Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach Varizen

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Der besondere Fall – Kasuistiken
Management einer schweren
Weichgewebsinfektion nach VarizenOP trotz peripherer arterieller
Verschlusskrankheit
Gewinner
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istikpreis 20
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Schatt
Rolle der Hybridprozedur und Vakuumtherapie
A. Cyrek; J. Bernheim; B. Juntermanns; R. Reinhardt; W. Burzec; A. Paul; J. N. Hoffmann
Sektion Gefäßchirurgie, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universitätsklinikum Essen
Schlüsselwörter
Keywords
Weichgewebsinfektion,
Varizenchirurgie,
periphere arterielle Verschlusskrankheit,
Vakuumtherapie
Soft tissue infection, varicose vein surgery,
peripheral arterial disease, negative pressure
wound therapy
Zusammenfassung
Summary
Wir berichten über einen 65-jährigen Patienten, der uns mit einer schweren Weichgewebsinfektion beider Unterschenkel im Sinne
von infizierten Gamaschenulzerationen bei
Z.n. Stripping der V. saphena parva und beidseitiger Seitenastexhairese in Tumeszenzanästhesie aus einer anderen Klinik zuverlegt
wurde. Die Angiographie der Becken-BeinGefäße zeigte eine hochgradige Stenose im
Bereich der A. profunda femoris links, sowie
eine Tandemstenose der A. femoralis superficialis. Zur Revaskularisation des Beines wurde eine Hybridprozedur mit intraoperativer
perkutaner Angioplastie und Leistenpatchplastik durchgeführt. Die lokale Wundbehandlung erfolgte mit Vakuumtherapie und
anschließender Hauttransplantation. So kam
es zur vollständigen Abheilung der Ulzerationen innerhalb von vier Wochen.
We describe a 65-year-old male with severe
soft tissue infection of both lower legs. He
had infected ulcer after stripping of small saphenous vein in tumescent anaesthesia and
excision of side branches, and was referred
from a foreign clinic. Intraarterial angiography of the pelvic and legs vessels
showed severe stenosis in the left deep femoral artery and a tandem stenosis of superficial artery. A hybrid procedure with intraoperative percutaneus angioplasty combined
with femoral xenogenic patch as well as local
wound treatment with negative pressure
wound therapy and subsequent mesh graft
transplantation were carried out. We observed complete healing of ulcers within four
weeks.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Johannes Hoffmann
Leiter Sektion Gefäßchirurgie
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie
Universitätsklinikum Essen
Hufelandstr. 55, D-45147 Essen
Tel. +49-(0)201/723–1110
E-Mail: [email protected]
Zitierweise des Beitrags/Cite as:
Management of severe soft tissue infection as a
complication of varicose vein surgery in a patient
with peripheral artery disease
Role of the hybrid procedure and negative pressure wound therapy
Phlebologie 2015; 44: 173–176
http://dx.doi.org/10.12687/phleb2268-4-2015
Eingereicht: 21. Mai 2015
Angenommen: 03. Juni 2015
Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa 1 % der erwachsenen Bevölkerung an
einem Ulcus cruris unterschiedlicher Genese leidet (14). Auch wenn die chronische
venöse Insuffizienz bei ca. 65 % aller Patienten mit einem chronischen Ulcus cruris
pathophysiologisch relevant ist, ist die
Kenntnis der relevanten Differenzialdiagnosen insbesondere bei therapierefraktären
Verläufen und Weichgewebsinfektionen
von entscheidender Bedeutung.
Durch die Anamnese, die subjektiven Beschwerden und den klinischen Befund kann
oft schon eine Verdachtsdiagnose hinsichtlich der Genese des Ulkus gestellt werden.
Vor allem bei älteren Patienten kann eine
pAVK einen relevanten Ko-Faktor für den
therapierefraktären Verlauf darstellen. Bei
nicht tastbaren Pulsen ist bis zum Beweis des
Gegenteils von einer peripheren arteriellen
Verschlusskrankheit (pAVK) auszugehen.
