Recht für Wirtschaftswissenschaftler Musterlösung

PD Dr. Ulrich Jan Schröder / PD Dr. Jens Eisfeld – WS 15/16
Recht für Wirtschaftswissenschaftler
Musterlösung
Frage 1. Was ist der Inhalt der sogenannten Radbruch‘schen Formel? Nennen Sie ein Beispiel aus
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zum Strafrecht), in dem diese Formel relevant wurde.
Antwort. Es geht darum, in welchem Verhältnis Recht und Gerechtigkeit stehen. Radbruch hat
zwei Konstellationen vor Augen: Einerseits soll das Streben nach Gerechtigkeit dem Recht
begriffsimmanent sein – ohne dieses Streben liegt schon (begrifflich) kein Recht vor.
Andererseits kann der Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit so groß („unerträglich“)
sein, dass man dem Recht die Gefolgschaft verweigern darf. Ein Beispiel aus der jüngeren
Vergangenheit sind die sogen. Mauerschützen-Prozesse. Die Grenzsoldaten der DDR-Volksarmee
wurden nach der Wiedervereinigung von bundesdeutschen Strafgerichten verurteilt. Fraglich ist, ob
dies nicht eine unzulässige Rückwirkung war.
Frage 2. Welche drei Regeln kommen für die Auflösung eines logischen Normwiderspruchs in
Betracht?
Antwort. Logische Normwidersprüche müssen aufgelöst werden. Drei Regeln für die Auflösung
(sogen. Normkollisionsregeln) kommen in Betracht.
(a) Vorrang der höherrangigen Norm
Die höherrangige Norm geht der niederrangigen vor (lex superior derogat legi inferiori). Das folgt
bereits aus der Normenhierarchie.
(b) Vorrang der neueren Norm
Wenn zwischen zwei Normen desselben Normgebers ein logischer Widerspruch besteht, verdrängt
die neuere Norm die ältere (lex posterior derogat legi priori).
(c) Vorrang der spezielleren Norm
Der logische Widerspruch zwischen zwei Normen kann auch in der Weise aufgelöst werden, dass
die speziellere Norm der generellen vorgeht (lex specialis derogat legi generali).
Anmerkung: Die Nennung der Regeln im lateinischen Wortlaut ist auch für eine sehr gute Antwort
nicht erforderlich.
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Frage 3. Was bedeutet Vorrang des Gesetzes, und was bedeutet Vorbehalt des Gesetzes? Nennen Sie
ein Beispiel für einen Gesetzesvorbehalt.
Antwort. Der Vorrang des Gesetzes kann auch als Gesetzesbindung bezeichnet werden. Gebunden
sind vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Sie dürfen nicht gegen das Gesetz handeln.
Vorbehalt des Gesetzes bedeutet, dass nur der Gesetzgeber eine Regelung treffen darf bzw. dass
ein Gesetz nötig ist, damit der Staat (die Verwaltung) handeln kann. Gemeint ist dann zumeist
ein Parlamentsgesetz. Beispiele für den Gesetzesvorbehalt sind die Grundrechte des Grundgesetzes,
der allgemeine rechtsstaatliche demokratische Gesetzesvorbehalt oder der organisatorische
Gesetzesvorbehalt.
(Anmerkung: es kann auch ein konkretes Grundrecht genannt werden).
Frage 4. Was bedeutet Gewaltenteilung, wo ist sie geregelt, und welchen Zweck hat sie?
Antwort. Die Teilung der Gewalten in Gesetzgeber (Legislative), Regierung und vollziehende
Gewalt (Gubernative und Administrative [Verwaltung]) sowie Gerichte (Judikative) wird auch
„horizontale“ Gewaltenteilung genannt. Davon unterschieden wird die „vertikale“
Gewaltenteilung, die sich in der Aufteilung von Aufgaben und Befugnissen zwischen dem Bund
und den Ländern manifestiert. Alleine die Aufzählung der drei Gewalten in Art. 20 II, III GG
wird als Hinweis darauf verstanden, dass diese grundsätzlich getrennt werden sollten. Eine
Gewaltentrennung ist aber nicht strikt geboten, sondern nur im Grundsatz. Vielfach lassen sich
sogen. Gewaltenverschränkungen beobachten. Ein wesentlicher Zweck der Gewaltenteilung ist die
Disziplinierung bzw. Kontrolle der Staatsgewalt durch die Staatsgewalt selbst: So kontrollieren
die Gerichte die Verwaltung, das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber, die Regierung die
Verwaltung, das Parlament die Regierung. Die Rechtmäßigkeitskontrolle zwischen den
Staatsgewalten dient insbesondere auch dem Schutz des Bürgers und dessen Grundrechten.
