EZB: MEHR UND NEUE MUNITION

Ausgabe 3/2016 – 14. März 2016
EZB: MEHR UND NEUE MUNITION
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf ihrer März-Sitzung ein umfangreiches Maßnahmenpaket verabschiedet. Wir skizzieren die Maßnahmen und beleuchten wichtige Effekte. Im
Zweifel wird – wenn die Inflationsrate in den kommenden Monaten nicht steigt – wohl noch
mehr Unkonventionelles aus dem EZB-Tower auf die Eurozone niederprasseln.
WAS WURDE BESCHLOSSEN?
Die EZB hat den Hauptrefinanzierungssatz,
umgangssprachlich den Leitzins, von 0,05% auf
0% abgesenkt. Der Satz für die Einlagefazilität
– der Zins für Gelder, die die Geschäftsbanken
bei der Notenbank parken – wurde von -0,3%
auf -0,4% vermindert. Überraschender waren
die unkonventionellen Maßnahmen. Das Volumen des Wertpapierkaufprogramms (Asset
Purchase Programme, APP) wird von monatlich 60 Mrd. Euro ab April auf 80 Mrd. Euro
erhöht. Bis März 2017, solange läuft das APP
mindestens, kauft die EZB damit 960 Mrd. Euro
– das ist etwa ein Drittel des deutschen nominalen Bruttoinlandsproduktes von 2015. Um
diese Summe tatsächlich erwerben zu können,
hat sich die EZB selbst genehmigt, bis zu 50%
des ausstehenden Volumens einer einzelnen
Anleihe kaufen zu dürfen. Sie ging aber noch
weiter: gegen Ende des zweiten Quartals will
sie im Rahmen eines neuen Corporate Sector
Purchase-Programms (CSPP) Unternehmensanleihen erwerben. Bekannt ist hierzu bislang
nur, dass die Emittenten in der Eurozone ansässige Nicht-Banken mit InvestmentgradeRating sein müssen, deren Anleihen auf Euro
lauten. Spannend wird sein, ob die EZB nur am
Sekundär- oder auch am Primärmarkt auftritt,
ob sie einen Länderschlüssel verwendet oder
wie sie bei Emittenten mit latenten Rechtsrisiken (z.B. Volkswagen) verfährt. Auch den Ban-
ken des Eurosystems wird geholfen. Für sie
wird eine zweite Serie von vier gezielten, längerfristigen
Refinanzierungsgeschäften
(Targeted Longer-Term Refinancing Operations, TLTRO II) aufgelegt. Die erste Serie wurde
im Juni 2014 angekündigt und teilte den Banken bis heute 457 Mrd. Euro zu. Die neue Serie
startet im Juni, läuft für jedes Geschäft 4 Jahre
und kann zum Zins von 0% bezogen werden.
Banken, deren Nettokreditvergabe eine bestimmte, noch zu definierende „Messlatte“
übersteigt, kommen zum geltenden Einlagesatz
in den Genuss der TLTRO II – derzeit also zu 0,4%! Das ist ein heikles Vorgehen, da die EZB
zugleich auch Bankenaufsichtsbehörde ist.
WAS FOLGT DARAUS?
Im Folgenden schildern wir kurz die wesentlichen Auswirkungen der EZB-Maßnahmen:
1. Effekt: Niedrige Politikzinsen für lange Zeit.
Die Zinsen bleiben „niedrig, sehr niedrig, und
das für längere Zeit“, und selbst noch nach
Beendigung der Anleihekaufprogramme – so
beschreibt EZB-Präsident Draghi den künftigen
Pfad (Forward Guidance) für die von der EZB
zu setzenden Politikzinsen. Draghi selbst betonte, dass aus heutiger Sicht keine Notwendigkeit für weitere Zinssenkungen bestehe,
aber die Situation könne sich natürlich ändern.
An den Finanzmärkten wird bereits davon
ausgegangen, dass im 3. oder 4. Quartal weite-
re Zinssenkungen erfolgen werden. Wir schließen uns diesem Votum nur zögernd an. Denn
selbst die EZB hat erklärt, dass Politikzinsen
nicht jedes von der Notenbank gewünschte
negative Niveau annehmen können. Der an den
Erträgen von Banken zehrende Effekt wird
immer größer. Und es könnte kontraproduktiv
wirken, wenn Banken beginnen, über höhere
Kreditzinsen für einen Ertragsausgleich zu
sorgen.
