SEITE 18 · M I T T WO C H , 9 . M Ä R Z 2 0 1 6 · N R . 5 8 Wirtschaft F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G Industrie startet überraschend gut in das neue Jahr Erbschaftsteuer: Radikaler Entwurf soll Patt beenden mas. BERLIN, 8. März. Die Mittelstandsunion will das ErbschaftsteuerPatt mit einem radikalen Gegenentwurf aufbrechen. Der CSU-Wirtschaftsflügel schlägt vor, als Bemessungsgrundlage tatsächlich anfallende Gewinne zu nehmen. „In unserem Modell fällt die Unterscheidung zwischen notwendigem und nicht notwendigem Betriebsvermögen weg“, sagte der Vorsitzende der Mittelstandsunion, Hans Michelbach, dieser Zeitung. Bei Betriebsübergaben unter Lebenden und im Erbfall sollten zehn Jahre jeweils 3 Prozent des Gewinns festgesetzt werden. Alles werde gleich behandelt. Allerdings soll es doch eine Ausnahme geben: Zugunsten der Kleinunternehmen ist ein Freibetrag von 100 000 Euro bei der Bemessungsgrundlage vorgesehen. „Sie würden sonst überproportional unter der Erbschaftsteuer leiden“, erläuterte Michelbach, der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Finanzausschuss ist. Der CSU-Politiker befürchtet eine Überforderung von Finanzverwaltung und Unternehmen durch die ins Auge gefasste Neuregelung. Zudem rechnet er damit, dass auch das reformierte Gesetz abermals in Karlsruhe landen wird. „Die zahlreichen Ausnahmetatbestände und Verschonungsregeln werden zu einer abermaligen Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsteuer führen. Das hätte für den Wirtschaftsstandort Deutschland fatale Folgen“, sagte der Finanzpolitiker. Was die deutschen Familienunternehmen benötigen, sei in erster Linie Planungssicherheit. „Im Gegensatz zum aktuellen Erbschaftsteuerentwurf ist unser Flat-Tax-Modell nicht mit Steuererhöhungen verbunden. Es bietet gleichzeitig für den Fiskus ein genügend hohes Steueraufkommen.“ Die Fraktionsspitzen hatten sich am 11. Februar auf ein Konzept zur Reform der Erbschaftsteuer verständigt. Nachdem der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer seine Zustimmung von weiteren Korrekturen abhängig gemacht hat, ist die Neuregelung ins Stocken geraten. Wie der Bayer ankündigte, sucht er nun das direkte Gespräch mit der SPD. „Dann wird man beurteilen können, ob es zu einem Kompromiss kommt“, sagte Seehofer vergangene Woche in Halle. So langsam läuft allerdings der Koalition die Zeit davon. Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist läuft Ende Juni ab. Die höchsten Richter halten die Ausnahmen für das Betriebsvermögen für überzogen. Ohne Neuregelung droht Unternehmenserben nach den Worten von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die volle Steuerlast, weil dann die vom Gericht monierten Ausnahmen wegfielen. Produktion im Januar um 3,3 Prozent gestiegen Es gibt neue Zweifel auch an der Zahlungsfähigkeit der italienischen Bank Monte dei Paschi di Siena. Foto Bloomberg EZB nimmt Italiens Banken ins Visier Aufseher fragen Liquidität von zwei Instituten nun täglich ab. Kunden ziehen Einlagen ab. Andere Banken reduzieren ihre Kreditlinien. maf. FRANKFURT, 8. März. Die Probleme italienischer Banken alarmieren die Bankenaufseher immer mehr. Nicht nur der hohe Bestand an ausfallgefährdeten Krediten ruft Sorgen hervor, sondern nun auch die Zahlungsfähigkeit einzelner Institute. So sollen die Bankenaufseher der Europäischen Zentralbank (EZB) nun auf täglicher Basis die Zahlungsfähigkeit, also die Liquidität, der Genueser Banca Carige und der Monte dei Paschi di Siena (MPS) abfragen. Beide Banken waren schon bei den Bilanzprüfungen und Stresstests der EZB im Herbst 2014 durchgefallen. Ihre Schwierigkeiten haben seitdem sogar noch zugenommen. Neben der Last an faulen Krediten