Jan Imgrund - STARK Verlag

Leistungskurs Deutsch (Sachsen): Abiturprüfung 2015
Aufgabe 1: Interpretation lyrischer Texte
Thema: Jan Imgrund (*1974): Mondnacht (2009)
Joseph von Eichendorff (1788 –1857): Mondnacht (1837)
Jan Imgrund: Mondnacht
es sind im moment keine kontaktplätze1 frei.
sie könnten solange
aufstehen und wandern.
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natürlich – warum hatte ich nicht
gleich daran gedacht? über die
gerade bestellten felder. und ohne
mir klar zu machen, worauf ich mich
einlasse. es gibt viel zu tun,
gewaltig endet so das nie?
das macht der wald
mit seinem nötigen warten,
seinen moosigen eichen.
starke, motivierte mitarbeiter.
ich bin so dankbar in der natur vorzukommen,
das ist wie ein traum für mich!
keine bewegung in den
laufspitzen den ruhenden feldern:
es ist als hätte ich still und heimlich
erde geküsst, und als ob das irgendwelche
verpflichtungen nach sich zöge,
ich schaue z. b. den mond an dass ich
vor ihm nun niederknien müsste: vielleicht.
dann wieder lässt es mich
heiß und kalt,
starr vor staunen
vor diesen plötzlichen lichtungen,
die meine ressourcen auslasten
und das quellwasser. quicklebendig.
vielleicht sind sie es
die uns zu hochform antreiben;
die uns am ende
zu einer brand2 werden lassen.
ich drücke ihn erst einmal weg
und entscheide mich später.
In: Jahrbuch der Lyrik 2009, Hrsg. Christoph Buchwald,
Uljana Wolf. Frankfurt a. M.: S. Fischer 2009, S. 24
1 Kontaktplatz: hier bezogen auf Zugang zu einem Internet-Portal
2 brand (engl.): Marke, Warenzeichen
LK 2015-1
Joseph von Eichendorff: Mondnacht
Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.
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Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
In: Der neue Conrady: Das große Gedichtbuch
von den Anfängen bis zur Gegenwart, Hrsg.
Karl Otto Conrady. Düsseldorf / Zürich:
Artemis & Winkler 2000, S. 393
Arbeitsanweisung:
Interpretieren Sie Jan Imgrunds Gedicht „Mondnacht“.
Vergleichen Sie es mit Eichendorffs Gedicht hinsichtlich der Gestaltung des Natur- und Weltbildes.
LK 2015-2
Lösungsvorschlag
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Die vorliegende Aufgabe entspricht dem Aufgabentyp „vergleichende Textinterpretation“. Sie
müssen hier also auf Ihr Methodenwissen zum Umgang mit literarischen Texten, speziell mit
Lyrik, und Ihre Kenntnisse zur Dichtung in unterschiedlichen Epochen zurückgreifen.
Interpretieren Sie zunächst den Ihnen wahrscheinlich unbekannten Gegenwartstext. Dazu
erfassen Sie die lyrische Situation und beschreiben, wie die sprachlich-künstlerische Gestaltung die inhaltliche Aussage des Gedichts untermauert. Aus Ihrer Analyse leiten Sie textimmanente Deutungen und Wertungen ab, in die Sie auch eigene Erfahrungen einbringen können. Aussagen zum Dichter werden nicht von Ihnen erwartet.
Anschließend vergleichen Sie das zeitgenössische mit dem romantischen Gedicht von Joseph
von Eichendorff, das Ihnen aus dem Deutschunterricht bekannt sein dürfte. Für den Vergleich
gibt Ihnen die Aufgabenstellung einen Aspekt vor, nämlich die Gestaltung des Natur- und
Weltbildes. Arbeiten Sie unter diesem Gesichtspunkt Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Berücksichtigen Sie dabei sowohl inhaltliche als auch sprachliche Komponenten. Auch
die literaturgeschichtliche Einordnung kann Ihnen helfen, Unterschiede zwischen den beiden
Gedichten zu finden.
1
Einleitung: Der Titel „Mondnacht“
Liest man den Titel „Mondnacht“, denkt man sofort an das berühmte Gedicht Joseph von
Eichendorffs, in dem dieser eine solche beschreibt. Dass es daneben noch andere, durchaus auch moderne lyrische Werke dieses Namens gibt, ist den wenigsten bekannt. Es ist
davon auszugehen, dass Gegenwartslyriker, wie im vorliegenden Fall Jan Imgrund, mit
der Wahl dieses Titels bewusst eine Verknüpfung zu Eichendorffs „Mondnacht“ herstellen wollen. Wie diese Verbindung aussehen kann, soll im Folgenden genauer betrachtet werden.
2
Die lyrische Situation
Das im Jahrbuch der Lyrik 2009 veröffentlichte Gedicht von Jan Imgrund thematisiert
das Verhältnis des Menschen zur Natur. Während des Wartens auf die gewünschte Verbindung zur digitalen Welt entwickelt das lyrische Ich ein Gedankenspiel um Natur
und Arbeitswelt. Mit einem Klick auf die Tastatur seines Computers kehrt es in die digitale Welt zurück, ohne sich seinen Überlegungen hinsichtlich der Bedeutung der Natur
weiter hinzugeben.
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Analyse und Deutung des Sinngehalts unter Beachtung der sprachkünstlerischen
Gestaltung
Die äußere Form des Gedichts wird durch vier Strophen mit unterschiedlicher Versanzahl
bestimmt. Die freirhythmische Struktur ohne Reim und Metrum lässt den Text fast
prosaisch erscheinen. Diese Nähe zur Prosa zeigt passend zum Inhalt des Gedichts, dass
die Lyrik und das poetische Sprechen dem in der Arbeitswelt verhafteten Menschen abhandengekommen sind. Zudem beeinflussen die zahlreichen Enjambements, die mit den
Gedankensprüngen des lyrischen Ichs korrespondieren, den Lesefluss.
Trotz vorhandener Interpunktion wird auf die Anwendung der Regeln zur Groß- und
Kleinschreibung verzichtet, was als bewusstes Mittel der Verfremdung gedeutet werden
kann. Möglicherweise soll hier die Kommunikation in modernen Medien nachgeahmt
werden, die häufig ebenso aus elliptischen Sätzen in Kleinschreibung besteht.
Die nur drei Verse umfassende erste Strophe spiegelt die moderne Medienwelt ironisch-metaphorisch wider. Da „im moment keine kontaktplätze frei“ (V. 1) seien, erhält
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