Vom Nutzen der Psychologie in der Führung

LEADERSHIP
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Vom Nutzen der Psychologie in der Führung
(engl. «Leadership»)
Führen ist eine ständig komplexer werdende, anspruchsvolle Tätigkeit. Je vernetzter wirtschaftliche, politische und
soziale Zusammenhänge werden, umso schwieriger sind diese zu analysieren und umzusetzen. Der Versuch,
diese Komplexität zu verringern, nimmt teilweise absurde Formen an. Von «richtigem» oder «gutem» Management
(Führen ist damit auch gemeint) wird in überschäumender Selbstbegeisterung gesprochen. Es erstaunt, wie weit
die Banalisierung eines Themas zur blossen Gewinnung von Marktanteilen getrieben werden kann.
W
Stefan Brülhart
lic. phil. Psychologe FSP, Studium der Klinischen
Psychologie, Psychopathologie und der Soziologie
in Zürich, Psychotherapieausbildung an der Universität Bern, postgraduale Management-Ausbildung an der Universität Fribourg. Vieljährige Führungs¬praxis in unterschiedlichen Funktionen.
Schwerpunkte in Beratung und Training: Führung,
Change Management, Selbstmanagement, Kommunikation, Strategie- und Leitbildentwicklung.
Am IAP als Leiter Managementbildung tätig.
er sich mit dem Thema Führen
und mit Führungsausbildungen
eingehend beschäftigt, weiss, dass es
mit dem Abgeben von Checklisten,
Merkpunkten und guten Tipps nicht
getan ist. Claus Dieter Eck, ehemaliger stellvertretender Direktor des IAP
Instituts für Angewandte Psychologie, schreibt in einem Aufsatz dazu:
«Es ist deutlich geworden, dass Führung nicht instruktiv («so muss es gemacht werden») und nicht präskriptiv
(«so soll es gemacht werden») vermittelt werden kann. Zu entwickeln ist
die Fähigkeit eines Copings mit den
Paradoxien der Führung. Anders formuliert, Führung als eine Kunst – und
nicht als eine Technik.» Führung ist
also immer suboptimal, oder um es
positiv auszudrücken: Führung ist immer so gut, wie in einer bestimmten
Situation mit bestimmten Akteuren
möglich. Führung wird immer wieder
neu geschaffen (bzw. «konstruiert»)
zwischen individuellen Personen innerhalb von sozialen Systemen.
Führen heisst, dass Menschen ver-
suchen, andere Menschen zu beeinflussen oder zu steuern. Diese wichtige Tatsache wird heute oft unter den
Tisch gewischt und komplexe (Macht)Verhältnisse werden gerne in einem
zu positiven Licht dargestellt. Da
heisst es dann, es werden «gemeinsam
Ziele erreicht», «Challenges» gemeistert und «Opportunities» ergriffen, alles in einvernehmlicher, konfliktloser
Gleichschaltung von persönlichen
und betrieblichen Zielen über alle
Hierarchien und Kontinente hinweg:
Schön wär's!
Wenn sich Menschen in Organisationen begegnen, entwickeln sich bewusst oder unbewusst immer Beziehungen.
Führung kann nur durch aktive Gestaltung und Pflege dieser Beziehungen die gewünschten Resultate bringen. Beziehungen wiederum werden
massgeblich geprägt von der (immer
subjektiven) Wahrnehmung des Gegenübers, von der Fähigkeit, diese
Wahrnehmung und eine darauf folgende Bewertung zu reflektieren und
sie nicht als «objektiven» Befund miss
zu verstehen. Führung als Beziehungsgestaltung bedingt aber auch
eine persönliche Entwicklung der
Vorgesetzten, damit der Vorteil der
übergeordneten Position nicht zum
Nachteil der untergeordneten Person
wird. Hier ist Selbstreflexion verlangt:
Was habe ich als «Leader» für ein
Verhältnis zur Macht und zur Durchsetzung von Interessen?
Was habe ich für ein Menschenbild?
Welches sind meine ureigenen, persönlichen Motive, welche ich innerhalb meines Beitrags zur Organisation
(auch) befriedigen möchte? Die Psychologie, die «Lehre von der Seele»,
kann bei diesen und vielen weiteren
wesentlichen Fragen die entscheidenden Kenntnisse und Fähigkeiten für
Führungserfolg vermitteln. Betriebswirtschaftliches Management-Wissen braucht es für diesen natürlich
auch.
Goldfisch-Teiche ade oder Leadership
ist nicht lernbar…
Damit über 28 000 Mitarbeitende tagtäglich mit durchschnittlich 6 500 Zügen rund 833 000 Fahrgäste in einer Flotte
von 4 015 Reisezügen und 365 Lokomotiven schnell, pünktlich und bequem transportieren können, braucht es Leadership; tagtäglich. Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB leben diesen Leadership und setzen ihn um, tagtäglich.
M
Yvonne Muri, lic. rer. pol.
Leiterin Managemententwicklung
und Beratung SBB
it Hilfe hausinterner Assessment
Centers zur Selektion von fähigen Mitarbeitenden und zur Potenzialanalyse künftiger Leaders, sind die
richtigen Personen am richtigen Platz.
Die Mitarbeitenden haben präzise
Ziele und kennen ihre klare Verantwortung, damit sie jederzeit antizipieren
und
Handlungsalternativen
vorbereiten können. Dies die Führungsgrundsätze, welche sie spüren
lässt, dass in diesem Unternehmen die
Priorität den Mitarbeitenden gilt.
Selbst trotz all der entwicklungsorientierten Kaderprogramme, Seminare,
Workshops, Coachings und Grossgruppenveranstaltungen der SBB bleiben diese Führungsgrundsätze in der
Anwendung jedoch lediglich Theorie,
wenn der Vorgesetzte oder die Vorgesetzte kein Leader ist. Denn… Leadership ist nicht lernbar. So kann zum
Beispiel ein guter Verkäufer dank
Schulung ein sehr guter Verkäufer
werden. Ein schlechter Verkäufer hingegen bleibt trotz Schulung ein
schlechter Verkäufer. Vom Grundsatz
her bedingt es bei einem Leader ebenfalls eine gewisse Grundvoraussetzung, ein bestimmtes Flair und Talent
zum Leader, welches nicht durch
Schulung, hingegen durch persönliche
Entwicklung und Reflexion erreicht
werden kann.
Die besten Assements, Potenzialanalysen und Personalentwicklungsprogramme, Goldfisch- bzw. High-Potentials-Teiche nützen also nichts,
wenn nicht der Fokus auf der Selbstverantwortung, dem Engagement,
dem Pragmatismus und auf einer gesunden Portion Menschenverstand eines jeden Einzelnen liegt. Dies wiederum bedingt den entsprechenden
Rahmen und folgende Voraussetzungen seitens des Top-Managements:
Orientierung, d.h. klare Ziele und Absichten des Unternehmens. Definierte
und für alle verständlich vermittelte
Handlungsspielräume. Mitarbeitende,
die sich für ihre Aufgaben begeistern
und bei Entscheiden und Lösungsfindungen beteiligt und mit einbezogen
werden. Mitarbeitende, die innerhalb
einer Vertrauenskultur in einer guten,
ressourcenorientierten Balance gefordert und gefördert werden. Nur so wird
Leadership zwar nicht erlernt, aber
entwickelt… ein Umstand, der innerhalb der SBB von den Mitarbeitenden
gelebt und umgesetzt wird, tagtäglich.