Berlin, September 2015

Offener Brief zur „Initiative to crowdsource subtitling
to increase the circulation of European works“ der EU-Kommission
Als professionelle UntertitlerInnen möchten wir zu dieser Initiative einiges zu bedenken geben. Die
genannten„hohen Kosten“ von 600 bis 1.000 Euro für die Untertitelung eines Films sind eine grobe und
eher niedrige Schätzung. Die Untertitelung eines Spielfilms dauert selbst mit der zeitsparenden Software,
die von den meisten KollegInnen benutzt wird, je nach Filmlänge und Komplexität der Dialoge vier bis
zehn Tage. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verdienen professionelle UntertitlerInnen teilweise weniger als
den Mindestlohn, obwohl die meisten über einen Hochschulabschluss und langjährige
Übersetzungserfahrung verfügen. Schon seit Jahren steigt der Druck in der Branche. Aufgrund stetig
fallender Preise waren viele KollegInnen inzwischen gezwungen aufzugeben. Im Hinblick darauf können
Sie sich vielleicht unsere Befremdung angesichts Ihrer wohlmeinenden Initiative vorstellen. Sie wollen
kleine Filme auf VOD-Plattformen verfügbar machen, und sie zu diesem Zweck komplett ohne
Bezahlung untertiteln lassen. Wir möchten Sie jedoch bitten, die folgenden Fragen einmal für sich zu
beantworten:
1. Möchten Sie wirklich die Untertitelung für diese Filme an Amateure oder an Maschinen vergeben?
Filmdialoge so zu kürzen, dass alle unverzichtbaren Informationen, das sprachliche Register, alle
Anspielungen auf vorangegangene Dialoge oder zukünftige Ereignisse erhalten bleiben, ist nicht einfach.
Dazu braucht es eine Mischung aus Sprachgefühl, Erfahrung, technischem Verständnis und der
Bereitschaft, einen Untertitel so oft umzuschreiben, bis er in sich stimmig ist und schnell gelesen werden
kann. Die meisten UntertitlerInnen in der Branche sind deshalb ausgebildet. Und was Maschinen betrifft,
so können diese bis heute kaum standardisierte Texte adäquat übersetzen, ganz zu schweigen von
gesprochener Sprache, die von Verkürzungen und Sprachspielen lebt.
2. Wie wollen Sie verhindern, dass es bei der Untertitelung durch einen, unter Umständen sogar mehrere
Amateure, zu Urheberrechtsverletzungen kommt?
3. Wie stellen Sie sich den Arbeitsablauf vor? Sollen teure Redakteure die schnell und billig erstellten
Vorlagen überarbeiten? Jedem professionellen Übersetzer ist klar: Es dauert länger, eine schlechte
Übersetzung zu korrigieren, als den Text von Grund auf neu zu übersetzen.
4. Erwarten Sie von professionellen FilmemacherInnen, dass sie und ihre DrehbuchautorInnen die Früchte
jahrelanger, harter Arbeit Menschen anvertrauen, die den Ruf ihres Films über Nacht ruinieren
können? Und das alles wegen ein paar Hundert Euro? Beim Untertiteln geht es nicht nur um die
Übersetzung der Texte: Schlechte Untertitel geben einen Film der Lächerlichkeit preis oder machen ihn
unverständlich. Das passiert meist aufgrund unpassender Übersetzungen oder wenn schlicht zu viel Text
zu lesen ist und der Zuschauer den Faden verliert. Untertitel aus dem Crowdsourcing strotzen nur so vor
Fehlern dieser Art.
Wenn die EU sich ernsthaft darum bemühen möchte, deutlich mehr kleine Filme einem größeren
Publikum zugänglich zu machen, dann ist die Suche nach einer „günstigeren“ Untertitelungslösung
sicherlich der falsche Weg. Filmemacher und Filmemacherinnen würden sicher auch nicht ihren Nachbarn
zum Kameramann ernennen, nur weil dieser sich gerade eine Videokamera zugelegt hat. Die EUKommission sollte sich lieber dafür stark machen, dass die Untertitelung endlich als Teil des
Postproduktionsprozesses angesehen wird und den damit betrauten ExpertInnen ein angemessenes
Einkommen garantiert wird. Solange die Übersetzung des Filmdialogs als lästiges Anhängsel gilt, an das im
Vorfeld merkwürdigerweise niemand gedacht hat, wird sie auch nicht die Wertschätzung erfahren, die sie
verdient. Beim Crowdsourcing von Untertiteln nimmt das internationale Ansehen der Filme nur Schaden.
Es gibt dabei nur Verlierer, denn gute Untertitel haben ihren Preis!
Die Mitglieder des Untertitelforum
Die Mitglieder von AVTE, Europäischer Verband der audiovisuellen Übersetzer
Hinrich Schmidt-Henkel, Vorsitzender des VdÜ (Verband der Literaturübersetzer)
Eva Leipprand, Bundesvorsitzende des VS (Verband deutscher Schriftsteller)
Berlin, September 2015