Björn Clemens: Der Kapitulant Schau ich jetzt von meinem Berge in das deutsche Land hinab, seh ich nur ein Völklein Zwerge kriechend auf des Riesen Grab. Heinrich Heine, Deutschland, Ein Fragment Der Kapitulant ist der Querschnitt des Bodensatzes. Er markiert die geistige Grundhaltung der bunten Republik, ja kann als deren Kristallisationskern gelten. Der Kapitulant definiert seine Ziele anhand derer des Gegners, dessen Interessen er zur Richtschnur seines eigenen Handelns macht. Seine Koordinaten sind die Vorgaben der Machthaber. In den Fällen, da sie seinem eigentlichen Wollen nicht entsprechen, verrenkt er sich in dem Spagat des Selbstbetruges. Hält er sich für national, will er nicht so genannt werden, weil er der dem Machthaber zugesteht, daß das Nationale zugunsten des Europäischen überwunden ist. Gerade deshalb ist der Demopath bemüht, ihn als nationalistisch zu brandmarken. Der Kapitulant weicht der Entscheidung aus, indem er sie durch seinen vorauseilenden Gehorsam überflüssig macht. Er sieht im Kompromiß nicht notwendige Abfindung, die es mit sich bringt, den Erfolg nur zum Teil zu verwirklichen, er akzeptiert von Beginn an. Kompromiß ist ihm nicht schmerzlicher, wenn auch unumgänglicher Verzicht auf den vollen Erfolg, sondern erleichterte Vermeidung des Kampfes. Wie den Kampf, so scheut er das Opfer. Mit ängstlicher Berechnung zählt er die Gegenstände der zu erwartenden Verlustliste auf. Verwöhnt vom schönen Wetter der bunten Republik glaubt er seinen Pelz waschen zu können, ohne das Bad zu besteigen. Sein unablässiges Bemühen erschöpft sich darin, nicht angreifbar zu werden, nicht berücksichtigend, daß niemand selbst angreifen kann, der ausschließlich auf seine eigene Unverwundbarkeit fixiert ist. Wer die Brandmarkung scheut, kann keine Marken setzen. Solches Festungsdenken versagt sich des Eingeständnisses, daß die Deutungshoheit des Feindes die schlachtentscheidende Waffe in einem bösen Spiel ist. Mag er noch so willfährig die Terminologie des Gegners fressen, so muß er doch daran ersticken. Der Feind ist ihm immer einen Schritt voraus. Ließ er es gestern noch als rechtmäßig gelten, die Interessen der Nation zu suchen, so verbietet er morgen davon auch nur zu sprechen, ja den Begriff zu erwähnen. Der Kapitulant schluckt es. Duldete der Feind gestern noch die Rückführung des Fremden, als er noch Gastarbeiter hieß, wenigstens zu erwägen, verlangt er heute das öffentliche Bekenntnis zur multivölkischen Entartung. Der Kapitulant gehorcht. Schwieg der Feind gestern noch grimmig bei dem Worte Deutschland, so verordnet er heute seine Endauflösung in den Makrostrukturen des Brüsseler Molochs. Der Kapitulant erträgt es. Kein Kotau erscheint ihm zu abgeschmackt, um ihn nicht dienernd zu vollziehen. Der Kapitulant kuscht. Er ist dem Irrglauben verhaftet, den Feind durch seine Unterwürfigkeit gewogen machen zu können. Sein Entgegenkommen, so redet er sich wider bessere Erkenntnis ein, müsse den Feind versöhnlich stimmen und zum Ausgleich bewegen. Im tiefsten Inneren seines Herzen erhofft er sich das schulterklopfende Anerkenntnis des Feindes, der ihm eines fernen Tages bescheinigt, kein Aufsässiger gewesen zu sein und stets das Richtige gewollt zu haben. Doch dieser Tag wird nicht kommen. Der Feind freut sich inzwischen ob des Kapitulanten nützlicher Dummheit. Je tiefer der Kapitulant sich niederbeugt, um so vergnüglicher schlägt der Feind auf ihn ein. Warum auch sollte er dem entgegenkommen, der seine Niederlage in demütiger Haltung selbst bekennt. Je unterwürfiger sich der Kapitulant gebärdet, desto härter wird der Feind zu ihm sein. Aus der Starre würde sich der Kapitulant nur mit dem Bekenntnis Carl von Clausewitz´ aus dem Jahre 1812 befreien können: „Ich sage mich los von der kindischen Hoffnung, den Zorn eines Tyrannen durch freiwillige Entwaffnung zu beschwören, durch niedrige Untertänigkeit und Schmeichelei sein Vertrauen zu gewinnen.