sorgen sich die Bankenaufseher nun auch um die Liquidität, nachdem der Zusammenbruch vier kleinerer Banken im Dezember 2015 die Kunden verunsichert hatte. Deshalb soll es zu einem Einlagenabzug gekommen sein. Eine Sprecherin der EZB äußerte sich zu keinen einzelnen Instituten, sagte aber, dass die Überwachung von Kapital und Liquidität der Banken zu den Aufgaben eines Aufsehers zähle. Aus Frankfurter Finanzkreisen verlau- tete, dass deutsche Banken ihre Kreditlinien gegenüber italienischen Banken reduziert hätten. Gegen Institute, die als angeschlagen gelten, gäbe es nur noch gegen Sicherheiten Kredite. Auch in deutschen Aufsichtskreisen wachsen die Befürchtungen über den Zustand italienischer Banken. Dort wird darauf verwiesen, dass die Probleme mit faulen Krediten schon seit dem Stresstests im Jahr 2014 bekannt seien, aber bislang wenig passiert sei. Insgesamt sollen auf den italienischen Banken Problemkredite von 360 Milliarden Euro lasten, das ist ein Fünftel des gesamten Kreditbestands. Inzwischen sollen die Bankenaufseher der EZB Zweifel an den Ergebnissen der Bilanzprüfungen vor zwei Jahren hegen. Denn dafür waren die italienischen Aufseher verantwortlich, denen Kollegen aus anderen Ländern eine zu große Nähe zu den beaufsichtigen Instituten nachsagen. Da sich die Probleme nach den sechs Rezessionsjahren für die italienischen Banken nun zuspitzen, könnten bestimmte Bilanzpositionen noch einmal unter die Lupe genommen werden. Seit Jahresanfang beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe („Task Force“) in der Bankenaufsicht der EZB mit den notleidenden Krediten in den Bankbilanzen. Dabei gilt der Blick vor allem den südeuropäischen Ländern, insbesondere Italien. Als die EZB die sechs Banken – Unicredit, MPS, Banco Popolare, Carige, Ubi Banca und Banca Popolare di Milano – zu den notleidenden Krediten befragt hatte, war die Verärgerung in Italien darüber groß. Denn die Regierung befürchtete eine Vertrauenskrise. Auch die Schaffung einer Bad Bank, die mit staatlicher Garantie ausgestattet ist, brachte keine Lösung. Denn Brüssel genehmigte die Auslagerung der faulen Kredite nur, wenn die staatliche Garantie zu Marktkonditionen vergeben wird. Die ist vielen Banken aber zu teuer. Mittlerweile erhöhen die Bankenaufseher der EZB ihren Druck gegen Banken, die als besonders schwach gelten. Das ist neben der MPS und der Banca Carige auch die Banca Popolare di Vicenza. Deren Anteilseigner sind nun der Forderung der EZB nachgekommen und haben einer Kapitalerhöhung sowie einem Börsengang ihres bislang genossenschaftlichen Instituts zugestimmt. Andererseits hätte dem Institut eine Zwangsverwaltung gedroht. Die Banca Carige muss nun bei der EZB einen Plan für die künftige Finanzierung bis Ende März vorlegen. Zwei Monate später muss ein Strategieplan eingereicht werden. Nach dem Einlagenabzug musste die Sparkasse aus Genua nun auch ihren ursprünglich für das vergangene Jahr ausgewiesenen Verlust auf mehr als 100 Millionen Euro verdoppeln, weil zusätzliche Wertberichtigungen und Vorsorgen für die Problemkredite notwendig wurde. Die MPS aus Siena, die als drittgrößte Bank des Landes gilt, muss auf Geheiß der EZB einen Käufer finden. jpen. FRANKFURT, 8. März. Die zuletzt schon zum Sorgenkind erklärte deutsche Industrie hat am Dienstag unerwartet gute Zahlen gemeldet. Im Januar erhöhte das produzierende Gewerbe seine Produktion saison- und arbeitstäglich bereinigt um 3,3 Prozent zum Vormonat, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Für Dezember revidierten die Statistiker den Wert zudem von minus 1,2 auf nur noch minus 0,3 Prozent. „Diese Daten sollten der deutschen Industrie etwas Entlastung bringen“, kommentierte