„Der Weg in die Tiefe“ Predigt über Joh 12,12-19 und Philipper 2,5-11 Bangkok 20.3.2016 Palmsonntag Lesung: Joh 12,12-19 12 Am nächsten Tag hörte die große Menge, die zum Passafest gekommen war, Jesus sei auf dem Weg nach Jerusalem. 13 Da nahmen sie Palmzweige, zogen ihm entgegen vor die Stadt und riefen laut: »Gepriesen sei Gott! Heil dem, der in seinem Auftrag kommt! Heil dem König Israels!« 14 Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, so wie es schon in den Heiligen Schriften heißt: 15 »Fürchte dich nicht, du Zionsstadt! Sieh, dein König kommt! Er reitet auf einem jungen Esel.« 16 Damals verstanden seine Jünger dies alles noch nicht; aber als Jesus in Gottes Herrlichkeit aufgenommen war, wurde ihnen bewusst, dass dieses Schriftwort sich auf ihn bezog und dass die Volksmenge ihn dementsprechend empfangen hatte. 17 Als Jesus Lazarus aus dem Grab gerufen und vom Tod auferweckt hatte, waren viele dabei gewesen und hatten es als Zeugen weitererzählt. 18 Aus diesem Grund kam ihm jetzt eine so große Menschenmenge entgegen. Sie alle hatten von dem Wunder gehört, das er vollbracht hatte. 19 Die Pharisäer aber sagten zueinander: »Da seht ihr doch, dass wir so nicht weiterkommen! Alle Welt läuft ihm nach!« Predigt: Liebe Gemeinde, Es gibt Wege, die sucht man sich nicht aus. Sie sind unvermeidlich, alternativlos. Jedenfalls für den, der einen solchen Weg geht. Wege, die man wählt, ohne wirklich die Wahl zu haben. Auch wenn andere das nicht verstehen. Ich bin sicher, dass die meisten Flüchtlinge, die in diesen Monaten auf dem Weg nach Deutschland sind, die jetzt gerade an der mazedonischen Grenzen gestrandet sind, ihren Weg so erleben, auch wenn es uns schwerfällt, das nachzuvollziehen. Weil wir – soll ich sagen: Gott sei Dank? - nicht wissen können, wie Krieg oder Korruption oder das völlige Fehlen der Aussicht auf Veränderungen sich wirklich anfühlt. Aber manchmal gehen Menschen auch weite und verrückte Wege aus anderen Gründen. Aus Liebe zum Beispiel. Setzen alles aufs Spiel, um einen geliebten Menschen wiederzugewinnen, den sie enttäuscht haben. Oder gefährliche Wege - um die Wahrheit über ein Unrecht ans Licht zu bringen, das in Diktaturen vertuscht werden soll. Um Verfolgten zur Flucht zu verhelfen. Lebensgefährliche und dennoch unvermeidliche Wege. Man sucht sich das nicht aus. Aber man würde sich selbst und alles, was einem heilig ist, verraten, wenn man sie nicht gehen würden. Auch wenn man zittern und bangen muss, wie es enden wird. So ein unvermeidlicher Weg beginnt mit diesem Sonntag auch für Jesus. Genauer gesagt: Der letzte Abschnitt dieses Weges, der ihn nach Jerusalem und dort schließlich in den Tod führte. Jesus wusste mit Sicherheit, was ihn dort - im Zentrum der Macht seiner Gegner - erwartete. Hier würde sich entscheiden, ob seine Botschaft durchdringt oder verhallen würde… Warum er trotzdem nicht ausgewichen ist? Warum er nicht anders konnte und wollte, als diesen Weg trotz der Gefahr zu gehen? Weil es in Wahrheit keine Alternative gab. Und beide Bibeltexte dieses Sonntags wollen das auf ihre Art deutlich machen. Und immer geht es dabei um Tiefes und Hohes. Im Evangelium wird Jesu Einzug nach Jerusalem erzählt. Ein Weg? Nein, ein umjubelter Triumphzug. „Hosianna – gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn.