2015\Pfingsten 2015 Gott hat uns nicht den Geist der Furcht

Predigt von Pfarrerin Ursula Hassinger für den ökumenischen Pfingstmontag am 25.5.2015
Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben,
sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2. Tim 1,7)
Liebe Mitchristen, liebe Gottesdienstbesucher am heutigen Pfingstmontag!
Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Damals, so berichtet es die Bibel,
kam der Geist Gottes mit Macht über die verängstigten Jünger und erfüllte sie
mit Mut und mit Begeisterung für den Glauben an Jesus Christus. Alle
Menschen in der Stadt Jerusalem, Einheimische und Ausländer, hörten die
Jünger in ihrer jeweiligen Sprache predigen. Daraufhin kamen 3000 Menschen
zum Glauben, ließen sich taufen und bildeten die erste Christengemeinde –
Geburtstag der Kirche.
Wie ist das heute mit dem Heiligen Geist? Viele Menschen, auch Christen,
wissen mit dem Heiligen Geist nicht viel anzufangen. Meine Ockenheimer
Schulkinder haben sich Gedanken dazu gemacht: „Den Geist kann man nicht
sehen, aber spüren.“ „Heilig, das hat mit Gott und mit Kirche zu tun. Heiliger
Geist bedeutet also, das der Geist von Gott ist.“ Einige Kinder wollten wissen,
wie man denn den Geist spüren kann. Ein ganz bibelfester Schüler wollte
wissen, ob es den Heiligen Geist schon bei Abraham oder Mose gegeben hat.
Kinder lernen mit Geschichten. Also suchte ich Geschichten aus unserer Zeit, in
denen das Wirken eines guten Geistes zu erkennen ist. Es waren Beispiele, wie
ängstliche Kinder plötzlich Mut bekommen haben, sich für eine gute Sache
oder einen anderen Menschen einzusetzen. Es waren Erzählungen, wie ein
Fehler oder ein Unglück dann doch zu etwas Gutem geführt hat und Menschen
zum Positiven veränderte. Die Schüler haben schon bald begriffen, was diese
modernen Beispiele mit der biblischen Pfingstgeschichte zu tun haben. Sie
haben erkannt, dass überall, wo Menschen sich verändern und Gutes tun oder
wenigstens Böses sein lassen, Gottes Geist am Wirken ist.
Wie können wir Gottes Geist spüren? Dieser Frage möchte ich jetzt mit Ihnen
nachgehen. Meistens ist bei uns ein anderer Geist zu spüren, nennen wir ihn
den Geist der Furcht. Wir fürchten uns vor so vielem in unserem Leben: Schon
die Kinder fürchten sich davor, in der Schule nicht mitzukommen oder
ausgegrenzt zu werden. Die Jugendlichen fürchten, keine Lehrstelle oder
keinen Studienplatz zu bekommen. Danach geht die Furcht um, keinen festen
Arbeitsvertrag zu bekommen oder keinen Beruf, der Spaß macht. Später
fürchtet man um die Karriere, man fürchtet sich vor Arbeitslosigkeit oder dass
Predigt von Pfarrerin Ursula Hassinger für den ökumenischen Pfingstmontag am 25.5.2015
der Lohn für die Arbeit nicht zum Leben ausreicht. Und im Rentenalter fürchtet
man, nicht mehr gewollt und gebraucht zu werden. Der Geist der Furcht hält
nicht nur uns selbst fest im Griff, sondern wir fürchten um unsere Kinder und
Enkel, um Ehepartner, die alt gewordenen Eltern usw. Der Geist der Furcht ist
nicht von Gott, sagt die Bibel.
Auch die Politik und das Tagesgeschehen wird von einem Geist der Furcht
bestimmt: Erdbeben in Nepal - die Menschen haben Angst; 8000 Flüchtlinge vor
Südostasiens Küsten – Hilflos im Meer
Das beherrschende Thema der Presse sind zurzeit die Flüchtlinge, die zu uns
nach Europa kommen: Attacke auf geplante Asylunterkunft in der Pfalz –
Entsetzen über Brandanschlag; Flüchtlingsunterkunft in Gau-Algesheim geplant
- Nicht jeder sagt Willkommen
Wir wissen: Diese Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Terror,
vor Armut und Hunger. Sie sind so verzweifelt, dass sie keinen anderen Ausweg
mehr sehen, als ihre Heimat zu verlassen, mit ein paar Habseligkeiten und der
Hoffnung auf Leben im Gepäck. Die Bilder von Flüchtlingslagern in Jordanien
oder von zusammengepferchten Menschen auf schrottreifen Booten im
Mittelmeer sind herzzerreißend. Wenn uns diese Nachrichten und Bilder in der
Zeitung oder im Fernsehen erreichen, haben wir die Möglichkeit, einfach
weiterblättern oder umschalten, wenn wir uns nicht damit beschäftigen wollen
oder wenn es über unsere Kräfte geht, uns mit diesem Thema zu belasten. D.h.
