Christus spricht: Ich rede mit euch, damit ihr Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Johannes 16,33 In der Welt habt ihr Angst – wie wahr ist dieser Satz! Stichwort Nepal. Auch wenn die Zeitungen und Nachrichten sie schon wieder fast vergessen haben: Wie viele Menschen voller Angst und Verzweiflung, sie trauen sich nicht mehr in ihr Haus, weil es jeden Moment einstürzen kann. Sie sind obdachlos und wissen nicht, wie sie ihre Kinder vor dem kommenden Monsunregen schützen können. Sie haben Angst um ihre Zukunft. Wie soll das alles wieder aufgebaut werden, in einem der ärmsten Länder dieser Erde, das hauptsächlich vom Tourismus lebt? Werden jetzt noch die Touristen kommen, wenn fast alles zerstört ist? Psychologen unterscheiden zwischen der Angst vor einer realen Gefahr und einem eher irrealen Gefühl der Angst. Die Angst vor realen Gefahren nennen sie Furcht. Furcht ist meist berechtigt. Sie ist sogar ein wichtiges Warnsignal, um eine Gefahr bewusst zu machen. Wie viele Unfälle würden passieren, wenn uns die Furcht nicht rechtzeitig vor der Gefahr warnen würde. Furcht ist Angst vor einer realen Gefahr. Und auf der anderen Seite dieses dumpfe Gefühl der Angst. Ich las eine gute Beschreibung dieses Gefühls: Angst ist eine leibliche Regung, womit Gefühle, die Atmosphären sind, sich des Menschen bemächtigen und zu seinen Gefühlen werden, das heißt zu solchen, von denen er ergriffen ist. Solche Atmosphären sind etwa die diffuse Bangnis, in der es dem Menschen ohne angebbare Gefahr nicht geheuer ist, die sich, auch ohne dass eine solche sich abzeichnet, zu Grauen verdichten kann. (H. Schmitz zitiert in Josuttis, Segenskräfte, S. 197) Ich finde, das trifft es ganz gut, dieses dumpfe Gefühl der Angst, das einem überfallen kann und besetzen und zum Grauen werden kann. Es engt ein, man bekommt schier keine Luft mehr, man möchte nur noch abhauen oder sich tot stellen. Es gibt 1000 Ratgeber gegen die Angst, als wäre die nur eine schlechte Angewohnheit, die man sich abgewöhnen sollte. Aber Jesus sagt nicht: „Habt keine Angst!“, er sagt, Ja, in der Welt habt ihr Angst; er gesteht uns dieses Angst zu, er hatte selber Angst, zitterte und weinte, und flehte, lass diesen Kelch vorüber gehen. In der Welt habt ihr Angst. Ja, wir sind schreckhafte Wesen, manchmal voll eichhörnchenhafter Angst. Ich beobachte öfter ein Eichhörnchen in unserem Garten. Es ist so flink und behände, aber ständig sichert es und schaut sich um, als ob ihm die Angst im Nacken säße. Wir haben Angst, - und gerade die schnell sind mit aggressiver Sprache und markigen Worten, haben ja viel Angst, heruntergemacht zu werden. Und die Schlagbereiten, die sofort loszuprügeln drohen, die haben geradezu panische Angst, sie sind so gebannt von Angst vor Gewalt, dass sie unter allen Umständen der Gewalt zuvorkommen wollen durch die eigene schnellere Gewalt. Und so vermehren sie natürlich die Angst. Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Zeltlager. Da war ich gerade 6 Jahre alt. Es hieß, nachts kommen Überfälle auf das Lager. Das machte uns natürlich Angst. Die älteren Kinder wurden zu Wachen eingeteilt. In der Nähe des Zeltlagerplatzes war eine Baustelle, und dort schnitt ich mir von einer Plastikwasserleitung ein meterlanges Stück ab. Das ergab einen prima Knüppel. Und den legte ich neben meine Luftmatratze. Es kam zum Glück nicht dazu, aber ich hätte diesen Knüppel jedem auf den Kopf geschlagen, vor lauter Angst. Jesus sagt: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, seid guten Mutes. Das ist die spannende Frage. Woher können wir in der Angst neuen Mut fassen? Wir meinen ja oft, uns absolut absichern zu können mit Geld, mit hohen Mauern, mit durch Frontex gesicherten Außengrenzen der EU, mit Vorsorge im eigenen Keller. Aber je mehr wir stapeln, um so mehr haben wir Angst um die Stapel. Jesus geht es um eine andere Sicherheit. Unser Bibelwort steht in seinen Abschiedsreden an die Jünger. Jesus hatte den Tod vor Augen, er wusste, was auf ihn zukommt. In den Abschiedsreden wird zweierlei deutlich: - Die innere Nähe Jesu zu Gott. Für ihn ist der Tod kein Sterben mehr, sondern ein vertrauensvolles Hinübergehen zum Vater. - Und das andere: Wenn wir uns auf den Mann von Nazareth einlassen, dann gilt auch für uns, dass wir an diesem Verhältnis zu Gott teilhaben. Und dann ist auch für uns der Gedanke an den Tod kein endgültiger Schrecken mehr, sondern es öffnet sich ein Tor zum Leben mit Gott, im hier und jetzt und in der Ewigkeit. Jesus muss sich in diesen letzten Tagen mit seinen Jüngern schon ganz klar gewesen sein, was auf ihn zukommen wird: Scheitern und Schande in den Augen der Menschen; ein qualvoller Tod zur Abschreckung aller, die es wagen sollten, zu denken und zu handeln wie er. Ein Ende, das alles beenden soll, was er zur Rettung verlorener Menschen versucht hat. Das alles hat er vor