“ Die Menschen sahen in Jesus einen ganz Großen. Einen, in dem ihnen Gott begegnete. Ein neuer König – ein Hoffnungsträger. Der Erlöser - der, durch den alles anders werden würde. Endlich! Dass in seinem Triumphzug auch schon etwas Gebrochenes war, dass er nicht hoch zu Ross kam, sondern auf einem Esel ritt, dem Tier der kleinen Leute – das machte ihn nur umso glaubwürdiger. Ein volkstümlicher König - einer aus dem Volk, der für das Volk streiten würde. Viele liefen ihm erwartungsvoll entgegen, standen hinter ihm – noch war alles möglich! Aber wenige Tage später ist die Stimmung umgeschlagen, die Menge wird nicht mehr „Hosianna“ schreien, sondern „kreuzige“. Und Jesus wird sehr einsam sein auf seinem allerletzten Weg ans Kreuz. Zu Fuss sich dahinschleppen müssen. Und dann erhöht und als Gescheiterter zur Schau gestellt werden auf dem Hügel Golgatha – tiefer konnte einer nicht sinken damals. Was ist hier tief? Was ist hoch? Aus einer ganz anderen Perspektive blickt unser Predigttext auf diesen Weg Jesu. Paulus schaut sozusagen aus der Zukunft zurück – er weiß ja, wie es weiterging. Er weiß, dass das Kreuz nicht das Ende war, sondern der unvermeidliche Tiefpunkt eines Weges, der weiterführte. Und der etwas Großes bedeutet für ihn und für alle, die ihre Hoffnung und ihr vertrauen auf Jesus setzen. Paulus schreibt dazu in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi, die Worte des Predigttextes, die wir nun gemeinsam lesen wollen. Sie sind abgedruckt auf der Seite 187 (nach Lied 76) im Gesangbuch. Phil. 2, 5-11: 5 Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.. Liebe Gemeinde, diese Verse sind eine Hymnus auf Christus, ein eigenständiger Text, den Paulus kannte und in seinem Brief an die Philipper zitiert. Wieder begegnet uns Jesus unterwegs – aber hier wird sein ganzer Lebensweg mit allen Höhen und Tiefen in einem großen Bogen beschrieben und gedeutet. Ein Lebens-Kreis wird hier gemalt, der bei Gott beginnt und sich bei Gott vollenden wird. Bei Gott beginnt dieser Kreis, weil Jesus „göttlicher Gestalt“ war, wie Luther es übersetzt. Ein Bild für das, was Menschen, seien es Freunde, seien es Feinde, bei Jesus immer gespürt haben: In ihm war etwas von Gott. Heilsam oder provozierend, je nachdem. Er war ganz und gar in der Welt wie wir und zugleich anders wir: nicht verwickelt oder gefangen in den Abgründen dieser Welt. Und deshalb für die einen Befreiung. Für andere gerade deshalb eine Bedrohung, weil man ihn nicht unter Druck setzen, nicht einschüchtern, nicht kleinkriegen konnte. Aber eine solche göttliche Ausnahmegestalt wollte Jesus nicht bleiben. Denn auch das hat seinen Preis: Zu abgehoben, getrennt von allem und allen. Privilegien machen immer auch einsam. Aber lebendig sein, sich lebendig fühlen kann man auf Dauer nur gemeinsam. Jesus wollte einer von uns werden. Und zwar ganz und gar. Das bedeutet dieses „er ward gehorsam“: Dass er nicht anders konnte, als der Stimme zu folgen, die ihn in die Gemeinschaft mit uns Menschen rief. Und dafür etwas Entscheidendes aufzugeben: Seine sichere Position, seine Unantastbarkeit. Seine schützende Hoheit eben. Stattdessen ließ er zu, dass sein Weg ihn herabführte. Hinab in die Welt, die wir nur allzu gut kennen. In der wir Menschen fähig sind, einander zu Wölfen zu werden. Zu den vielen– egal, ob mit und ohne eigene Schuld – heruntergekommenen Menschen kam er selbst herunter, ließ sich herab ohne jede Herablassung. Bis in die tiefsten Tiefen von Schmerz und Verrat und Leid. Bis zum bitteren Ende. Darum hat ihn Gott erhöht. Darum? Weil er so weit gegangen ist? Ist das der Preis dafür, dass es weitergeht? Dass man sich nicht schont? Dass man alles gibt? Selbst das eigene Leben? Manchmal ja. Nicht immer, Gott sei Dank. Aber es wäre eine weichgespülte Verkündigung, die verschweigt, dass der Weg des Glaubens, der Weg in den Spuren Jesu, das Hören auf die Stimme des Gewissens, die Entscheidung für die Tiefe auch etwas kosten kann. Und ich? Wofür entscheide ich mich? Wenn da nur nicht gleich diese andere Stimme in mir wäre, die fragt: Und was ist dann mit mir? Wo bleibe ich unter den anderen? Was bedeutet dieser Weg für mich? Was ist, wenn ich ausgenutzt werde? Wenn