256 L egitimi tät und Herrs ch a f t 1.Grundbegriffe: Politik, Macht, Staat, Legitimität Für das folgende Kapitel sollen noch einmal die Definitionen der Begriffe Politik, Macht, Staat und Legitimität geschärft werden, da ohne ihre präzise Bestimmung jede weitere sowohl theoretische als auch praktische Auseinandersetzung auf „tönernen Füßen“ steht. INfo Werner J. Patzelt lehrt seit 1991 als ordentlicher Professor Politikwissenschaft an der TU Dresden (Politische Systeme und Systemvergleich). Politik Die Herangehensweisen an das Phänomen des Politischen sind zahlreich und vielfältig. Manche legen ihren Fokus auf den noch zu bestimmenden Begriff Macht, andere auf die Gemeinschaft oder auf eine gute Ordnung (z. B. mittels Recht und Gerechtigkeit). Die moderne Politikwissenschaft warnt allerdings davor, den Politikbegriff zu eng zufassen und ihn mit allerlei modernen Voraussetzungen zu belasten: So braucht es für Politik keinen Staat, sie trat auch schon bei Nomaden und einfachen Stammesgesellschaften vor Tausenden von Jahren auf. Allen Definitionen ist, wenn auch stillschweigend, gemeinsam, dass Politik etwas Menschliches ist und nur in menschlichen Gemeinwesen auftritt. Des Weiteren geht es darum (auf welchem Wege auch immer), Entscheidungen zu treffen und diese dann für das gesamte Gemeinwesen durchzusetzen. Zu entscheiden gibt es immer dann etwas, wenn etwas in der Gemeinschaft zu verteilen ist, was aber nicht alle gleichermaßen bekommen können (bspw. Nahrung und Wasser, medizinische Versorgung, Rechte und Pflichten, Land, Geld). Eine der breitesten und präzisesten Definitionen ist jene von Prof. Dr. Werner J. Patzelt, welcher wir für diesen Band folgen wollen: „Politik ist menschliches Handeln in und zwischen Gruppen von Menschen, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemeiner Verbindlichkeit, d. h. allgemeingültiger Regeln und/oder Entscheidungen, abzielt.“ Die Wissenschaft unterscheidet drei Dimensionen von Politik: Dimension Erscheinungsform Merkmale Bezeichnung Form Verfassung Normen Institutionen Organisation Verfahrensregelungen Ordnung policy Inhalt Aufgaben und Ziele politischer Programme Problemlösung Aufgabenerfüllung Wert- und Zielorientierung Gestaltung policy Prozess Interessen Konflikte Kampf Macht Konsens Durchsetzung politics Macht Wesentlich kompakter verhält es sich mit dem Machtbegriff. Das vorliegende Kapitel folgt Max Webers klassischer Definition: „Macht ist die Chance, in einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, egal worauf diese Chance beruht.“ Die Gestalt und Ausübung von Macht kann sehr vielfältig sein. Man unterscheidet drei Gesichter der Macht und drei Ausübungsformen der Macht: Grundbegriffe: Politik, Macht, Staat, Legitimität Gesichter der Macht Ausübungsformen der Macht Durchsetzungsmacht: die Fähigkeit, eine Entscheidung durchzusetzen, z. B. eine Fernstraße so und nicht anders bauen zulassen offen angewendete Macht: konkrete Machtanwendung im Einzelfall, z. B. mit Polizei eine Demonstration auflösen Verhinderungsmacht: die Fähigkeit, die Durchführung einer Entscheidung zu verhindern, z. B. durch das Einlegen des Vetos im Weltsicherheitsrat vorauswirkende Macht: die Androhung des Einsatzes von Machtmitteln und die damit verbundene Vorauswirkung führt das gewünschte Verhalten herbei, z. B. durch bloßes Vorzeigen der Folterinstrumente kommunikative Macht: jene Begriffe prägen, anhand welcher erörtert wird, was durchgesetzt oder verhindert werden soll, z. B. indem man „Stabilisierungseinsatz einer taktischen Reserve“ statt „Kampfeinsatz“ sagt strukturelle Macht: Konstruktion der staatlichen und sozialen Strukturen in einer solchen Weise, dass einige stets bessere Chancen haben als andere, ihren Willen durch zusetzen, z. B. Preußisches Dreiklassenwahlrecht Staat Die Ursprünge der Staatlichkeit reichen bis zur beginnenden Sesshaftwerdung der Menschheit vor etwa 10 000 Jahren zurück. Jedoch sollten sich Menschen der Gegenwart bewusst machen, dass der moderne Verfassungsstaat mit seinen Funktionen und Leistungen eine verhältnismäßig junge Erfindung ist und als europäischer „Exportschlager“ im Zusammenhang mit der Kolonialzeit und des Imperialismus gelten darf. Zunächst einmal fallen im Begriff des Staates drei Definitionskriterien zusammen: das Staatsgebiet, das Staatsvolk, die Staatsmacht. So kann definiert werden: Ein Staat ist ein politisches System, welches über Machtmonopolisierung die Gewalt über eine begrenzte Bevölkerung auf einem begrenzten Gebiet ausübt. INfo Max Weber (1864 – 1920), gilt als Begründer der Soziologie in Deutschland und lehrte u. a. in Heidelberg, Freiburg und München. Seine Machtdefinition findet sich in dem nachgelassenen Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ (Erstauflage: 1922). INfo Funktionen des Staates ■■ Die historisch bedeutsamste Hauptfunktion des Staates ist dabei, die Ordnung im inneren herzustellen und Sicherheit nach außen zu gewährleisten. ■■ Bei modernen Staaten kommt die Legitimations- und Rechtsstaatsfunktion hinzu, also das genaue Abstecken der Rechte der Bürger untereinander und gegenüber dem Staat. ■■ In unterschiedlichen Ausprägungen kommen Staaten oft auch einer Wohlfahrtsfunktion nach, indem sie für die Grundlagen wirtschaftlicher Entwicklung sorgen und ggf. auch sozialen Ausgleich herbeiführen. Typologie der Staatsformen Schon zeitig hat man sich politikwissenschaftlich mit Staatsformen auseinandergesetzt und so kam das berühmte aristotelische Sechserschema zustande. Er unterteilte die Staatsformen zum einen nach der Anzahl der Herrschenden (einer, wenige, viele) und zum anderen in gute und entartete staatliche Formen, also danach, ob die staatliche Ordnung den Regierten oder den Regierenden nützte. 1 Finden Sie eigene Beispiele für die Gesichter und die Ausübungsformen der Macht und diskutieren Sie diese. 2 Erläutern und diskutieren Sie am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, ob und wie sie die drei Funktionen des Staates erfüllt. Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) griechischer Philosoph, begründete in Abgrenzung von seinem Lehrer Plato mit den Werken „Nikomachische Ethik“ sowie „Politik“ eine zentrale Denkschule. Glossar Demokratie 257
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