EZB nimmt Italiens Banken ins Visier

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Wirtschaft
F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G
Industrie startet überraschend
gut in das neue Jahr
Erbschaftsteuer:
Radikaler Entwurf
soll Patt beenden
mas. BERLIN, 8. März. Die Mittelstandsunion will das ErbschaftsteuerPatt mit einem radikalen Gegenentwurf aufbrechen. Der CSU-Wirtschaftsflügel schlägt vor, als Bemessungsgrundlage tatsächlich anfallende
Gewinne zu nehmen. „In unserem Modell fällt die Unterscheidung zwischen
notwendigem und nicht notwendigem
Betriebsvermögen weg“, sagte der Vorsitzende der Mittelstandsunion, Hans
Michelbach, dieser Zeitung. Bei Betriebsübergaben unter Lebenden und
im Erbfall sollten zehn Jahre jeweils
3 Prozent des Gewinns festgesetzt werden. Alles werde gleich behandelt. Allerdings soll es doch eine Ausnahme
geben: Zugunsten der Kleinunternehmen ist ein Freibetrag von 100 000
Euro bei der Bemessungsgrundlage
vorgesehen. „Sie würden sonst überproportional unter der Erbschaftsteuer
leiden“, erläuterte Michelbach, der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Finanzausschuss ist.
Der CSU-Politiker befürchtet eine
Überforderung von Finanzverwaltung
und Unternehmen durch die ins Auge
gefasste Neuregelung. Zudem rechnet
er damit, dass auch das reformierte Gesetz abermals in Karlsruhe landen
wird. „Die zahlreichen Ausnahmetatbestände und Verschonungsregeln werden zu einer abermaligen Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsteuer führen.
Das hätte für den Wirtschaftsstandort
Deutschland fatale Folgen“, sagte der
Finanzpolitiker. Was die deutschen Familienunternehmen benötigen, sei in
erster Linie Planungssicherheit. „Im
Gegensatz zum aktuellen Erbschaftsteuerentwurf ist unser Flat-Tax-Modell nicht mit Steuererhöhungen verbunden. Es bietet gleichzeitig für den
Fiskus ein genügend hohes Steueraufkommen.“
Die Fraktionsspitzen hatten sich am
11. Februar auf ein Konzept zur Reform der Erbschaftsteuer verständigt.
Nachdem der CSU-Vorsitzende Horst
Seehofer seine Zustimmung von weiteren Korrekturen abhängig gemacht
hat, ist die Neuregelung ins Stocken geraten. Wie der Bayer ankündigte, sucht
er nun das direkte Gespräch mit der
SPD. „Dann wird man beurteilen können, ob es zu einem Kompromiss
kommt“, sagte Seehofer vergangene
Woche in Halle. So langsam läuft allerdings der Koalition die Zeit davon. Die
vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist läuft Ende Juni ab. Die höchsten Richter halten die Ausnahmen für
das Betriebsvermögen für überzogen.
Ohne Neuregelung droht Unternehmenserben nach den Worten von Finanzminister Wolfgang Schäuble
(CDU) die volle Steuerlast, weil dann
die vom Gericht monierten Ausnahmen wegfielen.
Produktion im Januar um 3,3 Prozent gestiegen
Es gibt neue Zweifel auch an der Zahlungsfähigkeit der italienischen Bank Monte dei Paschi di Siena.
Foto Bloomberg
EZB nimmt Italiens Banken ins Visier
Aufseher fragen Liquidität
von zwei Instituten nun
täglich ab. Kunden ziehen
Einlagen ab. Andere Banken
reduzieren ihre Kreditlinien.
maf. FRANKFURT, 8. März. Die Probleme italienischer Banken alarmieren die
Bankenaufseher immer mehr. Nicht nur
der hohe Bestand an ausfallgefährdeten
Krediten ruft Sorgen hervor, sondern nun
auch die Zahlungsfähigkeit einzelner Institute. So sollen die Bankenaufseher der
Europäischen Zentralbank (EZB) nun
auf täglicher Basis die Zahlungsfähigkeit,
also die Liquidität, der Genueser Banca
Carige und der Monte dei Paschi di Siena
(MPS) abfragen. Beide Banken waren
schon bei den Bilanzprüfungen und
Stresstests der EZB im Herbst 2014 durchgefallen. Ihre Schwierigkeiten haben seitdem sogar noch zugenommen.
