86 | Querdenken Die andere Sicht der Dinge «Bei uns muss Ihr Geld arbeiten», kommunizierten die Kantonalbanken unlängst in grossen Werbebotschaften. Wenn wir schon so viele Arbeitslose haben, so müssten wir uns doch einmal die Frage stellen, warum denn nun auch noch Geld arbeiten soll. Warum muss Geld keine Freiwilligenarbeit leisten? Ivo Muri Wenn wir zu wenig Wasser zum Trinken haben, dann stellen wir doch als Erstes den unnötigen Wasserverschleiss durch Baden und Auto waschen ein. Warum also lassen wir Geld arbeiten, wenn die Menschen sonst schon zu wenig Arbeit haben? Wer kein Kapital besitzt, kann nur leben, wenn er Arbeit hat. Er kann ja schliesslich nicht sein Geld für sich arbeiten lassen. Und wovon sollte er in einer Gesellschaft leben, in der er nur dank Geld überleben kann? Wenn es nun also so ist, wie die Kantonalbanken behaupten, dass Geld arbeitet, dann wäre es doch gerecht, wenn wir zuerst das Geld arbeitslos machten – und erst nachher die Menschen. Oder wenn wir von den Menschen verlangen, dass sie Freiwilligenarbeit leisten, wa- ▲ «Freiwilligenarbeit bedeutet ja schliesslich nicht, dass die Menschen nicht arbeiten. Sie arbeiten so genannt freiwillig.» Innovation Management | Erstausgabe 2006 | Nr. 1 rum sollte dann das Geld keine Freiwilligenarbeit leisten? der mehr als 50 Prozent der Bevölkerung unfreiwillig für Lohn arbeitet? Und die Lohnempfänger? Wenn Kapital auf Zins verzichtet Freiwilligenarbeit bedeutet ja schliesslich nicht, dass die Menschen nicht arbeiten. Sie arbeiten so genannt freiwillig, betreuen Kinder, betreuen ältere Menschen. Eigentlich müssten wir sagen, sie arbeiten gratis – nicht freiwillig. Denn wenn wir von denjenigen Menschen, die gratis arbeiten, behaupten, dass sie freiwillig arbeiten, dann müssten wir ja auch fragen, ob die anderen Menschen, die für Lohn arbeiten, unfreiwillig arbeiten. Sie verzichten nicht auf Lohn – aber arbeiten sie unfreiwillig für Lohn? Und wie frei wäre dann eine solche Gesellschaft, in Freiwilligenarbeiter verzichten also darauf, entschädigt zu werden. Sie nehmen keinen Lohn für ihre Arbeit. Freiwilligenarbeit könnte deshalb durchaus auch entschädigungsfreie, lohnfreie, geldfreie oder Gratisarbeit heissen. Und wenn wir nun davon ausgehen, dass auch Geld für Zins arbeitet, dann könnte doch Geld auch Freiwilligenarbeit leisten, indem es auf den Zins verzichtet. Alleine der Bund, die Kantone und die Gemeinden würden durch diese Freiwilligenarbeit des Kapitals ganz massiv entlastet. Wir würden um Milliarden von Steuergeldern entlas- Querdenken | 87 Braucht es Basel II? Wenn nun Geld, statt Menschen, arbeitet, wird dieses Geld für seine Arbeit durch einen unterschiedlich hohen Zins entschädigt. Bei der menschlichen Arbeit ist es so, dass diese besser bezahlt ist, je einzigartiger die Arbeit ist. Seltene Berufe und Branchen werden wegen des höheren Arbeitswerts und der hohen Spezialisierung besser entlöhnt. Wenn jedoch Geld arbeitet, ist dies gerade umgekehrt. Je einfacher die Arbeit, desto höher der Zins. Begründet wird dies durch das so genannte Kreditrisiko. Gäbe es jedoch nur Staatsbanken, dann könnten Banken nicht konkurs gehen und es gäbe kein Kreditrisiko. Das Geld liegt ja immer auf irgendeiner Bank. Es wird durch einen Konkurs nicht vernichtet. Jedem Schuldner (auch jedem Franken Staatsschulden) steht ein privater Kapitalbesitzer gegenüber, dem das Geld gehört, das ihm der Schuldner schuldet. Alles Geld, das einmal im Kreislauf der Wirtschaft ist, bleibt im Kreislauf der Wirtschaft und gehört immer einem Kapitalbesitzer. Es sei denn, die Nationalbank sammle das Geld wieder ein und vernichtet es. Weniger Arbeitslosigkeit? Liessen wir also Geld so selbstverständlich Freiwilligenarbeit leisten, wie wir dies seit der UNO-Kampagne im Jahre 2001 von den Menschen fordern, dann hätten die Menschen in den Branchen mit dem grössten Wettbewerbsdruck endlich bessere Arbeitsbedingungen. Und plötzlich würden die Menschen ihre Arbeit wieder aus Freude am sinnvollen Tun verrichten – statt in einem permanenten Überlebenskampf. Besonders