Ganz schön gerissen - besser zwei Blicke

12.02.2016
nen zwar, dass ihre Schiffe zwischen der Türkei
und Griechenland keine Flüchtlingsboote stoppen
sollen. Das ist aber heuchlerisch.
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Kommentar Merkels Flüchtlingspolitik
Ganz schön gerissen
Für Flüchtlinge soll dank des Militäreinsatzes der
Nato künftig schon in der Ägäis Schluss sein. Das
Image der barmherzigen Kanzlerin bleibt intakt.
Tatsächlich werden sie aktiv daran mitarbeiten,
die EU-Außengrenze abzuschotten. Denn wie alle
Seeleute haben auch Marinesoldaten die Pflicht
zur Seenotrettung. Treffen sie auf Flüchtlinge in
Seelenverkäufern – also Booten, die nicht so aussehen, als würden sie die Überfahrt schaffen –,
müssen sie diese geradezu an Bord nehmen. Da
der gemeine Schleuser selten frisch gewartete
Hochseefähren einsetzt, können die Nato-Schiffe
praktisch jedes Flüchtlingsschiff aufbringen.
Dabei retten die Soldaten Menschenleben – und
dafür gebührt ihnen zunächst einmal Dank. Anders als bei der vergleichbaren EU-Marinemission
zwischen Libyen und Italien sollen die Soldaten die
Geretteten aber nicht in Europa absetzen, sondern zurück in die Türkei bringen. Die Flüchtlinge
erhalten also gar nicht erst die Chance, in der EU
einen Asylantrag zu stellen.
Die Flüchtlinge kommen gar nicht erst dazu, in der
EU
Asylanträge zu stellen
Hauptsache keine hässlichen Bilder in Deutschland. Foto: dpa
Nein, Angela Merkel macht die Bundesgrenze
nicht dicht. Weder folgt sie Forderungen aus den
eigenen Reihen und lässt hinter Passau Stacheldraht aufbauen, noch läuft sie der AfD nach und
unterschreibt einen Schießbefehl. Muss sie auch
gar nicht. Gemeinsam mit Türkei und Nato hat die
Kanzlerin schließlich eine elegantere Lösung gefunden: Die Grenze verlagert sie einfach vor, für
Flüchtlinge soll schon in der Ägäis Schluss sein.
Am Montag hatte Merkel einen entsprechenden
Marine-Einsatz vorgeschlagen, schon am Donnerstag gab die Nato grünes Licht. Die Militärs beto-
Für Merkel ist das geschickt. Die Zahl der Hilfesuchenden, die sich über Griechenland und den Balkan bis nach Deutschland durchschlagen, wird sinken. Das Schengen-System der offenen Grenzen in
Europa muss sie dafür aber nicht opfern. Gleichzeitig vermeidet sie hässliche Bilder von Bundespolizisten, die Flüchtlinge an der bayerischösterreichischen Grenze zurückdrängen.
Die hässlichen Szenen könnten sich stattdessen
andernorts abspielen: an Bord der Nato-Schiffe,
auf denen Soldaten die geretteten Menschen gegen deren Willen zurück in die Türkei verfrachten.
Der Unterschied: Das Deck des Einsatzgruppenversorgers „Bonn“ ist für Fernsehteams schwieriger zu erreichen als der Grenzübergang Achleiten.
Das Image der barmherzigen Flüchtlingskanzlerin
bleibt also intakt. Und so ist Merkels Plan vor allem: ganz schön gerissen.
Nato beschließt Kampf gegen Flüchtlinge
Die Zurückschlepperbande
Nato-Kriegsschiffe überwachen künftig in der Ägäis Überfahrten von Flüchtlingen. Schiffbrüchige
werden in die Türkei zurückgebracht.
Wiederaufnahme der Bootsinsassen verpflichtet,
die die Nato aus Seenot rettet. Das von den 28
Nato-Ministern beschlossene Einsatzmandat enthält allerdings keinen Auftrag an den Marineverband zur Seenotrettung.
Die Initiative für den Einsatz gegen Flüchtlinge
hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der
türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu bei
ihrem Treffen am Montag in Ankara ergriffen.
Griechenland schloss sich an. Die drei Regierungen
brachten die Nato ins Spiel, weil die Frontex im
türkischen Teil der Ägäis keine exekutiven Befugnisse hat.
Jürgen Trittin (Grüne)
„Es geht in Wirklichkeit um Flüchtlingsabwehr“
Beinahe am Ziel: Flüchtlinge haben den Seeweg
von der Türkei nach Lesbos geschafft. Foto: dpa
GENF taz | Die Nato wird auf Betreiben Deutschlands, der Türkei und Griechenlands erstmals in
der Geschichte des Militärbündnisses zur Bekämpfung von Flüchtlingsbewegungen nach Europa
eingesetzt. Das haben die Verteidigungsminister
der 28 Nato-Mitgliedsstaaten am Donnerstag in
Brüssel beschlossen. Ein bislang vor Zypern liegender Marineverband unter Führung des deutschen Kriegsschiffs „Bonn“ erhielt unmittelbar danach vom obersten Nato-Kommandeur in Europa,
Philip Breedlove, den Befehl, in die Ägäis aufzubrechen.
Im Seegebiet zwischen der Türkei und Griechenland sollen die unter deutschem Befehl stehenden
Kriegsschiffe „Aufklärungs- und Überwachungsaufgaben übernehmen, um bei der Bewältigung
der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten
Weltkrieg zu helfen“, verkündete NatoGeneralsekretär Jens Stoltenberg.
Die Schiffe sollen Informationen über Flüchtlingsund Schlepperboote in der Ägäis an die türkischen
und griechischen Küstenwachen sowie an die bereits in griechischen Hoheitsgewässern mit Kriegsund Polizeischiffen operierende europäische
Grenzschutzagentur Frontex liefern, die die Boote
aufbringen und stoppen sollen. Der Nato-Verband
selbst darf nicht gegen die Boote vorgehen.
Nach Angaben von Bundesverteidigungsministerin
Ursula von der Leyen habe sich die Türkei auch zur
Ein Mandat des Bundestages für den Einsatz deutscher Kriegsschiffe hält von der Leyen „im Augenblick nicht für nötig“, denn es gehe „lediglich um
Seeraumüberwachung auf Nato-Gebiet“. Der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin kritisierte den
Nato-Beschluss als „schädliche Symbolpolitik“. Dazu verbreite Ministerin von der Leyen „einmal
mehr das Märchen, Schlepper könnten zur See
bekämpft werden“. Zudem gehe es bei der NatoMission tatsächlich „gar nicht um Schlepperabwehr, sondern in Wirklichkeit um Flüchtlingsabwehr“.
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte die geplante Rückführung aufgegriffener Flüchtlinge in die Türkei. Denn dort gebe es kein staatliches Schutzsystem nach der Genfer Flüchtlingskonvention, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Die Nato werde mit ihrer Mission
„Beihilfe zur Aushebelung von Flüchtlingsrechten“
leisten. Burkhardt sprach von einer „Militarisierung der Flüchtlingsabwehr“.