Ao. Univ. – Prof. Dr. Alexander Tipold Repetitorium Strafrecht und Strafprozessrecht 030496 Sommersemester 2015 1. Einheit / Teil 1: Fragen der Erfolgszurechnung A. Grundlagen Nur bei Erfolgsdelikten (gleich ob Vorsatz oder Fahrlässigkeitsdelikt) und bei eingetretenem Erfolg (!). Prüfung auf Tatbestandsebene nach Handlung und Erfolg: Es geht um die Verknüpfung von Handlung und Erfolg! Elemente sind: Kausalität Adäquanzzusammenhang Risikozusammenhang Risikoerhöhung gegenüber rechtsmäßigem Alternativverhalten B. Kausalität als erster Schritt 1. Conditio sine qua non als Regelprüfung (Formel von der gesetzmäßigen Bedingung) 2. Sonderfälle (Vorsicht – teils unterschiedliche Begrifflichkeit, oft unnötige Begriffe): Überholende Kausalität / Hypothetische Kausalität Kumulative Kausalität / Alternative Kausalität Kausalität beim Unterlassungsdelikt Abgrenzung zur Risikoerhöhung im Vergleich mit dem Rechtmäßigen Alternativverhaltens C. Adäqanzzusammenhang (recht bedeutungslos) D. Risikozusammenhang (wichtig!) Grundlagen: Sinn und Zweck der den objektiven Sorgfaltsmaßstab begründenden Norm Durchbrechung des Risikozusammenhanges bei nachträglichem Geschehen: Grundgedanke (Vorsicht: Wertungen! Daher alles nur Annäherungen!) Unterscheidung Tun – Unterlassen Durchbrechung beim Unterlassen Durchbrechung beim Tun Einzelfälle: Nachträgliches Fehlverhalten eines Dritten Nachträgliches Fehlverhalten des Opfers Nachträgliches Fehlverhalten des Täters 1 Retterproblematik Selbstgefährdung als Grundgedanke und als Sonderfall Wirkung des nachträglichen Geschehens auf den hypothetischen Ablauf E. Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten Grundgedanke / Abgrenzung der Kausalität / Nähe zur Quasikausalität Sonderfall: Kumulative Kausalität II. Fälle zum Üben 1. A trägt sein Haus warm ab, um eine Versicherung zu kassieren. Ein Schaulustiger kommt zu nahe ans Feuer und wird von einem herunterstürzenden Balken getötet. A hat das nicht für möglich gehalten. Das Feuer kann durch die Feuerwehr gelöscht werden, die auch ein Übergreifen des Feuers auf Nachbarhäuser verhindert. Auch daran hat A nicht gedacht. Prüfen Sie die Strafbarkeit von A! 2. A, B und C gehen gemeinsam auf X los und wollen ihn krankenhausreif schlagen. Ein Schlag fällt zu stark aus, X stirbt. Von wem der tödliche Schlag stammt, kann nicht festgestellt werden. Prüfen Sie die Strafbarkeit von A, B und C! 3. Alexander fährt korrekt mit dem Auto. Plötzlich taucht zwischen den Autos ein Mann auf. Alexander kann trotz Vollbremsung nicht mehr stehen bleiben und erwischt den Mann mit seinem Fahrzeug. Der Mann stirbt aufgrund des Unfalls. Prüfen Sie die Strafbarkeit von Alexander! 4. Doktor B verabreicht dem Patienten X eine Spritze, ohne überprüft zu haben, ob der angeordnete Inhalt von der Krankenschwester aufgezogen wurde. Die Krankenschwester hat sich verlesen und eine falsche Lösung vorbereitet. Infolge dessen verstirbt X. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des Arztes und der Krankenschwester! 