interessant wäre es nun, wenn wir wissenschaftlich der Frage nachgingen, ob es überhaupt Arbeitslosigkeit geben könnte, würde Geld nur noch freiwillig arbeiten. Weil die Menschen in Tschechien, Polen und China ja bekanntlich billiger arbeiten als wir, wandert viel Geld aus unserem Wirtschaftskreislauf ab in diese Länder. Die Rendite in Form von Gewinnen, Zinsen und Dividenden sind durch die billigen Arbeitskräfte im Ausland viel besser als bei uns in der Schweiz. Liessen wir nun dieses Geld nicht mehr im Ausland arbeiten, dann würde das Geld doch hier bei uns arbeiten. Bei Lego in Willisau wären alle 200 Arbeitsplätze noch vorhanden, wenn Lego sein Geld weiterhin in der Schweiz hätte arbeiten lassen. Würden wir also das Geld generell nur noch freiwillig arbeiten lassen – so meine These – flösse das Geld nicht mehr in entfernte Länder ab, nur weil dort die Löhne tiefer sind. Dadurch würde das Geld immer an dem Ort reinvestiert, an dem es erarbeitet wurde, und es gäbe keine Massenarbeitslosigkeit mehr. Arbeitslos – Renten unsicher Die Altersrenten der AHV werden von den Jungen durch ihre Arbeit finanziert. Junge Menschen besitzen in der Regel kein Geld, das für sie arbeiten könnte. Sie können also nur durch Arbeit die Renten der älteren Menschen finanzieren. Wenn sich nun die Versicherungsgesellschaften oder die älteren Menschen selbst entscheiden, ihr Geld im Ausland arbeiten zu lassen, dann werden die jungen Menschen arbeitslos – die Renten sind nicht mehr gesichert. Wenn die Jungen dann wegen der «zu teuren Arbeit» im Inland für umgerechnet 1000 Franken pro Monat oder einen Euro pro Stunde arbeiten, dann können sie die Staatsschulden nicht abarbeiten und die Renten nicht finanzieren. Die Politiker, die diesen Zusammenhang nicht erkennen, fordern dann, dass das Rentenalter heraufgesetzt werden müsse. Als wären die jungen Menschen nicht schon genug geknechtet, sollen sie dann also auch noch länger arbeiten. Es gibt jedoch Menschen, die diese Zusammenhänge schon längst erkannt haben. Nicolas G. Hayek hat Mitte der 90erJahre am WEF in Davos zu Protokoll gegeben, er habe die Unternehmer aufgefordert, mit ihrem Geld nicht auszuwandern. Wenn sie mit ihrem Geld auswandern, entstehe Arbeitslosigkeit in der Heimat. Schade, dass Hayek nicht gehört wurde. Besonders dumm ist es, wenn wegen des im Ausland arbeitenden Geldes Jugendarbeitslosigkeit oder gar Lehrstellenmangel entsteht. Während in China mit unserem Geld Kinder zur Arbeit gezwungen werden, können unsere Kinder keinen Beruf erlernen. Da können wir nur hoffen, dass wir allen unseren ▲ tet und die Verschuldung der Demokratie würde gewaltig abnehmen. «Alles Geld, das einmal im Kreislauf der Wirtschaft ist, bleibt im Kreislauf der Wirtschaft und gehört immer einem Kapitalbesitzer.» Innovation Management | Erstausgabe 2006 | Nr. 1 왘 print 왘 copy 왘 scan 왘 fax ZEIT FÜR EINEN DRUCKER DER EINE MENGE PAPIER SPART. Rechnen Sie mit Kyocera für effiziente Bürolösungen. Zum Beispiel unsere Drucker: wir haben sie bis ins letzte Detail entwickelt, um Ihre Betriebskosten zu minimieren. Nicht ohne Grund wurden sie für ihre hervorragende Rentabilität prämiert. Entscheiden Sie jetzt, was Sie mit dem extra Ersparten machen wollen. KYOCERA MITA Europe B.V. Niederlassung Schweiz Telefon: +41 (0)44 908 49 49 – www.kyoceramita.ch KYOCERA MITA Corporation – www.kyoceramita.com Querdenken | 89 Kindern und den Kindern unserer Gastarbeiter genügend Geld vererben können, dass sie dann auch wieder im Ausland für sich arbeiten lassen können. Dies gelingt jedoch in der Regel nur jenen Managern, die in einem Jahr so viel verdienen wie ein einfacher Angestellter in einem ganzen Berufsleben. Lebenssinn für Kinder Wie ist es dieses Mal zur Krise gekommen – und was meinten die Geldtheoretiker mit der Globalisierung? Friedrich A. von Hayek, ein Nobelpreisträger für Volkswirtschaftslehre, hat 1976 in einem Buch propagiert, man müsse weltweit alle Nationalbanken privatisieren. Seine Kampfschrift für das Abschaffen der Staatsbanken und ein privatisiertes und globalisiertes Geldwesen hiess