andere nur auf ihren eigenen Vorteiles bedacht sind und mir mit Rücksichtslosigkeit und Spott begegnen? Wenn mir keine Dankbarkeit entgegengebracht wird? Wenn ich mich lächerlich mache? Was gibt mir die Sicherheit, dass ich nicht am Ende den Kürzeren ziehe? Was ist mit mir? Es gibt keine Garantie auf Gelingen. Es ist nicht versprochen, dass wir immer und überall mit heiler Haut davon kommen. Aber das andere stimmt auch: Nicht in den sicheren Höhen, sondern in der Tiefe gewinnt das Leben an Tiefe. Wenn Menschen den Weg Jesu gehen, wenn sie den Weg in die Tiefe nicht scheuen und sich an die Seite der Bedürftigen, der Schutzlosen, derer, die unten sind, stellen, dann geschieht etwas, was bleibt. Etwas Großes und Berührendes. Was weiterwirkt. Oft wird, wenn ein Menschen stirbt, den wir gut kennen, für uns am Ende an wie in einem Brennglas deutlich, wofür er tatsächlich stand. Was sich für uns mit seinem Namen verbindet. Was von ihm bleibt. Und es ist etwas unglaublich Kostbares und Tröstliches, wenn z.B. daran, wer dann kommt und da ist und bei ihm bleibt, deutlich wird, dass dieser Mensch zuvor für andere da war und dabei auch den Weg durch manche Tiefe an der Seite seiner Mitmenschen mitgegangen ist. Jesu Name steht für diesen Weg der Gemeinschaft, die auch die Tiefen gemeinsam aushält und durchhält. Deshalb finden Menschen bei ihm bis heute Trost und Ermutigung und Wegweisung für ihr eigenes Leben. Deshalb ist er, ist seine Name nicht totzukriegen – im Gegenteil: bis heute setzen Menschen ihr Vertrauen auf ihn. Schenken ihm Glauben. Und wenn wir das wirklich tun – müssten wir dann aber auch reden und handeln wie er? „Seid untereinander so gesinnt, wie es der Gemeinschaft in JC entspricht“ – so begann doch unser Text. Das hat bei Paulus einen handfesten Hintergrund. Es gab Konflikte in der Gemeinde in Philippi. Konflikte, hervorgerufen durch die Selbstbehauptung einiger gegenüber anderen. Auch heute leiden Gemeinden unter solchen Konflikten, an denen die Gemeinschaft auseinanderbricht. Aber „Wer sich für kleine Aufgaben für zu groß hält, ist meist zu klein für die Großen.“ (Jacques Tati) Und nicht nur in Gemeinden kann das zum Problem werden. Überall da, wo Menschen miteinander leben und auskommen müssen. Ob in der Ehe oder in der Gemeinschaft von Völkern und Staaten. Selbstbehauptung um jeden Preis – ist das nicht die tiefere Ursache und der Brennstoff aller Kriege und unlösbaren Konflikte? Nur: Wer um jeden Preis siegen will, hat schon verloren. Denn „was man mit Gewalt an sich gebracht hat, kann man nur mit Gewalt behalten“. (Gandhi) Der Weg Jesu ist ein anderer. Wie er beschritten werden kann, das schreibt Paulus den Philippern mit den Sätzen in Herz, die unseren Predigttext einleiten. Sie sind seine Gebrauchsanweisung für den Weg Jesu, der die Tiefe nicht vermeidet – und gerade so zum Leben führt, das bleibt (Phil 2,1-4): 2 So macht mir die Freude und sucht zuerst das, was Euch eint und verbindet! 3 Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, 4 und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Und er sagt auch gleich dazu, was uns dazu anspornen und fähig machen kann. Das, 1 Ist nicht bei euch Ermahnung in Christus, Trost der Liebe, Gemeinschaft des Geistes, herzliche Liebe und Barmherzigkeit? Also erinnert Euch – all das ist bei Euch längst da. Ihr sitzt an der Quelle! Ihr habt das alles doch schon gefunden, als Ihr zu Christus fandet. Grabt es immer wieder aus, bestärkt Euch in der Gemeinde gegenseitig darin und setzt es um in Euer Denken und Handeln – überall dort wo Ihr lebt und arbeitet und Menschen begegnet. Und der Friede Gottes… Amen. Lied: 346,1-3 Annegret Helmer Such, wer da will ein ander‘ Ziel…
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