IKB-Kapitalmarkt-News – Großbritannien versus Brüssel: mehr Eigenverantwortung für die Staaten der EU? 4. Februar 2016 Dr. Klaus Bauknecht [email protected] Das Referendum Großbritanniens über den Verbleib in der EU könnte bereits im Sommer 2016 stattfinden. Premier Cameron hofft, dass er bis dahin genug Punkte in Brüssel sammeln kann, um den Briten die weitere Mitgliedschaft schmackhaft zu machen. In den Verhandlungen mit der EU geht es vor allem um eine größere Unabhängigkeit Großbritanniens, vor allem hinsichtlich Euro und Immigrationspolitik. Doch auch wenn diese Forderungen durchaus ihre Berechtigung haben bzw. nachvollziehbar sind – man denke nur an die aktuelle Flüchtlingspolitik in der EU, die alles andere als klar und einheitlich ist –, die ursprünglichen Argumente für ein Referendum sind andere: Cameron nutzt das Referendum als Druckmittel, um die wachsende Zustimmung der Briten für die Politik der UK Independence Party einzudämmen und andererseits die Bedingungen der britischen Mitgliedschaft in der EU zu verbessern. Diese Strategie könnte aufgehen. Doch nun kommt für die Tories die Stunde der Wahrheit. Wie erwartet, stellt sich eine Einigung zwischen London und Brüssel als schwierig heraus. Keine Seite will als erste nachgeben, obschon eine Einigung die Chancen für den Verbleib in der EU deutlich erhöhen könnte. Dabei besteht kein Zweifel, dass ein Austritt zumindest kurz- bis mittelfristig negative wirtschaftliche Konsequenzen sowohl für die EU, als auch für Großbritannien mit sich bringt, insbesondere, wenn der Freihandel belastet wird. Doch grundsätzlich hat Cameron nichts anders getan, als die meisten anderen Parteichefs in den EU-Staaten während des Wahlkampfes. Alle nutzen die EU-Mitgliedschaft im positiven wie im negativen Sinne für ihre Zwecke. Im aktuellen Umfeld von hohen Schulden und geringem Wachstum berufen sich viele Mitgliedsstaaten auf ihre Souveränität und kritisieren die Politik aus Brüssel. Höhere Staatsausgaben und die Stärkung der Selbstbestimmung kommen bei den Wählern gut an, vor allem angesichts der aktuellen Arbeitslosenquoten in der EU. Frankreichs Präsident Francois Holland hat während seiner Wahlkampagne ähnlich agiert. Allerdings führt die scharfe Wahlrhetorik gegenüber den EU-Institutionen zu einem hohen Handlungsdruck in Großbritannien. Abb. 1: Deutsche Exportanteile, in %, 3. Quartal 2015 Euro-Zone 36,7% Übrige Länder 26,1% 302 Mrd. € China 6,2% USA 9,7% Rest EU 13,8% Großbritannien 7,5% Quellen: Statistisches Bundesamt; IKB Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre aus verschiedenen Gründen nicht nur schlecht für Europa, sondern auch für Deutschland. So war Großbritannien in 2015 drittgrößter Absatzmarkt für deutsche Produkte. Rund 7,5 % aller deutschen Güterexporte waren in 2015 für die Briten bestimmt, weit mehr als beispielsweise für China, dessen Quote schon länger rückläufig ist. Durch einen Austritt Großbritanniens aus der EU würde sich das Verhältnis zu einem der wichtigsten Handelspartner Deutschlands grundsätzlich verändern. Kapitalmarkt News Abb. 2: Warenstruktur deutscher Ausfuhren nach Großbritannien, in % vom Gesamtvolumen, 2015 4,4% 3,8% Maschinenbau ,Elektrotechnik u. Fahrzeuge Chemische Erzeugnisse 5,8% Bearbeitete Waren 8,8% 50,0% 10,7% Verschiedene Fertigwaren Mineral. Brennstoffe, Schmiermittel 15,0% Lebende Tiere und Nahrungsmittel Andere Waren Quellen: Statisitisches Bundesamt; IKB Großbritannien spricht sich für eine höhere Selbstbestimmung innerhalb der EU aus. Dies ist nicht als Erosion der