2. Effekt: Flache(re) Renditekurven. Aus dem 1.
Effekt folgt, dass sich die Renditekurve für
Eurozonen-Staatsanleihen mit bestem Rating
(wie es die Kernländer vorweisen) auf niedrigem Niveau einpendeln sollte. Deutsche Bundesanleihen werden bei einem Nettoemissionsvolumen von Null zwangsweise zu einem
knappen Gut. Wer in beste Bonitäten investiert
und negative Renditen vermeiden will, muss
zwingend Laufzeitenverlängerungen in seinem
Anleiheportfolio vornehmen. Das übt Druck auf
die Renditen am langen Ende der Zinskurve
aus.
3. Effekt: Geringere Kreditrisikoprämien (Credit Spreads). Das betrifft die Staatsanleihen der
EWU-Peripherie, aber mit dem CSPP nun in
verstärktem Maße Unternehmensanleihen. Das
für das CSPP zur Verfügung stehende Volumen
dürfte bei rund 700 Mrd. Euro liegen. Dominiert wird der Corporate Bond-Markt in der
Eurozone von französischen (40% des ausstehenden Volumens) und deutschen Unternehmen (23%). Die Ausstrahleffekte auf Anleihen
ohne Rating sowie auf Hochzinsanleihen (High
Yield), gegebenenfalls auch auf Schwellenländeranleihen, dürften positiv sein. Denn vermutlich wird die EZB immer mehr Investoren
aus dem Investment-Grade-Markt verdrängen.
Dort ist die Liquiditätslage (gemessen z.B. am
jederzeit möglichen Handel zu geringen GeldBrief-Spannen) schon jetzt angespannt. Generell ist davon auszugehen, dass sich mit dem
CSPP die Emissionstätigkeit beleben wird;
insbesondere, wenn vor allem mittlere und
größere Unternehmen sich zur Fremdmittelbeschaffung an den Kapitalmarkt statt an ein
Kreditinstitut wenden. Neuemissionen begleitende Investmentbanken dürften davon profitieren. In der Vermögensverwaltung haben wir
einen Fokus auf Unternehmensanleihen, was
durch die EZB-Entscheidung gestützt wird.
4. Effekt: Subventionierung von Banken. Die
GLRG II erlauben ihnen eine sehr günstige Refinanzierung. Allerdings stellt sich die Frage
nach dem Bedarf. Heute liegen 700 Mrd. Euro
in der so genannten Überschussliquidität auf
den EZB-Konten. Bei normal funktionierenden
Geldmärkten sollte es keine Überschussliquidität geben. Sind die neuen TLTRO für Banken
gedacht, die aus verschiedenen Gründen, wie
fehlender Reputation oder fragwürdiger Solvenz, nicht ausreichend an Mittel gelangen?
Werden marode Banken auf diese Weise über
Wasser gehalten? Bankaktien stiegen nach dem
EZB-Entscheid kräftig – wir halten das für
nicht nachhaltig.
5. Effekt: Steigende Aktienmärkte? Wir sind
skeptisch, dass die anfängliche Aufwärtsbewegung anhält. Mehr Notenbankliquidität kann
für sich genommen weder Frühindikatoren
noch Unternehmensgewinne verbessern. Die
Gewinnschätzungen wurden bis zuletzt für die
meisten europäischen Aktienmärkte und Sektoren nach unten revidiert, die Konjunkturindikatoren tendierten schwächer. Erst, wenn
sich hier eine Besserung abzeichnet, kann eine
tragfähige Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten einsetzen. Und nicht zuletzt hat die
EZB keinen Einfluss auf andere aktienmarktrelevante Faktoren – Stichpunkte wären: Rohstoffe, China, US-Konjunktur.
6. Effekt: Schwächerer Euro zum Dollar? Das ist
auf dem jetzigen Niveau wahrscheinlicher als
das Gegenteil. Aber nicht aufgrund des Negativzinses. Eher schon weil für dieses Jahr weitere Zinserhöhungen der Fed vom Devisenmarkt – für uns etwas voreilig – weitgehend
ausgepreist worden sind. Somit könnten Dollar-positive Überraschungen anstehen. Auch
die europäischen Nachbarwährungen, deren
Notenbanken dem ultra-expansiven EZB-Kurs
nicht folgen, werden tendenziell Aufwertungsdruck verspüren.
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