1/16 1Mos 21,8-21 Müller, Kirstin | Feministisch

1/16
1Mos 21,8-21
Müller, Kirstin | Feministisch predigen
29.09.2015
Michaelis und Tag aller Engel | Geburt Isaaks (Reihe I)
Lieder:
EG 324, 1+2, 10-14 Ich singe Dir mit Herz und Mund
(Tageslied Erntedank, Brunn der Gnad)
Kyrie 178.8
EG 142 Gott, aller Schöpfung heilger Herr (Tageslied)
alternativ: Brunn allen Heils EG 140)
EG 161+2+4 Die Nacht ist vorgedrungen
(Strophe 2- dem alle Engel dienen!)
EG 504 Himmel, Erde, Luft und Meer
(Strophe 6: Drücke stets in meinen Sinn,
was du bist und was ich bin!)
In: „Durch Hohes und Tiefes“:
253 Lobe den Herrn, meine Seele,
(korrespondiert mit Psalm 103)
134 Meine Hoffnung und meine Freude
oder: Fürchte Dich nicht, EG 595
In: „Singen von Deiner Gerechtigkeit“:
83 Seid einander Segen
(nach der Melodie Jesu meine Freude, EG 396)
Liturgisch-Kreatives:
Votum:
• Gott hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen. (Psalm 91,11
LUTHER)
• Gottes Engel haben den Auftrag,
Dich auf allen Deinen Wegen zu bewahren (Psalm 91,11
BIGS)
2/16
Gloriavers:
Wenn ich Dich anrufe, so erhörst Du mich und gibst meiner Seele große
Kraft. (Ps 138,3 LUTHER)
Psalm 103 (1-8,17-22) (im Wechsel Luther/BigS Spannend!):
1 Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen
Namen.
2 Segne die EWIGE, du meine Lebenskraft,
und vergiss nicht, was sie dir Gutes getan hat:
3 Der dir alle Deine Sünde vergibt und heilet alle Deine Gebrechen,
4 die dein Leben aus dem Grab befreit, dich mit Güte und Barmherzigkeit
krönt,
5 der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein
Adler
6 Gerechtigkeit bewirkt die EWIGE, spricht Recht allen, die unter Gewalt
leiden.
7 Er hat seinen Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein
Tun.
8 Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und reich an
Freundlichkeit.
17 Die Gnade der EWIGEN währt seit jeher und für immer über denen,
die sie fürchten
und seine Gerechtigkeit gilt Generationen, 18 allen, die seinen Bund
bewahren
und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun.
19 Die EWIGE hat ihren Thron im Himmel errichtet und ihr Königtum
herrscht über das All.
20 Lobet den HERRN, ihr seine Engel, ihr starken Helden,
die ihr seinen Befehl ausrichtet.
20 Segnet die EWIGE ihr Engel! Mächtige Kräfte die ihr Wort ausführen,
damit der Klang ihres Wortes Gehör findet.
21 Lobe den HERRN, alle seine Heerscharen, seine Diener, die ihr
seinen Willen tut.
22 Segnet die EWIGE, alle ihre Geschöpfe, an allen Orten, wo immer sie
herrscht.
3/16
Lobe den HERRN, meine Seele.
Segne die Ewige, Du meine Lebenskraft.
(Ps 103, (1-8,17-22) Fett:
LUTHER,
nicht fett:
BIGS)
Evangelium
Lukas 10, 17-20
oder Lukas 1, 26-38 – Ankündigung der Geburt Jesu, der Engel sagt zu
Maria: Fürchte Dich nicht!
Kollektengebet:
Du Gott voller Güte und Licht!
Wir danken Dir für das Licht dieses neuen Tages
und für Deine Nähe, die uns tröstet und stärkt.
Wir bitten Dich:
Führe uns heraus aus allem, was uns eng und ängstlich macht.
Öffne unsere Herzen und Sinne,
damit wir Dein Wort verstehen
und Zeichen Deiner Freundlichkeit mitten unter uns wahrnehmen.
In der Stille überlassen wir uns für ein paar Atemzüge Dir
Du Gott voller Güte und Licht,
sieh uns.
Höre uns.
Das bitten wir durch Jesus Christus, unseren Bruder,
der mit Dir lebt und lebendig macht heute und morgen und in Ewigkeit.
Amen.
Fürbittgebet:
Wir bringen unseren Dank und unsere Bitten vor Gott:
GOTT, wir danken Dir für alles, womit Du uns an Leib und Seele ernährst:
für Brot und Rosen, für die Stille und für Dein gutes Wort,
für gute Gemeinschaft untereinander
und für neue Kraft, um zu leben und zu handeln.
