Nationales Forschungsprogramm verdeutlicht

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ZU GUTER LETZT
Nationales Forschungsprogramm
verdeutlicht Herausforderungen
Jean Martin
Dr. med., Mitglied der Redaktion
dort eingesetzt werden, unter der Voraussetzung, dass
wählt wurden 33 Forschungsprojekte. Im Jahr 2016 wur-
deren Einbindung zuverlässig und entsprechend koor-
den fünf Dialogveranstaltungen organisiert, im Rahmen
diniert ist.
deren die Ergebnisse diskutiert werden. Die erste Ver-
Die von A.-V. Dürst, S. Monod et coll. (Lausanne) vorge-
anstaltung «Sterben zu Hause und im Heim» fand am
legte Forschungsarbeit befasste sich mit dem bei alten
19. Februar in Bern statt. Dabei wurde vor allem die Rolle
Patienten vorhandenen Wunsch zu sterben: Bei Patien-
der pflegenden Angehörigen thematisiert, die vermehrt
ten in der REHA lag dieser Wunsch bei 12,9% und im
vor der Aufgabe stehen, ihre alten Eltern zu betreuen,
Heim bei 21%. In diesem Zusammenhang wurde die
eine Aufgabe, die zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Frage nach der Sterbehilfe aufgeworfen. Die Zahlen in
Eine in Freiburg und im Wallis angestrengte Studie un-
der Schweiz machen deutlich, dass Sterbehilfe häufiger
ter der Leitung von B. Sottas hat die in diesem Zusam-
bei den über 65-Jährigen in Anspruch genommen wurde
menhang kritischen Zusammenhänge untersucht. Es
(bei den über 75-Jährigen liegt die Zahl nahe der nicht-
zeigte sich, dass die Dauer der externen Pflege mit etwas
assistierter Suizide). Die Autoren der Studie haben inter
über einer Stunde pro Tag anzusetzen ist, während pfle-
essanterweise herausgefunden, dass sich der Wunsch
gende Angehörige permanent verfügbar sein müssen.
zu sterben bei Menschen mit moderatem oder auch er-
Dabei haben Letztere oft Mühe, den Überblick zu be-
höhtem kognitivem Defizit adäquat bemessen lässt [1].
halten, denn pro Patient können bis zu 32 Akteure auf-
Drei Experten haben die vorgelegten Resultate kom-
treten, was ein hohes Mass an Koordination voraus-
mentiert, darunter die Leiterin der Abteilung für
setzt. Die Studie kommt u.a. zu dem Schluss, dass die
Strategie und Grundsatzfragen des BAG. Die Heraus
Angehörigen (mehrheitlich pflegen die Frauen) häufig
forderungen sind komplexer Natur, so viel lässt sich
physisch und psychisch erschöpft sind und das Gefühl
zumindest sagen. Zum einen gibt es eine Vielzahl von
haben, allein dazustehen. Sie können sich nur schwer
Akteuren. Diese gilt es zu reduzieren, ohne dabei die
auf das absehbare Ableben des Patienten vorbereiten,
Pflegequalität zu beeinträchtigen. Die Rolle der pfle-
haben Angst, Dinge nicht richtig oder in ausreichen-
genden Angehörigen verlangt zwingend nach mehr
dem Masse zu tun, und befürchten, die Kontrolle über
Anerkennung. Ausserdem ist verstärkt darauf zu ach-
die Situation und ihr eigenes Leben zu verlieren.
ten, wie sie unterstützt werden können: Harmonisie-
Eine in Lausanne unter der Leitung von M.-A. Berthod
rung der Pflege mit dem Berufsleben, Entlastung durch
durchgeführte Studie befasste sich damit, wie – und ob –
Dritte, Informationsvermittlung und entsprechende
es den Angehörigen gelingt, Berufsleben und Pflege-
Schulungen. Im praktischen Alltag obliegen die Auf
mit entsprechenden
leistung unter einen Hut zu bringen. Die erfassten per-
gaben verschiedenen privaten und öffentlichen Leis-
Instrumenten Depression
sönlichen Geschichten zeigen auf, wie sich die Betref-
tungsanbietern. Im öffentlichen Bereich variieren die
unterscheiden lassen. Dies
fenden arrangieren. Dabei überrascht es nicht, dass
Zuständigkeiten je nach Kanton und fallen dabei den
ist von Bedeutung, denn
sich die getroffenen Massnahmen mehr oder weniger
Gemeinden, Bezirken oder dem Staat zu. In der Schweiz
einfach – oder schwierig – gestalten, je nach Unter
ist man an diese – oft politisch tief verwurzelte – Viel-
die, die aufzeigt, wie sich
und geistige Not
es bedarf jeweils einer
anderen Pflege. Bornet,
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lichte vor kurzem eine Stu-
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1 Dieses Team veröffent-
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Care» auf den Weg gebracht. Ehrenamtliche können
nem Finanzrahmen von 15 Millionen aufgelegt. Ausge-
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wird im Herbst 2016 die nationale Plattform «Work and
(NFP 67) wurde im Jahr 2011 auf fünf Jahre und mit ei-
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Das Nationale Forschungsprogramm «Lebensende»
falt gewöhnt. Dabei ist jedoch dafür Sorge zu tragen,
assess depressive
Die Autoren unterstreichen, dass es besonders wichtig
dass unsere alten und abhängigen Mitbürger überall
distress investigate
ist, möglichst auf allen Ebenen besser strukturierte
und gleichermassen Zugang zu qualitativ und quanti-
different dimensions.
Mittel und Wege bereitzustellen, um die Verfügbarkeit
tativ angemessenen Leistungen haben. Die Heraus
Veröffentlicht im Netz am
der pflegenden Angehörigen zu erleichtern. Dazu zäh-
forderungen, vor die wir durch den «grauen Tsunami»
16. Dezember 2015.
len u.a. der Schutz des Arbeitsplatzes für jene, die ihre
gestellt werden, sind gewaltig. Daher ist es gut, dass das
Arbeitszeit reduzieren, aber auch organisatorische und
NFP 67 jene Bereiche aufzeigt, die der dringenden Be-
materielle Unterstützung. In diesem Zusammenhang
achtung bedürfen.
symptoms and spiritual
Clinical Gerontologist.
jean.martin[at]saez.ch
SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG – BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES – BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI
2016;97(16):612
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nehmenskultur und gutem Willen der Vorgesetzten.
M-A et al. Instruments to