Von falschen Hasen und einer falschen Schokoladesuppe

Von falschen Hasen und einer
falschen Schokoladesuppe
Der Schwindel in der Küche hat
jahrhundertelange Tradition:
Durch Vortäuschen, Färben, Ersetzen und erstaunliches Transformieren sollen die Schlemmer trickreich in die Irre geführt werden.
VON
W A LT R A U D F A I S S N E R
chon bei den Römern galt es als
höhere Kochkunst, Grundzutaten
so zu verarbeiten, dass ihr Urzustand und ihr natürlicher Geschmack nicht mehr kenntlich waren.
Diese Küchenraffinesse ging nach dem
Untergang der römischen Reiche und im
Laufe der Völkerwanderung ziemlich
verloren. Die mittelalterliche Küche
orientierte sich an den Jahreszeiten. Das
bedeutet Überfluss zur Ernte und krassen Mangel im Winter und wenig Abwechslung auf dem Speiseplan. Adel
und Klerus konnten die Tafel mit
Fleisch, Wild und Fisch bereichern, fremde Gewürze verschwenderisch einsetzen und auf die Fantasie ihrer Köche setzen. Diese servierten in der Fastenzeit
schon „Gepressten Schweinskopf aus
Fisch“ (Fisch in Weißwein gegart, serviert mit einer Soße aus Wein, Zimt, Nelken, Ingwer) oder einen süßen „Igel aus
Mandeln“, der Stacheln aus safrangelben Mandelstiften hatte.
In der Barockzeit liebte man Prunk,
Schmuck und Vortäuschen von vornherein. Diese Lust trieb zuweilen seltsame
Blüten. Bei Hofbanketten wurden in Pastetenformen Vogelschwärme serviert,
die dann dekorativ aufflogen. Oder das
Federkleid des als kleingehackte Fülle in
der Pastete verschwundenen Schwanes
wurde vor dem Servieren wieder kunstvoll auf das fertige Gebäck aufgesteckt.
Parallel dazu bewirkte die Kirche mit
den vorgeschriebenen strengen Fastenzeiten die Kultivierung von „falschen“
Fleischspeisen. 156 Fasttage im Jahr galt
es zu überstehen! Fleisch zu essen war
verboten, nach strengerer Fassung auch
Eier, Milch und Milchprodukte. Wer
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Eine Serie in Zusammenarbeit
mit den OÖ Landesmuseen
Fleischspeisen als Statussymbol betrachtet, kann darauf nicht so ohne Weiteres verzichten, also wurden erlaubte
Zutaten so bearbeitet, dass das Endergebnis eine ganz andere Speise vortäuschte: Eier, die aus Mandeln gemacht
wurden, Rebhühner aus Fischfleisch.
Im ersten „Linzer Kochbuch“ 1804
finden sich mehrere in dieser Hinsicht
typische Gerichte: „Falsche Chokoladesuppe“, in der das gut geröstete Mehl in
Milch eingekocht Kakao vortäuschen
soll. Echte Schokolade war nämlich lange nicht fastentauglich. „Falsche Rindsuppe“, in der Schleie das Rindfleisch
ersetzen musste. „Falsche Pistazziwandeln“, welche eigentlich aus feiner
Mandelmasse bestehen, die aber vor
dem Backen mit Spinatsaft grün gefärbt
wird. Schon ein 1557 gedrucktes Buch
empfahl, Pistazien vorzutäuschen, indem man Mandeln mit Spinat, Mangold
oder „ander Grünkraut“ färben sollte.
Farben haben in der Küche schon immer eine große Rolle gespielt. Im Gegensatz zu heute hat man die gewünschte
Buntheit mit natürlichen Mitteln erlangt:
die grüne Farbe wurde schon erwähnt,
Blau wurde aus Veilchen und Kornblumen gepresst, Braun bis Schwarz bewirkten Schwarzbrot, Lebkuchen, später
auch Schokolade, Rot entstand aus roten
Obstsäften und Roter Rübe, gelb gefärbt
wurde hauptsächlich mit Safran.
