Himmelfahrt und Pfingsten – Leben im dazwischen

Gottesdienst–
„Leben im Dazwischen “
Eph 3, 14-21
8.5. 2016
Exaudi
Pattaya
Predigt zu Epheser 3,14-21
14 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater,
15 der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im
Himmel und auf Erden,
16 dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner
Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem
inwendigen Menschen,
17 dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne
und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.
18 So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite
und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,
19 auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft,
damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.
20 Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus,
was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt,
21 dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller
Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen
Liebe Gemeinde,
Sie hingen fest im Dazwischen.
Im Zwischenraum zwischen zwei Leben.
Dem einen Leben, von dem sie herkamen. In das sie
hineingewachsen waren, das sie kannten und liebten. Und das
ewig so hätte weitergehen können an der Seite Jesu.
Und dem anderen Leben, das jetzt irgendwie weitergehen
musste. Und von dem sie noch nicht wussten, wie sie darin
klarkommen sollten – ohne Jesus. Denn der war vor ihren Augen
entschwunden in den Himmel – unaufhaltsam.
Das eine unwiderruflich vorbei – das andere noch nicht
eingetroffen, noch nicht fassbar. Leben und zurechtkommen
müssen im Dazwischen.
Das ist die Situation, das Thema dieses Sonntags zwischen
Himmelfahrt und Pfingsten.
Himmelfahrt heißt: Etwas ist endgültig zu Ende gegangen. Jesus
ist weg.
Und der Tröster, den er versprochen hat, der die Lücke füllen
soll, die r hinterlässt, der wird erst noch kommen. Noch ist nichts
von ihm zu erkennen
Solche Situationen kennen wir auch. Wenn Lebensabschnitte
zuende gehen – mit dem Schulabschluss. Ausbildungsende,
Stellenwechsel oder der Übergang in den Ruhestand, der Auszug
aus dem „Hotel Mama“, der Einzug in die erste gemeinsame
Wohnung. Oder der wagemutige Wechsel in ein neues Land,
eine andere, fremde kulturelle Umgebung… Wer kann dann im
Voraus wissen, wie es werden wird?
Manchmal ist das gar nicht so schwer. Wenn der Weg in das Neue geebnet
ist, wenn wir gern und freiwillig in das neue Terrain wechseln, wenn wir
wissen, was uns erwartet – wenn es Unterstützung gibt. Dann kann eigentlich
gar nichts schiefgehen.
Aber manchmal liegt das neue Leben völlig unwirklich, unbekannt, kein
bisschen einladend, vielleicht sogar bedrohlich vor uns. Besonders, wenn wir
gehen müssen, weil wir da nicht bleiben können, wo wir waren. Der
Arbeitsplatz verloren. Die Beziehung gescheitert. Oder noch schlimmer: das
eigene Leben bedroht, wie bei so vielen Millionen, die überall auf der Welt auf
der Flucht sind. Erzwungene Abschiede führen fast immer in eine Zeit des
Dazwischen-Hängens, der Krise, in der wir schmerzlich spüren, dass wir in
dem alten Leben keine Heimat mehr haben und für das das neue noch gar
nichts klar ist.
Die Frage ist: Was haben wir dann im Gepäck, was uns hält und
trägt? Was konnten wir mitnehmen aus der alten äußeren und
inneren Heimat? Auf was können wir mit gutem Grund und ohne
Illusionen hoffen?
Von Erinnerungen allein kann man auf Dauer nicht leben. Die
Zukunft braucht ihre eigenen, lebendigen Kraftquellen, aus denen
man weiter schöpfen kann.
Seinen Freunden verspricht Jesus deshalb den Tröster – einen
Geist, der die Kraft hat, wahrhaftig zu trösten. Denn der wird
ihnen Jesus bezeugen – mit anderen Worten: sie mit Jesus in
immer neuer und aufgefrischter Verbindung halten. Damit in
ihnen immer wieder auflebt und stark wird, was sie von Jesus
bewahren wollen. Und sie das dann selber äußern und in die
Welt hinein wirken lassen können. Tröster ist der Name dieses
Geistes –sie sollen buchstäblich bei Trost bleiben. Nicht nur
aufgefangen in ihrer Trauer über den Verlust Jesu und in ihrem
Verlorensein jetzt und hier. Das auch – aber zugleich viel mehr
darüber hinaus.
Denn das Leben geht ja weiter. Und es wird Herausforderungen
geben für die Freunde Jesu. Anfeindungen. Unsicherheit, Ängste,
denen sie sich vielleicht nicht gewachsen fühlen. Schon gar nicht
mit der Traumatischen Erfahrung der Kreuzigung im Nacken.
Überall in den Evangelien-Erzählungen schimmert deutlich durch,
wie verunsichert und demoralisiert die Freunde Jesu waren.
So wie bis heute überall auf der Welt denen geht, die als
Staatsfeinde bedroht und verfolgt werden. Oder unter
dramatischen Umständen fliehen müssen.
