Vom guten Tod

Vom guten Tod
von Heidrun Graupner
„Tod, wo ist dein Stachel?" Diese letzte Frage bekommt einen neuen Sinn, seitdem es immer
mehr Befürworter der aktiven Sterbehilfe gibt. Deren Legalisierung soll, angeblich, dem Tod
seinen Schrecken nehmen. Das ist falsch: Aktive Sterbehilfe würde dem Leben neuen
Schrecken zufügen. Die Justizminister von Bund und Ländern haben daher soeben die
Forderung
des
Hamburger
Justizsenators
und
Christdemokraten
Roger
Kusch
zurückgewiesen, die Tötung auf Verlangen und den assistierten Suizid zu erlauben. Sie
befürchten die Gefahr eines Dammbruchs und des Missbrauchs. Sind sie damit die Vertreter
eines paternalistischen, anmaßenden Staates der seinen Bürgern die Entscheidung über
den eigenen Tod verwehrt?
Seit der Schweizer Sterbehilfeverein Dignitas in Hannover eine deutsche Dependance
gegründet hat, ist die Diskussion über die aktive Sterbehilfe neu entflammt. Vorangetrieben
wird sie mit der schlichten Forderung nach einer schnellen gesetzlichen Lösung für einen
schnellen guten Tod. Allein die Umfragen in der Bevölkerung aber zeigen, wie groß die
Unsicherheit ist. Zustimmung und Ablehnung hängen von der Fragestellung ab, mal sind 74
Prozent für aktive Sterbehilfe, mal nur 35 Prozent. Dennoch, die Furcht vieler Menschen ist
groß, nicht vor dem Scheintod wie im 19. Jahrhundert, sondern vor einem Schein-leben,
vielleicht ohne Bewusstsein, vielleicht unter Schmerzen oder völlig gelähmt, an Schläuchen
hängend, ernährt mit Magensonde, entwürdigt. Der Segen der modernen Medizin ist auch ihr
Fluch, und es gibt jene erschreckenden Beispiele, die tiefes Mitleid wecken und die denen
Recht zu geben scheinen, die Tötung auf Verlangen fordern.
Ein Gesetz aber, welches das Töten von Menschen erlaubt, wird diesen Fluch nicht
nehmen.
Die
Befürworter
der
aktiven
Sterbehilfe
argumentieren
immer
mit
verzweiflungsvollen Einzelfällen. Mitleid mit Einzelnen aber kann nicht die Basis für ein
Gesetz sein, es kann nur den Rahmen festlegen. Mitleid mit Schwerstbehinderten und
Kranken stand am Anfang der Euthanasiegesetze der Nationalsozialisten, und auch wenn
die Diskussion über aktive Sterbehilfe keine Parallelen dazu erlaubt, so ist es doch wichtig,
sich daran zu erinnern. Dass sich Deutschland nicht von seiner Vergangenheit lösen kann,
kann kein Vorwurf sein, auch wenn der Hamburger Justizsenator diesen Satz als Vorwurf gemeint hat.
Fremdbestimmung über den Tod
Nur wenige Länder im großen Europa haben bisher aktive Sterbehilfe zugelassen. Die
Niederlande mit der längsten Praxis machen vor, zu welcher fatalen Entwicklung
Sterbehilfegesetze führen: Das Gesetz hat nicht den Druck von Gesellschaft und Ärzten
genommen, es hat ihn erhöht. Die Ärzte töten nicht mehr nur hoffnungslos Kranke auf deren
Wunsch, wie es zunächst vorgesehen war. Der Kreis wurde und wird stetig erweitert, auf
psychisch Kranke, auf Demente und vermutlich bald auf Menschen mit sozialem Leiden oder
Lebensüberdruss, und auf Neugeborene. Die Kontrolle ist unvollkommen, die Dunkelziffern
sind hoch. 900 Menschen sollen nicht gefragt worden sein, ob sie sterben wollen, es haben
andere über sie entschieden, Angehörige zum Beispiel, auch weil diese die Pflege nicht
mehr ertragen konnten. Dritte also sind es, die das Urteil fällen, ob ein Leben lebenswert ist
oder nicht - ein unerträglicher Zustand.
