Das Problem der Gründung: Aporien der

Center for Political Practices and Orders (C2PO)
Universität Erfurt
Call for Contributions für den Workshop
Das Problem der Gründung:
Aporien der Konstitutionalisierung in politischer Theorie,
historischem Vergleich und politikwissenschaftlicher Analyse
15.-16. September 2016
Veranstaltungsort: Augustinerkloster Erfurt
Thema des Workshops
Das Problem der Gründung ist ein zentrales Motiv in der normativen politischen Theorie. Es
besagt, dass bei der Gründung eines gerechten Staates Voraussetzungen gegeben sein müssen, die eigentlich erst Resultat eines solchen Staates sind. Die Verfassung eines solchen Staates verkörpert dabei Prinzipien, auf die sich im Rawlsschen Sinne freie und gleiche Vernunftwesen einigen würden. Zu ihnen gehören Rechtsstaatlichkeit, Grundrechts- und Minderheitenschutz und demokratische Entscheidungsverfahren. Die Verfassungsgesetze eines solchen
Staates zu formulieren und in Kraft treten zu lassen, setzt jedoch ein Staatsverständnis voraus,
das in weiten Teilen der Bevölkerung erst durch die regelmäßige und dauerhafte Arbeit der
damit begründeten Institutionen entsteht. Wie also soll sich eine Gesellschaft zu einem derart
verstandenen Staat konstituieren, wenn das entsprechende Staatsverständnis nicht nur in der
Bevölkerung, sondern auch in den politischen Eliten noch weitgehend fehlt? Auf die demokratische pouvoir constituant jedenfalls scheint in solchen Fällen wenig Verlass, wie zahlreiche
historische und gegenwärtige Versuche der Gründung eines demokratischen Staates zeigen.
Allzu schnell und allzu leicht kippt ein demokratischer Konstitutionalisierungsprozess in
Machtusurpation oder nach- und konterrevolutionäre Gewalt um.
Was also sind Alternativen zur oder Absicherungsmöglichkeiten der demokratischen pouvoir
constituant, um Konstitutionalisierung und Demokratisierung in Staatsgründungsprozessen zu
gewährleisten? Bilden autoritative Konstitutionalisierung oder die treuhänderische Konstitutionalisierung von außen effektive bzw. legitime Alternativen? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein oder geschaffen werden, damit eine Konstitutionalisierung nach dem Modell
der pouvoir constituant oder anderer Ansätze erfolgreich verläuft? Wie können Konstitutionalisierungsprozesse zur Beendigung von revolutionärer Gewalt oder anderer Makro-Gewalt
beitragen und verhindern, dass Gesellschaften in noch schlimmere post-revolutionäre Gewalt
abgleiten?
Forschungsarbeiten, die sich mit diesen und ähnlichen Fragen im Spannungsfeld von Konstitutionalisierung, Demokratisierung und Staatsgründung bzw. Statebuilding beschäftigen, sollen auf dem Workshop gemeinsam diskutiert werden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf
den folgenden Ansätzen bzw. Arbeitsbereichen, wobei die Bereitschaft zur theoretischen Reflexion bei allen Forschungsvorhaben vorausgesetzt wird:
Politische Theorie
Das Problem der Gründung ist zwar ein Zentralmotiv der politischen Theorie, das sich in unterschiedlichen Ausprägungen von Aristoteles über Rousseau und Arendt bis zu Rawls und
auch andernorts findet, ist bislang aber kaum systematisch erschlossen. Gesucht werden daher Arbeiten, die sich mit Hilfe von Ansätzen der politischen Theorie, politischen Ideengeschichte oder politischen Philosophie mit Aspekten des Problems der Gründung beschäftigen.
Auch Beiträge aus der zeitgenössischen politischen Theorie, etwa mit Blick auf das Spannungsverhältnis von radikaler Demokratie und Konstitutionalisierung oder zur Theoretisierung von
Statebuilding und Konstitutionalisierung, sind willkommen.
Historischer Vergleich
Die moderne europäische und globale Geschichte ist – beginnend mit der Amerikanischen und
Französischen Revolution – reich an erfolgreichen und gescheiterten Konstitutionalisierungsversuchen. Sie bietet daher ein reiches Anschauungsmaterial für die Überprüfung zentraler
Thesen, wie sie im Problem der Gründung enthalten sind. Haben etwa autoritative Konstitutionalisierungsversuche eher zum Erfolg geführt als demokratische? Woran scheitern demokratische und/oder autoritative Konstitutionalisierungsversuche? Historische Einzelfallstudien
mögen einen großen illustrativen Wert haben (und sind im Einzelfall auch willkommen), gewinnbringender für die Thesenüberprüfung sind aber vergleichende und theoriegeleitete Untersuchungen. Aufschlussreich könnten etwa die großen Konstitutionalisierungsphasen nach
1918 und nach 1989 sein. Solche historisch arbeitenden Untersuchungen können sowohl geschichtswissenschaftlich, als auch rechts- bzw. verfassungsgeschichtlich oder historischmakro-soziologisch angelegt sein.