ING Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Im zweiten Halbjahr 2015 hatte sich die Industrieproduktion schwach entwickelt. Insbesondere die rückläufige Nachfrage aus den Schwellenländern, die unter niedrigen Rohstoffpreisen leiden, sowie aus China war dafür verantwortlich. Auch die bis Jahresbeginn noch äußerst positive Stimmung in den Unternehmen hatte sich im Februar erheblich verschlechtert. Volkswirte hatten deshalb nur mit einem kleinen Produktionsanstieg gerechnet. Tatsächlich steigerten sowohl die Hersteller von Investitionsgütern als auch die von Konsumgütern ihre Produktion deutlich. Die Bauproduktion legte wohl auch we- gen der milden Witterung sogar um 7 Prozent zu. Volkswirte begründeten den starken Anstieg zum Teil mit Sondereffekten, zum Teil aber auch mit fundamentalen Effekten. Viele Arbeitnehmer haben im Dezember Brückentage zwischen den Feiertagen genutzt, um Urlaub zu machen, vermuten die Konjunkturbeobachter. Fabriken hätten deshalb ihre Produktion heruntergefahren. Beispielsweise in der Autoindustrie gab es im Dezember einen starken Produktionsrückgang – und eine Erholung im Januar. Zudem könnten zu Jahresbeginn nach Einschätzung der Volkswirte viele Unternehmen damit begonnen haben, Großaufträge zu bearbeiten, die sie in den Vormonaten erhalten haben. Da die Betriebe ihre aktuelle Lage besser beurteilen als ihre Aussichten für das nächste halbe Jahr, gehen Fachleute davon aus, dass die Produktion in den kommenden Monaten wieder langsamer zulegen wird. Im ersten Quartal dürfte das deutsche Bruttoinlandsprodukt wohl etwas stärker wachsen als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres, kommentierte die Commerzbank. „Im zweiten Quartal ist dann aber wieder mit einem geringeren Zuwachs zu rechnen.“ Deutschland schuftet 59 Milliarden Arbeitsstunden im vergangenen Jahr svs. FRANKFURT, 8. März. Der Aufschwung auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat das Arbeitsvolumen in die Höhe getrieben. In Deutschland wurden 2015 insgesamt rund 59 Milliarden Arbeitsstunden geleistet, das waren 1,1 Prozent mehr als im Vorjahr und so viele wie 1992 nicht mehr. Gleichzeitig kletterte die Zahl der Erwerbstätigen um 0,8 Prozent auf 43 Millionen im Jahresdurchschnitt – so viele wie nie zuvor. Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit eines Beschäftigten stieg um 0,3 Prozent auf 1371 Stunden. Dies geht aus neuen Zahlen des staatlichen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom Dienstag hervor. In einer Mitteilung heißt es, das Wachstum des Arbeitsvolumens sei sowohl auf die Zunahme bei den Erwerbstätigen als auch auf den Anstieg bei der Arbeitszeit zurückzuführen. Damit entkräften die Wissenschaftler die oft verbreitete These, der Anstieg der Erwerbstätigkeit sei lediglich darauf zurückzuführen, dass die gleiche oder eine geringere Menge Arbeit auf mehrere Schultern verteilt werde. „Die Arbeitsmarktentwick- lung bleibt auch angesichts der aktuellen weltwirtschaftlichen Schwäche ein Stabilitätsanker“, kommentierte IAB-Forscher Enzo Weber die Entwicklung. Weitere Trends waren, dass die Vollzeitbeschäftigung mit 1,6 Prozent deutlich stärker gestiegen ist als die Zahl der Teilzeitkräfte mit 0,3 Prozent und dass die Zahl der bezahlten Überstunden leicht auf 21,1 je Arbeitnehmer stieg, während die der unbezahlten Mehrarbeit etwas auf 25,7 Stunden sank. Der Krankenstand, in Personen betrachtet, kletterte um 0,2 Punkte auf knapp 4 Prozent, in Tagen um 0,6 auf 10 Tage. Allerdings könnte einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Personaldienstleisters Manpower zufolge der Stellenaufbau in Deutschland künftig deutlich schwächer ausfallen. Der regelmäßigen Befragung zufolge sinkt