Neben dem Tastbefund ist die Bestimmung
des ABI (Knöchel-Arm-Index) vor einer operativen Therapie der Varikose und insbesondere bei therapieresistenten Ulzerationen von
großer Bedeutung (13). In ca. 10% der Fälle
entsteht ein chronisches Ulcus cruris auf dem
Boden seltener Erkrankungen wie beispielsweise im Rahmen von metabolischen
Grunderkrankungen, Vaskulitiden, hämatologischen Erkrankungen, Gerinnungsstörungen und Infektionen aber auch als Folge verschiedenster Dermatosen, Malignomen, anderen exogenen Faktoren und genetischen
Defekten (15).
English version available at:
www.phlebologieonline.de
© Schattauer 2015
Phlebologie 4/2015
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A. Cyrek et al.: Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach Varizen-OP
a
Abb. 1 a, b.
b
Intraoperativer Situs bei der Aufnahme mit fibrinösen, nekrotischen Ulzerationen und Purpura mit blutgefüllten Blasen.
Anamnese
Ein 65-jähriger Patient wurde uns mit einer
floriden schweren Weichgewebsinfektion
beider Unterschenkel im Sinne von infizierten Gamaschenulzerationen mit transmuralen Nekrosen der Haut aus einer dermatologischen Klinik zuverlegt. Die Ulzerationen
a
bestanden seit zirka sechs Monaten und hatten sich durch eine Superinfektion massiv
verschlechtert. Der Patient gab an, dass nach
oberflächigen Hautverletzungen chronische
Wunden im Bereich der beiden Unterschenkel entstanden seien und es trotz stadienadaptierter Behandlung nach den Prinzipien
der modernen Wundtherapie über mehrere
Monate zur keiner Heilungstendenz gekommen war. Es war bei nachgewiesener chronisch venöser Insuffizienz ohne Abklärung
einer pAVK ein Stripping der V. saphena parva rechts und eine beidseitige Seitenastexhairese in Tumeszenzanästhesie erfolgt. Danach
vergrößerten sich die Läsionen deutlich und
zeigten eine zunehmende Schmerzhaftigkeit
und eine Superinfektion mit bakterieller Besiedlung und massiven Fötor.
Anamnestisch bestand ein chronisches
Vorhofflimmern, eine Herzinsuffizienz
NYHA II, eine arterielle Hypertonie, eine
COPD und eine Adipositas (BMI von
37 kg/m2). Die aktuelle Medikation bestand
aus Marcumar, Concor, Amlodipin, Allopurinol und Pantozol. Eine periphere arterielle Verschlusskrankheit war anamnestisch nicht bekannt.
Befunde und Therapie
b
Abb. 2 a, b.
Verlaufsbefund nach stattgehabter Vakuumtherapie
Phlebologie 4/2015
Klinisch zeigten sich im Bereich der beiden
Unterschenkel massive Ödeme, Purpura
mit blutgefüllten Blasen und dorsal fibrinöse, teils nekrotische Ulzerationen mit ausgeprägtem Fötor. Beide Unterschenkel waren stark gerötet und überwärmt (▶ Abb.
© Schattauer 2015
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A. Cyrek et al.: Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach Varizen-OP
1). Die peripheren Pulse konnten nicht getastet werden.
Duplexsonographisch zeigte sich kein
Hinweis auf eine tiefe Beinvenenthrombose. Die MRT-Untersuchung der beiden Unterschenkeln zeigte eine deutliche ödematöse Auftreibung beider Unterschenkel und
der Unterschenkel-Muskulatur, links >
rechts, mit Weichteilinfekt des subkutanen
Fettgewebes bis zur Muskelfaszie.
In der, bei schlecht tastbaren peripheren
Pulsen und in der Duplexsonographie monophasischen Profilen, arteriellen Angiographie beider Beine in DSA-Technik zeigten sich multiple arterielle Stenosen. Führend war eine Stenose der A. profunda femoris linksseitig sowie eine Tandemstenose der A. femoralis superficialis. Es wurde
die Indikation zur Revaskularisierung mittels Patchplastik der A. profunda femoris
links und intraoperativer Angioplastie als
Hybrideingriff gestellt.