Augen, er weiß, dass das nicht zu umgehen ist, er geht darauf zu, er geht da hindurch. Aber das Bedrohliche schreckt ihn nicht mehr. Es ist also nicht so, dass Jesus den Jüngern sagt, habt keine Angst, es wird schon nichts passieren, es wird doch noch alles gut ausgehen, irgendwie wird es doch alles in allem nicht wirklich so schlimm sein. Nein, nach menschlichen Maßstäben wird es wirklich sehr schlimm werden. Der einzige Trost, den Jesus seinen Jüngern in dieser Lage schenken kann, besteht darin, ihnen eine eigene Klarheit und Unangefochtenheit vorzuleben und zu vermitteln. Und das ist nicht eine stoische Gelassenheit und Unerschütterlichkeit, so wie sie manche charakterstarken Menschen vielleicht haben. Nein die Stärke Jesu gründet in einem Vertrauensverhältnis, in der Beziehung zu seinem Vater. Es ist der Geist, der Tröster, den Jesus zuvor als Zuspruch vom Vater verheißen hat (Joh 15,26), der ihn selber hindurch trägt. So hat er die Welt überwunden. Welt meint im Johannesevangelium nicht die gute Schöpfung Gottes, den Kosmos. Sondern die von Gott getrennte Welt der Angst und Verzweiflung, der Leere, weil es ohne Gott keinen wirklich durchtragenden Sinn im Leben gibt. Diese Welt der Angst und Verzweiflung hat Jesus überwunden im Vertrauen auf Gott. Und wer sich Jesus anschließt, wer sich auf seine Seite stellt, der wird auch in diese Haltung des Vertrauens hineinwachsen, der wird die Angst und Unruhe hinter sich lassen. Er wird in seiner ganzen Lebensausrichtung einig mit Gott, denn er spürt, dass Gott das einzige ist, wofür zu leben sich lohnt. Und eben darin wird man einig auch mit sich selbst. Ich habe das jetzt im unpersönlichen Er-Stil, also in der dritten Person formuliert, weil ich nicht einfach behaupten will, ich bin schon ein Mensch, der ganz aus dem Vertrauen auf Gott lebt. Aber ich durfte das schon oft spüren, dieses Vertrauen, besonders in Zeiten intensiven Gebets, dass man sich auf Gott völlig verlassen kann und dass dann die Ängste und Sorgen keine Nahrung mehr haben. Und deswegen ist es mein Ziel, immer wieder die Nähe Gottes zu suchen, um auf diesem Weg des Vertrauens zu wachsen und weiterzukommen. Ich habe die Welt überwunden: Rein psychologisch gesehen ist es ja ein Wahn, wenn jemand etwas als Sieg interpretiert, was alle Außenstehenden als die schlimmste Niederlage ansehen müssen. Dass er vor dem Furchtbaren keine Furcht mehr zulässt, das ist entweder ein Wahn, eine Verblendung, so wie sich die Selbstmordattentäter in einen Wahn hineintreiben lassen. Die Alternative ist nur, dass sich Jesus festmacht in Gott, den er seinen Vater nennt, und dass er ihm völlig vertraut. Der Apostel Paulus hat auch diese Erfahrung gemacht, dass man sich auf Gott völlig verlassen kann, gerade auch wenn es durch Dick und Dünn geht. Und Paulus hat ja mit Schiffsbrüchen, Geißelungen, Gefängnisaufenthalt und Anfeindungen so allerhand erlebt. Im Römerbrief schreibt er: Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist unserem Herrn. (Römer 8,38) Es ist das Einzige, was wir in den Händen haben, dieses Wissen, dieses Gefühl, dass Gott uns ganz in seinen Händen hält. Jesus ging auf dem See Genezareth an Bord mit seinen Jüngern. Und es erhob sich ein Sturm, der ließ das Boot ächzen und schlingern. Die Jünger arbeiteten mächtig. Und Jesus schlief. Da weckten sie ihn und jammerten ganz außer sich. Und Jesus stand auf und beruhigte alles (Matthäus 8,24ff). In Ängsten sieht sich Jesus mit Schiff in Gottes Hand. In einem alten Kirchenlied heißt es "Und fahr ich durch die Höll, ist Christus mein Gesell". Die Welt, auch die von Jesus als gute Schöpfung hingestellte Welt liefert noch tausend Gründe, dass wir uns ängsten. Aber seid getrost: Ihr seid von guten Mächten wunderbar geborgen. Ihr seid nicht verlassen, Gott geht mit durchs finstere Tal. Darum ist es niemals Endstation. Vielleicht ist es auch wichtig, dass Jesus hier immer im Plural spricht. Er sieht die Jünger, die Christen als Familie, als Gemeinschaft, als Netzwerk gegen die Angst. Einsamkeit macht Angst. Gemeinschaft stärkt das Vertrauen. Und so kann und soll auch die Gemeinde ein Netzwerk sein, das trägt. Im Netz verbunden beten wir füreinander, hören einander zu und lindern dadurch unsere Angst. Jesus will uns Mut machen, uns durch die Angst nicht fesseln zu lassen, sondern hindurchzuschreiten im Vertrauen darauf, von Gott gehalten zu sein. Als von seinen Eltern im jüdischen Glauben erzogenes Kind wird Jesus seit Kindertagen die Worte des 23. Psalms gebetet haben. Sie geben wohl die beste Beschreibung der Gelassenheit, die Jesus in der Stunde des Abschieds seinen Jüngern vermitteln wollte: Der Herr ist mein Hirte. Nichts wird mir mangeln. Und muss ich auch gehen durch die Todesschattenschlucht, so fürcht ich kein Unheil, denn du bist bei mir. Amen Hans-Ulrich Hofmann
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