Wirtschaftsphilologentagung am 01./02.10.2015 in Passau Workshop 3 Rechtliche Fragen der Eurokrise am Beispiel Griechenlands Prof. Dr. Christoph Herrmann Drei große Fragen standen im Mittelpunkt des Workshops: 1. Was ist die Eurokrise? 2. Klarer Rechtsbruch? Welche Rechtsfragen wurden aufgeworfen und von wem wie beantwortet? 3. Grexit, Graccident und Rausschmiss – ginge das so einfach? Prof. Dr. Christoph Herrmann vom Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Europäisches und internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau verstand es nicht nur, die Teilnehmer mit seinen kompetenten Ausführungen, bei denen er mitunter auf Bilder und Beispiele zurückgriff, um die komplexen Zusammenhänge anschaulich zu verdeutlichen, sondern auch mit Diskussionsbeiträgen zu fesseln. I. Was ist die Eurokrise? Das Brainstorming ergab, dass die Eurokrise keine Währungskrise darstellt, die Bezeichnung demnach falsch ist. Es handelt sich um eine Verschuldungskrise, genauer eine Staatsschuldenkrise, in gewissem Maße ebenso um eine private Verschuldungskrise durch Überschuldung des privaten Sektors bzw. eine Verschuldungskrise der Finanzinstitute wegen zu hoher Außenstände. Ihr Beginn liegt in der Subprime-Krise der USA 2007 sowie der Insolvenz der Investmentbank Lehman-Brothers, die den Finanzmärkten zeigte, dass das Prinzip „too big to fail“ durchbrochen werden kann. Der Einbruch der Wirtschaftsleistung und eine neue Risikobewertung für Anleihen waren die Folge. In Deutschland reagierte man mit staatlicher Abwrackprämie und Hilfen für den Bankensektor bis hin zur „Verstaatlichung“ von Banken. Durch die Abschaffung der Gewährsträgerhaftung für Sparkassen und Landesbanken hatten diese mit der Anlage der Mittel, die zum Aufbau eines Eigenkapitals notwendig waren, zur Krise mit beigetragen, indem sie Wertpapiere am US-Markt erwarben. Nach den Wahlen in Griechenland 2010 wurden die geschönten Angaben beim Staatsdefizit korrigiert. Der gesamte Finanzierungsbedarf wurde nun mit 61,5 Mrd. € angegeben. Die Finanzmärkte reagierten mit Risikoaufschlägen für griechische Staatsanleihen, wodurch die langfristigen Renditen der Anleihen stiegen - bis auf ca. 29 % im Jahr 2011; der Schuldenschnitt 2012 brachte keine nachhaltige Besserung. Schon im Frühjahr 2010 zeichnete sich ab, dass Griechenland den Zugang zu den Kapitalmärkten verlieren würde. Die Eurozone musste reagieren, ihre Hilfen basierten 2010 auf vier Säulen: den freiwilligen bilateralen Krediten der Länder der Eurozone, den Hilfen aus EFSF/EFSM, dem ESM und den Krediten des IWF. In Deutschland wurde für die Kreditgewährung eigens eine rechtliche Grundlage geschaffen, die es dem Bund erlaubte, gegenüber der Kreditanstalt für Wiederaufbau die Gewährleistung für Darlehen an Griechenland bis zur Höhe von 22,4 Mrd. € zu geben. II. Klarer Rechtsbruch? 1. Rechtliche Bewertung der Rettungsschirme Der im Mai 2010 von der Eurozone beschlossene Eurorettungsschirm, der das Vertrauen der Finanzmärkte in die dauerhafte Zahlungsfähigkeit aller Euroländer sichern sollte, setzte sich aus dem auf drei Jahre angelegten EFSF, einer juristischen Person nach luxemburgischen Recht, dem EFSM, der durch eine auf Art. 122 Abs. 2 AEUV gestützte EU-Verordnung Darlehen bis zur Grenze von 60 Mrd. Euro vergeben darf, wobei die Refinanzierung durch Anleihenbegebung durch die Kommission erfolgt, und Krediten durch den IWF von bis zu 250 Mrd. € zusammen. 