In gleicher Sitzung erfolgte die sparsame
Resektion von infiziertem Weichgewebe
und ein Debridement bzw. Shaving der
ausgeprägten Ulzerationen beidseits. Im
Anschluss wurde eine Vakuumtherapie mit
einem Unterdruck von 125 mmHg und
zweimaligem Wechsel pro Woche initiiert.
Die Wundverhältnisse an den Unterschenkeln wurden drei Wochen mit der
Vakuumtherapie und unter systemischer
Antibiotika-Therapie nach Antibiogramm
konditioniert. Nach erfolgreicher Wundkonditionierung (▶ Abb. 2) wurde anschließend eine großflächige Spalthauttransplantation an beiden Unterschenkeln
vorgenommen, die zur adäquaten Abheilung der Ulzerationen führte (▶ Abb. 3).
Diskussion
Fast 2,5 Millionen der Bundesbürger leiden
an nicht heilenden Wunden. Die kausale
Bedeutung der Ursache ist die Voraussetzung für jede weitere Behandlung. Denn
nur durch die Beseitigung der Grundursache ist eine Heilungschance gegeben (4).
Etwa 70 bis 80 % aller chronischen vaskulären Wunden in unserer Wundambulanz sind arterio-venöser Genese. Für diese
Krankheitsentität gibt es keine einheitliche
Definition oder ein standardisiertes Therapiekonzept. In den vorliegenden Publika© Schattauer 2015
Abb. 3
Befund nach Spalthauttransplantation mit komplett eingeheiltem Transplantat
tionen wird überwiegend die arterielle Rekonstruktion vor der venösen Therapie
empfohlen. Zunächst sollte nach Verbesserung der arteriellen Perfusion die Wundheilung angestrebt werden und erst danach
die Therapie des venösen Reflux erfolgen.
Begleitend wird eine konservative Therapie
mit Kompression oder eine lokale operative Ulkuschirurgie empfohlen (1, 2, 5, 6). In
Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung
ist sicher von einer steigenden Zahl solcher
Fälle auch in anderen Ambulanzen auszugehen.
Hier berichten wir über einen 65-jährigen Patienten, der über chronische Ulzerationen klagte. Vorausgegangen war eine
operative Behandlung der venösen Insuffizienz in Tumeszenzanästhesie, wonach es
zur deutlichen Vergrößerung der Unterschenkelläsionen mit einer Superinfektion
mit bakterieller Besiedlung kam. Nach erfolgreich erfolgter arterieller Revaskularisation der unteren Extremitäten und der lokalen Wundtherapie mit anschließender
Hauttransplantation kam es zu einer rasch
progredienten Wundheilung mit vollständiger Abheilung der Ulzerationen innerhalb von 4 Wochen.
Die Tumeszenzanästhesie ist ein Verfahren, das häufig für die Varizenchirurgie genutzt wird (8–10). Die einfache Durchführbarkeit und die zuverlässige Analgesie machen es zu einem beliebten Verfahren. Eines der Risiken der Tumeszenzanästhesie
ist die Toxizität des Lokalanästhetikums.
Das Lokalanästhetikum verteilt sich im Ge-
webe in Abhängigkeit von der Volumenausbreitung, die wiederum von der Volumenmenge und der Infiltrationsgeschwindigkeit bestimmt wird. Je geringer die Infiltrationsgeschwindigkeit, desto geringer ist
auch die systemische Anflutung und die
systemische Toxizität (11).
Neben der allergischen oder toxischen
Schädigung wurden auch einzelne Fälle
mit Auftreten von nekrotisierender Fasziitis nach ambulanter Phlebektomie beschrieben (12). Hierbei kam es durch die
Einbringung der Tumeszenzanästhesie zur
Neubildung des entzündlichen Fokus im
Subkutangewebe.
