Reminiscere am 21.2.2016, Ludwigskirche Freiburg, Pfrin. F.Folkers Numeri 21,4-9 Heute hören wir auf einen alttestamentlichen Predigttext, den die Perikopenrevision auf den Sonntag Reminiscere gelegt hat. Er steht im 4. Buch Mose, machen Sie sich also auf eine spannende Geschichte gefasst. Ich erzähle Ihnen kurz, was vorher geschah. Israel ist in der Wüste, das Volk ist geflohen aus Ägypten, hat durch Gottes und Mose Hilfe die Tyrannei und Unterdrückung hinter sich gelassen. Sie haben Hunger und Durst ausgestanden, wurden mit Wasser aus dem Felsen, mit Manna und Wachteln genährt. Alte starben, Kinder wurden geboren, die Ägypten nur noch vom Hörensagen kannten, es konnte nicht mehr lange dauern bis sie ankommen im gelobten Land, wo Milch und Honig fließen. Durch Edom müssen sie noch durch. Sie haben beim König von Edom angefragt, ob sie so schnell wie möglich durch sein Land hindurchziehen dürfen, sie wollen die Straßen nicht verlassen und das Wasser, das sie brauchen, kaufen. Aber: der König von Edom läßt sie nicht durchziehen im Gegenteil, er hetzt ihnen Soldaten auf den Hals die sie notfalls mit Gewalt daran hindern sollen. Geschlossene Grenzen, wir kennen das. Nun müssen sie einen riesigen Umweg machen, der sie richtungsmäßig zunächst geradezu in die entgegengesetzte Richtung ziehen lässt, als ob es nach Ägypten zurückginge. Hier setzt der heutige Predigtabschnitt ein Num 21,4-9 Jesus Christus, lass uns dich ansehen und gib uns deinen Geist, dass wir leben. Amen. Das Auffälligste in dieser Geschichte sind die Schlangen. Bibelgeschulte Ohren hören da gleich die erste aller Schlangen mitzischeln, die im Garten, die so schlau war, dass Eva und Adam ihr nicht widerstehen konnten. Diese Schlangen hier in der Wüste sind dümmer. Sie reden nicht, vermutlich können sie auch nicht denken, sie beißen nur. Aber das ist schlimm genug. Die Menschen sterben an ihrem Biss. Und das Schlimmste ist, dass Gott sie losgelassen hat. Ein jüdischer Ausleger sagt: die Schlangen sind ja immer in der Wüste, viele gibt es dort. Aber Gott hat sie bislang zurückgehalten, das Volk Israel zu beißen. Nun lässt er sie los. Eine ziemlich giftige Geschichte also. Zuerst giftet das Volk. Sie haltens nicht mehr aus und jetzt noch dieser Umweg in die falsche Richtung – wörtlich übersetzt heißt das nicht mehr aushalten: ihre Seele wurde kurz – ein sprechender Ausdruck wenn man nicht mehr kann, dass die Seele kurz wird, einfach keinen Spielraum mehr hat. Also giften sie mit kurzer Seele gegen Gott und gegen Mose, die beide in einem Atemzug angeredet werden: warum hast du 2 uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser verderblichen Speise. Der Weg, auf den sie geschickt werden gefällt ihnen nicht. Das kennen wir gut. Dass auch uns der Weg, auf den wir geschickt werden, manchmal nicht gefällt. Warum mutet uns Gott das zu, eine Krankheit, ein Scheitern, ein großer Verlust. Alles kommt anders, als man wollte. Da wird leicht die Seele kurz und das Klagen und Murren hebt an. Und dann dieses Manna, dieses Gottesgeschenk, diese Speise vom Himmel. Sie scheint ihnen zum Hals rauszuhängen. Dabei müssen sie nicht mal arbeiten dafür, bloß aufsammeln, und sie schmeckt wie Honigkuchen und Koriandersamen, aber das ist ihnen nichts mehr wert, sie sehen nur noch, dass am nächsten Tag schon alles verdorben ist. Wie Mose reagiert, wird nicht beschrieben, Gott kommt gleich in den Blick und er reagiert nicht gerade seelsorgerlich geduldig und verständnisvoll. Nein, er lässt die giftigen Schlagen auf sie los, die es in der Wüste reichlich gibt. Eine richtig ägyptische Plage schickt er über sie und nun haben sie wirklich was zu klagen. Nun erfüllt sich, was sie in ihrem Gemurre als self-fulfilling prophecy gesagt haben: dass sie