1 SCHULEWIRTSCHAFT Akademie im bbw e. V., Infanteriestraße 8, 80797 München [email protected], Tel. 089 44108-150 Wirtschaftsphilologentagung am 01./02.10.2015 in Passau Das Bundesverfassungsgericht erachtete im September 2011 den Eurorettungsschirm für verfassungskonform, schrieb in seinem Urteil jedoch die Haushaltsverantwortung des Deutschen Bundestages fest. Es zeichnete sich ab, dass entgegen der Meinung, die Krise sei in wenigen Monaten überwunden, weitere Hilfen nach 2013 notwendig werden. Daher wurde der ESM im Juni 2013 geschaffen. Mit der Ergänzung des Art. 136 AEUV um den neuen Absatz 3 wurde die rechtliche Basis ausdrücklich geschaffen. Der EuGH billigte die Errichtung des ESM in seinem Urteil. Dennoch wurden die Hilfsprogramme immer wieder als klarer Rechtsbruch kritisiert, wobei die sog. No-Bailout-Klausel des Art. 125 I AEUV, die die gegenseitige Haftung der Mitgliedsstaaten füreinander ausschließt und eine Schuldenübernahme untersagt, im Mittelpunkt standen. Diese Rechtsnorm sichert die finanzielle Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten, der Finanzmarkt soll das Risiko einschätzen und sich nicht auf einen Haftungsautomatismus der anderen Mitgliedsländer bzw. eine Schuldenübernahme verlassen können; einem moral hazard würde so vorgebeugt. Eine freiwillige Kreditgewährung wird gerade nicht erwähnt, obwohl die Verträge unterschiedliche Begriffe durchaus kennen, vgl. Art. 122, 123, 124 AEUV. Dieser Auffassung hat sich der EuGH im November 2012 angeschlossen – ein Rechtsbruch ist daher nicht gegeben. 2. Europarecht und finanzielle Schwierigkeiten Grundsätzlich verfügen die Eurostaaten über zwei zulässige Finanzierungsarten ihrer Staatsausgaben: Steuereinnahmen und Kreditaufnahme am Markt; eine monetäre Finanzierung über die Zentralnotenbank ist verboten; anders als in USA oder Japan. Um bei finanziellen Schwierigkeiten, wie Zahlungsbilanzproblemen der pre-ins, Haushaltsproblemen und Liquiditäts-/Solvenz-problemen des Finanzsektors, helfen zu können, gab es im AEUG schon vor 2010 verschiedene Maßnahmen. Hierzu gehören z.B. bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten der pre-ins sowie bei Finanzmarktproblemen die Emergency Liquidity Assistance (ELA) nach dem Statut der EZB. Somit sind die ELA-Kredite der griechischen Nationalbank durch den unzureichenden Zugang zum Finanzmarkt legitimiert. Gemäß Art. 122 Abs. 2 und 125 Abs. 1 AEUV werden Hilfen bei Haushaltsproblemen als „finanzieller Beistand“ möglich, wenn es sich um „außergewöhnliche Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen“, handelt. Die internationale Finanzkrise sei ein solches außergewöhnliches Ereignis, das sich der griechischen Kontrolle entzieht, denn es sei ein internationales Phänomen gewesen, das den Verlust des Zugangs zu den Finanzmärkten zur Folge hatte, also gravierende Schwierigkeiten für Griechenland verursachte. Damit ist die Kreditgewährung unter Auflagen „unter bestimmten Bedingungen“ (Art. 122 Abs. 2) rechtens. Ein Mitverschulden an der hohen Staatsverschuldung durch die griechische Regierung (Korruption, Steuerausfall) sei dabei völlig irrelevant. Die Einfügung des Abs. 3 in Art. 136 AEUV, die auf Drängen Deutschland erfolgte, sei eigentlich überflüssig gewesen. 