LEADERSHIP 23 Vom Nutzen der Psychologie in der Führung (engl. «Leadership») Führen ist eine ständig komplexer werdende, anspruchsvolle Tätigkeit. Je vernetzter wirtschaftliche, politische und soziale Zusammenhänge werden, umso schwieriger sind diese zu analysieren und umzusetzen. Der Versuch, diese Komplexität zu verringern, nimmt teilweise absurde Formen an. Von «richtigem» oder «gutem» Management (Führen ist damit auch gemeint) wird in überschäumender Selbstbegeisterung gesprochen. Es erstaunt, wie weit die Banalisierung eines Themas zur blossen Gewinnung von Marktanteilen getrieben werden kann. W Stefan Brülhart lic. phil. Psychologe FSP, Studium der Klinischen Psychologie, Psychopathologie und der Soziologie in Zürich, Psychotherapieausbildung an der Universität Bern, postgraduale Management-Ausbildung an der Universität Fribourg. Vieljährige Führungs¬praxis in unterschiedlichen Funktionen. Schwerpunkte in Beratung und Training: Führung, Change Management, Selbstmanagement, Kommunikation, Strategie- und Leitbildentwicklung. Am IAP als Leiter Managementbildung tätig. er sich mit dem Thema Führen und mit Führungsausbildungen eingehend beschäftigt, weiss, dass es mit dem Abgeben von Checklisten, Merkpunkten und guten Tipps nicht getan ist. Claus Dieter Eck, ehemaliger stellvertretender Direktor des IAP Instituts für Angewandte Psychologie, schreibt in einem Aufsatz dazu: «Es ist deutlich geworden, dass Führung nicht instruktiv («so muss es gemacht werden») und nicht präskriptiv («so soll es gemacht werden») vermittelt werden kann. Zu entwickeln ist die Fähigkeit eines Copings mit den Paradoxien der Führung. Anders formuliert, Führung als eine Kunst – und nicht als eine Technik.» Führung ist also immer suboptimal, oder um es positiv auszudrücken: Führung ist immer so gut, wie in einer bestimmten Situation mit bestimmten Akteuren möglich. Führung wird immer wieder neu geschaffen (bzw. «konstruiert») zwischen individuellen Personen innerhalb von sozialen Systemen. Führen heisst, dass Menschen ver- suchen, andere Menschen zu beeinflussen oder zu steuern. Diese wichtige Tatsache wird heute oft unter den Tisch gewischt und komplexe (Macht)Verhältnisse werden gerne in einem zu positiven Licht dargestellt. Da heisst es dann, es werden «gemeinsam Ziele erreicht», «Challenges» gemeistert und «Opportunities» ergriffen, alles in einvernehmlicher, konfliktloser Gleichschaltung von persönlichen und betrieblichen Zielen über alle Hierarchien und Kontinente hinweg: Schön wär's! Wenn sich Menschen in Organisationen begegnen, entwickeln sich bewusst oder unbewusst immer Beziehungen. Führung kann nur durch aktive Gestaltung und Pflege dieser Beziehungen die gewünschten Resultate bringen. Beziehungen wiederum werden massgeblich geprägt von der (immer subjektiven) Wahrnehmung des Gegenübers, von der Fähigkeit, diese Wahrnehmung und eine darauf folgende Bewertung zu reflektieren und sie nicht als «objektiven» Befund miss zu verstehen. Führung als Beziehungsgestaltung bedingt aber auch eine persönliche Entwicklung der Vorgesetzten, damit der Vorteil der übergeordneten Position nicht zum Nachteil der untergeordneten Person wird. Hier ist Selbstreflexion verlangt: Was habe ich als «Leader» für ein Verhältnis zur Macht und zur Durchsetzung von Interessen? Was habe ich für ein Menschenbild? Welches sind meine ureigenen, persönlichen Motive, welche ich innerhalb meines Beitrags zur Organisation (auch) befriedigen möchte? Die Psychologie, die «Lehre von der Seele», kann bei diesen und vielen weiteren wesentlichen Fragen die entscheidenden Kenntnisse und Fähigkeiten für Führungserfolg vermitteln. Betriebswirtschaftliches Management-Wissen braucht es für diesen natürlich auch. Goldfisch-Teiche ade oder Leadership ist nicht lernbar… Damit über 28 000 Mitarbeitende tagtäglich mit durchschnittlich 6 500 Zügen rund 833 000 Fahrgäste in einer Flotte von 4 015 Reisezügen und 365 Lokomotiven schnell, pünktlich und bequem transportieren können, braucht es Leadership; tagtäglich. Die Schweizerischen Bundesbahnen SBB leben diesen Leadership und setzen ihn um, tagtäglich. M Yvonne Muri, lic. rer. pol. Leiterin Managemententwicklung und Beratung SBB it Hilfe hausinterner Assessment Centers zur Selektion von fähigen Mitarbeitenden und zur Potenzialanalyse künftiger Leaders, sind die richtigen Personen am richtigen Platz. Die Mitarbeitenden haben präzise Ziele und kennen ihre klare Verantwortung, damit sie jederzeit antizipieren und Handlungsalternativen vorbereiten können. Dies die Führungsgrundsätze, welche sie spüren lässt, dass in diesem Unternehmen die Priorität den Mitarbeitenden gilt. Selbst trotz all der entwicklungsorientierten Kaderprogramme, Seminare, Workshops, Coachings und Grossgruppenveranstaltungen der SBB bleiben diese Führungsgrundsätze in der Anwendung jedoch lediglich Theorie, wenn der Vorgesetzte oder die Vorgesetzte kein Leader ist. Denn… Leadership ist nicht lernbar. So kann zum Beispiel ein guter Verkäufer dank Schulung ein sehr guter Verkäufer werden. Ein schlechter Verkäufer hingegen bleibt trotz Schulung ein schlechter Verkäufer. Vom Grundsatz her bedingt es bei einem Leader ebenfalls eine gewisse Grundvoraussetzung, ein bestimmtes Flair und Talent zum Leader, welches nicht durch Schulung, hingegen durch persönliche Entwicklung und Reflexion erreicht werden kann. Die besten Assements, Potenzialanalysen und Personalentwicklungsprogramme, Goldfisch- bzw. High-Potentials-Teiche nützen also nichts, wenn nicht der Fokus auf der Selbstverantwortung, dem Engagement, dem Pragmatismus und auf einer gesunden Portion Menschenverstand eines jeden Einzelnen liegt. Dies wiederum bedingt den entsprechenden Rahmen und folgende Voraussetzungen seitens des Top-Managements: Orientierung, d.h. klare Ziele und Absichten des Unternehmens. Definierte und für alle verständlich vermittelte Handlungsspielräume. Mitarbeitende, die sich für ihre Aufgaben begeistern und bei Entscheiden und Lösungsfindungen beteiligt und mit einbezogen werden. Mitarbeitende, die innerhalb einer Vertrauenskultur in einer guten, ressourcenorientierten Balance gefordert und gefördert werden. Nur so wird Leadership zwar nicht erlernt, aber entwickelt… ein Umstand, der innerhalb der SBB von den Mitarbeitenden gelebt und umgesetzt wird, tagtäglich.
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