Verwaltungsrecht I (17) POR

Verwaltungsrecht I
Wintersemester 2015/16
17. Vorlesung
Polizei- und Ordnungsrecht (5)
Priv.-Doz. Dr. Ulrich Jan Schröder
Dezember 18, 2015
Polizei- und Ordnungsrecht (5)
Programm für heute
● Verantwortlichkeit im Polizei- und Ordnungsrecht
Dezember 18, 2015
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Polizei- und Ordnungsrecht (5)
1. Fall: Die Ordnungsbehörde spricht gegen den Ak4onskünstler A einen Platzverweis aus, da er die Fußgängerzone für seine Darbietungen nutzt, ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis zu besitzen. 2. Fall: Wie der Fall zur 1. Vorlesung zum POR. A, B und C hören laut Musik und stören die Nachbarn, so dass der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt wird und auch weiter erfüllt zu werden droht. DarauOin werden sie von der Polizei in Gewahrsam genommen. 3. Fall: Der S hört gerne laut Krimis. Die Polizei, die von den Nachbarn gerufen wird, glaubt, der S prügele seine Frau. Sie klingelt, ruR mit Megaphon, er solle die Tür öffnen. Nichts geschieht. Die Polizei triT die Tür ein und findet den S vor dem Fernseher. Die Polizei verlangt von S die Kosten ihres Einsatzes. Der S verlangt von der Polizei die Kosten für die Tür. Sind die Personen jeweils polizei-­‐ und ordnungsrechtlich verantwortlich? Dezember 18, 2015
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1. Fall: Die Ordnungsbehörde spricht gegen den Ak4onskünstler A einen Platzverweis aus, da er die Fußgängerzone für seine Darbietungen nutzt, ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis zu besitzen. Ist A ordnungsrechtlich verantwortlich? Wofür ist die Frage von Bedeutung? à Gegenstand der Rechtmäßigkeitsprüfung ist eine Maßnahme von Polizei/Ordnungsbehörde à Diese Maßnahmen ergehen vielfach an Adressaten: als Gebote oder Verbote oder als Maßnahmen des Verwaltungszwangs à die Maßnahme muss gegenüber dem Adressaten rechtmäßig sein à es gibt auch Gefahrenabwehr-­‐Maßnahmen ohne Adressaten (zB das Abschleppen eines Autos, dessen Halter oder Fahrer nicht ermiTelt werden konnte) = adressatenlose Maßnahmen à auch dann können/müssen noch Kostenbescheide gegen Verantwortliche ergehen Dezember 18, 2015
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1. Fall: Die Ordnungsbehörde spricht gegen den Ak4onskünstler A einen Platzverweis aus, da er die Fußgängerzone für seine Darbietungen nutzt, ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis zu besitzen. Ist A ordnungsrechtlich verantwortlich? Verantwortlichkeit kann nur in Zusammenhang mit der Ermäch4gungsgrundlage behandelt werden: I.  ErmächDgungsgrundlage: Platzverweis gem. § 31 I 1 HSOG III.  Materielle Rechtmäßigkeit: 1. Liegt der Tatbestand der EGL vor? 2. Wurde eine rich4ge Rechtsfolge gewählt? a) richDger Adressat? (kann auch Ermessen beinhalten: zB Auswahl unter mehreren Verantwortlichen) b) ggf. Ermessen (wenn nicht gebundene Entscheidung) Dezember 18, 2015
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1. Fall: Die Ordnungsbehörde spricht gegen den Ak4onskünstler A einen Platzverweis aus, da er die Fußgängerzone für seine Darbietungen nutzt, ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis zu besitzen. Ist A ordnungsrechtlich verantwortlich? I.  ErmächDgungsgrundlage § 31 I 1 HSOG „Die Gefahrenabwehr-­‐ und die Polizeibehörden können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen ...“ III.  Materielle Rechtmäßigkeit: 1. Liegt der Tatbestand der EGL vor? Gefahr = Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (§ 11 HSOG) öffentliche Sicherheit = Unverletzlichkeit der Rechtsordnung etc. Erlaubnisvorbehalt in § 16 I 1 HStrG 2. Wurde eine rich4ge Rechtsfolge gewählt? Dezember 18, 2015
a) richDger Adressat? 6
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Ist A ordnungsrechtlich verantwortlich? I.  ErmächDgungsgrundlage § 31 I 1 HSOG III.  Materielle Rechtmäßigkeit: 2. Wurde eine rich4ge Rechtsfolge gewählt? a) richDger Adressat? Allgemeine VorschriRen über die polizeirechtlich Verantwortlichen („Störer“): § 6 I HSOG – Verhaltensverantwortlichkeit: „Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.“ § 7 I 1 HSOG – Zustandsverantwortlichkeit: „Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen die Inhaberin und den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. § 7 II 1 HSOG: „Maßnahmen können auch gegen die Eigentümerin oder den Eigentümer oder eine andere berech4gte Person gerichtet werden.“ Auch Nichtverantwortliche dürfen rechtmäßig in Anspruch genommen werden: § 9 HSOG Dezember 18, 2015