“ Doch zu solcher Erkenntnis, erst recht ihrer Umsetzung gehört eine Stärke, die dem Kapitulanten gerade abgeht. Er zieht das Prinzip Hoffnung dem Prinzip Erfahrung vor und belügt sich selbst, indem er sagt: „beim nächsten Mal“. Ja, beim nächsten Mal wird er sich wieder schlagen lassen. Der Kapitulant ist eine Jammergestalt. Der Kapitulant ist bestrebt, niemals als Feind enttarnt zu werden und damit als unpolitisch zu gelten. Noch auf dem Schafott murmelt er, daß alles ein großer Irrtum gewesen sei. Seine Strategie der Überlebenssicherung gilt nur sich selbst. Sie ist wesensmäßig ungeeignet, verändernde Einwirkung auf die Umgebung zu erzielen. Da er den Kampf niemals annimmt, hat er ihn immer verloren. Mag er bis auf das Blut bekämpft werden, versucht er sich den Schlachtern noch als einer von ihnen anzudienen. Der Kapitulant bedarf des Alibis. Er schlüpft in mannigfaltige Kostüme, deren Wechsel er als Produkt geschickten Verhaltens anpreist. Im Ausnahmefall, daß er inhaltlich der Nation verpflichtet ist, behauptet er, das Bündnis mit dem Liberalen, dem Kapital oder dem Bürgerling zu seinen Gunsten nutzen zu können. Aber seine prinzipielle Rückgratlosigkeit ist zu offensichtlich, um verborgen zu bleiben. Den Verrat, den er begeht, wenn er zum Gegner überläuft, stellt er als taktischen Versuch dar, von innen auf ihn zu wirken, sich und andere darin belügend, daß von ihm mehr Einfluß ausgehen könne, als auf ihn. Er behauptet, den Marsch durch die Institutionen kopieren zu können, verschweigt dabei aber, daß die Lizenzen dem Feind gehören und vergißt, daß das System, dem er sich einfügt, immer ihn mehr prägt, als er das System. Die Maske des Kapitulanten ist nicht deshalb abstoßend, weil er verabscheuungswürdige Ziele verfolgte, sondern weil er weiß, daß die Bemühungen um seinen Freibrief, der ihn vom Beziehen des Außenpostens abhält, durchschaubar und erbärmlich sind. Der Selbstbetrug, den der Kapitulant trotzdem mit ehrlichem Gesicht vollzieht, wenn er sein strategisches Vermögen belobigt, macht ihn unsympathisch. Der Kapitulant befindet sich immer dann im Urlaub, wenn der letzte Mann gefragt ist. Es ist ein erbärmliches Schauspiel. Offen die Niederlage zu bekennen, enthielte einen Hauch von Größe. Doch selbst dieser Restbestand ist nicht anzutreffen. Der Kapitulant ist sich nicht zu schade, dem Kämpfer dessen Unklugheit vorzuwerfen, die darin bestehe, daß er nicht auf die Rückzugslinie ausweicht. Das sagt er noch im Angesicht des Feindes vor der letzten Bastion. Das Bewußtsein des Einsatzes ist dem Kapitulanten fremd. Daher schließt er schlechte Verträge. Auch der aufrechte Charakter ist davor nicht gefeit, jedoch sind sie bei ihm Ergebnis schlechter Verhandlung, oder ungünstiger Machtverteilung. Beim Kapitulanten sind sie Ergebnis schlechter innerer Verfassung. Aufgrund dessen akzeptiert er die Forderung des Gegners ohne Verhandlung. Besetzt der Kapitulant hervorgehobene Machtpositionen im Staate, was bei weiter Verbreitung seines Typus schon deshalb unvermeidlich ist, weil sich die Krähen gegenseitig stützen, etabliert er sein Hörigkeitsdenken als allgemeines Prinzip. Das führt zu selbst gewollter Fremdherrschaft. Im Falle der bunten Republik kennt man es nicht anders. Nicht Unterdrückung, wie sie zu Zeiten der Versailler Diktatmächte geschah und wie sie in Phasen äußerer Schwäche selten vermeidbar ist, sichert die Macht des Auslandes, sondern freiwillige Unterwerfung. Unterwerfung auf Zeit kann im Einzelfall rational begründet werden. Ihre Logik liegt dann in der Sicherung des Überlebens des Schwachen, der weiß, daß der Starke