Therapieladen

Verein zur sozialen und psychotherapeutischen Betreuung Suchtmittelgefährdeter e.V.
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Email [email protected]
Deutscher Bundestag
Ausschuss f. Gesundheit
Deutscher Bundestag
Ausschuss für Gesundheit
Sekretariat PA 14
Platz der Republik 1
11011 Berlin
[email protected]
Ausschussdrucksache
18(14)0162(7)
gel. VB zur öAnhörung am 16.03.
16_CannKG
10.03.2016
Berlin, den 10.3.16
Stellungnahme zur Vorlage des
Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes (CannKG) BT-Drucksache 18/4204
In der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen
Bundestages am 16.3.2016
1. Fachlicher Hintergrund
Der Therapieladen e.V. ist seit 1985 Jahren aktiv in der präventiven, beratenden und
therapeutischen Arbeit mit Cannabiskonsument_innen. Der Verein war maßgeblich
beteiligt an der Erarbeitung moderner cannabisspezifischer Präventionskonzepte
(Cannabis denn Sünde sein?) und beteiligte sich an nationalen (Candis/Quit The Shit)
und internationalen Forschungsprojekten (INCANT/MDFT) zur Implementierung effektiver
evidenzbasierter, therapeutischer Interventionen für Cannabisklienten. Seit 30 Jahren
verfolgen und beteiligen wir uns in Deutschland an einem differenzierten und
konstruktiven Dialog zur „Risikodebatte des Cannabiskonsums“. Eine besondere
Herausforderung sehen wir darin, evidenzbasierte Wissensbestände zu Cannabis mit
Botschaften und Haltungen zum Thema Cannabiskonsum für unterschiedliche
Zielgruppen - Jugendliche, Eltern, Erwachsene, vulnerable Personen - angemessen und
spezifisch zu vermitteln. Die drogenpolitische Cannabisdebatte nahmen wir in 2015 zum
Anlass, unsere eigene Position aus fachlicher Sicht zu klären und als gemeinsames
Positionspapier mit anderen Akteuren der Berliner Suchthilfe im Rahmen unseres
internationalen Fachkongresses in Berlin („Cannabis Future-Jenseits von Ideologie“) zu
veröffentlichen.
2. Risiken des Cannabiskonsums
Cannabiskonsument_innen unterscheiden sich in ihren Konsummustern beträchtlich.
Eine große Mehrheit der Konsument_innen praktiziert entweder einen vorübergehenden
experimentellen Konsum oder konsumiert gelegentlich genuß- und
entspannungsorientiert in bestimmten Settings und Situationen. Bezogen auf die Gruppe
der Cannabiskonsument_innen haben 10-20 % einen missbräuchlichen Konsum oder
sind cannabisabhängig. Die Anzahl der Konsument_innen mit Missbrauch und
Abhängigkeit liegt seit Jahren konstant bei 1% der Bevölkerung. Von den Risiken des
Cannabiskonsums sind insbesondere Jugendliche betroffen, die sehr früh mit dem
Konsum beginnen und diesen regelmäßig fortsetzen, aber auch Personen, die im
Zusammenhang mit psychischen Störungen ein höheres Risiko für problematische
Konsummuster bzw. Abhängigkeitsentwicklung haben. Mit den Risiken und Folgen des
Cannabiskonsums dieser Konsumentengruppe sind wir in unserer Arbeit tagtäglich
konfrontiert. Wir kennen somit die in den wissenschaftlich klinischen Studien
beschriebenen Cannabisstörungen in allen Facetten und bewerten deshalb Cannabis
nicht als „harmlose“ oder „weiche“ Droge.
3. Steigende Behandlungsnachfrage
Seit Mitte der 2000er Jahren gab es einen bundesweiten Anstieg der Nachfrage von
Klienten mit cannabisbezogenen Problemen. In den letzten 10 Jahren kam es allein in
Berlin zu einer Verdreifachung ambulanter Hilfen für Klienten mit Cannabisdiagnosen.
Dieser Trend hat verschiedene, sich wechselseitig bedingende Ursachen. Zum
Einen gab es ab Mitte der 90er Jahre einen starken Anstieg der Prävalenz des
Cannabiskonsums. Damit einhergehend wuchs in kleinem Umfang auch die Gruppe
derjenigen, die einen Cannabismissbrauch oder Abhängigkeit entwickelt haben. In der
Folge wurden bundesweit cannabisspezifische Modellprojekte gefördert, die zu einem
verbesserten Zugang zur Zielgruppe führten. Insgesamt hat sich damit, im Vergleich zu
den 80er/90er Jahren, eine größere Sensibilität für cannabisspezifische Probleme in den
Hilfesystemen entwickelt. Dennoch stehen wir erst am Anfang einer verbesserten
Versorgung von Cannabisklienten, denn eine flächendeckende Umsetzung gut
evaluierter Behandlungsangebote, insbesondere für Jugendliche, steht noch aus.