4/16
Für den Weg, der vor uns liegt, bitten wir:
Sei mit uns.
Lass uns nicht aufhören,
nach Dir in der Welt zu fragen.
Schenke uns Deinen Geist der Einfachheit und Klarheit.
Erfülle uns mit Freude, immer wieder neu.
Wir rufen zu Dir: Meine Hoffnung und meine Freude
GOTT, wir danken Dir für alles, wodurch Du uns die Angst vor Fremdem
nimmst
und die Sehnsucht nach guter Gemeinschaft wachsen lässt.
Wir bitten Dich:
Lass uns aufmerksam miteinander leben, gib uns Phantasie,
um frohgemut aus Fehlern zu lernen und vergib, wenn wir einander
Schaden zufügen.
Schenke uns Deinen Geist der Einfachheit und Klarheit.
Erfülle uns mit Freude, immer wieder neu.
Wir rufen zu Dir: Meine Hoffnung und meine Freude
GOTT, wir danken Dir für alle Liebe, die heute auf dieser Erde von Menschen
gelebt wird,
für alle mutigen Taten und stillen Zärtlichkeiten.
Wir bitten Dich: Stärke alle, die sich um ihre Familien sorgen,
gib den Kranken Trost und neue Lebenskraft,
geleite die Sterbenden und segne, die heute in diese Welt geboren werden.
Wir rufen zu Dir: Meine Hoffnung und meine Freude
Dir vertrauen wir uns an, uns und die Menschen,
die wir lieben und diese ganze Welt in ihrer Schönheit und ihrem Schmerz:
Vater unser im Himmel
5/16
Bibeltext aus der Bibel in gerechter Sprache:
(1. Mose 21, 8-21)
(= Predigttext/ BigS Ich habe die Namensbedeutungen in Klammern
eingefügt, damit sie gelesen werden können, denn sie sind Deutungen.)
8 Das Kind / Isaak (Jauchzen, Lachen) wuchs heran und wurde abgestillt.
Abraham (Vater einer lärmenden Menge von Völkern) machte ein großes
Fest an dem Tag, an dem Isaak (Jauchzen/Lachen) abgestillt wurde. 9 Da
sah Sara (Befehlshaberin), wie der Sohn Hagars(Fremde), der Ägypterin,
den diese dem Abraham geboren hatte, herumjauchzte(dieselbe Wurzel wie
Isaak!), 10 und sie sagte zu Abraham: »Verstoße diese Sklavin samt ihrem
Sohn. Denn der Sohn dieser Sklavin soll nicht mit meinem Sohn, mit Isaak,
das Erbe teilen.« 11 Das war ein böses Wort in den Augen Abrahams –
seines Sohnes wegen. 12 Doch Gott sagte zu Abraham: »Sieh es nicht als
böse an im Blick auf den Knaben und auf deine Sklavin. In allem, was Sara
zu dir sagt, hör auf ihre Stimme. Denn nach Isaak soll deine
Nachkommenschaft benannt werden.
13 Aber auch den Sohn der Sklavin werde ich zu einem Volk machen. Denn
er ist dein Nachkomme.« 14 Da machte sich Abraham am nächsten Morgen
früh auf, nahm Brot und einen Ledersack voll Wasser, gab es der Hagar,
indem er es ihr auf die Schulter legte, dazu das Kind. Dann schickte er sie
fort. Sie ging und irrte in der Wüste von Beërscheba umher. 15 Als das
Wasser aus dem Sack zu Ende war, warf sie das Kind unter einen der
Sträucher, 16 ging weg und setzte sich gegenüber, ungefähr einen
Bogenschuss weit. Denn sie dachte: »Ich kann nicht zusehen, wie das Kind
stirbt.« Sie setzte sich gegenüber, erhob laut ihre Stimme und weinte.
17 Da hörte Gott die Stimme des Jungen, und Gottes Bote rief Hagar vom
Himmel her an und sagte zu ihr: »Was hast du, Hagar? Fürchte dich nicht,
denn Gott hat die Stimme des Jungen gehört, da drüben, wo er ist. 18 Steh
auf, nimm den Knaben hoch, zeige deine Kraft an ihm. Denn zu einem
großen Volk will ich ihn machen.« 19 Da öffnete Gott ihre Augen und sie sah
einen Brunnen mit Wasser. Sie ging hin, füllte den Sack mit Wasser und gab
dem Jungen zu trinken. 20 Und es war so, dass Gott mit dem Knaben war.