5. A feiert nach einem erfolgreichen Tag mit seinen Freunden. Spät in der Nacht fährt er mit seinem schweren Geländewagen nach Hause. Er hat ein wenig getrunken (Blutalkohol 0,9 Promille) und fährt vorschriftsmäßig beleuchtet auf einer dunklen Landstraße. Allerdings fährt er mit 90 km/h, obwohl eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h (Verkehrszeichen) besteht. Plötzlich fährt zwischen dichten Büschen unmittelbar vor dem Wagen des A der X mit seinem unbeleuchteten Moped schnell und unvermittelt aus einem Feldweg von rechts auf die Straße. A reagiert sofort, als er das Moped bemerkt, verreißt seinen Wagen und bremst, kann aber trotzdem nicht verhindern, dass er den Mopedfahrer frontal erfasst und hoch durch die Luft schleudert. X ist sofort tot. Prüfen Sie die Strafbarkeit des A! 6. Wirtshausrauferei in Wien Simmering, die Polizei findet einen Toten. Nach den Ermittlungen stellt sich heraus, dass B und C gemeinsam auf das Opfer losgegangen sind, ohne dass den Anwesenden ein Grund dafür ersichtlich war. Bei der Einvernahme sind beide geständig, behaupten unwiderleglich, dass das Opfer sie beschimpft habe. Darauf wollten sie ihm eine Abreibung verpassen. Sie wollten aber nicht, dass es sterbe. Die Obduktion ergibt keine Hinweise darauf, wessen Schlag zum Tod des Opfers geführt habe. Prüfen Sie die Strafbarkeit von B und C!) 2 7. Der Fahrer fährt zu schnell, der Beifahrer ist nicht angeschnallt. Es kommt zu einem Unfall, der Beifahrer wird schwer verletzt. Prüfen Sie die Strafbarkeit des Fahrers. 8. Unfall eines PKWs. Ein herzkranker Pensionist, der unmittelbar neben dem Unfallort am Gehsteig unterwegs war, erschrickt über den Unfall so sehr, dass er einen tödlichen Herzinfarkt erleidet. 1. Einheit / Teil 2: Tötungs- und Körperverletzungsdelikte 1. Worin unterscheiden sich Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Tötung während der Geburt, Körperverletzung mit Todesfolge und Fahrlässige Tötung jeweils voneinander? 2. Was ist eine Körperverletzung, was eine Gesundheitsschädigung, wann sind sie an sich schwer? Wie wird die Heilungsdauer, wie der Dauer der Berufsunfähigkeit berechnet? 3. Auswirkungen der Berauschung auf die Strafbarkeit in diesem Zusammenhang. 4. Kann § 83 Abs 2 versucht werden? 5. Grenzen Sie § 83 Abs 1, § 83 Abs 2 und § 88 voneinander ab! 6. Nennen Sie die Voraussetzungen des § 88 Abs 2 StGB! 7. Worin liegt der Erfolg des § 89 StGB? 8. Was ist das Besondere an echten Unterlassungsdelikten und warum findet § 2 auf sie nicht Anwendung? 9. Wie grenzen Sie § 96 von § 98 StGB ab? Was ist die Fristenlösung dogmatisch? Fälle 1. Der Arzt verschreibt einer Frau ein Rezept zur Abtreibung, sie nimmt es ein und treibt erfolgreich ab. Frage: Wie haben sich beide strafbar gemacht? 2. a) Der Arzt A nimmt bei X am Ende des vierten Schwangerschaftsmonats eine Abtreibung vor. Dabei geht er irrtümlich davon aus, dass diese dem Eingriff zugestimmt hat. b) Auch bei Y nimmt A einen Schwangerschaftsabbruch am Ende des vierten Schwangerschaftsmonats vor. In ihrem Fall geht er irrtümlich davon aus, dass der Abbruch notwendig ist, um das Leben der Y zu retten. Y hat dem Eingriff vorweg zugestimmt, nachdem A ihr die vermeintliche Gefahr mitgeteilt hat. Es wäre allerdings leicht erkennbar gewesen, dass das Leben der Y nicht ernsthaft gefährdet war. 3. A fälscht ein ärztliches Gutachten und spiegelt dem X auf diese Weise vor, an einer tödlichen Krankheit zu leiden. X begeht, wie A erwartet hat, Selbstmord. Frage: Prüfen Sie die Strafbarkeit des A. 4. A möchte einen Versicherungsbetrug begehen und lässt sich von B drei Finger abhacken. Frage: Prüfen Sie die Strafbarkeit von A und B! 5. A ist HIV-positiv und hat ungeschützten Geschlechtsverkehr mit seiner Freundin. Frage: Könnte sich A strafbar gemacht haben? Welche Möglichkeiten einer Strafbarkeit kommen in Betracht? 