hier in der Wüste sterben. Viele von ihnen sterben am Gift der Schlangen. Die anderen bringt das zur Besinnung auf den Weg der Buße – sie erkennen ihre Sünde – Mose soll für sie zu Gott beten. Was war denn nun aber ihre Sünde? Den Weg nicht gehen wollen, den Gott sie schickt, das Brot nicht essen wollen, das Gott ihnen gibt, mehr nicht, aber eben auch nicht weniger. Das bringt sie um und bringt sie zum Bitten. Mose, der vorher noch Beschimpfte, soll zu Gott beten, der Mittler sein zwischen ihnen und Gott und Gott hört auf Mose. Allerdings, er schickt die Schlangen nicht einfach weg, sondern hat ein anderes Gegenmittel: die Schlange aus Kupfererz hoch auf eine Stange gesteckt. Wer gebissen ist, und sie anschaut, bleibt am Leben. Ein merkwürdiges Bild – der Blick auf das, was den Tod bringt, bringt das Leben. Ich stelle mir vor, wie alle nur noch auf den Boden geschaut haben, immer voller Furcht, eine Schlange könnte ihnen nahekommen, hinter jedem Stein, aus jedem Sandloch konnte doch eine kriechen. Nun wenden sie den Blick wieder nach oben, nun richten sie sich wieder auf, nun gibt es wieder Hoffnung. Das Wort für sehen, das hier verwendet wird, ist nicht nur ein oberflächliches erblicken, sondern es ist ein eindringliches Betrachten und Erwägen und die jüdischen Ausleger meinen: durch das Schauen nach oben richten die Israeliten ihr Herz wieder auf Gott und das heilt sie. Es war damals so eine Art homöopathisches Prinzip, das Gott angewendet hat: Gleiches wird durch Gleiches geheilt, unten die giftigen feurigen Schlangen, die den Tod brachten, oben die eherne Schlange, die mit Gott verband und deren 3 Anblick das Leben schenkte. So schauen sie in anderer Weise das an, was ihnen das Leben raubt, und dieses neue Anschauen schenkt ihnen das Leben zurück Der Evangelist Johannes sah darin sogar ein Bild für Jesus: "Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.", sagt Jesus im 3. Kapitel des Johannesevangeliums zu Nikodemus. Auch hier gilt, dass gleiches durch gleiches besiegt wird: die lebensverneinenden Kräfte der Welt, allen voran der Tod, werden besiegt durch den Tod eines Menschen der gleichzeitig unsere Verbindung zu Gott ist. Wenn wir auf diesen Tod, auf diesen Toten schauen, so die christliche Überzeugung, dann werden wir, je länger je mehr, das Leben sehen. Dann wird der Tod nicht mehr das zu Verdrängende, das zu Fürchtende sein, sondern hinter ihm, durch ihn hindurch vertrauen wir auf den, der größer und stärker ist als der Tod und das Leben selbst. Bleibt noch eine Frage, die von vielen immer wieder gestellt wird: wie kann ich einem Gott vertrauen, der so unbegreifliche Dinge tut, wie Schlangen auf sein Volk hetzen und seinen Sohn am Kreuz sterben zu lassen? Ich werde Ihnen diese Frage nicht beantworten, weil diese Antwort jeder selbst finden muss. Aber zwei Hinweise für den Weg zu einer Antwort will ich geben. Der eine ist: wenn wir so fragen - versteckt sich nicht hinter dieser Frage ein Ablenkungsmanöver unsererseits, nämlich das, einen Schuldigen zu suchen für unser Leben? Wer ist schuld, dass es mir schlecht geht? dass die Welt böse ist? Gott! Verglichen damit ist das Volk Israel mit einer unglaublichen Fähigkeit zur Selbstkritik und Selbsteinsicht begabt. Der zweite Hinweis: das Volk Israel und der größte seiner Söhne, Jesus, haben nicht von außen über Gott nachgedacht, sondern sie haben ihr Nachdenken immer in das Gespräch mit Gott hineingenommen, für solch ein Gespräch ist auch diese alttestamentliche Geschichte heute ein Zeugnis und Jesus hat selbst noch am Kreuz mit Gott gesprochen. Dieses Eintreten in dieses Gespräch mit Gott verändert unsere Wahrnehmung, verändert auch Fragen, lässt Vertrauen wachsen. Amen
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