Sie brauchen Mut und Kraft und Zuversicht. Damit sie in
verunsicherten Menschen wieder erwachen können, muss ein
Anstoß kommen, ein starker Tröster-Geist der ihren Geist erhellt
und lebendig macht.
Diese Lebendigkeit, die dann mit neuer Energie und Tatkraft und
Vertrauen in die Zukunft geht, die kann man sich nicht selbst
verordnen oder sich einreden. Sie erwacht als Geschenk. Das ist
das Werk des Trösters – der eine Art Stellvertreter Jesu bei
seinen Freunden werden soll.
Deshalb wird er zugleich ein Geist der Wahrheit sein.
D.h., er wird ihnen helfen, nüchtern und realistisch hinzusehen:
Was geschieht hier gerade? Auch hinter den Kulissen? Unter der
Oberfläche?
Und dann zu unterscheiden: Was droht wirklich? Was sind
unsere Angstphantasien? Was hilft und heilt? Was macht alles
schlimmer? Was deckt auf, geht an die Wurzel? Was deckt zu?
Denn Realität und Panikphantasien gehen in unsicheren Zeiten
oft durcheinander. Und schnell haben Verschwörungstheorien
Konjunktur.
Nicht nur Menschen auf der Flucht – auch die anderen, die in
Sicherheit leben und bleiben dürfen, erleben die gegenwärtige
politische Situation in Europa – und nicht nur dort – als eine
solche Zeit des unfreiwilligen Umbruchs, des Dazwischen.
Geht da mit den vielen Fremden, die kommen, nicht
unwiederbringlich etwas, das uns lieb und wert und vertraut ist,
verloren? Droht nicht eine Ordnung, die Frieden und Sicherheit
garantierte, zusammen zu brechen? Und ist das nicht in vielen
Teilen der Welt längst passiert?
Fragen, die man sich natürlich stellen muss!
Aber brauchbare Antworten findet nur, wer nicht in Panik oder
Fanatismus verfällt. Oder in Verschwörungs-theorien flüchtet.
Denn das trübt den Blick.
Nur wer unterscheiden kann – Wahrheit von Irrtum, Wichtiges
von Unwichtigem, bleibt handlungsfähig. Der Geist der Wahrheit,
den Jesus verspricht, ist zugleich ein konstruktiver Geist der
nüchternen Vernunft.
Und ich glaube, er kommt und kann sich entfalten am ehesten
dort, wo viele gemeinsam ihm Raum geben. Durch hinschauen,
fragen, diskutieren, wenn nötig auch streiten, bis der Geist sich
seinen Weg zu uns gebahnt hat. Das ist ja ein Stück der Kultur
auch hier im BZ.
Eine ganz persönliche Möglichkeit, diesem Geist bei uns selbst
die Tür offen und die Landebahn freizuhalten, zeigt unser
Predigttext:
Er benennt und macht stark, was allem Wandel und allem
Dazwischen unseres Lebens und der Unsicherheit darüber fest
steht und verlässlich bleibt.
Gerade wenn in meinem Leben alles, drunter und drüber geht,
hilft es den groß zu machen und sich dem anzuvertrauen, der
war und ist und bleiben wird: Dem Gott, des Himmels und der
Erde.
Solch einen Text der Gott lobt und ehrt für das, was er ist und
bleibt, nennt man Hymnus. Unser Predigttext ist so ein
hymnisches Gebet, das einer im Namen von Paulus spricht.
„Ich beuge meine Knie vor Gott, der der rechte Vater von allem
ist im Himmel und auf der Erde.“
Mit anderen Worten: Gott hat die Macht, er ist im Regiment –
ganz egal, welchen durchrüttelnden Ereignissen und
bedrohlichen Kräften ich mich ausgeliefert fühle.
Ich kann es vielleicht nicht immer deutlich erkennen oder
leibhaftig spüren: Aber ich halte daran fest und halte mich daran
fest: Gott wird stärker sein.
Und er hat die rechte, die legitime Autorität. An ihr müssen sich
alle anderen Herren und Mächte messen lassen, wie mächtig sie
selbst sich auch immer geben. Können wir das noch hören, wie
Herrschaftskritisch, ja subversiv diese Worte sind gegen allen
Machtmissbrauch auf dieser Welt, der so viel Leid und Tod
verursacht? Es sind Sätze wie diese, weswegen die Kirche,
weswegen Christen überall da, wo Mächtige ihre Macht
missbrauchen gar nicht anders, als politisch sein können, wenn
sie zugleich ihrem Gott treu bleiben wollen.
Aber dieser Gott thront nun nicht unbeteiligt im Himmel – er wirkt.
Und darauf wartet der Beter inständig, das fordert er geradezu,
wenn er sagt:
…dass er euch Kraft gebe …stark zu werden durch seinen
Geist an dem inwendigen Menschen,
Das wir hier (Kopf) und hier (Herz) stark werden, darauf kommt
es an. Mit Verstand und Gefühl die Dinge und vor allem die
Menschen betrachten und erkennen, was wirklich zählt. Das
bewirkt der Geist in uns. Hier (Kopf) und hier (Herz) verwandelt er
uns.