damals «Die Entnationalisierung des Geldes». Er behauptete, dass Wirtschaftskrisen nur dadurch entstünden, weil Nationen mit ihren staatlichen Nationalbanken das Geld organisierten. Er ging davon aus, das Geld würde gerechter regiert, wenn Private die Kontrolle über das Geldsystem ausüben würden. Auf Seite 130 in seinem Buch führt er explizit aus: «Der einzige Weg zu verhindern, dass wir in eine zentral gelenkte Wirtschaft hineingleiten und damit die Zivilisation retten, wird darin bestehen, den Regierungen die Macht über das Geld zu entziehen.» Inzwischen haben wir den Regierungen ja tatsächlich die Macht über das Geldsystem entzogen. Kantonalbanken und Landesbanken haben wir abgeschafft und die Nationalbanken sind in Privatbesitz übergegangen. Viele Schweizer wissen noch nicht einmal, dass wir 2002 ein neues Nationalbankengesetz geschaffen haben. Alle wissen zwar, dass die Nationalbanken grosse Teile ihrer Goldreserven verkauft haben. Wir wissen jedoch nicht weshalb und was dies für uns bedeutet. Jedem, der heute lebt, wird es nicht schwer fallen, zu erkennen, dass von Hayek durch die von ihm propagierten Massnahmen genau das erreicht hat, was er eigentlich verhindern wollte: Die Zivilisation ist nicht mehr zu retten und wir gleiten in eine zentral gelenkte Wirtschaft hinein. Allerdings tatsächlich unter privater Kontrolle. Die Demokratien haben ihre ganze Macht in die Hände einiger weniger Privater gelegt. Umsetzen Der damalige britische Premierminister Benjamin Disraeli hat bereits im 19. Jahrhundert festgestellt: «Wenn wir wissen, was passiert ist, dann wissen wir auch, was wir zu tun haben.» Die Idee der Globalisierung (Entnationalisierung) und der Privatisierung – insbesondere des Geldes – hat uns in eine private Netzwerkgesellschaft geführt. Die lokalen politischen Organe, die wir in unseren Demokratien wählen, haben schlicht keine Machtmittel mehr, um die Bevölkerung vor der weltweit privat vernetzten Wirtschaft zu schützen. Wir leben heute im Zeitalter des Konzernismus – werden also von Privatkonzernen regiert, nicht mehr von Demokratien. Wenn wir zurück wollen zu demokratischen Verhältnissen, dann müssen wir zurück zur nationalen Kontrolle über das Geld und zurück zum Primat der Politik vor der Wirtschaft. Deshalb haben wir in der Schweiz 1848 Kantonalbanken gegründet und die Verkehrswege verstaatlicht. Wir könnten aus der Geschichte lernen – wenn wir wollten. im Porträt Der Autor ist Unternehmer und Leiter des Instituts Zeit & Mensch – Institut für Zeitwirtschaft und Zeitökologie –, ein Denk- und Lehr-Forum, in dem über die aktuellen und zukünftigen Anforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft an Menschen und ihren Umgang mit der Zeit nachgedacht wird. Das Institut betreibt Lehre, Forschung und Beratung und ist bestrebt, alle Aspekte des Themas Zeit interdisziplinär zu erforschen, das Wissen zu bündeln und zum Nutzen von einzelnen Menschen und Organisationen verfügbar zu machen. Die Erkenntnisse werden in Form von Kursen, Seminaren, Beratung und Publikationen verbreitet. Das Institut sieht seine Aufgabe darin, die Ursachen der allgemeinen Beschleunigung in allen Lebensbereichen zu bezeichnen, die Symptombekämpfung zu überwinden und die Grundlagen für neue Einstellungen zur Zeit zu finden. Davon profitieren sowohl die Unternehmungen als auch die darin arbeitenden Menschen, und nicht zuletzt, dank einer besseren Grundbefindlichkeit, die Gesellschaft. Die Angebote und Tätigkeiten des Instituts Zeit & Mensch richten sich an Führungskräfte auf allen Stufen und Mitarbeitende in Unternehmungen der Privatwirtschaft, der öffentlichen Hand, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen. ▲ «Die Idee der Globalisierung und der Privatisierung, insbesondere des Geldes, hat uns in eine private Netzwerkgesellschaft geführt.» Kontakt Ivo Muri Unternehmer, Institutsleiter Institut Zeit & Mensch Baldeggerweg 4 6210 Sursee Tel. 041 926 99 25 [email protected] www.zeitmensch.ch Innovation Management | Erstausgabe 2006 | Nr. 1
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