Interview mit Islamexpertin - Frankfurter Forschungszentrum

WIESBADENER KURIER / LOKALES / RHEIN-MAIN
Rhein-Main
19.02.2016
Interview mit Islamexpertin: Moscheen in der
Regel rappelvoll, einzelne Muslime
extremistisch
WIESBADEN - Es gebe gerade bei jüngeren Muslimen eine Anfälligkeit für radikale Ideen,
sagt die Ethnologin Susanne Schröter, die jahrelang Wiesbadener Moscheegemeinden
erforschte und darüber ein Buch geschrieben hat. Wir sprachen mit der Professorin der
Frankfurter Goethe-Universität.
Festgebet zum Ramadan: Die Moscheen in Wiesbaden sind gut besucht. Archivfoto:
RMB/Joachim Sobek
Frau Schröter, Sie haben das Leben der frommen Muslime in Wiesbaden erforscht.
Inwiefern sind die Muslime in der hessischen Landeshauptstadt repräsentativ für
Deutschland?
ZUR PERSON
- Susanne Schröter hat in Mainz studiert
und sich an der Johann Wolfgang
Goethe-Universität in Frankfurt
habilitiert. Hier wurde sie 2008 zur
Professorin für „Ethnologie kolonialer
und postkolonialer Ordnungen“ berufen.
Sie ist Direktorin des
Forschungszentrums Globaler Islam. Die
58-Jährige lebt in Wiesbaden.
Meine Befunde sind repräsentativ. Einige
Organisationen, die in Wiesbaden mit
Moscheen vertreten sind, gibt es auch
anderswo in Deutschland. Da es sich um
zentral geleitete Organisationen handelt,
hat man überall ein vergleichbares
Programm. Andere sind zumindest
strukturell und hinsichtlich der
ideologischen Ausrichtung ähnlich wie in
anderen Kommunen.
WEITERE MELDUNGEN
In Wiesbaden leben rund 30.000
Muslime. Wie viele sind so fromm, dass sie regelmäßig eine Moscheegemeinde
besuchen?
Man sagt, 20 Prozent der Muslime sind organisiert. Wenn man zum Freitagsgebet geht,
dann sind die großen Räume in den Moscheen, wo die Männer beten, rappelvoll.
Ihre Forschungen haben den Trend zu größerer Frömmigkeit bestätigt. Ist das ein
Indiz für Abschottung der frommen Muslime von der Mehrheitsgesellschaft?
Nicht unbedingt. Wir haben zwei Bewegungen: auf der einen Seite eine große Öffnung nach
außen. Einige Gemeinschaften suchen verstärkt interkulturellen Dialog. Sie wollen in der
Stadt präsent sein – beispielsweise mit Sommerfesten – und damit zeigen, dass sie ganz
normale Bürger der Stadtgemeinschaft sind. Andere wollen das Ethnische überwinden: Man
begreift sich als Moslem, nicht als Marokkaner, Türke oder Afghane. Es gibt aber auch die
Tendenz zur Abschottung. Das betrifft insbesondere Frauen, die sehr viel weniger am
öffentlichen Leben teilnehmen als Männer, auch weil sie viel zu schlecht Deutsch sprechen.
Offenbar gibt es eine emanzipatorische Bewegung junger Muslime. Die basiert, wie Sie
schreiben, auf „Hinwendung zum Fundamentalismus und zum koranischen Text“. Da
geht es mit der Integration nicht vorwärts, sondern eher rückwärts.
Das sind problematische Entwicklungen. Junge Muslime, vor allem Musliminnen lesen jetzt
den Koran und grenzen sich von den Älteren ab. Sie setzen die Vorstände ihrer
Moscheegemeinden unter Druck, weil sie gerne charismatische Prediger einladen wollen.
Sie wollen was Eigenes. Diese Art des Islam ist extrem regelgeleitet, rigide und
fundamentalistisch. Im Einzelfall sogar radikal, weil die jungen Muslime Wanderpredigern
auf den Leim gehen, die durch die Republik reisen. Der Haus-Imam gilt eher als langweilig.
Bei dem schlafen die Jugendlichen ein. Die salafistischen Prediger aber sind auf der Höhe
der Zeit und werden von den Jugendlichen bewundert.
Wie tief verwurzelt ist dieser radikale Islam in den Wiesbadener Moscheegemeinden?
Das richtet sich ganz stark danach, wes‘ Geistes Kind der Vorstand einer Moscheegemeinde
ist. Wir sehen sehr oft, dass die ideologische Ausrichtung in den Moscheen wechselt. Da
gibt es mal einen liberalen Vorstand, der auf interkulturellen Austausch setzt. Dann wechselt
die Führungsspitze und plötzlich friert alles wieder ein. Es gibt gerade bei jüngeren
Muslimen eine große Anfälligkeit für radikale Ideen. Das heißt nicht, dass sie auch radikal
werden. Aber sie lassen sich überzeugen, dass sie was Besseres sind als andere Menschen,
weil Gott Großes mit ihnen vorhat, wenn sie sich nur an einen rigiden Regelkanon halten.
Nach Ihrer Beobachtung sind die Wiesbadener Moscheegemeinschaften mit
modernem, reformorientiertem Islam kaum in Berührung gekommen.
Ja, so ist es leider.
Die Geschlechter leben getrennt voneinander, Frauen werden in abgelegene Räume
verbannt und aus Führungspositionen ausgeschlossen.
So ist es.
Musliminnen haben Ihnen gegenüber „die Hoffnung“ geäußert: Wenn sie islamische
Kleidung tragen, würden sie weniger belästigt.
Von jungen Musliminnen habe ich immer wieder gehört: „Vor dem Kopftuch bin ich
angemacht worden, jetzt werde ich respektiert.“ Ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht.
Trotzdem sagen Sie: Der Islam gehört zu Deutschland.
Der Islam hat eine Chance: Viele fromme Muslime, die seit zwei oder drei Generationen
hier leben, sind gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft. Einige bringen sich in
Parteien ein, andere sind in zivilgesellschaftlichen Organisationen aktiv. Andererseits gibt es
aber unübersehbar einen virulenten islamischen Extremismus, den man konsequenter
bekämpfen müsste. Das passiert im Moment nicht. Man müsste klarer gegen die „Lies“Aktion vorgehen und auch mal eine Moschee dichtmachen, wenn man merkt: Da wird
gehetzt. Und in der Schule muss man einen liberalen Islam fördern. An den Universitäten
wird ein Islam gelehrt, der super zu Deutschland passt. Den müsste man in die Gemeinden
bringen.
Das Interview führte Christoph Cuntz.
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