Der Staat schützt das Recht auf Leben. Den Umkehrschluss, das Recht auf Sterben durch
die Hilfe des Staates und durch die Hand Dritter, darf es nicht geben. Eine Aufhebung des
Tötungsverbots würde die Einstellung der Gesellschaft zum Leben verändern. Wer würde
und könnte es dann verhindern, dass in einer rapide alternden Gesellschaft Demente in
Pflegeheimen aus Kostengründen getötet würden.
Der Staat aber muss sich fragen lassen, was er versäumt hat, da der Ruf nach aktiver
Sterbehilfe und assistiertem Suizid immer heftiger wird. Der Staat hat viel versäumt. Der hat
in den vergangenen Monaten viel über Gerechtigkeit, Reformen und Solidarität geredet, nur
nicht über die Hilfsbedürftigen und Alten. Er hat unerträgliche Zustände in Pflegeheimen
geduldet, in denen Menschen dahinvegetieren und sich einen schnellen Tod wünschen. Er
hat die Hospize und Palliativstationen vernachlässigt, für nur zwei Prozent der Betroffenen
bieten sie Platz. Die Gesellschaft für Palliativmedizin hat ausgerechnet, dass die lindernde
Behandlung für alle hoffnungslos Kranken 0,5 Prozent der Gesamtausgaben im
Gesundheitswesen kosten würde, ein Betrag, der alle beschämen muss, die das Geld der
Kassen verteilen, auch für Werbegeschenke und Wellness. Erst jetzt, mit der Diskussion
über den Sterbehilfeverein Dignitas, hat Gesundheitsministerin Ulla Schmidt 250 Millionen
Euro für die ambulante Versorgung angekündigt. Ärzte verschreiben kein Morphium, sie
wissen nicht Bescheid über die Behandlung Schwerstkranker, sie sind nicht ausgebildet.
Doch könnten fast alle Tumorkranken mit Morphium schmerzfrei werden. Dann würden sie
nicht mehr nach aktiver Sterbehilfe verlangen.
Euthanasie ist billig
Der Staat hat versäumt, die Zulässigkeit von Patiententestamenten verbindlich zu regeln,
trotz der vielen und deutlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in den vergangenen
Jahren. Sicher, Justizministerin Brigitte Zypris hat vor einem Jahr endlich einen
Gesetzentwurf vorgelegt, die Parteien im Bundestag arbeiteten vor der Wahl an
Alternativvorschlägen, der Koalitionsvertrag verweist mit wenigen Worten auf das V haben.
Die große Koalition wird schnell realisieren müssen, soll ihr Nein zur aktiven Sterbehilfe
glaubhaft bleiben. Das Grundgesetz sichert jedem Patienten ein Selbstbestimmungsrecht,
kann eine lebenserhaltende Behandlung gegen den Willen des Arztes verweigern Dieses
Recht muss auch gelten, wenn d Kranke sich nicht mehr äußern kann. 1 ist ein schwieriges
Gesetzesvorhaben denn es muss den individuellen Wille über das Sterben respektieren ohne da Leben leichtfertig oder gar aus Kosten gründen aufzugeben.
Regierung und Parlament werden Weitsicht brauchen. Über ihre Reformer bestimmen bisher
vor allem die Ökonomen, weil der Sozialstaat, wie es heißt, bezahlbar bleiben müsse. Und
die Menschlichkeit in Pflegeheimen und Krankenhäusern wird nicht gesprochen. Schor heute
werden gebrechliche Alte oder Be hinderte missachtet oder misshandelt Der Konsens über
den Wert eines jeder Lebens schwindet. Euthanasie als gesellschaftliche Institution könnte
bald de. Normalfall werden, wenn es immer mehr Pflegebedürftige gibt, aber die Pflege
diesen Namen nicht mehr verdient. Ist diese Gesellschaft aber für diese Anstrengung bereit,
auch bereit, dafür zu bezahlen Diese Diskussion muss geführt werden - und sie darf nicht
allein von Wirtschaftlichkeit handeln, weil es um den Wert eines Lebens geht. Nicht das
Entsorgen sondern die Sorge muss das Handeln bestimmen.
(aus Süddeutsche 19/20.11 2005)