173 Der besondere Fall – Kasuistiken Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach VarizenOP trotz peripherer arterieller Verschlusskrankheit Gewinner 15 istikpreis 20 u s a K re u a Schatt Rolle der Hybridprozedur und Vakuumtherapie A. Cyrek; J. Bernheim; B. Juntermanns; R. Reinhardt; W. Burzec; A. Paul; J. N. Hoffmann Sektion Gefäßchirurgie, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Essen Schlüsselwörter Keywords Weichgewebsinfektion, Varizenchirurgie, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Vakuumtherapie Soft tissue infection, varicose vein surgery, peripheral arterial disease, negative pressure wound therapy Zusammenfassung Summary Wir berichten über einen 65-jährigen Patienten, der uns mit einer schweren Weichgewebsinfektion beider Unterschenkel im Sinne von infizierten Gamaschenulzerationen bei Z.n. Stripping der V. saphena parva und beidseitiger Seitenastexhairese in Tumeszenzanästhesie aus einer anderen Klinik zuverlegt wurde. Die Angiographie der Becken-BeinGefäße zeigte eine hochgradige Stenose im Bereich der A. profunda femoris links, sowie eine Tandemstenose der A. femoralis superficialis. Zur Revaskularisation des Beines wurde eine Hybridprozedur mit intraoperativer perkutaner Angioplastie und Leistenpatchplastik durchgeführt. Die lokale Wundbehandlung erfolgte mit Vakuumtherapie und anschließender Hauttransplantation. So kam es zur vollständigen Abheilung der Ulzerationen innerhalb von vier Wochen. We describe a 65-year-old male with severe soft tissue infection of both lower legs. He had infected ulcer after stripping of small saphenous vein in tumescent anaesthesia and excision of side branches, and was referred from a foreign clinic. Intraarterial angiography of the pelvic and legs vessels showed severe stenosis in the left deep femoral artery and a tandem stenosis of superficial artery. A hybrid procedure with intraoperative percutaneus angioplasty combined with femoral xenogenic patch as well as local wound treatment with negative pressure wound therapy and subsequent mesh graft transplantation were carried out. We observed complete healing of ulcers within four weeks. Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Johannes Hoffmann Leiter Sektion Gefäßchirurgie Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie Universitätsklinikum Essen Hufelandstr. 55, D-45147 Essen Tel. +49-(0)201/723–1110 E-Mail: [email protected] Zitierweise des Beitrags/Cite as: Management of severe soft tissue infection as a complication of varicose vein surgery in a patient with peripheral artery disease Role of the hybrid procedure and negative pressure wound therapy Phlebologie 2015; 44: 173–176 http://dx.doi.org/10.12687/phleb2268-4-2015 Eingereicht: 21. Mai 2015 Angenommen: 03. Juni 2015 Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa 1 % der erwachsenen Bevölkerung an einem Ulcus cruris unterschiedlicher Genese leidet (14). Auch wenn die chronische venöse Insuffizienz bei ca. 65 % aller Patienten mit einem chronischen Ulcus cruris pathophysiologisch relevant ist, ist die Kenntnis der relevanten Differenzialdiagnosen insbesondere bei therapierefraktären Verläufen und Weichgewebsinfektionen von entscheidender Bedeutung. Durch die Anamnese, die subjektiven Beschwerden und den klinischen Befund kann oft schon eine Verdachtsdiagnose hinsichtlich der Genese des Ulkus gestellt werden. Vor allem bei älteren Patienten kann eine pAVK einen relevanten Ko-Faktor für den therapierefraktären Verlauf darstellen. Bei nicht tastbaren Pulsen