Gemeinschaft zu sehen, sondern eher als eine Voraussetzung für ihren Erhalt. Die eigene Identität nicht zu verlieren, ist ein notwendiges Prinzip, um eine Wirtschaftsgemeinschaft von souveränen Staaten nachhaltig erhalten zu können. Hier kann Großbritannien als EU-Mitglied einen wichtigen Beitrag hin zu weniger Machtkonzentration in Brüssel leisten. Ein Austritt Großbritannien wäre auch deshalb schlecht, weil dieser politische Impuls erlöschen würde. Aktuell wird in der EU die Notwendigkeit des Zusammenrückens betont und ein weitreichendes Abtreten von Befugnissen an Brüssel als notwendige und unvermeidliche Lösung propagiert. Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht erinnert werden, dass die Lösung der Flüchtlingspolitik auf EU-Ebene erfolgen muss, auch wenn offensichtlich ist, dass sich nationale Interessen immer wieder durchsetzen. Die Konzentration von Macht und Regulierung in Brüssel geht gegen den Geist einer freien Wirtschaft, in der Selbstbestimmung ein wichtiges Gut darstellt. Deshalb liegt die Lösung in der Berücksichtigung nationaler Interessen und Unterschiede und nicht in deren Ausschaltung. Mehr Eigenverantwortung und Flexibilität würden die Gemeinschaft eher weiterbringen, als die Illusion einer EU-Einheitspolitik aufrecht zu erhalten, die bei jeder Wahl abgestraft wird und zunehmend zu nationaler Abschottung führt. Die EU wird in einer Zwangsjacke nicht überleben. Die Bürger und Bürgerinnen der einzelnen souveränen Staaten werden sich auch weiterhin auf ihre kulturelle und wirtschaftliche Vielfalt berufen. Und genau dies ist nun in Großbritannien der Fall. Das Argument, ein Nachgeben im Falle Großbritanniens würde Anreize für andere Länder schaffen, wirtschaftliche Zugeständnisse zu verlangen und dadurch die Einigkeit der EU schwächen, trifft nur eingeschränkt zu. Denn im Gegensatz zum Beispiel zu Griechenland stellt Großbritannien kaum finanzielle Forderungen an die EU, sondern möchte vor allem seine Unabhängigkeit erhöhen. Deshalb sollte sich die EU wohlwollend mit den britischen Wünschen beschäftigen. Es ist eine grundsätzliche Frage, wohin die Reise geht. Seit der Finanzkrise ist die Konzentration von Befugnissen in Brüssel und damit auch die Sozialisierung und Umverteilung von Problemen auf die Gemeinschaft deutlich vorangeschritten. Auch wenn diese Politik in Krisenzeiten durchaus ihre Berechtigung hat, sollte die EU grundsätzlich ihre Regulierungsdichte und Machtkonzentration hinterfragen. Mit einem Austritt Großbritanniens würde die EU diesbezüglich eine wichtige kritische Stimme verlieren. Fazit: Nach der Finanzkrise dominierte in vielen Ländern der EU die Überzeugung, nur eine gemeinsame, zentralisierte Politik könne weitere Krisen verhindern. Die Flüchtlingskrise hingegen zeigt, dass im Ernstfall nationale Interessen in den Vordergrund rücken können. Der Wunsch nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung ist traditionell in nur wenigen EUStaaten so ausgeprägt wie in Großbritannien. Es ist nicht von Nachteil für die EU, wenn sie die Forderungen der Briten wohlwollend prüft. Denn eine Gemeinschaft, bei der mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung nur durch einen Austritt zu realisieren sind, scheint keine nachhaltige und vor allem freie Gemeinschaft darzustellen. Aus deutscher Sicht ist ein Verbleib Großbritanniens in der EU auf jeden Fall wünschenswert. Schließlich hat Deutschland in 2015 deutlich mehr Waren nach Großbritannien exportiert als nach China. 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