bis vor kurzem konnten wir das einfach tun. Die Flüchtlings-AufnahmeEinrichtung in Ingelheim quillt inzwischen aus allen Nähten. Aber auch
Ingelheim ist noch 10 km weg. Doch schon im nächsten Monat wird ein
Erstlingsheim für minderjährige Flüchtlinge in Gau-Algesheim eröffnet, mitten
im Ort, mitten unter uns. Wie gehen wir damit um? Davor können wir die
Augen nicht länger verschließen. Jeder weiß: Irgendwo müssen die Menschen
ja hin – aber bitte nicht in unsere Nachbarschaft! Ich glaube, da treibt der Geist
der Furcht wieder sein Unwesen: Angst vor ansteckenden Krankheiten, Angst
vor Zerstörungen, Angst vor Lärm in der Nacht, Angst vor Wertverlust des
eigenen Hauses in der Nachbarschaft. Hinter diesen konkreten Ängsten stecken
weitere, diffuse, nicht offen benannte oder benennbare Ängste: Angst vor
fremden Menschen oder Einflüssen, Angst, in die Verantwortung gezogen zu
werden, Angst, den eigenen Wohlstand teilen zu müssen, Angst, die eigene
Predigt von Pfarrerin Ursula Hassinger für den ökumenischen Pfingstmontag am 25.5.2015
Ruhe und Bequemlichkeit ein Stück zu verlieren oder überhaupt: Angst vor
Veränderungen. Alle diese Ängste sind ganz menschlich, ganz natürlich und
nachvollziehbar. Ich glaube, wenn wir es schaffen, ganz offen und ohne Scham
über unsere Ängste zu sprechen und auch die Ängste der anderen ernst zu
nehmen, ist das der erste Schritt, sie gemeinsam zu überwinden. „Gott hat uns
nicht den Geist der Furcht gegeben…“, so lautet die deutsche Übersetzung. Im
griechischen Urtext heißt das Wort deilia nicht nur Furcht, sondern auch
Feigheit und Nichtswürdigkeit. Der Begriff Feigheit wirft noch eine andere
Bedeutungsnuance auf unser Thema. Mit Angst und Feigheit verzagen wir vor
den Aufgaben und Anforderungen, die das Leben allgemein oder in besonderen
Situationen oder konkret im Hinblick auf die Flüchtlinge an uns stellt.
„Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der Kraft
…“, so geht unser Bibelvers weiter. Im Urtext steht dynamis , und auch hier gibt
es weitere Übersetzungsmöglichkeiten. Und die geben uns schon viele
Hinweise, was alles damit gemeint ist: „Vermögen, Können, Kraft, Gewalt,
Macht, Streitmacht, Streitkraft“ kann es bedeuten. Und das gilt - in Bezug auf
die Scharen von Flüchtlingen, die verzweifelt einen Weg aus den
Krisengebieten dieser Erde suchen - für die Machthaber und die Politiker. Da
gibt es manchen Situationen, in denen wird auch der Einsatz von militärischer
Streitmacht erwogen, z.B. im Kampf gegen die Piraten an der Küste Somalias
oder um die Terrormilizen der islamistischen Kämpfer zurückzudrängen. Oder
jetzt aktuell die kontrovers diskutierten Forderungen, etwas an den Grenzen
zum Mittelmeer zu tun. Natürlich ist der Einsatz von diplomatischen
Fähigkeiten immer der bessere Weg, das ist uns allen klar. Auch dahin weist das
Bibelwort. Dynamis heißt nämlich auch „Fähigkeit, Befähigung, Talent, Einfluss,
Ansehen“. Mit diesen Kräften hat Gott uns ausgerüstet, damit wir uns bei allen
Problemen des menschlichen Miteinanders einsetzen sollen und auch dazu
befähigt sind. Wir können unsere Talente und Fähigkeiten einsetzen, um
Lösungen zu finden, anderen zu helfen, auch hier in unserem überschaubaren
Bereich von Ortsgemeinde und VG. Ein Beispiel: der Kreis der Flüchtlingslotsen
um Frau Petric ist ganz phantasievoll und dynamisch, um Netzwerke zu bilden
und die Neuankömmlinge kreativ und engagiert zu unterstützen. Wir werden
merken: wenn wir die Kraft von Gott, die Dynamis Gottes wirken lassen und in
diesem Geist zusammenarbeiten, dann bleibt vom Geist der Furcht und der
Feigheit bald nichts mehr da.
