• Forschendes und selbstreflexives Lernen in der Hochschuldidaktik am Beispiel des Themenbereichs „Umgang mit Komplexität als Kernkompetenz einer Bildung für nachhaltige Entwicklung“ Dr. Maria Hallitzky Bildung für nachhaltige Entwicklung setzt nicht zuletzt in der Lehrerbildung an. Der Beitrag fokussiert deshalb handlungswirksame Einstellungen von Lehramtsstudierenden im Hinblick auf professionsspezifische Aufgabenfelder nachhaltiger Bildung. Mit Komplexität umgehen und Unsicherheiten aushalten zu lernen, gilt als eine der Schlüsselqualifikationen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. (Bühler 1996, Fountain 1996, Stavenhagen 1997, Forghani 2001, Hornstein 2001, Scheunpflug/Schröck 2002) Angesichts zunehmend sich globalisierender Lebensverhältnisse kommt speziell dem Lehren und Lernen in komplexen Zusammenhängen mehr und mehr Bedeutung zu. Ein weltweiter Horizont von Denk- und Handlungszusammenhängen, den es verantwortlich wahrzunehmen und mitzugestalten gilt sowie die Wertorientierung weltweiter Solidarität (UNESCO-Generalkonferenz 1974) bilden die normative Essenz einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Dabei vollzieht sich ein Paradigmenwechsel hin zu einer systemischen Sichtweise komplexer Zusammenhänge in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales (vgl. BLK-Programm „21“). Entsprechend ist beispielsweise in der Umweltbildung ein Wechsel vom Paradigma der Umwelterziehung zu einem Selbstverständnis fächerübergreifender Reflexion ökologisch-politischer Zusammenhänge vollzogen worden. (Claußen 1997, de Haan/Harenberg 1999, de Haan 2000, Butterwegge 2002, Giesel/de Haan/Rode 2003, Rode 2005) Der Beitrag konkretisiert diese systemische Zugangsweise sowie die damit verbundene Methodik der reflexiven Auseinandersetzung im hochschuldidaktischen Kontext der Lehrerbildung. Er geht der Frage nach, ob sich handlungswirksame Einstellungen von zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern, die in ihrer allgemeinen Ausprägung zunächst als relativ stabil gelten, durch (selbst-)reflexive Verfahren des Lehrens und Lernens bereichsspezifisch in komplexen Kontexten nachhaltiger Bildung in eine gewünschte Richtung verändern lassen. Die Untersuchungen finden im Rahmen von Hochschulseminaren statt. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht dabei ein spezifischer Themenkontext, der die im Dreieck der Nachhaltigkeit (BLK-Programm „21“) entfaltete Vernetzung verschiedener, zum Teil widersprüchlicher Dimensionen nachhaltiger Bildung repräsentiert und zugleich als beispielhafter Unterrichtsinhalt für Schülerinnen und Schüler zu analysieren ist: Der Rohstoff Coltan und die Reflexion der komplexen Zusammenhänge von der Rohstoffgewinnung über wirtschaftliche Abhängigkeiten und ökologische Folgen bis zur Nutzung des aus dem Rohstoff gewonnenen Metalls Tantal in verschiedensten elektronischen Geräten wie etwa Mobiltelefonen oder Airbags. Mit den selbstreflexiven Verfahren und Übungen (z. B. Elemente der „Methode Glasgow“) werden kognitive und emotionale Komponenten der Bewältigung komplexer Situationen verbunden. Die Operationalisierung und Messung der Kompetenzen, die im Umgang mit Komplexität als förderlich gelten und im Rahmen der Seminare erworben oder ausgebaut werden sollen, erfolgt in Anlehnung an Erkenntnisse aus der kognitionspsychologischen Forschung (Dörner 2002, Vester 2004). Diese belegen Effekte handlungsleitender Einstellungen auf konstruktive Formen der Bewältigung von Komplexität. Neben Kompetenzen der Planung und Strukturierung von Situationen bedarf es demnach einer relativ hohen Unsicherheitstoleranz ebenso wie einer positiven Einschätzung der eigenen Kompetenz bzw. einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung. Generell hat sich die Selbstwirksamkeit von Lehrern als wichtige Variable für erfolgreiches und innovatives Lehrerhandeln herausgestellt. (Schwarzer/Jerusalem 2002) Mit der jüngsten umfassenden Erhebung von Einstellungen und Kompetenzen von Lehrer/innen im Zuge des Programms BLK „21“ der Bund-Länder-Kommission konnten Selbstwirksamkeitserwartungen speziell auch im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung als förderlich für die Gestaltung und den Erfolg von schulischen Lehr-Lernprozessen bestätigt werden. (Rode 2005) Zugleich halten selbstwirksame Personen Unsicherheit vergleichsweise eher aus als Personen, die im Umgang mit Komplexität weniger erfolgreich sind. Riggs/Enochs (1990) beobachten bei selbstwirksamen Lehrerinnen und Lehrern mehr Innovationsgeist und Risikofreude – Faktoren, die auch das Konstrukt der Unsicherheitstoleranz umschreiben und Effekte auf die Auseinandersetzung mit den Inhalten und Methoden globalen Lernens haben müssten, wie die Forschungen von Jerusalem/Schwarzer (2002) nahelegen. Locke/Latham (1990) stellen neben höheren Zielsetzungen auch einen positiven Einfluss auf die Zielerreichung und eine realistische Einschätzung zur Verfügung stehender Möglichkeiten und Ressourcen fest. (vgl. Schmitz 1999) Dörners Untersuchungen zum Umgang mit komplexen Situationen beziehen sich insbesondere auf kognitive Kompetenzbereiche, nicht jedoch auf eine ethische Fundierung von Formen der Komplexitätsbewältigung. Bildung für nachhaltige Entwicklung beinhaltet aber den ethischen Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit. Mit dem Konstrukt des GerechteWelt-Glaubens existiert ein psychologisches Konstrukt, das unabhängig von der Widersprüchlichkeit unterschiedlicher „Gerechte-Welt-Vorstellungen“ handlungsregulierende Wirkung hat. In komplexen Problemsituationen fördert der Gerechte-Welt-Glaube problemrechtfertigende oder -minimierende Argumentationen, die die Wahrscheinlichkeit prosozialen Verhaltens reduzieren. In überschaubaren Situationen dagegen fördert er sozial verantwortliches Handeln. (vgl. Hafer/Olson 1993; Montada et al. 1986; Bierhoff et al. 1991; zusammenfassend Dalbert 1996) Montada resümiert die Ergebnisse der just-world-Forschung in der Erkenntnis, dass erlebte Verantwortlichkeit für anonyme Fremde negativ korreliert mit dem Glauben an eine gerechte Welt. (vgl. Dalbert 1982) In der vorliegenden Studie werden diese drei genannten Persönlichkeitsmerkmale bereichsspezifisch erhoben und daraufhin untersucht, ob sich durch hochschuldidaktische Zugänge forschenden und selbstreflexiven Lernens jeweils Effekte in eine gewünschte Richtung nachweisen lassen. Die Studie ist als Fragebogenerhebung mit je zwei Erhebungszeitpunkten (Beginn und Ende des Sommersemesters 2006 sowie des Wintersemesters 2006/07) in drei Versuchs- und Vergleichsgruppen (mit/ohne/mit variiertem Treatment) an unterschiedlichen Universitätsstandorten (Universität Augsburg, Universität Eichstätt, LMU München, Universität Passau) angelegt und wird durch qualitative Zugangsweisen (Gruppendiskussion, Lerntagebücher) ergänzt.
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