Im 19. und 20. Jahrhundert wiederum hatte das „Falsche“ vor den Hasen,
Austern, Lachsen ... wohl eher soziale
Gründe, als dass es auf besondere Küchenfertigkeit hingewiesen hätte. Bis heute hat sich der „Falsche Hase“ (ein faschierter Braten) auf unseren Tischen gehalten. Die „Falsche Hummermayonnaise“ (1931, Mayonnaise mit Sellerie und
Räucherlachs) ist dagegen verschwunden, „Falsches Hirn“ ebenso, obwohl es
gesund wäre, es handelt sich um gekochten Karfiol, oder „Falscher Spargel“ (abgekratzte Salatstängel), „Falsche Fische“
(1981) aus bäuerlichem Rezeptschatz bedeuten Erdäpfelteig mit pikanter Bratenrestfülle. Man beachte den Wertigkeitswandel: Täuschte man früher Fleisch
durch Fischbeigabe vor, so ist es jetzt gerade umgekehrt ...
Im Laufe der Jahrhunderte hat es immer schon Lebensmittel gegeben, die besonders gern verfälscht wurden, weil sie
hochbegehrt, rar und sehr teuer waren.
Paradebeispiel dafür sind die Gewürze. Der Preis des Pfeffers auf seinem
Weg von Indien nach Venedig hat sich im
15. Jahrhundert nahezu verdreißigfacht.
Der Gewinn ließ sich durch Beimengung
von Ziegelpulver oder Sägespänen noch
vermehren. Safran wurde mit Sandelholz oder Ringelblumenblättern gestreckt. Gerade die Safranfälschung wurde sehr früh kontrolliert und strengstens geahndet: In Nürnberg drohte ab
1357 Vernichtung der Ware, Verbannung
des Kaufmannes, auch Todesstrafen
wurden vollzogen. An hohlen Muskatnüssen wurden die Wurmlöcher mit
Leim verklebt und unsichtbar gemacht,
weswegen schon in alten Nachschlagewerken vor allzu leichten Nüssen gewarnt wurde. Die Kontinentalsperre
1809 und die damit verbundenen Lieferschwierigkeiten überseeischer Waren
hat einerseits bewirkt, dass die Gewinnung von Zucker aus der Zuckerrübe
entwickelt und andererseits dringendst
Ersatz für die Kaffeebohnen gesucht
wurde. Während der Rübenzucker alsbald allgemein angenommen und auch
für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich wurde, ließ sich der Bohnenkaffee nicht so leicht ersetzen.
„Kaffee-Surrogate sind niemals Genussmittel, aber bei der Volksbeliebtheit
des schwarzen Trankes einerseits und dem
hohen Preis der echten Kaffeebohnen andererseits eine leidige Notwendigkeit,
welcher der weniger Bemittelte sich wohl
oder übel fügen muss“, schreiben Habs/
Rosner in ihrem Appetit-Lexikon 1894.
Besonders streng gehen die Verfasser mit
dem Eichelkaffee ins Gericht, der „ein infernalisches, schwarzes Pulver aus geschälten, gerösteten und gemahlenen Eicheln sei, das sich als Mokka-Surrogat aufzuspielen wage und sich mit dem Namen
Gesundheitskaffee brüste“. Und weiter
„Was an dieser Mischung gesund sein soll,
wissen die Götter ...“
„Mittelalterbüffet“ an der Universität Graz nach Originalrezepten, mit Mandel-Igel
WAS IST LOS ?
WAS IST LOS ?
Rezept für alle, die immer schon Ei- in 4 bis 8 Stücke teilen und wieder gut
chelkaffee probieren wollten: Reife, fri- trocknen. Im Ofen wie Kaffeebohnen
sche Eicheln mit Wasser
rösten und im Mörser
übergießen
und
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zerstoßen. Wie Kaffee
Stunden ruhen lassen.
aufkochen.
Schmutzpartikel
und
Aus: Buch von guter
oben
schwimmende
Speise / Jacob Blume.
Schalen entfernen, das
Göttingen 2004.
Wässern so oft wiederholen, bis das Wasser
Am 3. Oktober lesen Sie:
klar bleibt. Umrühren –
Lebensmittel aus Wald
oben schwimmende Eiund Flur
cheln entfernen! Eicheln
in der Sonne oder im
(Die Autorin Waltraud FaißOfen trocknen. Die äuner ist Leiterin der Biblioßeren Schalen entfernen
thek der OÖ. Landesmuseen
(durch Schütteln in ei- Schwanenpastete. Kochbuch
in Linz, Kontakt: w.faissnem Stoffsack). Eicheln Conrad Hagger, Salzburg 1718 [email protected])
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