ihn im Falle der Auflehnung vertilgt. Als vorübergehendes taktisches Mittel zur Überwindung der Schwächephase ist sie gerechtfertigt. Aber die Unterwerfung der bunten Republik entbehrt solcher Rationalität. Sie ist weder schwach noch fühlt sie sich so; sie fühlt sich schuldig. Ihre Unterwürfigkeit ist grundsätzlicher Natur und entspringt ehrlichen Glaubens. Sie ist Teil der eigenen Lebensanschauung. Intuitiv ahnend, daß sie als Belohnung nur Verachtung verdient, zieht ihr der Kapitulant die Tarnkappe der Friedfertigkeit und der Völkerverständigung über das Gesicht und verklärt seinen Gehorsam. So wird der Kapitulant außenpolitisch zur fünften Kolonne fremder Staaten. Er ist der Rheinbündler, der sein schäbiges Geschäft auf Kosten des eigenen Volkes mit dem Feinde macht. Von Ludwig XIV über Napoleon bis zu den Mächtigen in Washington und Tel Aviv freut man sich über seine Existenz. Allein, in der Niederung seines Kriechganges liegt auch etwas Tröstliches: Er wird im Ausland nicht geglaubt. Der Kapitulant meidet die Offensive. Er glaubt, sein Handeln selbst dort rechtfertigen zu müssen, wo es natürlichsten Ursprungs ist. Gegenüber dem Fremden empfindet er es als kühn, auf der eigenen Leitkultur zu beharren, was konsequenterweise im Nebel endloser Diskussionen zu vorsichtigen Relativierungen führt. Schon bedarf der Gebrauch der deutschen Sprache auf manchem Schulhof der Parlamentsbeschlüsse. Speisepläne öffentlicher Einrichtungen läßt er von dem Minderheitenkommissar genehmigen. Dem Kopftuch, der Kampfbekleidung des Fremden, sieht er gleichermaßen verständnislos, wie wehrlos zu. Um dessen Gefühle zu schonen, wünscht er nicht „frohe Weihnachten“, sondern „frohe Festtage“, spricht vom Schwarzen, statt vom Neger und vom Migranten, statt vom Ausländer. Von den Feinden läßt er sich seine Symbole vorschreiben. Den Inhalt seiner Lieder überprüft er auf deren zu erwartendes Einverständnis. Bei dem ersten Anzeichen der verweigerten Zustimmung verwirft er ihn. Das macht selbst vor der Nationalhymne nicht Halt, die er einer würdelosen Debatte unterzieht. Wie üblich übernimmt er diesbezüglich kommentarlos die Deutungen des Feindes. Von ihm zu hören, das Deutschlandlied sei ein Fanal gewalttätigen Imperialismus, genügt dem Kapitulanten, um die Titelstrophe zu streichen. Ausnahmsweise vorgebrachte Widerstände bedürfen nur eines leisen Hinweises auf ihren Mißbrauch durch die Nationalsozialisten, um sich umgehend zu verflüchtigen. Seine eigene Fahne unterstellt der Kapitulant nur deshalb nicht dem Verdikt des Anständigen, weil er die Symbolgehalte ihrer Farben vergessen hat. Wüßte der Kapitulant um die Bedeutung von Schwarz, Rot und Gold, so würde er mit angstvollem Zittern die Fahne streichen und an ihrer Stelle den weißen Adler auf weißem Grunde hissen. Doch das ist nicht zu befürchten. Für den Kapitulanten fängt, wie für alle Systempräglinge, die Geschichte im Jahre 1933 an, was im Hinblick auf die Fahne ein Glücksfall ist, denn dank dieses Umstandes gilt sie im allgemeinen Bewußtsein als Gegenfahne zum Dritten Reich. Doch irgendwann beginnt ihm der Figurant der multikulturellen Minderheiten die Regenbogenfahne vorzusetzen. Wenn der Liberale daran Geschmack findet, wird er vom Kapitulanten keinen Widerspruch zu befürchten haben. Nicht prinzipiell, aber unter den Bedingungen der Stunde Null mit folgerichtiger Konsequenz, erscheint er in der Gestalt des Konservativen, der das Verdikt des Rechtsextremismus mehr fürchtet, als den Untergang des Vaterlandes. Er erscheint in der Gestalt des gefühlten Patrioten, dessen Sorge, sein Patriotismus könnte als Verfassungsverstoß mißverstanden werden, größer ist als diejenige, sein neunmalkluger Gehorsam könnte der Nation schaden. Die Angst, zum Ausgestoßenen zu