Der gleichzeitige Einsatz von Revaskularisation, antimikrobieller Therapie und
Lokaltherapie hat eine nicht belegte, nicht
infizierte, rosige Wunde mit Abheilung
zum Ziel. Kleinere Ulzerationen zeigen oft
unter optimaler Therapie eine gute Abheilungstendenz und verschwinden spontan.
Größere Defekte benötigen länger für die
Reepithelialisierung und stellen einen Ausgangspunkt für immer wiederkehrende,
manchmal auch lebensbedrohlich verlaufende Haut-Weichteilinfektionen dar, die
dann zur akuten Amputation einer Extremität zwingen, um das Leben des Patienten
zu erhalten. Die Defektdeckung und damit
die Wiederherstellung einer durchgehenden Epithelialisierung sind daher erstrebenswert (3,7).
Im klinischen Alltag sollte bei einem
therapieresistenten Ulcus cruris venosum
stets an eine gleichzeitig bestehende artePhlebologie 4/2015
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A. Cyrek et al.: Management einer schweren Weichgewebsinfektion nach Varizen-OP
rielle Verschlusserkrankung gedacht werden. Diese muss vor einer Venenoperation
zwingend ausgeschlossen werden. Das Ulcus cruris mixtum wird in 10 bis 20 % der
Patienten mit einem Ulcus cruris venosum
diagnostiziert und bedarf einer differenzierten Diagnostik und Therapie der arteriellen
Verschlusserkrankung und der venösen
Abflussstörung. Die Heilungsprognose von
Patienten mit Mischulzerationen ist abhängig von der Verbesserung der arteriellen
Perfusion. Erst bei ausreichender arterieller
Perfusion kann eine suffiziente Kompressionstherapie ggf. kombiniert mit einer venenchirurgischen Sanierung erfolgen.
Die Tumeszenzlokalanästhesie ist eine
Weiterentwicklung von Regionalanästhesieverfahren für operative Eingriffe. Das
Verfahren ist in der Regel zur sicheren Anästhesie großer Körperareale geeignet und
erlaubt die Durchführung von Krampfaderoperationen. Nachteile der Tumeszenzanästhesie sind die fehlende spezifische Zulassung eines Lokalanästhetikums
für diese Indikation, die potenzielle Toxizität und in Einzelfällen schwere Weichgewebsinfektionen.
Bei den Patienten mit therapierefraktären Ulzerationen und vor einer operativen
Therapie einer Varikose muss eine pAVK
differenzialdiagnostisch ausgeschlossen
werden, da sich durch verschiedene Diagnosen auch unterschiedliche Therapiekonzepte ergeben. Für die Diagnostik sollten
Bilden Sie sich fort!
Unter cme.schattauer.de
Phlebologie 4/2015
die Fußpulse palpiert und Knöchel-ArmIndex (ABI) bestimmt werden.
Weiterführend sollte bei auffälligen Befunden (z. B. Mediasklerose) eine Duplexsonographie der Arterien bzw. Zehenoszillographie erfolgen. Eine erfolgreiche Behandlung von Fußulzera ist nur dann möglich, wenn zugrundeliegende Ursachen diagnostiziert und behandelt werden.
Interessenkonflikt
4.
5.
6.
7.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
8.
Ethische Richtlinien
9.
Die für dieses Manuskript erhobenen Daten stimmen mit den nationalen Gesetzen
und der aktuellen Helsinki-Deklaration
überein, eine Einverständniserklärung des
Patienten liegt vor.
Literatur
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des Ulcus cruris mixtum. Phlebologie 2005; 34:
245–250.
2. Treimann GS, Cobland S, McNamara RM, et al.
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combined arterial and venous insufficiency. J Vasc
Surg 2001; 33: 1158–1164.
3. Becquemin JP, Favre JP, Marzelle J, et al. Systematic versus selective stent placement after superficial femoral artery ballon angioplasty: A multi-
10.
11.
12.
13.
14.
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Teilnahmeschluss: 11.12.2015
© Schattauer 2015