Literatur Hoch Zwei 08.03.16

Ein Abend voll romantischen Schweifzügen der Fantasie und surrealer Spracherotik. Und voller
Überraschungen: Der Marquis de Sade sendet aus dem Kerker Zarte Liebesgrüsse an seine
Frau, umsäuselt seinen "siebzehnten Planet der Venus" als "Wonne Mohameds". Dafür lauert
der reine Rousseau als Exhibitionist in einem dunklen Busch Frauen auf, bevor er sich an den
Sexualorganen der Blumenkelche und Staubfäden entzückt und mitten in der Waldeseinsamkeit
eine Strumpffabrik entdeckt.
Rousseau – Sade. Der gute Mensch gegen den bösen Menschen. Jenseits dieser billigen
Schematik, tauchen wir mit Sade in die märchenhaft monströse Welt des Menschenfressers
Minski, bevor wir mit Rousseau über den Wellen des Bielersees in sanfte Ekstasen entschweben. Die Verzuckungsspitze von Rousseaus Werk! So verfolgen wir die Frühgeburt des Surrealismus aus dem Geist der Romantik.
Und landen mitten im jetzt: Ein weichgespülter und enthirnter Sade geistert durch die 50
Shades unserer Gegenwart. Der harmlose konsumrausch im Pain Room wäre aber eher etwas
für Rousseau gewesen, der sich gern von seiner "Maman" den hintern versohlen ließ. Statt
Sade mit Sacher-Masoch zu S/M zu verketten, sollte man vielleicht besser von S/R reden.
Stefan Zweifel hat Sade (mit Michael Pfister) und Rousseau neu übersetzt. Am Literaturfestival
Leukerbad war sein Auftritt mit Thomas Sarbacher zu diesem kongenitalen Duo ein vielgelobter
Höhepunkt. Jetzt werden sie noch umtrommelt von Julian Sartorius.
So wie schon Rimbaud und Artaud:
https://www.youtube.com/watch?v=hi4StjggdCs&feature=youtu.be
Sade und seine Frau mussten ihre Liebesgeheimnisse mit Geheimtinte vor den Gefängniszensoren verbergen. Der Text erschien erst, wenn sie den Brief über Kerzen hielten. Brandbomben der Phantasie erscheinen zwischen Brandlochern der Liebe.
Sades Schädel des Bösen
wird von den Jasskarten umflattert, auf die Rousseau bei Spaziergängen seine Träumereien
notierte.
So fügt sich das 17. Jahrhundert zu einer Collage der Gegenwart wie auf dem Bild von Blumenfeld, das zur Zeit in der Dada Ausstellung im Landesmuseum zu sehen ist.