werden, ist größer als die Angst vor dem Abstieg des Volkes. Er erscheint in dem Mächtigen der bunten Republik, der Haltung annimmt, wenn er die Stimme eines kleinen, nichtchristlichen Staates aus dem nahen Osten vernimmt oder den erhobenen Zeigefinger des polnischen Nachbarn vor sich sieht, angesichts dessen er sich Versöhnung nur in Kategorien möglichst weitgehenden Verzichts vorstellen kann. Er erscheint in dem westdeutschen Scheinherren, der die deutsche Teilung nicht beseitigen, sondern durch „menschliche Erleichterung“ erträglich und dauerhaft machen wollte. In den 1980er Jahren dankte er Ostberlin für die Erhöhung des Zwangsumtausches mit der Zusage, die Zone nicht zu destabilisieren. Gleichzeitig suchte er der Bedrohung durch sowjetische Mittelstreckenraketen mit einseitiger eigener Abrüstung zu begegnen. Er erscheint in dem Politiker, der mit klingender Münze die ehrlich gefühlte persönliche Schuld des letzten Krieges begleicht. Immer auf dem Rückzug, hält er die Fahne des Abendlandes eingerollt, da er bei ihrem offenen Zeigen befürchtet, einer Ordnungswidrigkeit geziehen zu werden. An entlegenen Orten treibt die Kapitulanz seltene Blüten. So werden in manchen Straßenbahnbetrieben anstelle der früher üblichen Triebwagen mit Anhänger lange, durchgängige Waggonungeheuer zum Einsatz gebracht, damit jeder Fahrgast den psychologisch wichtigen Sichtkontakt zum Fahrer herstellen und auf diese Weise angstfrei im Gefährt Aufenthalt nehmen könne. Daß im Beiwagen gepöbelt, gedealt, geprügelt wird, scheint man als unverrückbare Tatsache hinzunehmen, der nicht durch die Kampfansage an das Verbrechen sondern durch die unter hohen Entwicklungskosten erkaufte Veränderung der Fahrzeugtechnik begegnet wird. Prinzipien, zu deren Durchsetzung der Kapitulant zu schwach ist, erklärt er für nicht existent. Damit vermeidet er es, seine Schwäche einzugestehen. Dem, nicht höherer Erweckung verdankt die Nation nach der Stunde Null ihre Abschaffung, und die Ersatzbefriedigung der europäischen Idee die Bereitstellung ihrer Krücken. Der Schlüssel zur Wiedervereinigung wurde auf dem Altar Brüssels zur Opfergabe gebracht, damit der Kapitulant nicht beständig an das Schloß erinnert wurde, in das er zu setzen zu war. Europa mußte die Emotionen aufnehmen, die der Kapitulant für sein Vaterland einzusetzen sich versagte; diesbezüglich sieht man sogar den Vernünftiker der Gefühle fähig. Die epidemische Verbreitung des Kapitulanten nach der Stunde Null, sicheres Zeichen der Verfaulung, wäre unschädlich geblieben, hätte er sich nicht über die Parteien des politischen Bürgertums die Herrschaft gesichert. Aber es ist nur, und darin liegt die Tragik des deutschen Volkes, eine nominale Herrschaft. Sie sichert den Platz an der Krippe, vermag aber nicht zu gestalten. Der Kapitulant läuft der Entwicklung immer hinterher und ist allenfalls in der Lage, gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Es ist kein Zufall, daß nach der Stunde Null von keinem Mächtigen der bunten Republik eine geschichtliche Wendung erzwungen wurde. Im Jahr 1989, das die Entscheidung für Deutschland hätte bringen können, wich der Bolschewismus dem Mute der Leipziger Kirchengemeinden, nicht der Entschlußkraft der Bonner Funktionäre, die gewöhnt waren, mit ihm Geschäfte zu schließen. Der Kapitulant ist der Tod des Ideals. Er ist in allem nur Nichtung. Er ist jene unheilvolle Kraft, die stets das Gute will und nur das Böse schafft. Er ist der wertvollste Verbündete des Feindes und als solcher zu bekämpfen. Der Kapitulant beschmutzt die Heiligkeit jeder gerechten Sache. Wehe dem Organismus, der von diesem Virus befallen ist! (Auszug aus dem Buch Abendbläue von Björn Clemens, Seiten 229 - 235)
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