Neben der Last an faulen Krediten sorgen sich die Bankenaufseher nun auch
um die Liquidität, nachdem der Zusammenbruch vier kleinerer Banken im Dezember 2015 die Kunden verunsichert
hatte. Deshalb soll es zu einem Einlagenabzug gekommen sein. Eine Sprecherin
der EZB äußerte sich zu keinen einzelnen
Instituten, sagte aber, dass die Überwachung von Kapital und Liquidität der Banken zu den Aufgaben eines Aufsehers zähle. Aus Frankfurter Finanzkreisen verlau-
tete, dass deutsche Banken ihre Kreditlinien gegenüber italienischen Banken reduziert hätten. Gegen Institute, die als angeschlagen gelten, gäbe es nur noch gegen
Sicherheiten Kredite. Auch in deutschen
Aufsichtskreisen wachsen die Befürchtungen über den Zustand italienischer Banken. Dort wird darauf verwiesen, dass die
Probleme mit faulen Krediten schon seit
dem Stresstests im Jahr 2014 bekannt seien, aber bislang wenig passiert sei. Insgesamt sollen auf den italienischen Banken
Problemkredite von 360 Milliarden Euro
lasten, das ist ein Fünftel des gesamten
Kreditbestands.
Inzwischen sollen die Bankenaufseher
der EZB Zweifel an den Ergebnissen der
Bilanzprüfungen vor zwei Jahren hegen.
Denn dafür waren die italienischen Aufseher verantwortlich, denen Kollegen aus
anderen Ländern eine zu große Nähe zu
den beaufsichtigen Instituten nachsagen.
Da sich die Probleme nach den sechs Rezessionsjahren für die italienischen Banken nun zuspitzen, könnten bestimmte Bilanzpositionen noch einmal unter die
Lupe genommen werden. Seit Jahresanfang beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe
(„Task Force“) in der Bankenaufsicht der
EZB mit den notleidenden Krediten in
den Bankbilanzen. Dabei gilt der Blick
vor allem den südeuropäischen Ländern,
insbesondere Italien.
Als die EZB die sechs Banken – Unicredit, MPS, Banco Popolare, Carige, Ubi
Banca und Banca Popolare di Milano – zu
den notleidenden Krediten befragt hatte,
war die Verärgerung in Italien darüber
groß. Denn die Regierung befürchtete
eine Vertrauenskrise. Auch die Schaffung
einer Bad Bank, die mit staatlicher Garantie ausgestattet ist, brachte keine Lösung.
Denn Brüssel genehmigte die Auslagerung der faulen Kredite nur, wenn die
staatliche Garantie zu Marktkonditionen
vergeben wird. Die ist vielen Banken aber
zu teuer.
Mittlerweile erhöhen die Bankenaufseher der EZB ihren Druck gegen Banken,
die als besonders schwach gelten. Das ist
neben der MPS und der Banca Carige
auch die Banca Popolare di Vicenza. Deren Anteilseigner sind nun der Forderung
der EZB nachgekommen und haben einer
Kapitalerhöhung sowie einem Börsengang ihres bislang genossenschaftlichen
Instituts zugestimmt. Andererseits hätte
dem Institut eine Zwangsverwaltung gedroht. Die Banca Carige muss nun bei der
EZB einen Plan für die künftige Finanzierung bis Ende März vorlegen. Zwei Monate später muss ein Strategieplan eingereicht werden. Nach dem Einlagenabzug
musste die Sparkasse aus Genua nun
auch ihren ursprünglich für das vergangene Jahr ausgewiesenen Verlust auf mehr
als 100 Millionen Euro verdoppeln, weil
zusätzliche Wertberichtigungen und Vorsorgen für die Problemkredite notwendig
wurde. Die MPS aus Siena, die als drittgrößte Bank des Landes gilt, muss auf Geheiß der EZB einen Käufer finden.
jpen. FRANKFURT, 8. März. Die zuletzt schon zum Sorgenkind erklärte
deutsche Industrie hat am Dienstag unerwartet gute Zahlen gemeldet. Im Januar erhöhte das produzierende Gewerbe
seine Produktion saison- und arbeitstäglich bereinigt um 3,3 Prozent zum Vormonat, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Für Dezember revidierten die Statistiker den Wert zudem
von minus 1,2 auf nur noch minus 0,3
Prozent. „Diese Daten sollten der deutschen Industrie etwas Entlastung bringen“, kommentierte ING Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski.