ist bis zum Beweis des Gegenteils von einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) auszugehen. Neben dem Tastbefund ist die Bestimmung des ABI (Knöchel-Arm-Index) vor einer operativen Therapie der Varikose und insbesondere bei therapieresistenten Ulzerationen von großer Bedeutung (13). In ca. 10% der Fälle entsteht ein chronisches Ulcus cruris auf dem Boden seltener Erkrankungen wie beispielsweise im Rahmen von metabolischen Grunderkrankungen, Vaskulitiden, hämatologischen Erkrankungen, Gerinnungsstörungen und Infektionen aber auch als Folge verschiedenster Dermatosen, Malignomen, anderen exogenen Faktoren und genetischen Defekten (15). English version available at: www.phlebologieonline.de © Schattauer 2015 Phlebologie 4/2015 174 A. Cyrek et al.: Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach Varizen-OP a Abb. 1 a, b. b Intraoperativer Situs bei der Aufnahme mit fibrinösen, nekrotischen Ulzerationen und Purpura mit blutgefüllten Blasen. Anamnese Ein 65-jähriger Patient wurde uns mit einer floriden schweren Weichgewebsinfektion beider Unterschenkel im Sinne von infizierten Gamaschenulzerationen mit transmuralen Nekrosen der Haut aus einer dermatologischen Klinik zuverlegt. Die Ulzerationen a bestanden seit zirka sechs Monaten und hatten sich durch eine Superinfektion massiv verschlechtert. Der Patient gab an, dass nach oberflächigen Hautverletzungen chronische Wunden im Bereich der beiden Unterschenkel entstanden seien und es trotz stadienadaptierter Behandlung nach den Prinzipien der modernen Wundtherapie über mehrere Monate zur keiner Heilungstendenz gekommen war. Es war bei nachgewiesener chronisch venöser Insuffizienz ohne Abklärung einer pAVK ein Stripping der V. saphena parva rechts und eine beidseitige Seitenastexhairese in Tumeszenzanästhesie erfolgt. Danach vergrößerten sich die Läsionen deutlich und zeigten eine zunehmende Schmerzhaftigkeit und eine Superinfektion mit bakterieller Besiedlung und massiven Fötor. Anamnestisch bestand ein chronisches Vorhofflimmern, eine Herzinsuffizienz NYHA II, eine arterielle Hypertonie, eine COPD und eine Adipositas (BMI von 37 kg/m2). Die aktuelle Medikation bestand aus Marcumar, Concor, Amlodipin, Allopurinol und Pantozol. Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit war anamnestisch nicht bekannt. Befunde und Therapie b Abb. 2 a, b. Verlaufsbefund nach stattgehabter Vakuumtherapie Phlebologie 4/2015 Klinisch zeigten sich im Bereich der beiden Unterschenkel massive Ödeme, Purpura mit blutgefüllten Blasen und dorsal fibrinöse, teils nekrotische Ulzerationen mit ausgeprägtem Fötor. Beide Unterschenkel waren stark gerötet und überwärmt (▶ Abb. © Schattauer 2015 175 A. Cyrek et al.: Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach Varizen-OP 1). Die peripheren Pulse konnten nicht getastet werden. Duplexsonographisch zeigte sich kein Hinweis auf eine tiefe Beinvenenthrombose. Die MRT-Untersuchung der beiden Unterschenkeln zeigte eine deutliche ödematöse Auftreibung beider Unterschenkel und der Unterschenkel-Muskulatur, links > rechts, mit Weichteilinfekt des subkutanen Fettgewebes bis zur Muskelfaszie. In der, bei schlecht tastbaren peripheren Pulsen und in der Duplexsonographie monophasischen Profilen, arteriellen Angiographie beider Beine in DSA-Technik zeigten sich multiple arterielle Stenosen. Führend war eine Stenose der A. profunda femoris linksseitig sowie eine Tandemstenose der A. femoralis superficialis. Es wurde die Indikation zur Revaskularisierung mittels Patchplastik der A. profunda