Thema. Juso auf dem Durchmarsch «Ein Nein wäre eine Katastrophe» Der Basler Chefarzt Christian De Geyter plädiert für die Präimplantationsdiagnostik PRÄNATALDIAGNOSTIK BISHER Von Dominik Feusi, Bern Die Jungsozialis ten, eine ebenso radikale wie kleine Minder heit, sind im Bundesrat und im Ständerat angekommen. rechnet die kleine Kammer Ausge – früher einmal Hort bürgerlicher Vernunft und staatspolitischer Weisheit – hat gestern den Bundesrat zu einer Beschränkung des Warenhandels ermächtigt – genau das, was die Juso mit einer Volksinitiative wollen. Das kann nur gutheissen, wer die bürger liche Überzeugung verloren hat, dass die spontane Koordination von freien Menschen auf freien Märkten am besten zum Gemeinwohl aller beiträgt. Die Überwindung des Kapitalismus ist ein Stück näher gerückt. Der Vorschlag wurde von Finanzmi nisterin Eveline WidmerSchlumpf ohne Vernehmlassung und damit auch ohne Abklärung von Wirkung und Folgen durch die Hintertüre in eine bereits laufende Vorlage geschmuggelt – obwohl der Bundes rat selber schriftlich festgehalten hat, was Ökonomen und die historische Erfahrung längst zeigen: Warenspe kulation hat keinen Einfluss auf die Preise. Sie glättet im Gegenteil sogar Versorgungs und Preisschwan kungen. Die Argumentation für eine Beschränkung des Handels wird nicht besser, wenn derartige Rege lungen in einem irgendwann in der EU geltenden Regelwerk vorkom men. Dort wurde es von der gleichen linksradikalen Allianz eingebracht, Die EU ist der Hebel, Ideen zu verwirklichen, die politisch sonst keine Chance hätten. die hierzulande hinter der Volksini tiative der Jungsozialisten steht. Die EU und deren Kommission dient die sen Kräften zur Umgehung der demokratisch gewählten Regierun gen, im Falle der Schweiz auch noch der demokratisch abstimmenden bürgerlichen Mehrheit, welche die SpekulationsInitiative der Juso mit an Sicherheit grenzender Wahr scheinlichkeit beerdigen wird. Die europhile Mehrheit des Bundes rates, bestehend aus den Sozialde mokraten Simonetta Sommaruga und Alain Berset, verstärkt durch Eveline WidmerSchlumpf und Didier Burkhalter, spielt in diesem undemokratischen Spiel nicht nur mit, sie fördert dieses aktiv. Dazu setzen sie alle parlamentarischen Gepflogenheiten ausser Kraft, pro pagieren gegenüber der EU voraus eilenden Gehorsam und kuschen so vor linken Brüsseler Die EU ist der willkommene Hebel Lobbygruppen. dieser Bundesräte, zu verwirklichen, was mit Sachargumenten nie durch die eidgenössischen Räte zu bringen wäre. In Brüssel lacht man sich vermutlich ins Fäustchen. Wenn die Schweizer Regierung schon bei «Positionie rungslimiten für Warenderivate» im Voraus den politischen Bückling macht, hat die EU in Sachen Perso nenfreizügigkeit nichts zu fürchten. [email protected] Seite 5 3 befruchtete Eizellen weiterentwickeln. Übrige einfrieren. Pränataldiagnostik zur Erkennung von Erbkrankheiten während der Schwangerschaft. Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Erkennung von schweren Erbkrankheiten und Chromosomenfehlern. Alle entwickelten Eizellen müssen eingesetzt werden. Risiko: Mehrlingsschwangerschaft. NEU MIT PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK (PID) Entnahme von Eizellen und künstliche Befruchtung mit Spermien. 