Predigt vom 24.05.2015

Predigt Johannes Jesaja 55,1-3
San Mateo, 24.05.2015
Jesaja 55,1-3
Lieber Gemeinde,
heute möchte ich Ihnen aus dem Leben zweier Männer erzählen, zweier Männer die
zu ganz unterschiedlichen Zeiten gelebt haben und die doch eines verbindet: der
Hunger und Durst nach Leben. Beide suchen auf ihre Weise nach einem erfülltem
Leben.
Der eine ist Felix Hoffmann, eine angesehene Persönlichkeit unserer Tage, ein Mann
auf der Höhe seiner beruflichen Karriere, jemand der gerade zum Konsul einer
europäischen Hauptstadt ernannt worden ist.
Beim anderen handelt es sich um den Propheten Jesaja, nicht ganz so erfolgreich,
wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Er bekleidet jedoch ein gewichtiges Amt
zur Zeit des Exils des Volkes Israel im 6. Jhd. V .Chr. in Babylon: Er ist Prophet.
Wenden wir uns zunächst Herr Hoffmann zu:
Felix Hoffman, der neunundfünfzigjährige Diplomat, der am Abend zuvor einen
Empfang hat, versucht die Eingangsworte eines Buches, das er vor einer Woche in
einem verstaubten Schrank auf dem Dachboden seines neuen Hauses gefunden hat,
zu erfassen. Obwohl er früher als Laie versucht hat, seinen Weg durch das
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Dickicht der Philosophie zu finden, hat er sich an das Werk jenes Autors, von dem
das Buch stammte, Baruch de Spinoza, nie herangetraut.
»Nachdem die Erfahrung mich gelehrt hat, dass alles, was im gewöhnlichen Leben
sich häufig uns bietet, eitel und wertlos ist, da ich sah, dass alles, was und vor
welchem ich mich fürchtete, nur insofern Gutes oder Schlimmes in sich enthielt, als
die Seele davon bewegt wurde, so beschloss ich endlich nachzuforschen, ob es
irgend etwas gebe, das ein wahres Gut sei, dessen man teilhaftig werden könne,
und von dem allein, mit Ausschluss alles übrigen, die Seele erfüllt werde, ja ob es
etwas gebe, durch das ich, wenn ich es gefunden und erlangt, eine beständige und
vollkommene Freude auf immerdar genießen könne.«
Hoffmanns Stirn legt sich in Falten. Auf eigentümliche Wiese, rühren ihn die Worte
jenes Mannes aus dem 17. Jahrhundert an. Irgendetwas wird in ihm zum Klingen
gebracht. Aber was hat Spinoza ihm nun eigentlich zu sagen?
Felix Hoffmann hat in seinem bisherigen Leben selbst immer wieder feststellen
müssen, dass all zu Vieles letztlich nur „eitel“ und „wertlos“ ist.
Gedankenverloren schaut er auf das Weinglas vor sich, nippt erneut, blickt aus dem
Fenster und sieht dem prächtigen Farbenspiel der untergehende Sonne zu. Wäre es
nicht an der Zeit zufrieden zu sein? Jetzt, wo er sein berufliches Lebensziel nun
doch nach vielen Rückschlägen der letzten Jahre erreicht hat?
Ja, aber für welchen Preis. Die vielen Ortwechsel in seiner diplomatischen Karriere
hat wenig Zeit für seine Familie gelassen. Zusehens ist er vereinsamt. Zugegeben,
seine Frau hat ihm durch alle Höhen und Tiefen der Ehe die Treue gehalten. Den
frühen Verlust der beiden Töchter hat er jedoch nie verwunden.
Zunächst den frühen Tod der Jüngsten. Noch deutlich hat er den Abschied im
Krankenzimmer vor Augen. Dieses friedvolle Lächeln und ihre letzten Worte: „ Lass
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mich ruhig so. Ich weiß es.“ Er hat sich seitdem oft gefragt, was sie damit hatte
sagen wollen. Hat sie in ihrer letzten Stunde das erfahren, wonach er bis auf den
heutigen Tag vergeblich gesucht hat.
Einige Jahre später starb seine ältere Tochter an einer Überdosis. Sie hatte es den
Tod ihrer Schwester nie recht vergessen können. In der Nacht bevor er vom ihrem
Tod erfuhr hat er zum letzten Mal nachts Ruhe gefunden und schlafen können.
Seither wurden die Nächte für ihn zum Tag, die er immer häufiger mit maßlosen
Essekzessen verbrachte...
Während er die Reste an Pasteten, Salaten und anderen Delikatessen maßlos in sich
stopft, wächst eine Unruhe in ihm, die ihm fast die Besinnung nimmt. Was nur hat in
an den Worte Spinozas so ins Mark getroffen?
Sein Blick schweift über einige Zeilen... „ beschloss ich nachzuforschen, ob es
irgend etwas gebe, das ein wahres Gut sei, dessen man teilhaftig werden könne, und
von dem allein, mit Ausschluss alles übrigen, die Seele erfüllt werde...“
Die letzten Worte klingen in ihm nach „... die Seele erfüllt würde.“ Was würde er
dafür geben, nach all der rastlosen Unruhe der letzten Jahre endlich wieder
Frieden zu finden. Nur eine Nacht wieder Schlafen können...