Predigt von Pfarrerin Ursula Hassinger für den ökumenischen Pfingstmontag am 25.5.2015
„Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der
Liebe.“ Wörtlich übersetzt agape, die christliche Nächstenliebe. Interessant
finde ich, dass der Wortstamm des griechischen Begriffes auch „liebevoll
aufnehmen, bewillkommnen, schätzen“ bedeutet. Wir brauchen die Fremden
nicht gleich in die Arme zu schließen, aber zumindest freundlich und würdevoll
mit ihnen umgehen sollen wir. Wir sollen gastfreundlich sein und die Menschen
bei uns willkommen heißen. Ob daraus gute Nachbarschaft oder sogar
Freundschaft entsteht, das wissen wir jetzt noch nicht. Aber wenn wir die
Menschen mit ihrer fremden Art und ihrer anderen Kultur tolerieren und uns
über sie informieren – und umgekehrt: sie über unsere Lebensart, Sprache und
Kultur informieren; dann können wir einander schätzen lernen und versuchen,
friedlich miteinander in Gau-Algesheim zu wohnen.
„Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern den Geist der
Besonnenheit“, griechisch: sofronismos. Auch hier können wir andere
Übersetzungsmöglichkeiten ausprobieren: „Ermahnung, Besserung, Mäßigung,
Selbstbeherrschung“. Mäßigung ist angebracht, wenn anonyme Flugblätter
verteilt werden oder böse Briefe ohne Absender im Briefkasten sind. Mäßigung
tut gut, wenn die Wogen bei der Bürgerversammlung hoch schlagen.
Ermahnung, dieses Wort hören wir wohl alle nicht gern. Aber schon in der Bibel
steht, dass wir als Christen einander zur Besserung ermahnen sollen, wenn
jemand auf dem falschen Weg ist. Selbstbeherrschung, das große Ziel der
antiken Philosophen, beeinflusste sicher auch unser Bibelwort. Modern gesagt
etwa: wir sollen danach streben, unsere eigenen Wünsche, unsere kleineren
Probleme, unsere Streitigkeiten und Machtspielchen zurückzustellen und
gemeinsam für das große Ziel einzutreten, dass alle Menschen unter uns gut
leben können. Sofronismos bedeutet als Verb „maßvoll und bescheiden sein;
verständig, vernünftig, besonnen oder klug handeln“. Ich finde, unser
deutsches Wort „Besonnenheit“ (auch wenn es etwas altmodisch ist)
beinhaltet alle diese Nuancen. Liebe Pfingstgemeinde, ich fasse zum Schluss
zusammen:
In unserem Bibelvers wird uns Kraft von Gott verheißen. Wir brauchen keine
Angst zu haben und müssen uns vor nichts und vor niemandem fürchten. Ein
kleinmütiger, verzagter und feiger Geist ist nicht von Gott. Wir sind mit den
Anforderungen und Aufgaben des Lebens nicht auf uns allein gestellt, sondern
Gott will uns mit seiner Kraft, seiner Dynamik, beistehen und helfen. Für uns als
Predigt von Pfarrerin Ursula Hassinger für den ökumenischen Pfingstmontag am 25.5.2015
Christen gilt die Forderung der Nächstenliebe, Agape. Die ist nicht zu
verwechseln mit romantischer oder erotischer Liebe. Es geht um das einander
Annehmen, um die Toleranz, um Gastfreundschaft, um Willkommenskultur.
Das ist unsere Aufgabe. Wenn gute Nachbarschaft oder gar Freundschaft
daraus wächst – umso schöner! Unser Bibelvers sagt nicht, dass es leicht ist. Es
wird nicht ohne Schwierigkeiten, Enttäuschungen und Rückschläge gelingen,
Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Wir müssen alle unsere Talente
und Fähigkeiten, Klugheit und Einfluss geltend machen. Wir müssen „klug sein
wie die Schlangen und ohne Falsch wie dir Tauben“ (wie es im Mt-Ev. heißt).
Wir müssen uns selbst auch einmal still sein, unser Ego hintenan stellen, um
herauszufinden, was die Flüchtlinge brauchen und um sie mit ihrer Geschichte
und ihrer Not zu verstehen, um zu lernen, was wir hier vor Ort wirklich
Sinnvolles und Nachhaltiges tun können. Ich bin gewiss: Auf so einer Haltung
liegt Gottes Segen. Amen.
Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben,
sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2. Tim 1,7)