3 6. A bleibt der StVO entsprechend auf der Landstraße stehen, um einen Betrunkenen die Straße überqueren zu lassen. B ist zu unaufmerksam und zu schnell gefahren. Auch eine Notbremsung verhindert nicht den Zusammenstoß. A bleibt unverletzt, sein Auto hat nur einen geringeren Sachschaden. Der nicht angeschnallte B ist hingegen schwer verletzt. Das erkennt A – er sieht B blutüberströmt auf dem Lenkrad lehnen –, hilft aber nicht, um rechtzeitig das Match Rapid gegen Austria sehen zu können. Frage: Prüfen Sie die Strafbarkeit von A! 8. An einer entlegenen Stelle einer Langlaufloipe kommt C am bewusstlosen Z vorbei. Obwohl C erkennt, dass Z ohne Hilfe erfrieren wird, hilft er nicht. Entgegen seiner Erwartung, dass nach ihm keiner mehr vorbeikommt, wird Z doch gefunden und gerettet. Frage: Prüfen Sie die Strafbarkeit von C! 9. Jemand stößt beim Fahren einen Fußgänger nieder, fährt aber weiter. Kurz später besinnt er sich und kehrt um. Es stellt sich heraus, dass der Fußgänger nicht verletzt war. Frage: Hat sich der Fahrer strafbar gemacht? Welche Bedeutung hat das Umkehren? 10. Ein Unfall ist passiert, am Straßenrand sitzt ein Verletzter. Auf die Frage von A hin lehnt er jede Hilfe ab. A hilft daraufhin nicht. Frage: Könnte er sich strafbar gemacht haben? 11. Auf der Heimfahrt von einer Feier übersieht D eine Nachrangtafel und rammt das Auto des Z, der dadurch schwere innere Verletzungen erleidet. Als Z ins Spital gebracht wird, führt der behandelnde Arzt M eine Bluttransfusion durch, verwechselt allerdings die Blutproben, so dass er Blut einer falschen Blutgruppe verabreicht, woran Z stirbt. D und M werden gemeinsam vor dem örtlich und sachlich zuständigen Gericht angeklagt, und zwar beide wegen Fahrlässiger Tötung nach § 80 StGB. In der Hauptverhandlung legt D ein Geständnis ab und sagt aus, dass er alkoholisiert war (1,4 Promille), obwohl er auf der Feier, als er sich betrank, wusste, dass er mit dem Auto nach Hause fahren muss. M sagt aus, er hätte alles getan, um Z zu retten, obwohl ihm aus persönlichen Gründen sogar bekannt war, dass Z aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion ablehnte. Die Bluttransfusion hätte Z gerettet, wenn nicht die verhängnisvolle Verwechslung der Blutgruppen passiert wäre. 12. A, B, C, D und E sind Anhänger der Fußballmannschaft X. Die Mannschaft X hat zwar in der Vergangenheit oft die Meisterschaft gewonnen, an diesem Tag aber gerade das Derby gegen die Mannschaft Y verloren. Einigermaßen frustriert machen sie sich auf den Nachhauseweg, als sie auf eine etwa gleich große Gruppe von Anhängern der Mannschaft Y (unter ihnen W und Z) treffen. Unversehens ergibt sich ein Streit und binnen Kurzem gehen beide Gruppen auf einander los; es kommt zu einer Rauferei. In deren Zuge sehen sich A, B und C plötzlich einem Anhänger der Y-Mannschaft (Z) gegenüber, der sich in ihren Augen besonders provokant benommen hat. A ruft B und C zu: „Der soll einmal ein paar Matches pausieren“. A, B und C verständigen sich mit Blicken, dass sie Z ernsthaft verprügeln und verletzen wollen und schlagen dann mit den Fäusten auf ihn ein. Auf den am Boden Liegenden treten sie alle noch mit den Füßen nach; und zwar auch auf den Kopf. Ihr Opfer erleidet dabei einen Schädelbruch und einen Riss einer Ader im Bauchraum. Er wird ins Spital gebracht, wo der behandelnde Arzt zwar den Schädelbruch erkennt, die inneren Blutungen aber übersieht. Ein solcher Fehler darf einem ordentlichen Arzt unter keinen Umständen passieren. So stirbt das Opfer an dieser Blutung; ohne den Fehler des Arztes hätte es überlebt. Ob A, B oder C die zum Schädelbruch und zum Aderriss führenden Schläge oder Tritte gesetzt hat, lässt sich nicht mehr feststellen. 4
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