Im zweiten Halbjahr 2015 hatte sich
die Industrieproduktion schwach entwickelt. Insbesondere die rückläufige
Nachfrage aus den Schwellenländern,
die unter niedrigen Rohstoffpreisen leiden, sowie aus China war dafür verantwortlich. Auch die bis Jahresbeginn
noch äußerst positive Stimmung in den
Unternehmen hatte sich im Februar erheblich verschlechtert. Volkswirte hatten deshalb nur mit einem kleinen Produktionsanstieg gerechnet. Tatsächlich
steigerten sowohl die Hersteller von Investitionsgütern als auch die von Konsumgütern ihre Produktion deutlich.
Die Bauproduktion legte wohl auch we-
gen der milden Witterung sogar um 7
Prozent zu. Volkswirte begründeten den
starken Anstieg zum Teil mit Sondereffekten, zum Teil aber auch mit fundamentalen Effekten. Viele Arbeitnehmer
haben im Dezember Brückentage zwischen den Feiertagen genutzt, um Urlaub zu machen, vermuten die Konjunkturbeobachter. Fabriken hätten deshalb
ihre Produktion heruntergefahren. Beispielsweise in der Autoindustrie gab es
im Dezember einen starken Produktionsrückgang – und eine Erholung im Januar. Zudem könnten zu Jahresbeginn
nach Einschätzung der Volkswirte viele
Unternehmen damit begonnen haben,
Großaufträge zu bearbeiten, die sie in
den Vormonaten erhalten haben.
Da die Betriebe ihre aktuelle Lage besser beurteilen als ihre Aussichten für
das nächste halbe Jahr, gehen Fachleute
davon aus, dass die Produktion in den
kommenden Monaten wieder langsamer zulegen wird. Im ersten Quartal
dürfte das deutsche Bruttoinlandsprodukt wohl etwas stärker wachsen als in
der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres, kommentierte die Commerzbank.
„Im zweiten Quartal ist dann aber wieder mit einem geringeren Zuwachs zu
rechnen.“
Deutschland schuftet
59 Milliarden Arbeitsstunden im vergangenen Jahr
svs. FRANKFURT, 8. März. Der Aufschwung auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat das Arbeitsvolumen in die
Höhe getrieben. In Deutschland wurden
2015 insgesamt rund 59 Milliarden Arbeitsstunden geleistet, das waren 1,1 Prozent mehr als im Vorjahr und so viele
wie 1992 nicht mehr. Gleichzeitig kletterte die Zahl der Erwerbstätigen um
0,8 Prozent auf 43 Millionen im Jahresdurchschnitt – so viele wie nie zuvor.
Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit
eines Beschäftigten stieg um 0,3 Prozent
auf 1371 Stunden. Dies geht aus neuen
Zahlen des staatlichen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
vom Dienstag hervor.
In einer Mitteilung heißt es, das
Wachstum des Arbeitsvolumens sei sowohl auf die Zunahme bei den Erwerbstätigen als auch auf den Anstieg bei der
Arbeitszeit zurückzuführen. Damit entkräften die Wissenschaftler die oft verbreitete These, der Anstieg der Erwerbstätigkeit sei lediglich darauf zurückzuführen, dass die gleiche oder eine geringere
Menge Arbeit auf mehrere Schultern verteilt werde. „Die Arbeitsmarktentwick-
lung bleibt auch angesichts der aktuellen
weltwirtschaftlichen Schwäche ein Stabilitätsanker“, kommentierte IAB-Forscher Enzo Weber die Entwicklung.
Weitere Trends waren, dass die Vollzeitbeschäftigung mit 1,6 Prozent deutlich stärker gestiegen ist als die Zahl der
Teilzeitkräfte mit 0,3 Prozent und dass
die Zahl der bezahlten Überstunden
leicht auf 21,1 je Arbeitnehmer stieg,
während die der unbezahlten Mehrarbeit etwas auf 25,7 Stunden sank. Der
Krankenstand, in Personen betrachtet,
kletterte um 0,2 Punkte auf knapp 4 Prozent, in Tagen um 0,6 auf 10 Tage.