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Ist A ordnungsrechtlich verantwortlich? III.  Materielle Rechtmäßigkeit: 2. Wurde eine rich4ge Rechtsfolge gewählt? a) richDger Adressat? § 6 I HSOG – Verhaltensverantwortlichkeit: „Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.“ à speziellere Regelungen? § 31 I 1 HSOG enthält keine spezielle Regelung zur Verantwortlichkeit à also Subsum4on unter § 6 I HSOG: „Verursacht eine Person eine Gefahr ...“ Dezember 18, 2015
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Ist A ordnungsrechtlich verantwortlich? III.  Materielle Rechtmäßigkeit: 2. Wurde eine rich4ge Rechtsfolge gewählt? a) richDger Adressat? § 6 I HSOG – Verhaltensverantwortlichkeit: „Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.“ à Defini4on der Verursachung bloße Kausalität (iSd condi&o-­‐sine-­‐qua-­‐non-­‐Formel) wäre uferlos (es gibt auch ein erlaubtes Risiko) ◦ Bemühungen zur Eingrenzung Dezember 18, 2015
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à Defini4on der Verursachung bloße Kausalität (iSd condi&o-­‐sine-­‐qua-­‐non-­‐Formel) wäre uferlos (es gibt auch ein erlaubtes Risiko) ◦ Bemühungen um Eingrenzung: (1) Lehre von der unmiSelbaren Verursachung: nur derjenige ist verhaltensverantwortlich, der die Gefahrengrenze überschreitet: zeitlich letzte Handlung vor SchadenseintriT? doch wertende Bes4mmung nö4g ... weitere Korrekturen: ▪ auch der Zweckveranlasser, zwischen dessen Verhalten und dem die Gefahr (zeitlich) unmiTelbar verursachenden Verhalten ein Zurechnungszusammenhang besteht (Modenschau im Schaufenster eines ModegeschäRs führt zum Verkehrschaos) ▪ auch der latente Störer, dessen Handlungen zunächst niemanden beeinträch4gen (zB Emissionsquelle, an die eine Wohnbebauung heranrückt) (2) Lehre von der rechtwidrigen Verursachung Verhaltensverantwortlich ist, wer durch sein Verhalten eine Rechtsnorm verletzt (3) Adäquanzlehre: Steigerung des (erlaubten) allgemeinen Lebensrisikos in sozial inadäquater Weise, auch (und erst recht) wenn Rechtsnorm verletzt wird Dezember 18, 2015
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à Defini4on der Verursachung bloße Kausalität (iSd condi&o-­‐sine-­‐qua-­‐non-­‐Formel) wäre uferlos (es gibt auch ein erlaubtes Risiko) ◦ Bemühungen um Eingrenzung: (1) Lehre von der unmiSelbaren Verursachung (2) Lehre von der rechtwidrigen Verursachung (3) Adäquanzlehre à Letztlich werden die Ansichten miteinander kombiniert à es kann auch sein, dass eine Ansicht ein hinreichendes Kriterium liefert: meist, wenn eine Person eine Rechtsnorm verletzt (bzw. zu verletzen droht, wobei hier wieder eine Eingrenzung geboten sein kann: nicht jede enoernte Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung) Im Fall: à A hat bereits eine Rechtsnorm verletzt (eine Störung/ein Schaden ist eingetreten) à die Verletzung dauert voraussichtlich an, also besteht auch eine Gefahr (wahrscheinlicher zukünRiger Schaden) à Lehre von der rechtswidrigen Verursachung/Adäquanzlehre (+) Dezember 18, 2015
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2. Fall: Wie der Fall zur 1. Vorlesung im POR. A, B und C hören laut Musik, stören die Nachbarn, so dass der Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt wird und auch weiter erfüllt zu werden droht. DarauOin werden sie von der Polizei in Gewahrsam genommen. Sind A, B und C polizeirechtlich verantwortlich? I. ErmächDgungsgrundlage: § 32 I 1 HSOG: „Die Polizeibehörden können eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies ... 2. unerlässlich ist, um die unmiTelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer StraRat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern ...“ III.  Materielle Rechtmäßigkeit: 2. Wurde eine rich4ge Rechtsfolge gewählt? a) richDger Adressat? § 6 I HSOG ? – Verhaltensverantwortlichkeit: „Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.“ speziellere Regelung: § 32 I Nr. 2 HSOG – Verursacher einer (zukünRigen) S t r a R a t o d e r O r d n u n g s w i d r i g k e i t à s p e z i e l l e R e g e l u n g v o n Verhaltensverantwortlichkeit à im Fall (+) Dezember 18, 2015