Politikwissenschaftliche Analyse
Vor allem die Friedens- und Konfliktforschung beschäftigt sich seit Langem mit den Voraussetzungen erfolgreicher Befriedungsprozesse, die im Idealfall zugleich mit Menschenrechts- und
Minderheitenschutz, Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung verbunden sind. Wie erfolgt
in solchen Fällen eine erfolgreiche Konstitutionalisierung? Auch empirische Untersuchungen
zum Zusammenhang von state- bzw. nation-building und Konstitutionalisierung sind willkommen. Zudem lieferten der Arabische Frühling und Konstitutionalisierungsversuche im postsowjetischen Raum in den vergangenen Jahren neues Anschauungsmaterial für eine vergleichende politikwissenschaftliche Revolutionsforschung. Die Verläufe und Erfolge divergieren
dabei stark, angefangen bei Tunesien und einer bislang recht erfolgreichen Konstitutionalisierung, über Ägypten und sein offenbares Versanden in einem konterrevolutionären Autoritarismus, bis hin zum Abgleiten in einen postrevolutionären Bürgerkrieg in Syrien. Welche Faktoren erklären diese unterschiedlichen Verläufe und in welchem Ausmaß lassen sie Aussagen
über die Thesen des Problems der Gründung zu?
Struktur und Ablauf des Workshops
In Form eines Kolloquiums präsentieren bis zu acht Nachwuchswissenschaftler_innen ihre individuellen Forschungsvorhaben. Zu diesem Zweck stellen sie im Vorfeld des Workshops allen
Teilnehmer_innen ein max. 8 Seiten umfassendes Exposé zur Verfügung. Jedem Vorhaben
wird aus dem Kreis der Nachwuchswissenschaftler_innen und der geladenen Experten_innen
je ein Co-Referent/ eine Co-Referentin zugeordnet. Jedem Forschungsvorhaben wird eine Sit-
zung von einer Stunde Dauer gewidmet, in der das Vorhaben nicht noch einmal eigens vorgestellt wird. Stattdessen beurteilen und kritisieren die beiden Co-Referent_innen das Vorhaben
in Form eines kommentierenden Statements von je 10 Minuten. Die verbleibende Zeit dient
der Diskussion und gibt dem/ der Nachwuchswissenschaftler_in die Möglichkeit, auf Einwände und Fragen zu seinem/ ihrem Projekt zu reagieren.
In einer gesonderten Sitzung wird der Entwurf eines Forschungsantrages des Workshopleiters
von den geladenen Expert_innen kommentiert und in der Runde diskutiert.
Bei den Expert_innen handelt es sich um:
Prof. Dr. Günter Frankenberg (angefragt)
Inhaber der Professur für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Arbeitet aus verfassungsrechtlicher Perspektive an den normativen Voraussetzungen freiheitlicher Verfassungen.
Prof. Dr. Wolfgang Knöbl (zugesagt)
Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung, arbeitet derzeit an dem
Forschungsprojekt „Die Geburt des Staates aus dem Geist der Metropole. Eine
ideengeschichtliche und planungssoziologische Untersuchung der Staatsbildung
in Argentinien, Australien und Kanada.“
Prof. Dr. Tine Stein (zugesagt)
Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Theorie an
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Hat in „Himmlische Quellen und irdisches Recht“ zu den religiösen Voraussetzungen des freiheitlichen Verfassungsstaates gearbeitet.
Prof. Dr. Hans Vorländer (zugesagt)
Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU
Dresden und war bis 2014 Leiter des Teilprojekts H „Demokratische Ordnung
zwischen Transzendenz und Gemeinsinn“ am SFB 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“
PD Dr. Jonas Wolff (angefragt)
Privatdozent an der Universität Kassel, Leiter des Programmbereichs „Herrschaft und gesellschaftlicher Frieden“ der Hessischen Stiftung für Friedens- und
Konfliktforschung und Mitglied ihres Vorstands. Arbeitet u.a. über externe Demokratisierungspolitik.
Adressaten
Der Workshop richtet sich an Nachwuchswissenschaftler_innen aller Qualifikationsstufen, angefangen bei Master-Studierenden, die ihre Masterarbeit vorstellen möchten, über Doktorandinnen und Doktoranden bis hin zu Postdocs, die in den genannten Disziplinen (Politikwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Rechtswissenschaft, Soziologie) und an Projekten arbeiten,
die für das Thema einschlägig sind.
Mit der Teilnahme an dem Workshop ist die Bereitschaft verbunden, bis spätestens zum 15.
August 2016 ein Exposé von maximal 8 Seiten an den Leiter des Workshops zu senden, ein
10minütiges Co-Referat zu einem anderen Forschungsvorhaben vorzubereiten und zu halten
und die übrigen Exposés in Vorbereitung auf die Diskussionen gründlich zu lesen.
Vorbehaltlich der Bewilligung der Finanzierung durch die Fritz-Thyssen-Stiftung werden die
Kosten für An- und Abreise und Übernachtung übernommen.
Bewerbung
Interessierte schicken bis zum 24. Februar 2016 einen Abstract von maximal 3000 Zeichen inkl.
Leerzeichen und einen Kurz-CV von 1 Seite (in einem pdf-Dokument) an den Leiter des Workshops, Dr. Andreas Braune: [email protected]