die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen für das zweite Quartal 2016 um einen Prozentpunkt. Das sei der niedrigste Wert seit Ende 2013. Trotz guter Konjunktur und Kauflaune der Verbraucher wollten nur noch 6 Prozent der Arbeitgeber ihr Personal aufstocken, heißt es. RECHT UND STEUERN Gehaltskürzung für Manager Verschlechtert sich die Lage eines Unternehmens, soll der Aufsichtsrat die Bezüge von Vorstandsmitgliedern herabsetzen. Diese Regelung im Aktiengesetz (§ 87) hat die damalige große Koalition im Jahr 2009 verschärft. Der Bundesgerichtshof hat nun klargestellt, dass das Kontrollgremium normalerweise zu diesem Schritt sogar verpflichtet ist. Das könne auch dazu führen, dass ein Vorstand anschließend weniger verdient als die leitenden Angestellten. Nur diesen treffe als Organmitglied eine „besondere Treuebindung“, aufgrund deren er solch eine einseitig verfügte Gehaltskürzung hinzunehmen habe, schreiben die Karlsruher Richter (Az.: II ZR 296/14). jja. Reform des Kaufrechts Die SPD fordert Nachbesserungen an der geplanten Reform des Gewährleistungsrechts. Das Bundeskabinett hat einen von Justizminister Heiko Maas (ebenfalls SPD) ausgearbeiteten Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die Mängelhaftung im Kaufrecht ändert: Unternehmen sollen sich untereinander in Regress nehmen können, damit etwa ein Parkett- oder Fliesenleger nicht auf den Kosten sitzenbleibt, wenn er ein fehlerhaftes Produkt wieder aus- und einen Ersatz einbauen muss (F.A.Z. vom 3. März). Der SPDRechtspolitiker Johannes Fechner will die Möglichkeit streichen, dass Gewerbetreibende diese neue Haftung im „Kleingedruckten“ ausschließen. „Gerade kleine Handwerker haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, jahrelange Prozesse über mögliche Ausschlüsse in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu führen“, erklärte Fechner. Damit schloss er sich einer Forderung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks an. Die Wirtschaft ist sich da aber keineswegs einig: Der Groß- und Außenhandelsverband BGA lehnt die Einführung einer vom Verschulden unabhängigen Haftung ab. Gewerbliche Abnehmer seien schließlich „Profis“, und Lieferanten schuldeten nur die Übereignung der verkauften Ware. jja. Europarichter prüfen die Mitbestimmung Grünes Licht für Wegzug Deutsche Gerichte attackieren Beschränkung auf hiesige Arbeitnehmer Neuer Steuererlass hilft Familienunternehmen MÜNCHEN, 8. März. Die paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat ist ein deutscher Sonderweg. Ob dieser mit dem Europarecht vereinbar ist, muss nun der Europäische Gerichtshof entscheiden. Das Berliner Kammergericht hat anlässlich einer Klage gegen den Reisekonzern TUI die Luxemburger Kollegen eingeschaltet, weil es eine Diskriminierung der ausländischen Beschäftigten wittert. Denn vier Fünftel der Mitarbeiter arbeiten in anderen EU-Ländern. Doch nur die Beschäftigten in Deutschland dürfen die Vertreter der Arbeitnehmer im Kontrollgremium wählen – und dort selbst einrücken. Das könne dazu führen, dass bei Unternehmensentscheidungen einseitig die Interessen inländischer Arbeitnehmer berücksichtigt würden, so die Richter. Und auch die Freizügigkeit könne verletzt sein (Az.: 14 W 89/15). Für Alexander Hellgardt von der Universität München ist der Fall klar: „Dieser Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten kann keinen Bestand haben“, sagte der Jurist auf einer Tagung seiner Hochschule und argumentierte mit einem Vergleich: „Nur rund ein Drittel der Daimler-Aktien gehört deutschen Investoren – es wäre doch absurd, wenn die anderen zwei Drittel der Anteilseigner nicht im Aufsichtsrat vertreten wären.