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3. Fall: Der S hört gerne laut Krimis. Die Polizei, die von den Nachbarn gerufen wird, glaubt, der S prügele seine Frau. Sie klingelt, ruR mit Megaphon, er solle die Tür öffnen. Nichts geschieht. Die Polizei triT die Tür ein und findet den S vor dem Fernseher. Die Polizei verlangt von S die Kosten ihres Einsatzes. Der S verlangt von der Polizei die Kosten für die Tür. I.  ErmächDgungsgrundlage 1. Für die Aufforderung zum Öffnen der Tür: § 11 HSOG 2. Für das Betreten der Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers: § 38 II HSOG III. Materielle Rechtmäßigkeit des Betretens der Wohnung (einschl. Eintreten der Tür) 1.  Liegt der Tatbestand der EGL vor? § 38 II Nr. 2 HSOG: zur Abwehr einer gegenwär4gen Gefahr für Leib oder Leben einer Person = hier Anscheinsgefahr, wenn die Polizei von Gefahr ausgehen durRe Dezember 18, 2015
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3. Fall: Der S hört gerne laut Krimis. Die Polizei, die von den Nachbarn gerufen wird, glaubt, der S prügele seine Frau. Sie klingelt, ruR mit Megaphon, er solle die Tür öffnen. Nichts geschieht. Die Polizei triT die Tür ein und findet den S vor dem Fernseher. Die Polizei verlangt von S die Kosten ihres Einsatzes. Der S verlangt von der Polizei die Kosten für die Tür. 2. Wurde eine rich4ge Rechtsfolge gewählt? a) richDger Adressat? § 6 I HSOG ? – Verhaltensverantwortlichkeit: „Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.“ im Fall: S ist Anscheinsstörer b) Ermessen hinsichtlich des Ob und Wie der Maßnahme richDg ausgeübt? -­‐ § 38 II HSOG: die Polizeibehörden „können“ = Ermessen Dezember 18, 2015
im Fall: Verhältnismäßigkeit (wohl [+]) 14
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Ist S Kostenschuldner? à grds. ist der Verantwortliche auch Kostenschuldner à aber differenzierende Lösung, wenn es sich um Fälle von Anscheinsgefahr oder Gefahrenverdacht handelt ▪ wer zurechenbar zum Eindruck der Gefahr oder des Gefahrenverdachts Anlass gegeben hat à hier können die Theorien über die zurechenbare Verursachung herangezogen werden: rechtswidrig lauter Lärm, sozial inadäquat lauter Lärm? selbst dann stellt sich die Frage des Schutzzwecks der verletzten Rechts-­‐ oder Sozialnorm ... ▪ demnach zurechenbare Veranlassung eher (-­‐) ▪ Einwand: Wenn Ordnungswidrigkeit (§ 117 OWiG – unzulässiger Lärm, der NachbarschaR erheblich beläs4gt), dann uU (Verhältnismäßigkeit?) auch Eindringen zulässig, um diese zu unterbinden à insoweit
zurechenbare Veranlassung (aber es fehlt an EGL für Eindringen in diese
Fall) Dezember 18, 2015
Wenn S kein Kostenschuldner ist, dann hat er als Nichtverantwortlicher Anspruch auf Entschädigung (evtl. Mitverursachung, aber Vorsicht!) 15
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Schadensersatzanspruch des S § 64 I 2 HSOG analog wenn der Anscheinsstörer nicht zurechenbar Anlass zur Anscheinsgefahr gegeben hat -­‐  sozial inadäquater oder rechtswidriger Lärm als Anlass? wohl (-­‐): Wer zu laut ist, dem sollte nicht der Anschein von GewalTaten zugerechnet werden (Schutzzweck des § 117 OWiG ist ein anderer) Einwand, dass tatsächliche Verhaltensverantwortlichkeit bestand, die Eindringen erlaubte wenn die Polizei auch zur Unterbindung des Lärms häTe eindringen dürfen, dann häTe es ja eine tatsächliche Gefahr gegeben: dann § 64 I HSOG (-­‐) à Wertung: Polizei häTe für weniger eindringen dürfen (und S wäre verantwortlich gewesen) à aber: „Immissionsschutz“ kein Grund für Betretungsbefugnis (vgl. § 38 HSOG) Dezember 18, 2015
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Literaturhinweise
Lehrbücher 1. Gusy, Polizei-­‐ und Ordnungsrecht, S. 198-­‐232 2. Götz, Allgemeines Polizei-­‐ und Ordnungsrecht, S. 75-­‐102 3. Schoch, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 202-­‐
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