Frage 5. Wen binden die Grundrechte des Grundgesetzes? Bitte nehmen Sie auch Bezug auf das
Grundgesetz.
Antwort. Die Grundrechte des Grundgesetzes binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und
Rechtsprechung (Art. 1 III GG). Die Grundrechte strahlen auf die gesamte Rechtsordnung aus.
Daher entfalten sie mittelbar auch eine Bindungswirkung für Privatrechtssubjekte im
Privatrecht: Als Bestandteile einer objektiven Wertordnung sind sie insbesondere bei Anwendung
unbestimmter Generalklauseln zu berücksichtigen.
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Frage 6. Welche verschiedenen Zwecke kann der Gesetzgeber mit Regelungen im Bereich der
Wirtschaft verfolgen?
Antwort. Folgende Zwecke gesetzlicher Regelungen im Bereich der Wirtschaft lassen sich denken:
a) Abwehr von Gefahren, die von Wirtschaftsakteuren ausgehen
b) Sicherung der Qualität/Verbraucherschutz
c) Herstellung/Sicherung eines freien Wettbewerbs
d) Disziplinierung staatlicher Interventionen in die Wirtschaft
Allgemeine Anmerkung zur Bewertung: Alle Antworten sind aus dem Skript bekannt.
Genauigkeit im Ausdruck und Logik der Gedankenführung sollten besonders honoriert werden,
auch wenn nicht alle inhaltlichen Einzelheiten vollständig bzw. richtig wiedergegeben werden.
Frage 7. Welche vier Fragen sind zu Beginn einer juristischen Falllösung zu beantworten, um
herauszufinden, was konkret zu prüfen ist? Erläutern Sie kurz, worauf sich diese Fragen beziehen!
Antwort. Um herauszufinden, ob jemand einen Anspruch hat, ist immer die folgende Frage zu
stellen und zu beantworten (sog. „W-Formel“): Wer will was von wem woraus? (4 P.)
„Wer“ von „Wem“ = Frage nach der (natürlichen oder juristischen) rechtsfähigen Person, die etwas
will bzw. von der etwas verlangt wird. (2 P.)
„Was“ = Frage nach dem Ziel des Anspruchstellers, also z.B. Erfüllung, Schadensersatz,
Unterlassung, Herausgabe. (2 P.)
„Woraus“ = Frage nach der Anspruchsgrundlage, also der Grundlage, die dem Anspruchsteller
seinen Anspruch gibt. (2 P.)
Frage 8. Erläutern Sie die Begriffe „Rechtsgeschäft“ und „Vertrag“. Welcher dieser beiden Begriffe
ist der Oberbegriff des anderen und warum?
Antwort. „Vertrag“ ist die von zwei oder mehr Personen erklärte Willensübereinstimmung über die
Herbeiführung eines rechtlichen Erfolgs. (3 P.)
Ein „Rechtsgeschäft“ besteht aus mindestens einer Willenserklärung und oftmals noch weiteren
Elementen; es führt eine gewollte und von der Rechtsordnung anerkannte Rechtsfolge herbei. (3 P.)
„Rechtsgeschäft“ ist der Oberbegriff zu „Vertrag“, weil der Vertrag immer mindestens zwei
Willenserklärungen voraussetzt, das Rechtsgeschäft aber nur mindestens eine Willenserklärung.
Jeder Vertrag ist daher ein Rechtsgeschäft, aber nicht jedes Rechtsgeschäft auch ein Vertrag. (4 P.)
