Predigt am 1. Advent (Mt 21,1-9) „Was fällt dir ein zum Thema

Predigt am 1. Advent (Mt 21,1-9)
„Was fällt dir ein zum Thema Advent?“, fragte ich vor
einiger Zeit eine Bekannte. Einen Augenblick lang schwieg
sie und dachte nach. „Nun“, sagte sie schließlich, „Kekse,
Kerzen, Dunkelheit, unsägliche Weihnachtsmärkte und …“
„Und?“, fragte ich.
„Na ja, die Idee, dass es eigentlich auch was mit
Besinnlichkeit zu tun haben sollte. Aber da denkt ja heute
kein Mensch mehr dran.“
„Hm“, sagte ich, „und die Kirche? Fällt dir irgendetwas
Kirchliches ein zum Advent?“
Langes Schweigen. „Nein. Tut mir leid. Gar nichts.“
Würde Ihnen eine biblische Geschichte zum Advent
einfallen? – Das ist gar nicht so leicht, hat man doch zu
Weihnachten oder Karfreitag oder Ostern eine konkrete
Geschichte in der Bibel, aber Advent? Advent ist ja kein
konkretes Ereignis, sondern eher ein Prozess, eine
Entwicklung hin auf Weihnachten. Advent kommt aus dem
lateinischen ad-venire – herankommen, ankommen und
meint den Prozess der Ankunft des Messias, des Königs.
Den Weg der Ankunft Gottes in unserer Welt. Es ist die
Zeitspanne, die uns bleibt uns vorzubereiten auf die
Ankunft des großen Königs: Macht hoch die Tür die Tor
macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit!
Eine Adventsgeschichte wäre daher sicherlich die
Geschichte um die Geburt Johannes des Täufers, der ja der
Wegbereiter für den großen König und Messias Jesus
Christus wurde. Auch die Ankündigungen der Geburt Jesu
durch Engel könnten adventliche Geschichten sein, obwohl
wir sie eher an Weihnachten bedenken. – Aber eine der
wohl größten Adventsgeschichten, die sogar eine
Prophezeiung aus dem Alten Testament aufnimmt, hören
wir meist am Palmsonntag. Es ist der Einzug Jesu in
Jerusalem im Frühjahr d. Jahres 33, wo er mit Palmwedeln
begrüßt wird wie ein König:
Mt 21,1-9:
1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach
Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus
2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch
liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden
und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!
3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der
Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.
4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist
durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9): 5 »Sagt
der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir
sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen,
dem Jungen eines Lasttiers.« 6 Die Jünger gingen hin und
taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, 7 und brachten die
Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er
setzte sich darauf. 8 Aber eine sehr große Menge breitete
ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den
Bäumen und streuten sie auf den Weg. 9 Die Menge aber,
die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem
Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des
Herrn! Hosianna in der Höhe!
Hosianna. Begeistert haben sie ihn gegrüßt, Jesus, den
neuen Herrscher. Den Retter. Den Heiland. Den Messias.
Den Gesalbten Gottes. Den neuen König. Alles würde
anders werden, haben sie geglaubt und gehofft. Alles würde
sich nun ändern, besser werden. Die Römer würden verjagt.
Der verhasste, Rom hörige König Herodes würde
verschwinden. Und mit ihm Korruption und Machtgier. An
seiner statt würde Jesus regieren. Den Armen würde
Gerechtigkeit zuteil. Nicht länger müssten sie hungern. Die
Reichen würden teilen, freiwillig abgeben von ihrem
Reichtum. Die Blinden würden wieder sehen, die Lahmen
würden wieder gehen können. Friede würde sein. Und große
Hoffnung läge über allem, denn mit Jesus, dem Davidsohn,
wird Gott selbst wieder herrschen über sein Volk. Hosianna.
Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.
Da sehe ich den Zolleinnehmer, den kleinen Mann, Zachäus
mit Namen. Kein angenehmer Zeitgenosse, zweifellos. In
Jericho hat er gelebt. Gut gelebt. Er hat sich gesund
gestoßen am Geld der anderen, hat mit den Römern
zusammengearbeitet. Und es sich gut bezahlen lassen. Bis
eines Tages, ja, bis Jesus vorbeikam. Er kam vorbei, sah ihn
an. Und er schaute durch seine Fassade hindurch. Er blickte
in seine Seele. Sah die Einsamkeit, sah die Verbitterung.
Sah, warum er so geworden war, wie er war. Und Zachäus
merkte, wie es ihm auf einmal warm wurde. Er spürte, wie
der harte Panzer um sein Herz weich wurde. Auf einmal
war sie wieder wach, die Sehnsucht, die Ahnung, dass Geld
nicht alles ist. Dass da mehr sein musste im Leben. Er teilte
sein Geld. Und zog mit Jesus auf der Suche nach Leben.
