Dokumentation Mi, 11. Nov. 2015 • 13:15 – 15:00 Impulsvortrag Das Gegenteil von Gut? Voluntourismus und sein Impakt auf Länder des Südens mit Daniel Rössler MA Workshop ‚Nur mal kurz die Welt retten’ – geht das? mit Mag. Robert Bichler, Mag.a Eva Gaderer bei Univ.- Prof. Dr. Norbert Ortmayr Kultur- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, Rudolfskai 42, HS 389 TeilnehmerInnen: 72 Inhalt/Ablauf - Impulsvortrag Daniel Rössler, Autor des Buches „Das Gegenteil von Gut…ist gut gemeint“ beginnt seinen Impulsvortrag mit einem Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, eine 18jährige Nigerianerin kommt nach Österreich, geht in einen Kindergarten in Salzburg und will sich – ohne fachgemäße Ausbildung – dem Wohl der Kinder annehmen. Das würde wohl kaum lange gebilligt werden, umgekehrt findet dies aber jeden Tag statt. Viele junge EuropäerInnen machen sich ohne einschlägige Qualifikationen auf den Weg nach Afrika, um ihrem Wunsch zu helfen nachzukommen. Der dafür verwendete Begriff Voluntourismus setzt sich aus der Verbindung von Volunteering (also Freiwilligenarbeit) und Tourismus zusammen. Der Unterschied zur seriösen Freiwilligenarbeit besteht darin, dass der Wunsch zu helfen kommerzialisiert wird. Motivationsfaktoren für Freiwillige können dabei sein, dass sie ihrem Wunsch etwas Sinnvolles zu tun nachkommen wollen, aber auch um einen abenteuerlichen Urlaub zu erleben oder um einfach den Lebenslauf aufzupeppen. Hr. Rössler beschreibt in weiterer Folge Voluntourismus als Wirtschaftszweig, der sich aufgrund der erhöhten Nachfrage in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Umsätze dieser Branche liegen bereits in Milliardenhöhe. Voluntourismus leiht sich Begrifflichkeiten aus der Entwicklungszusammenarbeit aus, ist im Kern aber etwas anderes als seriöse Freiwilligenarbeit, denn Freiwillige zahlen hierbei sehr viel Geld, um in den Zielländern arbeiten zu dürfen. Was von seitens der Vermittlungsorganisationen fehlt und nicht angeboten wird, ist die Vorbereitung, Ausbildung und Betreuung der Freiwilligen, die vor Ort oft vor unlösbare Aufgaben gestellt werden. Auch die sehr kurzen Laufzeiten von nur zwei Wochen können negative Folgen in den Zielländern mit sich bringen. Voluntourismus ist also ein profitorientiertes und durch Nachfrage bestimmtes Produkt. Oft sind die Projekte nicht im Einklang mit der Situation vor Ort. So haben beispielsweise 90% der Kinder in Waisenhäusern in Ghana eigentlich eine Familie. Dies passiert, wenn nur die Nachfrage nach Freiwilligenarbeit bedient wird ohne auf die Situation vor Ort richtig einzugehen. Hr. Rössler spricht außerdem von der Sprache, derer sich die Vermittlungsorganisationen bedienen: So werde dabei neokoloniales Gedankengut transportiert und Bilder von Stereo Südwind - Verein für Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit Ulrike-Gschwandtner-Str. 5, 5020 Salzburg Tel: 0662 827831, Mail: [email protected] typen („der hilfsbedürftige Schwarze“, „der heldenhafte Weiße“) propagiert. Diese Messages sind jedoch falsch und gefährlich, oft sogar rassistisch. Negative Auswirkungen können in weiterer Folge entstehen, wenn Vermittlungsagenturen explizit um Freiwillige werben, die keinerlei besondere Ausbildung oder Qualifikation mitbringen. In den letzten zwei Jahren ist die Kritik an diesen Organisationen jedoch vehement geworden. Hr. Rössler beschließt seinen Vortrag damit, dass kollektives Engagement genutzt und in die richtige Richtung gelenkt werden soll. Diskussion/Fragen Nach dem Impulsvortrag von Daniel Rössler nahm das Publikum die Möglichkeit wahr, vertiefende Fragen zu stellen. Es wurde nachgefragt, was mit dem Geld passiert, das die Freiwilligen den Vermittlungsagenturen zahlen. Es dauert sehr lange bis dieses Geld in den Zielländern