femoris links und intraoperativer Angioplastie als Hybrideingriff gestellt. In gleicher Sitzung erfolgte die sparsame Resektion von infiziertem Weichgewebe und ein Debridement bzw. Shaving der ausgeprägten Ulzerationen beidseits. Im Anschluss wurde eine Vakuumtherapie mit einem Unterdruck von 125 mmHg und zweimaligem Wechsel pro Woche initiiert. Die Wundverhältnisse an den Unterschenkeln wurden drei Wochen mit der Vakuumtherapie und unter systemischer Antibiotika-Therapie nach Antibiogramm konditioniert. Nach erfolgreicher Wundkonditionierung (▶ Abb. 2) wurde anschließend eine großflächige Spalthauttransplantation an beiden Unterschenkeln vorgenommen, die zur adäquaten Abheilung der Ulzerationen führte (▶ Abb. 3). Diskussion Fast 2,5 Millionen der Bundesbürger leiden an nicht heilenden Wunden. Die kausale Bedeutung der Ursache ist die Voraussetzung für jede weitere Behandlung. Denn nur durch die Beseitigung der Grundursache ist eine Heilungschance gegeben (4). Etwa 70 bis 80 % aller chronischen vaskulären Wunden in unserer Wundambulanz sind arterio-venöser Genese. Für diese Krankheitsentität gibt es keine einheitliche Definition oder ein standardisiertes Therapiekonzept. In den vorliegenden Publika© Schattauer 2015 Abb. 3 Befund nach Spalthauttransplantation mit komplett eingeheiltem Transplantat tionen wird überwiegend die arterielle Rekonstruktion vor der venösen Therapie empfohlen. Zunächst sollte nach Verbesserung der arteriellen Perfusion die Wundheilung angestrebt werden und erst danach die Therapie des venösen Reflux erfolgen. Begleitend wird eine konservative Therapie mit Kompression oder eine lokale operative Ulkuschirurgie empfohlen (1, 2, 5, 6). In Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung ist sicher von einer steigenden Zahl solcher Fälle auch in anderen Ambulanzen auszugehen. Hier berichten wir über einen 65-jährigen Patienten, der über chronische Ulzerationen klagte. Vorausgegangen war eine operative Behandlung der venösen Insuffizienz in Tumeszenzanästhesie, wonach es zur deutlichen Vergrößerung der Unterschenkelläsionen mit einer Superinfektion mit bakterieller Besiedlung kam. Nach erfolgreich erfolgter arterieller Revaskularisation der unteren Extremitäten und der lokalen Wundtherapie mit anschließender Hauttransplantation kam es zu einer rasch progredienten Wundheilung mit vollständiger Abheilung der Ulzerationen innerhalb von 4 Wochen. Die Tumeszenzanästhesie ist ein Verfahren, das häufig für die Varizenchirurgie genutzt wird (8–10). Die einfache Durchführbarkeit und die zuverlässige Analgesie machen es zu einem beliebten Verfahren. Eines der Risiken der Tumeszenzanästhesie ist die Toxizität des Lokalanästhetikums. Das Lokalanästhetikum verteilt sich im Ge- webe in Abhängigkeit von der Volumenausbreitung, die wiederum von der Volumenmenge und der Infiltrationsgeschwindigkeit bestimmt wird. Je geringer die Infiltrationsgeschwindigkeit, desto geringer ist auch die systemische Anflutung und die systemische Toxizität (11). Neben der allergischen oder toxischen Schädigung wurden auch einzelne Fälle mit Auftreten von nekrotisierender Fasziitis nach ambulanter Phlebektomie beschrieben (12). Hierbei kam es durch die Einbringung der Tumeszenzanästhesie zur Neubildung des entzündlichen Fokus im Subkutangewebe. Der gleichzeitige Einsatz von Revaskularisation, antimikrobieller Therapie und Lokaltherapie hat eine nicht belegte, nicht infizierte, rosige Wunde mit Abheilung zum Ziel. Kleinere Ulzerationen zeigen oft unter optimaler Therapie eine gute