Und zwar so…
… dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne
und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.
Und merken sie was? Da ist er wieder! Jesus Christus. Er soll
aus als in den Himmel Gefahrener gar nicht komplett von der
Erde verschwunden bleiben. Er ist schon bald wieder da – lebt
auf in den Herzen von Menschen. Durch den Glauben – also
immer dann, wenn Menschen sich ihn zu Herzen nehmen, ihm
vertrauen und seinem Weg folgen.
Und wo das passiert, da lebt zugleich die Liebe auf. Und wird der
Nährboden für das Denken und Tun. Man merkt einem
Menschen immer an, ob er „in der Liebe eingewurzelt und
gegründet“. Oder ob andere Motive oder Interessen ihn leiten.
Die Liebe sucht immer das, was dem anderen guttut und was
heilt – auch wenn es manchmal mit schmerzlichen Wahrheiten
verbunden ist. Weil wir erkennen müssen, wo wir bisher auf dem
Holzweg waren. Wo wir unser Leben ändern müssen. Damit die
Liebe uns dann mit uns selbst und anderen versöhnen und heilen
kann.
Bei der Liebe geht es aber noch um mehr, als um die Erkenntnis
und das Tun des Guten.
Es geht ums Ganze. Wer in der Liebe gegründet ist, erfasst
erst…
… welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe
ist …, in der Gott da ist in der Welt. Nämlich überall – in jeder
denkbaren Breite, Länge, Höhe, Tiefe. Nicht auszumalen…
Es gibt keinen Ort und keine Zeit und keine Dimension, die nicht
von Gott erfüllt sein, wo Gott nicht gefunden werden kann.
Das heißt zugleich: Es gibt auf dieser Welt nichts, was verloren
ist oder bleiben muss. Im Gegenteil – Gott kennt keine Grenzen.
Und das Ziel ist, dass…
“… ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.“
Das ist es, was Gott uns zugedacht hat. Gottesfülle, die überall
da ist und den wahren Trost schenkt. Gottesfülle – das Gott alles
in allem ist – und seine Füll in uns und wir in ihm und seiner Fülle
aufgehoben.
Und wer von dieser geheimnisvollen Gottesfülle erfahren hat und
nach ihr Ausschau hält und mit ihr rechnet – der wird sie auch
aufspüren. Wird sie in der Weite des Kosmos finden, die alle
Vorstellungen sprengt.
Und zugleich in kleinsten und unscheinbarsten Dingen
aufleuchten sehen. Dem Lächeln oder Lallen eines Säuglings,
dem Tanz der Bienen, dem Glitzern eines Wassertropfens in der
Sonne.
Die Gottesfülle – wer ihr Raum und Zeit lässt, dass sie
wahrgenommen werden kann im eigenen Leben, der wird in ihr
eine Wahrheit finden, die trägt und tröstet – mehr als alle andere
hilfreiche und nützliche Erkenntnis und alle weisen Worte es
vermögen.
Sie ist eine geistliche Wahrheit. D.h. sie bleibt ein Geheimnis, das
eigentlich gar nicht in Worte zu fassen ist, sondern nur erfahren,
erlebt werden kann.
Zu allen Zeiten und in allen Religionen, nicht nur im Christentum
gibt es diese Seite der religiösen Erfahrung, die man mystisch
nennt. Weil sie sich nicht anderen vermitteln lässt. Höchstens
beschreiben lässt als ein Raum, in dem Gott unmittelbar an und
in uns wirkt. Meditation, Stille, Versenkung – auf welche Weise
auch immer Gott Raum geben und alles andere lassen, das ist
der Weg.
Die, das das üben und erleben, beschreiben es als das, was
wirklich und wahrhaftig tröstet und hält: Die Erfahrung der Fülle
Gottes in ihrem Leben.
Und für uns alle gemeinsam bewahren die Sakramente etwas
davon und öffnen es als Erfahrung für jede und jeden:
In der Taufe mit der Botschaft: Du bist jemand, egal, was andere
sagen, Du zählst – und du wirst nicht verloren gehen.
Und im Abendmahl das Erleben: Du sollst satt werden und eines
Tages lebens-satt sterben dürfen.
Zu weniger sind wir nicht eingeladen. Mit weniger werden wir
nicht abgespeist. Und mehr als diese Fülle braucht es auch gar
nicht, um getrost weitergehen zu können, wenn wir unterwegs –
noch oder immer wieder einmal verloren sind im Dazwischen
unsrer Lebenswelten. Pfingsten ist nahe – der Geist wird
kommen. In der Gottesfülle allerdings ist sein Werk zugleich
immer schon getan.
Und deshalb ende ich jetzt mit den letzten Versen des Hymnus:
Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was
wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt,
21 dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller
Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Und der Friede Gottes…Amen.
Annegret Helmer