Essen
Ursachen:
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65% der Fälle: Plaqueruptur
35% der Fälle: Plaqueerosionen
Symptome:
(1) Typische Symptome:
• länger andauernder präkardialer Vernichtungsschmerz, der auch nach mehrmaliger
Nitro-Therapie fortbesteht -> nitro-refraktär!
• Ausstrahlung nach linksthorakal, in den Kiefer, den linken Arm, den Oberbauch oder
Rücken
• Todesangst, Dyspnoe
• nächtliches Erwachen mit Schmerzen im Brustkorb
• kalter Schweißausbruch, fahles, gräuliches Aussehen
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(2) A-typische Symptome: -> Frauen, Diabetiker, Patienten > 65 Jahre
• Schwindel
• kalter Schweiß
• Übelkeit, Brechreiz, Angst
• Oberbauchschmerzen
• Zahnschmerzen („Buddenbrock-Syndrom“)
Komplikationen:
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Herzrhythmusstörungen: Kammerflimmern (häufigste Komplikation) -> bei wiederholtem Auftreten Injektion von Amiodaron 200 mg; beim Hinterwandinfarkt: AVBlockierungen
Herzinsuffizienz: im Rahmen des Infarktgeschehens lässt sich fast immer ein
Galopprhythmus nachweisen
Aneurysmabildung mit Thrombenablagerungen
Kardiogener Schock
Mechanische Komplikationen: Ventrikelseptumruptur, Papillarmuskelruptur, freie
Ruptur der Herzwand
Klinischer Fall:
45-jähriger Patient mit plötzlich auftretenden ziehenden bis krampfartigen Schmerzen in der
linken Thoraxhälfte, die in die linke Schulter und den linken Arm ausstrahlen; zudem klagt
der Patient über Schweißausbruch, Übelkeit, kein Erbrechen, ausgeprägtes Angstgefühl. Der
Patient raucht 20x Zigaretten/Tag; Labor: Troponin I positiv, CK und CK-MB erhöht; EKG:
SR mit einer HF von 98/min, Linkstyp, normale Zeiten (PQ, QRS, QT), ST-Streckenhebung
in I, II, V1-5.
Diagnostik:
1. Klinik: (vgl. oben)
2. EKG:
 12-Kanal-EKG mit V7 - V9, V3R, V4R
 sollte innerhalb der ersten 10 Minuten nach Eintreffen des Patienten geschrieben
werden
 signifikante ST-Hebungen
- Brustwand: ST-Hebung von > 0.2 mV
- Extremitäten: ST-Hebung > 0.1 mV
 mindestens 2 benachbarte Ableitungen
 neuer Linksschenkelblock mit infarkttypischer Symptomatik
 erschwerte Diagnostik bei Patienten mit Schenkelblock oder Schrittmacher
 Herzrhythmusstörungen (z.B. AV-Block, Kammerflimmern)
 Hinweise für eine zeitliche (Infarktstadien) und räumliche Differenzierung
3. Labor:
 sensitives TnI-Ultra, CK, CKMB -> sollte routinemäßig bei V.a. ACS stattfinden,
jedoch keine Therapieverzögerung durch Warten auf Ergebnisse
 Myoglobin, BNP, CRP, BB
 Gerinnung, D-Dimere, Elektrolyte, Nierenretentionsparameter, TSH
 Kontrolle nach 3 Stunden
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4. Echokardiographie:
 LVEF/Wandbewegungsstörungen (WBS)
 Differentialdiagnose: Lungenemebolie, Aortenklappenstenose, Aortendissektion
Therapie:
(1) Initiales Management:
 Vitalparameter
 Zeitgleich Anamnese + körperliche Untersuchung
 EKG (mit V7 - V9, V3R, V4R ) innerhalb von 10 min
 wenn unauffällig, Wiederholung des EKG nach 3 Stunden
 bei erneuten Beschwerden:
- großvolumiger venöser Zugang + Blutabnahme: u.a. Troponin, CK, CKMB,
Myoglobin
- Kontrolle der Laborwerte nach 3 Std. und bei erneuten Beschwerden
- Echokardiographie (LVEF / WBS / Differentialdiagnose)
- GRACE Score zur Risikostratifizierung
(2) Medikamentöse Initialtherapie:
 ASS 500 mg iv Bolus
 Heparin unfraktioniert Bolus 60-70 IE/kg dann 12-15U/kg/h, Ziel-PTT 50-70 sec
 Nitrate (-> CAVE: RR systol.< 90mmHg!)
 Sauerstoff bei Sättigung < 90%
 Morphin bei Schmerzen 3-5mg iv
 Ggf. Betablocker oder Kalziumantagonisten von Dihydropyridin Typ
 STEMI: Ticagrelor Bolus 180 mg oder Prasugrel 60 mg i.v. (alternativ 600 mg
Clopidogrel bei KI für Ticagrelor)
(3) Zeitpunkt der Koronarangiographie:
 Urgent invasive strategy (sofort)
- STEMI
 Immediate invasive strategy (< 2h)
- NST-ACS
o refraktäre AP
o manifeste Herzinsuffizienz
o hämodynamische Instabilität
o kardiogener Schock
o lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung
o intermittierende ST- Hebung
 Early invasive strategy (<24h)
- NSTEMI / Instabile AP mit
o Anstieg/Abfallen von Troponin
o dynamische ST-Strecken/T-Wellen-Veränderungen
o GRACE-Score >140
 Invasive strategy (<72h)
- NSTEMI / Instabile AP mit
o Diabetes mellitus; Niereninsuffizienz; LVEF <40%
o vor kurzem Z.n. MI, Z.n. PCI, Z.n. ACB-OP
o GRACE-Score >109 und <140
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(4) Therapieoptionen:
 Interventionell: Rekanalisation mittels PTCA und Stentimplantation, ggf. mit
Thrombusaspiration, GPIIb/IIIa-Inhibitor-Gabe, Herzunterstützung (IABP, Impella)
 Medikamentös: Lyse (bei fehlender Möglichkeit zur PCI) < 3 h nach Schmerzbeginn
 Operativ: Bypass-OP
(5) Antithrombozytäre Therapie:
 ASS (COX-Hemmer)
 GP IIb/IIIa Rezeptor-Blocker
 ADP-Rezeptoren P2Y12-Blocker
- Ticagrelor:
o selbst aktiv, keine Bioaktivierung notwendig
o besonders profitieren Patienten mit Niereninsuffizienz (GFR < 60 ml/min)
o Wirkung: schützt vor Stentthrombosen
o Nebenwirkungen:
- ventrikuläre Pausen > 3 sec. (in den ersten 30 Tagen)
- leichte bis mittelschwere Dyspnoe (oft < 1 Woche, nicht in Lufu
objektivierbar)
- diskrete Erhöhung von Harnsäure und Kreatinin (im ersten Monat)
- Prasugrel:
o Resorption im Darm > 80%, Aktivierung in der Leber (CYP3A, 2B6, 2C9,
2C19)
o besonders profitieren Diabetiker
o Wirkung: schützt vor Stentthrombosen
o Kontraindikation:
- Z.n. TIA/Apoplex
- Gewicht ≤ 60 kg
- Alter ≥ 75 Jahre
- Clopidogrel:
o Nachteile: langsamer Wirkeintritt (max. Wirkung nach ca. 6 h), hohe Zahl
an Non-respondern, Stentthrombosen, mögliche Interaktion mit PPI, CYP
2C19-Polymorphismus
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