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Frage 9. Wann ist eine Willenserklärung abgegeben, wann zugegangen? Warum ist das wichtig?
Erläutern Sie kurz die Bedeutung des § 151 S. 1 BGB in diesem Zusammenhang!
Antwort. Eine Willenserklärung ist abgegeben, wenn sich der Erklärende ihrer willentlich so
entäußert hat, dass sie ohne weiteres Zutun ihren Adressaten erreichen kann. (2 P.)
Eine Willenserklärung ist zugegangen, wenn sie so in den Herrschaftsbereich des Empfängers
gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen von ihr Kenntnis erlangen kann und dies nach
den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihm erwartet werden darf. (2 P.)
Abgabe und Zugang sind deshalb wichtig, weil die Wirksamkeit der Willenserklärung davon
abhängt. Die Bestimmung des Zugangszeitpunktes ist darüber hinaus für den Beginn und das Ende
von Fristen bedeutsam (3 P.).
§ 151 S. 1 BGB bestimmt, dass es in den dort genannten Ausnahmefällen auf den Zugang der
Annahmeerklärung nicht ankommt. Entbehrlich ist aber nur der Zugang der Annahmeerklärung,
nicht auch die Annahmeerklärung selbst. (3 P.)
Frage 10. Wie viele Verträge werden beim „Kauf“ einer beweglichen Sache regelmäßig
geschlossen? Welche dieser Verträge führen zu einem Eigentumsübergang? Nennen Sie in Ihrer
Antwort auch die BGB-Vorschriften, in denen die jeweiligen Rechtsfolgen dieser Verträge
aufgeführt sind!
Antwort. Beim Kauf einer beweglichen Sache werden regelmäßig drei Verträge geschlossen: Ein
Kaufvertrag und zwei Übereignungsverträge (dingliche Verträge). (4 P.)
Zu einem Eigentumsübergang führen die zwei Übereignungsverträge, die sich auf die Kaufsache
und die als Kaufpreis vereinbarte Geldmenge beziehen. (3 P.)
Die Rechtsfolgen des Kaufvertrages sind in § 433 BGB geregelt; die Rechtsfolge des
Übereignungsvertrages in § 929 S. 1 BGB. (3 P.)
Frage 11. Nennen Sie, unter Angabe der einschlägigen BGB-Vorschriften im allgemeinen Teil des
Schuldrechts, vier rechtliche Konsequenzen, die sich aus der Unmöglichkeit der Leistung ergeben
bzw. ergeben können!
Antwort. Als unmittelbare Folge wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit (§ 275 Abs.
1 BGB). (4 P.)
Hat der Schuldner zudem die Unmöglichkeit zu vertreten, kann der Gläubiger von ihm
Schadensersatz statt der Leistung verlangen (§§ 275, 280 Abs. 1 u. 3, 283 BGB). (2 P.)
Ein etwaiger Gegenleistungsanspruch des Schuldners entfällt (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB) regelmäßig.
(2 P.)
Der Gläubiger kann von dem betreff. Vertrag zurücktreten (§§ 275, 326 Abs. 5, 323 BGB). (2 P.)
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Frage 12. Nennen Sie, unter Angabe der einschlägigen BGB-Vorschriften, vier rechtliche
Möglichkeiten, die für den Käufer bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache in Frage kommen!
Antwort. Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer nach § 437 BGB
1) nach § 439 BGB Nacherfüllung (Reparatur oder Ersatzlieferung) verlangen; (4 P.)
2) nach den §§ 440, 323, 326 Abs. 5 BGB vom Vertrag zurücktreten; (2 P.)
3) nach § 441 BGB den Kaufpreis mindern; (2 P.)
4) nach den §§ 440, 280, 281, 283, 311a BGB Schadensersatz verlangen. (2 P.)
Rohpunkte
Note
114-120
1,0
108-113
1,3
102-107
1,7
96-101
2,0
90-95
2,3
84-89
2,7
78-83
3,0
72-77
3,3
66-71
3,7
60-65
4,0
0-59
5,0
5