ankommt. Das meiste (bis zu 95%) der geleisteten Beiträge soll sogar in Europa bleiben und für die Vermittlung draufgehen. In der Diskussion wurde des weiteren auf Freiwilligenarbeit wie sie in den 1970er Jahren stattgefunden hat, eingegangen und mit der jetzigen Situation verglichen. Der Wunsch zu helfen ist als Motivationsfaktor damals wie heute gegeben. Vor 40 Jahren war es aber natürlich noch viel schwieriger für junge Leute in die Länder des Südens zu reisen, um dort Freiwilligenarbeit nachzugehen. In der Diskussion wurde nochmals hervorgehoben, dass alle Beteiligten es im Grunde gut meinen, langfristig gesehen passiert aber viel Negatives. Die Kinder in den Waisenhäusern werden zum Beispiel von ihren Familien und ihrer Kultur entfremdet und sind nachdem sie das Waisenhaus verlassen müssen auf sich selbst gestellt und sozusagen „verloren“ in der Welt. Daniel Rössler spricht in diesem Zusammenhang von seiner Arbeit in Ghana, wo Kinder wieder in ihre Familien reintegriert wurden. Inhalt/Ablauf - Workshop Im Anschluss folgte der Workshop „Nur mal kurz die Welt retten – geht das?“ mit Robert Bichler und Eva Gaderer. Beide beschäftigten sich bereits eingehend mit den Themen Reisen und Freiwilligenarbeit (deepertravel.de) und boten den ZuhörerInnen im Workshop die Möglichkeit, die zuvor im Impulsvortrag angesprochenen Punkte noch mal kritisch zu reflektieren. Das Publikum wurde dazu in vier Gruppen eingeteilt: 1. ehemalige oder zukünftige Volunteers, 2. Entsendeorganisation in Deutschland oder Österreich, 3. NGO vor Ort im Zielland, 4. Betroffene vor Ort (z.B. Bauern, Waisenkinder, Krankenhauspersonal etc.). Jede der vier Gruppen teilte sich noch einmal in eine Pro- und Contra-Gruppe auf, um jeweils entweder positive oder negative Argumente zur Freiwilligenarbeit zu finden. Als Pro-Argumente wurden beispielsweise interkultureller Austausch, Schaffung sicherer Strukturen, Durchführung von Projekten und einiges mehr genannt. Zu den zahlreichen Contra-Argumenten, die gefunden wurden, zählten unter anderem Irreführung der Freiwilligen, mangelnde Betreuung und Qualifikation der Freiweilligen, Diskriminierung und Vermittlung eines falschen Bildes genannt. Nach diesem ersten Block war es die Aufgabe aller Pro-Gruppen ihre Argumente zusammenzuführen und sie in Reimform zu bringen. Gleiches galt für die Contra-Gruppen. Südwind - Verein für Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit Ulrike-Gschwandtner-Str. 5, 5020 Salzburg Tel: 0662 827831, Mail: [email protected] Am Ende des Workshops standen sich Pro- und Contra-Leute wie bei einem „Hiphop-Battle“ gegenüber und brachten abwechselnd ihre gereimten Argumente hervor. Pro-Argumente: Leben ist wichtig - eure Kritik ist nichtig, drum lasst das Jammern sein und kommt in unsere Reihen Wir legen die Hände nicht in den Schoß - und ihr, ihr redet bloß Vergesst die Argumente, lasst das sein, lasst uns doch nach einfach nach Afrika rein - wir wollen doch nur Arbeitsplätze schaffen, also hört auf so blöd zu gaffen Horizonterweiterung hin oder her - interkulturelles Verständnis das muss her. Entwicklungs - Hilfe! Entwicklungs - Hilfe! Contra-Argumente: Studieren tut kana doch wir haben Geld zum Helfen in Ghana - Mangelnde Qualifikation ist Garantie für den Verlust unserer Tradition Vor westlicher Überheblichkeit ist keiner gefeit - westliche Überheblichkeit bringt der Welt keine Nachhaltigkeit Ich bin von der Familie getrennt, drum wird jetzt im Waisenhaus gepennt - ich sehn mich sehr nach meinen Eltern, doch die leben in Sheltern Nov. 2015, Sabine Manhartsberger, Anita Rötzer / Südwind Südwind - Verein für Entwicklungspolitik und globale Gerechtigkeit Ulrike-Gschwandtner-Str. 5, 5020 Salzburg Tel: 0662 827831, Mail: [email protected]
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