Auf der Suche nach Gott. Nun läuft er hier neben ihm. Stolz
und froh, dass er dabei sein darf bei diesem großartigen
Geschehen. Hosianna, so ruft er laut!
So viel Hoffnung, so viel Begeisterung. So viel
Überschwang klingt durch in den Worten des Matthäus.
Und ich kann sie vor mir sehen, die Menschen. Wie sie
rufen. Wie sie ihre Kleider auf den Boden legen, damit der
neue König nicht durch den Staub reiten muss. Wie sie
Zweige schwenken. Ich kann sie regelrecht vor mir sehen.
Und ich erkenne in der Menge Einzelne. Menschen mit
ihren Geschichten. Menschen mit ihrer Sehnsucht, mit ihren
Träumen.
Da ist Petrus, der Fischer vom galiläischen Meer, vom See
Genezareth. Ein eifriger, ein glühender Anhänger Jesu.
Eines Tages packen ihn die Worte Jesu. Er lässt alles stehen
und liegen, folgt ihm nach, diesem Wanderprediger, der
sein Herz so berührt hat. Wohin? Petrus fragt nicht einmal
nach. Simon Petrus, ein widersprüchlicher Mensch. Den
einen Tag voll Glauben und Vertrauen. Hitzköpfig und
nicht zu überhören. Den anderen Tag voll
Widerspruchsgeist und Zweifel. Er ist es, der laut
ausspricht, was andere nur zu flüstern wagen: Du bist
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Ja, auch Simon
Petrus läuft mit der Menge. Begeistert heute. Voller
Hoffnung. Sein Herz ist weit. Seine Sehnsucht groß. Nun
wird die Welt ihn erkennen, den Christus. Nun wird er den
Thron besteigen. Hosianna, so ruft er begeistert!
Da ist Maria, die Mutter Jesu. So viel schon hat sie mit
ihrem Sohn erlebt. So viel schon mitgemacht. Und nein, sie
ist längst nicht immer einverstanden gewesen mit ihm. Sie
streitet mit ihm. Ja, sie versucht ihr Bestes, um ihn von der
Straße zu holen, wieder zurück in den Schoß der Familie. Er
aber hat nicht gewollt. Er ist seinen Weg weitergegangen.
Und sie mit ihm. Nun steht auch sie hier, am Stadttor von
Jerusalem. Voll böser Ahnungen. Wo mag es ihn hintreiben,
ihren Sohn? Hosianna. Maria flüstert es, leise.
Hosianna. Gelobt sei, der da kommt im Namen Gottes.
Hosianna, das heißt ursprünglich: Befreie uns, rette uns, hilf
uns.
Zachäus, Maria, Simon Petrus – wie unterschiedlich haben
sie sich gefühlt, als sie einstimmten in das Rufen. Und ich
muss gestehen, etwas zwiegespalten bin auch ich. Und ich
frage mich, wie das wohl wäre, wenn so einer wie Jesus
heute wieder einziehen würde – vielleicht sogar hier in
Lauffen? Da ist ein Teil in mir, der von Herzen einstimmen
möchte in dieses Hosianna. Zu schön wäre es, um wahr zu
sein: Dass da einer ist, ein wirklich von Gott Gesandter,
einer, der im Namen Gottes alles zum Besseren wendet!
Wie schön wäre es, wenn die Menschen aufeinander
zugehen würden. Wenn einer die Not des anderen sehen
würde, wirklich sehen. Wie schön wäre es, wenn die jungen
Leute, die an verschiedenen Plätzen hinter der Kirche oder
in der Stadt herumlungern, endlich eine Perspektive für ihr
Leben angeboten bekämen. Wie schön wäre es, wenn man
nicht immer beim anderen auf die Fehler und Mängel sehen
würde, sondern mehr auf die guten Seiten. Wie schön wäre
es, wenn wir Menschen uns gegenseitig mehr wertschätzen
würden und im andern den geliebten Bruder oder die
geliebte Schwester sehen würden, auch wenn es
Andersgläubige oder ausländische Mitbürger sind. Wie
schön wäre es, wenn da einer wäre, der hinter die Fassade
schaut, - ja, der die Fassade überflüssig macht.
Ach, mir fällt so vieles ein. Zu schön wäre es, wenn die
unzufriedene Stimmung im Land vergehen würde. Wenn
wieder Vertrauen in die Politik möglich wäre. Zu schön
wäre es, wenn da einer käme, der endlich mal aufräumt mit
der Korruption und der Verfilzung. Einer, dem man absolut
vertrauen kann. Einer, mit dem alles besser wird. Hosianna,
gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn!
Doch zugleich bin ich misstrauisch, zutiefst misstrauisch
gegenüber dem Ruf nach dem „starken Mann“. Dieses
Rufen bleibt mir im Halse stecken. Viel zu nahe, viel zu
dicht sind die Erinnerungen an anderes Rufen und Schreien.