12 befruchtete Eizellen weiterentwickeln. Übrige einfrieren. Von Alessandra Paone BaZ: Herr De Geyter, den Reproduktions medizinern wird vorgeworfen, Gott spielen zu wollen. Christian De Geyter: Das ist eine Verleumdung unserer Gegner im Abstimmungs kampf. Es ist völlig abstrus, einen Arzt als Gott abzustem peln, nur weil er einem Paar hilft, ein Kind zu be kommen. Am 14. Juni stimmen wir über die Prä implantationsdiagnostik (PID) ab. In welchen Fällen würde Sie diese Methode anwenden? Bei Paaren mit einem Erbleiden in der Familie, die ein schweres Kreuz zu tragen haben und unter Umständen auch schon Schwangerschaftsabbrü che hinter sich haben. Es ist nicht vor gesehen, die PID bei Bagatellerkran kungen einzusetzen und erst recht nicht für Designerbabys. Das Gesetz sieht vor, dass die PID nur zur Verhin derung von schweren Erbkrankheiten eingesetzt werden darf, die bis zum 50. Lebensjahr ausbrechen können. Blaue Augen, rotes Haar gehören nicht zu diesen schweren Erbleiden. Es wird auch immer behauptet, wir würden das Geschlecht auf Wunsch bestimmen. Technisch wäre das auch möglich, aber es ist verboten. Und es geht bei dieser Abstimmung auch nicht um Retterbabys oder Leihmut terschaft. Wie viele Paare verweisen Sie wegen der hiesigen Einschränkungen an aus ländische Kliniken? Nicht viele, das läuft nicht über uns, sondern über die genetischen Zen tren. Aber ich habe bestimmt zwi schen 30 und 40 Paare gesehen, bei denen ein Erbleiden in der Familie vorhanden war, die dann aber selber den Weg ins Ausland gefunden haben. In welches Land reisen Paare am häufigsten für eine PID? In jedes Land in Europa bis auf Litauen und den Vatikanstaat. Die PID ist also praktisch überall in Europa zugelassen? Genau. Der Vatikan hat keinen Bedarf, damit sind wir das vorletzte Land. Und die anderen Länder in Europa sind keine Bananenrepubli ken ohne Ethik und Recht. Wie gehen Sie damit um, dass Sie Paa ren mit der aktuellen Regelung nicht alles bieten können? Es ist traurig zu wissen, dass ein Paar mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Kind mit einer schweren Behinderung bekommen wird, und dem eigentlich vorgebeugt werden könnte, ohne dass es dabei zu einem Schwangerschafts abbruch kommt. Ich kenne ein Paar, das wegen einer schweren Form von Muskelschwund viermal die Schwan gerschaft abgebrochen hat. Es kann sich eine PID im Ausland nicht leisten. Die Spermiensortierung, die wir hier anbieten, auch nicht. Die Frau ist fix und fertig. Ich glaube nicht, dass sie es weiter probiert. Wie schädlich sind diese sogenannten Schwangerschaften auf Probe? Das ist vor allem emotional ein Pro blem. Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind, das eine schwere Erbkrank heit hat. Für das Paar ist es allein schon ein Trauma zu wissen, dass es Im 4- bis 8-zelligen Stadium werden 2 Zellen entnommen. ein Erbleiden in den Genen hat. Das ist demütigend. Und dann hat man noch ein behindertes Kind. Natürlich liebt man es, aber man hat weder die Kraft noch die Ressourcen, ein weite res krankes Kind zu bekommen. Ent scheidet man sich dann für einen Schwangerschaftsabbruch, ist es so, als ob man das bestehende Kind auch umbringen würde. Das ist emotional nur sehr schwer zu ertragen. Hinzu kommt, dass ein Schwangerschafts abbruch manchmal erst in der 15., 16. Woche stattfindet, je nachdem, wie schnell die Diagnose vorliegt. Mit der PID kann zumindest sicherge stellt werden, dass es nicht wieder zu einer Schwangerschaft auf Probe kommt. Wie viel kostet eine PID? Rund 10000 Franken. Im Ausland ist es noch viel teurer. Ich kenne ein Paar, das über 100000 Franken ausgegeben hat, wobei die Hälfte Reisekosten, Hotelunterkunft und Verdienstausfall aufgrund des Auslandsaufenthaltes war. Bei einer Behandlung im Ausland gibt es auch immer eine zeitliche Bar riere. Wer kann sich schon erlauben, sechs Wochen lang ins Ausland zu gehen? Die Sprache ist ein weiterer Nachteil: Man kann nicht so kommu nizieren wie hier. Das führt dazu, dass die Therapiequalität abnimmt. Stimmt die Qualität im Ausland nicht? Wir haben ein Paar, das jetzt aus dem östlichmediterranen Raum mit Vier lingen zurückgekommen ist. Wegen einer vorzeitigen Menopause hat die Frau beschlossen, für eine Eizell spende ins Ausland zu gehen. Ihr