4. Nachfrageerhöhung durch juristische Auflagen?
In einigen Stellungnahmen zur Cannabislegalisierung von Fachgesellschaften (z.B. DGSucht, DGPPN) wird darauf hingewiesen, „dass eine strafrechtliche Verfolgung von
Cannabiskonsumenten einerseits eine zusätzliche psychosoziale Belastung sei, die zu
weiterer Destabilisierung der Betroffenen beitragen könne, andererseits könne der
Kontakt mit der Justiz auch die Chance für eine Kontaktaufnahme mit den Betroffenen
bieten. Ein bedeutsamer Teil der Klienten würde auf diesem Wege in das
Suchthilfesystem zu Frühinterventionsangeboten oder auch zur längerfristigen
psychiatrischen Behandlung gelangen.“
Wir halten diese abwägende Argumentation aus prinzipiellen und faktischen Gründen für
fragwürdig. Gemäß der deutschen Suchthilfestatistik(2014) haben 15% der Klienten mit
Cannabisdiagnosen eine juristische Auflage. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen
ist nicht auf „juristischen Zwang“ angewiesen, um eine Behandlung zu beginnen, sondern
macht dies freiwillig. In Berlin haben wir im Vergleich zum Bundesdurchschnitt weniger
juristische Auflagen und dennoch eine starke Steigerung von Behandlungen für
Cannabisklienten. Herausragendes Beispiel ist hier der im Therapieladen beforschte und
etablierte Ansatz der Multidimensionalen Familientherapie, in dem wir „unmotivierte“
jugendliche Cannabisklienten in besonders frühem Alter erreicht haben, ohne auf
juristische Weisungen angewiesen zu sein. Mit einer intensiven Einbeziehung von
Eltern/Familienangehörigen, sowie professionellen Bezugspersonen (Schule/Jugendhilfe)
können wir sehr viel effektiver jugendliche Problemkonsumenten in einem frühen
Stadium erreichen. Hier sehen wir auch die Chancen und Notwendigkeit eines
zukünftigen verbesserten Jugendschutzes, indem eine stärkere Verbreitung effektiver
Frühinterventionskonzepte umgesetzt wird.
5. Unsere Haltung zur derzeitigen Cannabispolitik
•
Cannabis hat sich neben Alkohol und Nikotin als „illegale Alltagsdroge“ etabliert. Der
generalpräventive Ansatz der Verbotspolitik zur Verhinderung des Drogenkonsums
ist nicht wirksam. Der Konsum, die Nachfrage und das Angebot werden durch die
Strafverfolgung nicht nachhaltig beeinflusst. Die Kosten der Strafverfolgung stehen in
keinem Verhältnis zum gewünschten Effekt.
•
Eine notwendige präventive, beratende und therapeutische Bearbeitung
problematischer Konsummuster wird durch drohende strafrechtliche Maßnahmen
erschwert, und teilweise sogar verhindert. Das Risiko der Strafverfolgung erhöht die
Tendenz, den Konsum geheim zu halten. In der Folge verlängert sich der Zeitraum,
bis Angebote der Prävention oder Hilfe angenommen werden, riskante
Konsummuster verfestigen sich.
•
Eine glaubwürdige Risikokommunikation im Umgang mit Cannabis ist durch die
juristische Ungleichbehandlung von Cannabis und nicht weniger riskanten legalen
Stoffen erschwert und entbehrt einer rationalen wissenschaftlichen Basis. Die
Entwicklung eines risikokompetenten Umgangs mit Cannabis erfordert einen offenen,
enttabuisierten Dialog - in der Familie, in der Schule, in der Gesellschaft - über die je
individuellen Risiken, insbesondere für Jugendliche.
•
Jugendliche Früheinsteiger und deren Angehörige sowie vulnerable Gruppen müssen
durch gezielte Prävention und Frühintervention erreicht und unterstützt werden.
Hierfür bedarf es keiner repressiven juristischen Auflagen mit Hilfe des BtmG,
sondern einer stärkeren Verbreitung wirksamer Präventions- und
Frühinterventionskonzepte und einer stärkeren Vernetzung und Kooperation der
Hilfesysteme (Schule/Jugendhilfe/Suchthilfe/Psychiatrie).
•
Jugend- und Gesundheitsschutz (Stoffkontrolle!) ist unter den Bedingungen eines
„illegalen, kriminalisierten Marktes“ erschwert. Junge, oft sozial benachteiligte
Konsumenten geraten in den Sog der „Kleindealerei“ zur Finanzierung des eigenen
Konsums.
6. Fazit
Wir begrüßen den „Entwurf eines Cannabiskontrollgesetz“, als weiteren konkreten
drogenpolitischen Anstoß für eine zukünftige Veränderung der bestehenden
Cannabispolitik. Wir teilen mit einer großen Mehrheit von Fachexpert_innen der
Suchtprävention und Suchthilfe, sowie dem Public Health-Bereich die Ansicht, dass
eine staatlich regulierte, kontrollierte Abgabe für Erwachsene der bessere Weg auch
für einen verbesserten Jugendschutz ist. Es gibt keine fundierten Hinweise, dass
durch eine streng kontrollierte Abgabe für Erwachsene ein dauerhaft starker Anstieg
des Konsums, oder des Missbrauchs von Cannabis zu erwarten wäre. Vielmehr
würde der bestehende „freie illegale Markt“ schrittweise in ein kontrolliertes System
überführt werden und damit Polizei und Justiz entlastet. Hiermit wäre die Grundlage
für eine konsistentere Suchtpolitik gelegt, in der allerdings speziell der Jugendschutz
nochmals aufgewertet werden müsste. Die Glaubwürdigkeit einer verantwortlichen
Umsetzung des Cannabiskontrollgesetzes wird sich daran messen lassen müssen,
ob die Ressourcen für einen verbesserten Zugang zu jugendlichen Risikogruppen im
Rahmen des Jugendschutzes (über alle Suchtstoffe hinweg) zur Verfügung gestellt
werden. Hierfür könnte das Präventionsgesetz sowie zweckgebundene
Steuereinnahmen durch den staatlichen Verkauf genutzt werden.
Dipl.-Psych. Andreas Gantner
Geschäftsführer
Dr. Peter Tossmann
1. Vorsitzender des Vereins