Abheilungstendenz und verschwinden spontan. Größere Defekte benötigen länger für die Reepithelialisierung und stellen einen Ausgangspunkt für immer wiederkehrende, manchmal auch lebensbedrohlich verlaufende Haut-Weichteilinfektionen dar, die dann zur akuten Amputation einer Extremität zwingen, um das Leben des Patienten zu erhalten. Die Defektdeckung und damit die Wiederherstellung einer durchgehenden Epithelialisierung sind daher erstrebenswert (3,7). Im klinischen Alltag sollte bei einem therapieresistenten Ulcus cruris venosum stets an eine gleichzeitig bestehende artePhlebologie 4/2015 176 A. Cyrek et al.: Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach Varizen-OP rielle Verschlusserkrankung gedacht werden. Diese muss vor einer Venenoperation zwingend ausgeschlossen werden. Das Ulcus cruris mixtum wird in 10 bis 20 % der Patienten mit einem Ulcus cruris venosum diagnostiziert und bedarf einer differenzierten Diagnostik und Therapie der arteriellen Verschlusserkrankung und der venösen Abflussstörung. Die Heilungsprognose von Patienten mit Mischulzerationen ist abhängig von der Verbesserung der arteriellen Perfusion. Erst bei ausreichender arterieller Perfusion kann eine suffiziente Kompressionstherapie ggf. kombiniert mit einer venenchirurgischen Sanierung erfolgen. Die Tumeszenzlokalanästhesie ist eine Weiterentwicklung von Regionalanästhesieverfahren für operative Eingriffe. Das Verfahren ist in der Regel zur sicheren Anästhesie großer Körperareale geeignet und erlaubt die Durchführung von Krampfaderoperationen. Nachteile der Tumeszenzanästhesie sind die fehlende spezifische Zulassung eines Lokalanästhetikums für diese Indikation, die potenzielle Toxizität und in Einzelfällen schwere Weichgewebsinfektionen. Bei den Patienten mit therapierefraktären Ulzerationen und vor einer operativen Therapie einer Varikose muss eine pAVK differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden, da sich durch verschiedene Diagnosen auch unterschiedliche Therapiekonzepte ergeben. Für die Diagnostik sollten Bilden Sie sich fort! Unter cme.schattauer.de Phlebologie 4/2015 die Fußpulse palpiert und Knöchel-ArmIndex (ABI) bestimmt werden. Weiterführend sollte bei auffälligen Befunden (z. B. Mediasklerose) eine Duplexsonographie der Arterien bzw. Zehenoszillographie erfolgen. Eine erfolgreiche Behandlung von Fußulzera ist nur dann möglich, wenn zugrundeliegende Ursachen diagnostiziert und behandelt werden. Interessenkonflikt 4. 5. 6. 7. Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 8. Ethische Richtlinien 9. Die für dieses Manuskript erhobenen Daten stimmen mit den nationalen Gesetzen und der aktuellen Helsinki-Deklaration überein, eine Einverständniserklärung des Patienten liegt vor. Literatur 1. Coerper S, Beckert S, Königsrainer A. Behandlung des Ulcus cruris mixtum. Phlebologie 2005; 34: 245–250. 2. Treimann GS, Cobland S, McNamara RM, et al. Factors influencing ulcer healing in patients with combined arterial and venous insufficiency. J Vasc Surg 2001; 33: 1158–1164. 3. Becquemin JP, Favre JP, Marzelle J, et al. Systematic versus selective stent placement after superficial femoral artery ballon angioplasty: A multi- 10. 11. 12. 13. 14. 15. center prospective randomized study. J Vasc Surg 2003; 37: 487–494. Adam DJ, Naik J, Hartshorne T, et al. Diagnosis and management of 689 chronic leg ulcers in a single-visit assessment clinic. Eur J Vasc Endovasc Surg 2003; 25: 462–468. Ahnlinde I, Bjellerup M, Akesson H. 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