wur den vier Embryonen auf einmal über tragen. Sie hat sie dann auf die Hälfte reduzieren lassen. Vor zwei Wochen hat sie gesunde Zwillinge geboren. Vierlinge wären bei dieser kleinen Gebärmutter aber nicht möglich gewesen. Wir hätten ihr nie vier Embryonen übertragen. Jetzt haben zwei Kinder ihr Leben lassen müssen. Das ist auch für den Arzt jeweils ein grausames Verfahren. Was würde ein Nein bei der Abstimmung vom 14. Juni bedeuten? Der Abstimmungskampf läuft nur unter der Überschrift PID. Aber im Wesentlichen geht es um die Existenz der Fortpflanzungsmedizin. Der gesetzliche Rahmen muss angepasst werden, damit die heute verfügbaren Technologien möglich sind. Nur mit dem neuen Gesetz kann etwa eine InvitroFertilisation (IVF) effizient und mit geringen Komplikationen durchgeführt werden. Wenn das alte Gesetz bleibt, wäre die Komplikations rate unerträglich hoch. Wir wären festgemauert in einem bereits jetzt veralteten Gesetz und müssten wei tere zehn bis fünfzehn Jahre damit klarkommen. Ein Nein wäre eine Katastrophe. Die Schweizer Repro duktionsmedizin würde verküm mern. Wir würden in zwei, drei Jah ren Steinzeitreproduktionsmedizin betreiben. Unsere Therapien sind jetzt schon an der Grenze des Vertret baren. Wenn sich die Fortpflanzungs medizin weiter so rasant entwickelt, sind wir einfach nicht mehr ernst zu nehmen. Es ist dann auch unethisch, solch veraltete Therapien anzubieten. Macht es dann für Sie überhaupt noch Sinn, in der Schweiz zu arbeiten? Ich bin 58, es ist nicht mehr weit bis zu meiner Pensionierung. Für die jun gen Kollegen wird es aber schwierig. Zellen werden auf genetische Defekte untersucht. Eizellen mit genetischen Schäden können vernichtet werden. Übrige werden eingefroren. Nur eine intakte Eizelle wird in die Gebärmutter eingesetzt. Wieso ist es wichtig, Embryonen einfrie ren zu können? Die Natur entscheidet in den ersten Tagen, welche befruchtete Eizelle sich tatsächlich entwickeln kann und wel che nicht. Je länger wir warten, umso besser sind wir in der Lage, dies zu erkennen. Nach altem Gesetz müssen wir frühzeitig entscheiden, noch bevor die Befruchtung stattgefunden hat. Wir müssen sehr viele Eizellen einfrieren, damit daraus später ein Kind entstehen kann. Dürften wir bis zu fünf Tagen warten, wüssten wir eher, welche befruchteten Eizellen wir tatsächlich einfrieren können. Durch die wirksamere Technologie könnte die Anzahl eingefrorener Eizellen reduziert werden, was wie derum bedeuten würde, dass wir den Paaren weniger unnötig Hoffnung und weniger Transfers machen müss ten. Es würde nur noch ein Embryo mit guten Chancen zur Weiterent wicklung übertragen. Damit könnte das Risiko von Mehrlingsschwanger schaften deutlich verringert werden. «Die anderen Länder in Europa sind keine Bananenrepubliken ohne Recht und Ethik.» Wenn wir jetzt der PID zustimmen, was wird dann als Nächstes kommen? So schnell geht das nicht. Wir haben jetzt schon fast 15 Jahre gebraucht, dass es zu dieser Abstimmung kom men konnte. Im nächsten Jahr dürfte im Parlament noch die Eizellspende diskutiert werden, die im Gegensatz zur Samenspende nicht erlaubt ist. Das ist eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Alles andere ist derzeit kein Thema. Die Leihmutter schaft wird nur in juristischen Kreisen diskutiert, nicht von uns Fachärzten. Grafik Monika Müller Kommentar | Mittwoch, 3. Juni 2015 | Seite 2 Meine Pensionierung wird mich ret ten (lacht). Und in den nächsten zehn bis 15 Jahren läuft ohnehin nichts. Derzeit wird noch das Social Freezing diskutiert. Ich persönlich halte jedoch nichts davon. Warum? Es ist eine falsche Sicherheit. Zudem ist die Hormontherapie ein schwerer Eingriff in die Integrität der Frau. Es ist heikel, so was zu machen, nur weil man keine