“ Bei einer Probeabstimmung im Saal rechnete denn auch eine – wenngleich knappe – Mehrheit damit, dass die Europarichter die deutsche Regelung kippen werden. Ganz anders hingegen der Arbeitsrechtler Rüdiger Krause von der Uni Göttingen. Bundestag und Bundesrat seien bei der Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes im Jahr 1976 davon ausgegangen, dass schon das „Territorialitätsprinzip“ des Völkerrechts die Einbeziehung ausländischer Mitarbeiter verbiete, sagte er. Auch bezweifelte der Hochschullehrer, dass sich ein Arbeitnehmer hierdurch in seiner Freizügigkeit beschränkt fühlen könnte. „Wenn jemand überlegt, ob er innerhalb eines Konzerns ins Ausland wechselt, wird er das von Karriereerwartungen abhängig machen oder der dortigen Kindergartensituation – aber nicht davon, ob er alle vier Jahre an den Wahlen zum Aufsichtsrat teilnehmen kann.“ Krauses Fazit: „Wir haben nun einmal unterschiedliche ESCHBORN, 8. März. Über zahlreichen Familienunternehmen schwebt ein Damoklesschwert: Im schlimmsten Fall ist durch Steuerschulden sogar die Existenz gefährdet. Verantwortlich dafür ist § 50 i des Einkommensteuergesetzes (EStG). Den von der Vorschrift Betroffenen droht nämlich die Aufdeckung und Besteuerung sämtlicher stiller Reserven, wenn sie betriebswirtschaftlich notwendige Umstrukturierungen oder Vermögensübertragungen mittels einer Erbschaft oder Schenkung vornehmen. Eigentlich sollte die Bestimmung beim Wegzug eines Gesellschafters bestimmter Personengesellschaften ins Ausland sicherstellen, dass Deutschland das Besteuerungsrecht behält. Nach dem Gesetzeswortlaut müssen jedoch auch bei reinen Inlandsfällen die stillen Reserven aufgedeckt werden. Zumindest hier hat die Finanzverwaltung jetzt zugunsten der Unternehmen nachgebessert. Erstmals eingeführt wurde § 50 i EStG im Jahr 2013 durch das „Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz“, und zwar als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Rund ein Jahr später wurde er durch das „Kroatien-Anpassungsgesetz“ noch erweitert. Hintergrund dafür war der Wunsch von Union und SPD, Pläne des Unternehmers Wolfgang Porsche zu vereiteln, der sein Milliardenvermögen am deutschen Fiskus vorbei ordnen wollte (F.A.Z. vom 24. Juni 2014). Die obersten Steuerrichter hatten entschieden, dass Einkünfte von Personengesellschaften, die keine originär gewerbliche Tätigkeit ausüben, nicht als Unternehmensgewinne im Sinne eines Doppelbesteuerungsabkommens zu behandeln sind (Az.: I R 81/09). Betroffen von dem Urteil sind Personengesellschaften, die beispielsweise kein Handels- oder Produktionsgewerbe betreiben, sondern nur Vermögen wie Beteiligungen, Grundbesitz und Ähnliches verwalten. Die Finanzverwaltung fürchtete Steuerausfälle in Milliardenhöhe – insbesondere wenn Betroffene zur Vermeidung der Wegzugsbesteuerung Anteile an Ka- „Hoch die internationale Solidarität!“ So lautet ein alter Kampfspruch der Arbeiter- bewegung. In Deutschland kämpfen die Gewerkschaften nicht nur auf der Straße und im Betrieb, sondern auch im Aufsichtsrat – bislang allerdings rein national. Foto dpa Rechtsregime in Europa – ein französischer Arbeitnehmer kann ja auch nicht seinen Kündigungsschutz mitnehmen, wenn er nach England umzieht.