Allerdings könnte einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Personaldienstleisters Manpower zufolge der Stellenaufbau in Deutschland künftig deutlich
schwächer ausfallen. Der regelmäßigen
Befragung zufolge sinkt die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen für das
zweite Quartal 2016 um einen Prozentpunkt. Das sei der niedrigste Wert seit
Ende 2013. Trotz guter Konjunktur und
Kauflaune der Verbraucher wollten nur
noch 6 Prozent der Arbeitgeber ihr Personal aufstocken, heißt es.
RECHT UND STEUERN
Gehaltskürzung für Manager
Verschlechtert sich die Lage eines Unternehmens, soll der Aufsichtsrat die
Bezüge von Vorstandsmitgliedern herabsetzen. Diese Regelung im Aktiengesetz (§ 87) hat die damalige große Koalition im Jahr 2009 verschärft. Der
Bundesgerichtshof hat nun klargestellt, dass das Kontrollgremium normalerweise zu diesem Schritt sogar verpflichtet ist. Das könne auch dazu führen, dass ein Vorstand anschließend
weniger verdient als die leitenden Angestellten. Nur diesen treffe als Organmitglied eine „besondere Treuebindung“, aufgrund deren er solch eine
einseitig verfügte Gehaltskürzung hinzunehmen habe, schreiben die Karlsruher Richter (Az.: II ZR 296/14).
jja.
Reform des Kaufrechts
Die SPD fordert Nachbesserungen an
der geplanten Reform des Gewährleistungsrechts. Das Bundeskabinett hat
einen von Justizminister Heiko Maas
(ebenfalls SPD) ausgearbeiteten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der
die Mängelhaftung im Kaufrecht ändert: Unternehmen sollen sich untereinander in Regress nehmen können,
damit etwa ein Parkett- oder Fliesenleger nicht auf den Kosten sitzenbleibt,
wenn er ein fehlerhaftes Produkt wieder aus- und einen Ersatz einbauen
muss (F.A.Z. vom 3. März). Der SPDRechtspolitiker Johannes Fechner will
die Möglichkeit streichen, dass Gewerbetreibende diese neue Haftung im
„Kleingedruckten“ ausschließen. „Gerade kleine Handwerker haben nicht
die finanziellen Möglichkeiten, jahrelange Prozesse über mögliche Ausschlüsse in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu führen“, erklärte Fechner. Damit schloss er sich einer
Forderung des Zentralverbands des
Deutschen Handwerks an. Die Wirtschaft ist sich da aber keineswegs einig: Der Groß- und Außenhandelsverband BGA lehnt die Einführung einer
vom Verschulden unabhängigen Haftung ab. Gewerbliche Abnehmer seien
schließlich „Profis“, und Lieferanten
schuldeten nur die Übereignung der
verkauften Ware.
jja.
Europarichter prüfen die Mitbestimmung
Grünes Licht für Wegzug
Deutsche Gerichte attackieren Beschränkung auf hiesige Arbeitnehmer
Neuer Steuererlass hilft Familienunternehmen
MÜNCHEN, 8. März. Die paritätische
Mitbestimmung der Arbeitnehmer im
Aufsichtsrat ist ein deutscher Sonderweg.
Ob dieser mit dem Europarecht vereinbar
ist, muss nun der Europäische Gerichtshof entscheiden. Das Berliner Kammergericht hat anlässlich einer Klage gegen den
Reisekonzern TUI die Luxemburger Kollegen eingeschaltet, weil es eine Diskriminierung der ausländischen Beschäftigten
wittert. Denn vier Fünftel der Mitarbeiter
arbeiten in anderen EU-Ländern. Doch
nur die Beschäftigten in Deutschland dürfen die Vertreter der Arbeitnehmer im
Kontrollgremium wählen – und dort
selbst einrücken. Das könne dazu führen,
dass bei Unternehmensentscheidungen
einseitig die Interessen inländischer Arbeitnehmer berücksichtigt würden, so die
Richter. Und auch die Freizügigkeit könne verletzt sein (Az.: 14 W 89/15).
Für Alexander Hellgardt von der Universität München ist der Fall klar: „Dieser
Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten kann keinen Bestand haben“,
sagte der Jurist auf einer Tagung seiner
Hochschule und argumentierte mit einem
Vergleich: „Nur rund ein Drittel der Daimler-Aktien gehört deutschen Investoren –
es wäre doch absurd, wenn die anderen
zwei Drittel der Anteilseigner nicht im
Aufsichtsrat vertreten wären.“ Bei einer
Probeabstimmung im Saal rechnete denn
auch eine – wenngleich knappe – Mehrheit damit, dass die Europarichter die
deutsche Regelung kippen werden.