Zeit hat, schwanger zu werden. Es braucht dafür eine medi zinische Indikation. Zum Beispiel Frauen, die Brustkrebs haben und sich einer Chemotherapie unterzie hen müssen. Es ist ein emotionaler Abstimmungs kampf, der insbesondere Eltern von behinderten Kindern bewegt. Man darf nicht sein eigenes Schicksal auf den Rest der Bevölkerung über tragen. Jeder ist verschieden. Nie mand wird gezwungen, eine PID durchzuführen. Diese ist nichts ande res als die zugelassene Pränataldia gnostik. Bei dieser können bis zur zwölften Wochen genetische Tests am Embryo durchgeführt werden. Die PID benutzt die gleiche Technologie, nur vorher und bevor es zur Schwan gerschaft kommt. Ein Schwanger schaftsabbruch kann vermieden wer den. Ich kann nicht verstehen, wieso man die Pränataldiagnostik gut heisst, die PID aber verbieten möchte. Diejenigen, die jetzt die PID ableh nen, heissen oft den Schwanger schaftsabbruch gut. Das ist eine widersprüchliche Geisteshaltung. Wie viele Paare werden in der Schweiz wegen eines Erbleidens eine PID brau chen? Zwischen 50 und 100. Es geht also um ein Nischenprodukt? Wo sind Ihre persönlichen ethischen Grenzen? Es ist tatsächlich eine ganz kleine Minderheit, welche die PID in Anspruch nehmen würde. Anderer seits ist es von Leuten mit gesunden Kindern doch sehr arrogant, die PID verbieten zu wollen. Anders gefragt: Wie weit würden Sie als Arzt gehen? Wo Paare mit unerfülltem Kinderwunsch Hilfe finden Wenn ich nicht eine zeitgemässe Medizin anbieten kann. Ich muss zugeben, dass ich meine ethischen Grenzen immer wieder ver schoben habe. Die Samenspende war für mich lange Zeit tabu, ich habe mich dann aber von der Ethikkom mission überzeugen lassen, sie anzu bieten. Inzwischen finde ich das auch gut so. Die Eizellspende ist der logi sche nächste Schritt. Vor Kurzem hat eine 65jährige Frau Vierlinge zur Welt gebracht. Das ist ein schlimmes Ereignis. Ein Zeichen dafür, dass schlecht gearbei tet wurde. Es ist aber auch die Folge eines allzu restriktiven Gesetzes. Hier bei uns hätten wir uns um die Frau gekümmert. Sie wäre auch von Psy chologinnen begleitet worden und wäre wahrscheinlich diesen Weg nicht gegangen. Wenn man aber den Leuten alles verbietet, gehen sie ins Internet und finden ein Zentrum irgendwo im Ausland. Mit Geld ist alles möglich. Wenn die Frau die Mög lichkeit gehabt hätte für eine Bera tung oder Betreuung in einem Zen trum in der Region, in der sie wohnt, wäre sie wohl aufgefangen worden. Sie haben Ihre ethischen Grenzen schon einmal verschoben. Wie gross ist die Gefahr, dass man als Arzt immer weiter gehen möchte? Basel. Christian De Geyter ist Chefarzt der Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Basler Unispital. Er wurde in Belgien geboren und arbeitet seit bald 20 Jahren in Basel. Als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin steht der 58-jährige Vater von drei erwachsenen Töchtern im Abstimmungskampf an vorderster Front und hat auch finanziell viel in die Kampagne investiert. De Geyter gilt auf seinem Gebiet als Koryphäe und hat Patienten aus der ganzen Schweiz. Am Uni-Spital Basel wurden im vergangenen Jahr zirka 700 künstliche Befruchtungen durchgeführt. Ein Drittel der Therapien haben zu einer Geburt geführt. In 18 Prozent der entstandenen Schwangerschaften kommt es zu einer Fehlgeburt. Mehr als die Hälfte der Frauen mit Kinderwunsch, die sich an das Uni-Spital Basel wenden, werden spontan schwanger. 1978 kam das erste Kind per In-Vitro-Fertilisation (IVF) zur Welt. In der Schweiz wurde das erste IVF-Kind 1984 in Breitenbach geboren. Eine IVF kostet am Uni-Spital Basel pauschal rund 6800 Franken. Je nach dem Bedarf an Medikamenten ist der Betrag höher oder tiefer. ale
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