3. Maßnahmen in der Krise Die unionsrechtlichen Instrumente bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten konnten auf Griechenland keine Anwendung finden, da derartige Regelungen nicht für Länder der Eurozone gelten. Der EFSM mit einem Gesamtvolumen von 60 Mrd. € wurde auch von Portugal und Irland im Volumen von 46,4 Mrd. genutzt. ELA-Kredite wurden von den Zentralbanken vergeben. Zu den extra-unionalen Instrumenten zählen die bilateralen Kredite auf Grundlage Art. 125 AEUV, 80 Mrd. für Griechenland von den Ländern der Eurozone; Hilfen aus dem EFSF, als Signal an die Finanzmärkte, nachdem die EZB Ungleichgewichte festgestellt hatte, sowie der ESM mit 700 Mrd. € Volumen, wobei 80 Mrd. € eingezahlt sind, dessen Ausleihungen an strikte Konditionen gebunden werden, und die IWF-Kredite, die rechtlich nicht unumstritten sind. 2 SCHULEWIRTSCHAFT Akademie im bbw e. V., Infanteriestraße 8, 80797 München [email protected], Tel. 089 44108-150 Wirtschaftsphilologentagung am 01./02.10.2015 in Passau 4. Maßnahmen der EZB Von 2010 bis 2012 wurden Staatsanleihen im Rahmen von SMP angekauft, die bis zur Fälligkeit gehalten werden und deren Gewinn an die „ausgebenden“ Länder zurückfließt. Außerdem hat sie die Verpfändung von Staatsanleihen durch Banken gelockert, die Anforderungen an Sicherheiten gesenkt, Vollzuteilung gewährt, die Laufzeit der langfristigen Refinanzierung erhöht, OMT angekündigt und ELA ermöglicht. Die Rechtmäßigkeit gerade der Anleihekäufe im Rahmen von SMP und OMT bzw. QE wurde kontrovers diskutiert. Das Verbot der direkten monetären Finanzierung ist im Statut der EZB festgeschrieben. Käufe am Sekundärmarkt sind in Art. 18.1 der Satzung ausdrücklich als Instrument der Geldpolitik erlaubt. Dennoch sehen Kritiker einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot. Ein solcher liege laut Bundesverfassungsgerichtsurteil nur vor, wenn der Erwerb am Sekundärmarkt auf eine „von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielt“ (BVerfG). Der EuGH sieht das Umgehungsverbot nicht verletzt, solange die Verhältnismäßigkeit gewährt sei. Die EZB selbst hat mit dem Kauf am Sekundärmarkt die Möglichkeit, Störungen des Transmissionsmechanismus entgegenzuwirken. III. Grexit, Greccident - Rausschmiss Ein zwangsweiser Ausschluss aus der EU ist rechtlich nicht geregelt. Das vertragliche Sanktionensystem scheint wenig geeignet, Staaten zu disziplinieren. Der Ausschluss nach völkerrechtlichen Grundsätzen ist als „ultima ratio“ möglich. Für einen Ausschluss aus der Eurozone liegt keine Rechtsgrundlage für die Aufhebung der maßgeblichen Euroeinführungsverordnung vor. Dazu müsste eine entsprechende Verordnung, ein actus contrarius, erlassen werden, die dann unmittelbar in allen Mitgliedsländern wirken würde. Der Vertragstext der Euroeinführungsverordnung mit der Formulierung von den „unwiderruflich festgelegten Wechselkursen“ schließt eine Umkehrung eigentlich aus. Gegen den Willen Griechenlands wird ein Ausschluss aus der Eurozone derzeit als nicht möglich betrachtet. Aus völkerrechtlicher Sicht ist ein Austritt trotz fehlender Bestimmungen in den EU-Verträgen denkbar. Nach Art. 50 EUV kann ein Mitgliedstaat beschließen, freiwillig aus der EU auszutreten; ein Vertrag über den Austritt und die zukünftigen Beziehungen mit der EU sind verhandelbar. Dagegen ist ein Austritt aus der Eurozone kaum möglich, denn das Unionsrecht sieht das nicht vor, es müsste erst entsprechend geändert werden. Die technische Einführung einer neuen Währung und die Folgen einer solchen Maßnahme sind zweifelhaft. Ob eine Abwertung der dann neuen Währung zu dem erhofften wirtschaftlichen Aufschwung führt, ist höchst unsicher. Nach dem Workshop sind die Teilnehmer bestens gerüstet, um die aktuellen geld-, währungsund wirtschaftspolitischen Fragen, die der Lehrplan der Q 12 beinhaltet, aus einem kompetenderen Blickwinkel zu betrachten und mit ihren Schülern zu erörtern. Ulrike Drescher (Moderatorin des wpv Bayern) 3 SCHULEWIRTSCHAFT Akademie im bbw e. V., Infanteriestraße 8, 80797 München [email protected], Tel. 089 44108-150
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