Ganz anders hingegen der Arbeitsrechtler Rüdiger Krause von der Uni Göttingen.
Bundestag und Bundesrat seien bei der
Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes im Jahr 1976 davon ausgegangen,
dass schon das „Territorialitätsprinzip“
des Völkerrechts die Einbeziehung ausländischer Mitarbeiter verbiete, sagte er.
Auch bezweifelte der Hochschullehrer,
dass sich ein Arbeitnehmer hierdurch in
seiner Freizügigkeit beschränkt fühlen
könnte. „Wenn jemand überlegt, ob er innerhalb eines Konzerns ins Ausland wechselt, wird er das von Karriereerwartungen
abhängig machen oder der dortigen Kindergartensituation – aber nicht davon, ob
er alle vier Jahre an den Wahlen zum Aufsichtsrat teilnehmen kann.“ Krauses Fazit:
„Wir haben nun einmal unterschiedliche
ESCHBORN, 8. März. Über zahlreichen Familienunternehmen schwebt
ein Damoklesschwert: Im schlimmsten
Fall ist durch Steuerschulden sogar die
Existenz gefährdet. Verantwortlich dafür ist § 50 i des Einkommensteuergesetzes (EStG). Den von der Vorschrift
Betroffenen droht nämlich die Aufdeckung und Besteuerung sämtlicher stiller Reserven, wenn sie betriebswirtschaftlich notwendige Umstrukturierungen oder Vermögensübertragungen mittels einer Erbschaft oder Schenkung
vornehmen.
Eigentlich sollte die Bestimmung
beim Wegzug eines Gesellschafters bestimmter Personengesellschaften ins
Ausland sicherstellen, dass Deutschland das Besteuerungsrecht behält.
Nach dem Gesetzeswortlaut müssen jedoch auch bei reinen Inlandsfällen die
stillen Reserven aufgedeckt werden. Zumindest hier hat die Finanzverwaltung
jetzt zugunsten der Unternehmen nachgebessert.
Erstmals eingeführt wurde § 50 i
EStG im Jahr 2013 durch das „Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz“, und
zwar als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Rund ein
Jahr später wurde er durch das „Kroatien-Anpassungsgesetz“ noch erweitert. Hintergrund dafür war der Wunsch
von Union und SPD, Pläne des Unternehmers Wolfgang Porsche zu vereiteln, der sein Milliardenvermögen am
deutschen Fiskus vorbei ordnen wollte
(F.A.Z. vom 24. Juni 2014).
Die obersten Steuerrichter hatten entschieden, dass Einkünfte von Personengesellschaften, die keine originär gewerbliche Tätigkeit ausüben, nicht als
Unternehmensgewinne im Sinne eines
Doppelbesteuerungsabkommens zu behandeln sind (Az.: I R 81/09). Betroffen
von dem Urteil sind Personengesellschaften, die beispielsweise kein Handels- oder Produktionsgewerbe betreiben, sondern nur Vermögen wie Beteiligungen, Grundbesitz und Ähnliches verwalten.
Die Finanzverwaltung fürchtete Steuerausfälle in Milliardenhöhe – insbesondere wenn Betroffene zur Vermeidung
der Wegzugsbesteuerung Anteile an Ka-
„Hoch die internationale Solidarität!“ So lautet ein alter Kampfspruch der Arbeiter-
bewegung. In Deutschland kämpfen die Gewerkschaften nicht nur auf der Straße und
im Betrieb, sondern auch im Aufsichtsrat – bislang allerdings rein national.
Foto dpa
Rechtsregime in Europa – ein französischer Arbeitnehmer kann ja auch nicht seinen Kündigungsschutz mitnehmen, wenn
er nach England umzieht.“
Für den Fall, dass der Gerichtshof die
Beschränkung auf Mitarbeiter in
Deutschland verwirft, sah Jessica
Schmidt von der Uni Bayreuth eine einfache Lösung. Weder im Mitbestimmungsnoch im Drittelbeteiligungsgesetz sei sie
ausdrücklich festgelegt. Angesichts der
damals nicht vorhergesehenen Globalisierung brauchten die Gerichte die Paragraphen nur anders auszulegen. Auch einen praktischen Vorschlag für die Organisation europaweiter Wahlen hatte
Schmidt parat – die Wahlordnung für Seebetriebsräte nämlich.