Heil Hitler! So klang es vor einigen Jahrzehnten durch
unser Land. Heil, Heil! Und ein anderer Retter, ein anderer
Erlöser machte von sich reden. Er versprach Heil. Er
versprach ein neues Gottesreich, ein 1000-jähriges Reich.
Er versprach eine gute, eine wundervolle Zukunft. Und wir
wissen alle, welche unaussprechlichen und entsetzlichen
Folgen diese Botschaft hatte. Er verstand es großartig, sich
zu inszenieren. Feierliche Aufmärsche, Menschenmassen,
die Straßenränder säumten, Jubelschreie. Jubelschreie, die
am Ende aufgingen in der Antwort auf die furchtbare Frage:
„Wollt ihr den totalen Krieg?“
Ich betrachte in Gedanken die Heilsbringer und Oberen
unserer Zeit, die sich sicherlich redlich bemühen und
anstrengen. Und doch muss ich mich manchmal fragen:
Sind wir Menschen für so viel Verantwortung und Macht
eigentlich gemacht? Oder brauchen wir nicht, je höher die
Verantwortung desto mehr, den Beistand und die
Wegweisung von Gott? – Regieren ja, aber bitte nur mit
Gottes Hilfe! Kann bei all unseren Interessen und Launen,
unseren recht schwankenden psychischen und physischen
Befindlichkeiten, unseren Sympathien und Antipathien
wirklich aus uns selbst Heil erwachsen? Oder ist es nicht
vielmehr so, dass alle zunächst ihre eigenen Interessen
sehen und dadurch ein heil-loses Gegeneinander stattfindet,
aus dem letztlich keiner mehr einen Ausweg sieht? Egal ob
wir dabei nach Israel/Palästina, zu den IS-Milizen oder auch
in die Ostukraine schauen. Und egal ob wir dabei eher
Sympathien für Amerika, Europa oder Rußland oder wen
auch immer haben: Keiner will etwas hergeben, alle fühlen
sich im Recht, jeder möchte mehr für sich und setzt alle
möglichen und unmöglichen Mittel zur Durchsetzung seiner
Interessen ein.
Doch inmitten all dieser Rechthaberei, aller Lobbyisten,
inmitten allen Streitens, kommt mir auf einmal ein ganz
anderer in den Blick. Kein ängstlicher, der von Bodyguards
geschützt wird, keiner der zuerst an sich denkt. Ich sehe auf
ihn. Jesus Christus, den Sohn des allmächtigen Gottes.
Nicht hoch zu Ross, sondern „tief zu Esel“.
Die Herren dieser Welt regieren von oben nach unten.
Christus aber tut etwas, das bis heute ein Skandalon ist: Er
legt sich unter die Welt, um sie zu erdulden und zu erleiden.
Er kommt nicht, um von oben zu zwingen, sondern um von
unten zu tragen. Er erobert nicht Länder und Bodenschätze
sondern Gewissen und erneuert Menschen durch seine
Liebe.
Er ist kein Herrscher mit dem Willen zur unbedingten
Macht, sondern ein Kreuz-König der Sanftheit und der
Leidensbereitschaft aus Liebe. Still sitzt er auf seinem
kleinen Esel. Und ganz leise höre ich ihn sprechen
(Matthäus 11, 29-30): „Nehmt auf euch mein Joch und lernt
von mir. Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.
So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch
ist sanft, und meine Last ist leicht.“
Ganz still, ganz leise, ganz behutsam höre ich Jesus diese
Worte sprechen. Und ich merke, wie ich selbst ruhig
werde. Ich spüre, wie seine Worte mein Herz berühren, wie
es weit wird in mir. Ich spüre: Das ist einer, den ich hören
kann. Dem ich zuhören kann. Der meine Sehnsucht nicht
missbraucht für seine Zwecke. Das ist einer, den ich nötig
habe. So nötig. Wie oft bin ich verkrampft. Wie oft
verstrickt in mein Denken, in mein Fühlen. Wie oft kreise
ich nur um mich selbst, um meine Sorgen und Ängste,
unfähig, frei zu kommen. Wie oft bin ich unruhig,
unzufrieden, verzweifelt. Voller Fragen und voller
Sehnsucht. Wie sehr hält mich manchmal meine Traurigkeit
umfangen. Dann braucht es einen, der mich anspricht, der
mich anrührt. Dann braucht es einen, der mein Herz wieder
weit werden lässt, dass ich atmen kann.
Advent, das heißt Ankunft. Voll Sanftmut kommt er,
kommt Gott, in diese Welt, in unsere Herzen. Er will uns
Frieden bringen. Einen Frieden, den wir dann weitertragen
können. Jeder von uns. Darum: Macht die Tore weit, und
die Türen in der Welt hoch, dass der König des Friedens
einzieht. Macht die Tore der Herzen weit, und die Türen der
Seele hoch, dass Gott Wohnung nehmen kann in unseren
Herzen und Seelen.
Amen