“ Für den Fall, dass der Gerichtshof die Beschränkung auf Mitarbeiter in Deutschland verwirft, sah Jessica Schmidt von der Uni Bayreuth eine einfache Lösung. Weder im Mitbestimmungsnoch im Drittelbeteiligungsgesetz sei sie ausdrücklich festgelegt. Angesichts der damals nicht vorhergesehenen Globalisierung brauchten die Gerichte die Paragraphen nur anders auszulegen. Auch einen praktischen Vorschlag für die Organisation europaweiter Wahlen hatte Schmidt parat – die Wahlordnung für Seebetriebsräte nämlich. Einen ganz anderen Weg schlug Tim Drygala von der Uni Leipzig vor. Die deutsche Justiz solle dann die Regelungen für die „Europa AG“ (SE) anwenden. Ohnehin hätten sich viele deutsche Aktiengesellschaften mittlerweile in diese Rechtsform umgewandelt, weil dort kleinere Aufsichtsräte mit internationaler Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank möglich sind. Voraussetzung sind allerdings erfolgreiche Verhandlungen darüber mit den Gewerkschaften. Peter Hemeling, Chefjurist der Allianz SE, schwärmte denn auch von den Erfahrungen, die sein Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren damit gesammelt habe: „Es gibt keine dezidiert deutschen Themen mehr im Aufsichtsrat.“ Noch größere Auswirkungen könnte allerdings ein anderer Rechtsstreit haben, den der Münchner Juraprofessor Volker Rieble persönlich gegen die Deutsche Börse angestrengt hat. Das Landgericht Frankfurt kam zu dem Schluss, die ausländischen Arbeitnehmer müssten bei der Größe des Kontrollgremiums mitgezählt werden (Az.: 3-16 O 1/14). Falls das Oberlandesgericht diesen Spruch bestätigt, müsste der Börsenkonzern seinen Beschäftigten die Hälfte der Sitze – und nicht mehr nur ein Drittel – einräumen. Rieble macht zwar keinen Hehl daraus, dass er mit seiner Klage der Mitbestimmung eigentlich insgesamt den Garaus machen wollte. Dennoch wies Roger Kiem aus der Anwaltskanzlei White & Case darauf hin, dass die Unternehmen auf dieses Verfahren mit Sorge blickten. „Müssten Arbeitnehmer im Ausland mitgezählt werden, würde sich die Zahl der Unternehmen mit paritätischer Mitbestimmung drastisch erJOACHIM JAHN höhen.“ pitalgesellschaften oder andere Wirtschaftsgüter auf Personengesellschaften mit lediglich fiktiv-gewerblicher Tätigkeit übertrugen. § 50 i EStG bestimmt seither, dass auch nach dem Wegzug eines Gesellschafters das Besteuerungsrecht in Deutschland verbleibt – selbst wenn dies in dem jeweiligen Abkommen anders geregelt ist. Ebenfalls von der Bestimmung sind Personengesellschaften betroffen, die ursprünglich originär-gewerblich tätig waren (insbesondere Handels- und Produktionsunternehmen), den Geschäftsbetrieb aber in eine Tochterkapitalgesellschaft ausgegliedert haben. Das Problem: Mit der Erweiterung hat sich die Situation für viele Personengesellschaften dramatisch verschärft. Sämtliche Umwandlungen, Übertragungen und Überführungen oder auch ein Strukturwandel führen zur Aufdeckung und Besteuerung aller stillen Reserven. Die überschießende Wirkung auf Inlandsfälle hat das Bundesfinanzministerium nun teilweise zurückgenommen. In einem Erlassschreiben erläutert es, in welchen Fällen wegen „sachlicher Unbilligkeit“ eine Anwendung unterbleibt (Az.: IV B 5 – S 1300/14/10007). Dazu zählen insbesondere reine Inlandsfälle. Für die Übertragung von Anteilen an einer fiktiv-gewerblichen Personengesellschaft durch eine Schenkung oder eine Erbschaft kann ein solcher Antrag allerdings nur gestellt werden, wenn die Anteile auf eine natürliche Person übergehen, so dass keine Übertragung auf eine Stiftung in Betracht kommt. Darüber hinaus lässt das Schreiben eine Vielzahl von Rechts- und Verfahrensfragen für betroffene Familienunternehmen offen – zum Beispiel welche Auswirkungen sich auf die Gewerbesteuer ergeben, die Zuständigkeit der Finanzbehörden sowie die Verfahrensdauer. Aus diesen Gründen ist der Bundestag aufgefordert, durch eine gesetzliche Regelung nachzubessern. SVEN OBERLE / HENDRIK LAMMERS Sven Oberle ist Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Hendrik Lammers ist Steuerberater bei EY. Mehr zum Thema Recht & Steuern im Internet auf unseren Seiten www.faz.net/recht Blog: www.faz.net/dasletztewort
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