Einen ganz anderen Weg schlug Tim
Drygala von der Uni Leipzig vor. Die deutsche Justiz solle dann die Regelungen für
die „Europa AG“ (SE) anwenden. Ohnehin hätten sich viele deutsche Aktiengesellschaften mittlerweile in diese Rechtsform umgewandelt, weil dort kleinere
Aufsichtsräte mit internationaler Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank möglich sind. Voraussetzung sind allerdings
erfolgreiche Verhandlungen darüber mit
den Gewerkschaften. Peter Hemeling,
Chefjurist der Allianz SE, schwärmte
denn auch von den Erfahrungen, die sein
Unternehmen in den vergangenen zehn
Jahren damit gesammelt habe: „Es gibt
keine dezidiert deutschen Themen mehr
im Aufsichtsrat.“
Noch größere Auswirkungen könnte allerdings ein anderer Rechtsstreit haben,
den der Münchner Juraprofessor Volker
Rieble persönlich gegen die Deutsche Börse angestrengt hat. Das Landgericht Frankfurt kam zu dem Schluss, die ausländischen Arbeitnehmer müssten bei der Größe des Kontrollgremiums mitgezählt werden (Az.: 3-16 O 1/14). Falls das Oberlandesgericht diesen Spruch bestätigt, müsste
der Börsenkonzern seinen Beschäftigten
die Hälfte der Sitze – und nicht mehr nur
ein Drittel – einräumen. Rieble macht
zwar keinen Hehl daraus, dass er mit seiner Klage der Mitbestimmung eigentlich
insgesamt den Garaus machen wollte.
Dennoch wies Roger Kiem aus der Anwaltskanzlei White & Case darauf hin,
dass die Unternehmen auf dieses Verfahren mit Sorge blickten. „Müssten Arbeitnehmer im Ausland mitgezählt werden,
würde sich die Zahl der Unternehmen mit
paritätischer Mitbestimmung drastisch erJOACHIM JAHN
höhen.“
pitalgesellschaften oder andere Wirtschaftsgüter auf Personengesellschaften mit lediglich fiktiv-gewerblicher Tätigkeit übertrugen. § 50 i EStG bestimmt seither, dass auch nach dem
Wegzug eines Gesellschafters das Besteuerungsrecht in Deutschland verbleibt – selbst wenn dies in dem jeweiligen Abkommen anders geregelt ist.
Ebenfalls von der Bestimmung sind
Personengesellschaften betroffen, die
ursprünglich originär-gewerblich tätig
waren (insbesondere Handels- und Produktionsunternehmen), den Geschäftsbetrieb aber in eine Tochterkapitalgesellschaft ausgegliedert haben. Das Problem: Mit der Erweiterung hat sich die
Situation für viele Personengesellschaften dramatisch verschärft. Sämtliche
Umwandlungen, Übertragungen und
Überführungen oder auch ein Strukturwandel führen zur Aufdeckung und Besteuerung aller stillen Reserven.
Die überschießende Wirkung auf Inlandsfälle hat das Bundesfinanzministerium nun teilweise zurückgenommen.
In einem Erlassschreiben erläutert es,
in welchen Fällen wegen „sachlicher
Unbilligkeit“ eine Anwendung unterbleibt (Az.: IV B 5 – S 1300/14/10007).
Dazu zählen insbesondere reine Inlandsfälle. Für die Übertragung von Anteilen an einer fiktiv-gewerblichen Personengesellschaft durch eine Schenkung oder eine Erbschaft kann ein solcher Antrag allerdings nur gestellt werden, wenn die Anteile auf eine natürliche Person übergehen, so dass keine
Übertragung auf eine Stiftung in Betracht kommt.
Darüber hinaus lässt das Schreiben
eine Vielzahl von Rechts- und Verfahrensfragen für betroffene Familienunternehmen offen – zum Beispiel welche
Auswirkungen sich auf die Gewerbesteuer ergeben, die Zuständigkeit der Finanzbehörden sowie die Verfahrensdauer. Aus diesen Gründen ist der Bundestag aufgefordert, durch eine gesetzliche
Regelung nachzubessern.
SVEN OBERLE / HENDRIK LAMMERS
Sven Oberle ist Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Hendrik Lammers ist Steuerberater bei EY.
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