Mit Unmengen an Essbarem hat er sich in den letzten Jahren nicht nur die nicht
enden wollenden Nächte vertrieben. Ihm wird mit einem Mal klar, wie unbändig und
ungestillt sein Hunger und Durst nach einem erfüllten Leben bis heute geblieben ist.
Wie Spinoza erfüllte ihn mit einem Mal die Sehnsucht nach etwas, dass, wenn man
es gefunden hätte, „eine beständige und vollkommene Freude“ entstehen lassen
würde.
Soweit aus dem Leben Felix Hoffmanns.
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Nun zu Jesaja:
Wie seinen Landsleute findet sich Jesaja in einer Zeit wieder, in der Vieles im
Argen liegt. Israel befindet sich seit geraumer Zeit in babylonischem Exil. Fern der
Heimat fristet das auserwählte Volk Gottes sein Dasein. Ihm ist nach der
Eroberung Jerusalems, der Zerstörung des Tempels und der Verschleppung nicht
viel geblieben. Israel ist um seiner Kultstätte beraubt und muss sich nun vom
Propheten Jesaja noch anhören, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist und im
Grunde nur die Strafe für abtrünniges Verhalten des Gottesvolkes ist.
Aber so viel anders mag es dem Propheten Jesaja nicht gehen. Fern der Heimat, in
der er aufgewachsen ist, fristet auch er ein unstetes Dasein. Alles was im in seiner
Jugend als so wertvoll vermittelt worden ist, hat keinen Bestand mehr. Und dann
noch dieser Auftrag Gottes an ihn: Er soll dem im Exil verstreuten Volk Israel
Rettung und neues Heil verkünden.
Gerne würde Jesaja wieder auf etwas zurückgreifen können was Bestand hat, was
seinem Leben eine neue Ausrichtung gibt. Wie soll er vor das Volk Israel treten,
wenn es ihm nicht anders ergeht. Steht die Zerstörung des Tempels und die
Vertreibung ins Exil nicht für das Ende des Wirkens Jahwe selbst. Was gibt es hier
noch zu sagen? Womit soll er seinen Landsleuten gegenübertreten? Er, der selbst
des Trostes bedarf, soll nun trostspendende Worte verkünden. Hätte Jahwe sich
nicht jemand anderen, geeigneteren auserwählen können?
Jesaja treibt wie alle übrigen verstreuten Seelen die große Sehnsucht nach einem
Neuanfang, nach der Befreiung aus dem Exil. Vordergründig scheint es das zu sein,
worauf sich alle Aufmerksamkeit richtet und was einen Neuanfang verspricht.
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Da empfängt Jesaja, als Gesandter Gottes jene Worte, die in aufhorchen lassen:
„Wohlan, alle die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser. Und die ihr kein Geld
habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein
und Milch.“
Mit einem Mal bemächtigt sich Jesaja ein Gedanken: Kann es gar sein, dass Gott
sein Volk an den Rand des Abgrundes geführt hat, um deutlich werden zu lassen,
was letztlich zählt im Leben, was letztlich satt macht und den Durst stillt.
Kann es sein, dass ein erfülltes Leben mehr ist als Wohlstand, ein intaktes
Königreich und ein lebendiger Kultus im Hause des Herrn.
Speis und Trank hält Leib und Seele zusammen.
Liebe Gemeinde, kennen Sie nicht auch Zeiten, in denen die vortrefflichste
Erdenspeise und der köstlichste Erdentrank den Durst und Hunger in einem nicht zu
stillen vermögen.
Kann es sein, dass wir unsere Bestimmung als Menschen erst im Glauben an Gott,
der uns Christen in Jesus begegnet ist, finden? Hätte Dostojewski dann mit seiner
rhetorischen Frage doch Recht, wenn er sagt: „Kann der Mensch ohne Gott Mensch
sein.“
Wir neuzeitlich denkenden, fühlenden und handelnden Menschen halten ein Leben
jenseits Gottes wohl oft für möglich. Wir irren auf diese Weise viele Jahre unseres
Lebens rastlos umher, ohne Seelenfrieden zu finden. Wie dem, wenn unser Hunger
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und Durst letztlich erst gestillt wird, wenn wir uns als Geschöpfe auf unseren
Schöpfer hin beziehen.
„Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will
mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids geben.“
So können wir Verzweiflung und Angst in unserem Leben letztlich im Vertrauen auf
Gottes Gnade überwinden. Gottes Gnade, die mehr ist als das tägliche Brot.
Wäre es nicht töricht darauf im Leben verzichten zu wollen?
Wo Felix Hoffmann letztlich Frieden gefunden hat, ist nicht überliefert. Der
Prophet Jesaja konnte sich schließlich auf Jahwe besinnen.
Wir sind heute zum Mahl Gottes geladen, um auf besondere und geheimnisvolle
Weise von ihm gespeist zu werden.
„Komm, sag es allen weiter,
ruf es in jedes Haus hinein!
Komm, sag es allen weiter:
Gott selber lädt uns ein.
Zu jedem will er kommen,
der Herr in Brot und Wein,
und wer ihn aufgenommen,
wird selber Bote sein.“
So sei es. Amen.
Pfarrer Thomas Reppich
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