Er wuchs heran, wohnte in der Wüste und wurde ein Bogenschütze. 21 Er
wohnte in der Wüste Paran, und seine Mutter nahm für ihn eine Frau aus
dem Land Ägypten.
(Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache)
6/16
Eigener Hintergrund und Vorüberlegungen:
Als Pfarrerin für Frauenarbeit in der Ev.-luth. Landeskirche Braunschweig
habe ich keinen festen Predigtort. So stelle ich mir vor, dass die Predigt von
denen gehört wird, die sie hören wollen. Ganz gleich, wo. Oft begegnet mir,
dass die Zuhörenden wie selbstverständlich davon ausgehen, dass eine
Pfarrerin für Frauenarbeit über Frauengestalten predigt. Ob das die Ohren
eher öffnet oder verschließt, vermag ich nicht genau zu sagen.
Der Michaelistag fällt zwischen den 17. Sonntag nach Trinitatis und
Erntedank. Ich habe auch im Umfeld Liedern und Texten geschaut und z.B.
den Gloriavers gefunden: Wenn ich Dich anrufe, so erhörst Du mich und
gibst meiner Seele große Kraft. (Ps 138,3 LUTHER) Das Zusammenspiel von
Himmelskraft und Erdenkraft, Menschenenergie und Engelsenergie ist der
Rahmen, in dem sich dieser Gottesdienst bewegt – bewegen lässt.
„Fürchte dich nicht“ ist klassisches Weihnachtsengelwort in christlichen
Kirchen. Hier – am Wüstenbrunnen – hat es seine Wurzel. Mir erscheint es
sinnvoll, die Kontinuität des „Fürchte Dich nicht“ – Engelwortes zu
erwähnen. Deshalb schlage ich bewusst den Bogen zum
Weihnachtsevangelium (Lukas 1, 26-38) Und dem Adventslied (EG 16), in
dem es heißt: Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht. Ist ein
bisschen gewagt in dieser Jahreszeit, aber auch schön! Außerdem kommt
das Bogenschlagen, Bogenschießen in der Geschichte vor!
Ich habe noch nie für einen Gottesdienst so viel nachgeschlagen und
gegoogelt, wie für diesen. Wie ist das eigentlich mit dem Namen des
Sonntags? Wer ist wie Du, Gott? Was tönt durch den hebräische Namen
durch? Was bedeutet es, wenn ein Sonntag mit einer Frage überschrieben
ist? Wie steht es mit der Personalität der Engel? Was tönt durch sie durch
von Gott zu Mensch aber auch durch Raum und Zeit und Dauer? Wenn das
Wort Erz-Engel sich aus dem griechischen arche/Anfang ableitet, was
beginnt dann?
Michael hat einen weiten Kontext: „Zu dieser Zeit erhebt sich Michael, die
große herrschende Gestalt, die für Dein Volk dasteht“ (Dan 12,1 BIGS) –
endzeitlicher Retter. Michael ist auch endzeitlicher Kämpfer,
Frau-mit-Kind-befreier und Drachenbezwinger (Offb 12+20). Er stürzt Satan
auf die Erde. Im Koran (Sure 2,92) wird er als Engel genannt. Der Legende
nach soll Michael Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies auf Gottes
Geheiß getröstet haben. (mehr dazu: Ökumenisches Heiligenlexikon)
7/16
„Michaels Energie fördert klares Erkennen und stärkt innere Kraft und
Mut.“(www.lichtkreis.at)
Auch Hagars Kontext ist bemerkenswert. Sie spielt Ihre Hauptrolle im
Islam/Koran als Stammmutter. In jüdisch-christlicher Tradition ist sie nur
eine Hintergrundfigur. Im Islam bringt der Engel Hagar und Ismael nach
Mekka. „Hagars Suche nach Wasser in der Wüste wird von den Muslimen
bei der Haddsch, der Wallfahrt nach Mekka, symbolisch nachvollzogen. Die
heilige Quelle Zamzam ist nach islamischer Auffassung die an Hagar in ihrer
äußersten Not durch Gott (Allah) geschenkte Quelle. Ismail wird in der Folge
zum Stammvater der Araber, er und sein Vater gelten als Propheten des
Islams. Die Gräber Hagars und Ismails sollen sich innerhalb der Ḥaṭīm
genannten halbkreisförmigen weißen Marmormauer an der Nordwestwand
der Kaaba befinden.“ (Quelle: Wikipedia, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hagar )
Und natürlich gibt es auch noch ganz viel zu Ismael, Abraham, Sarah und
Isaak zu sagen. Puh! Die Urgeschichte hat es wirklich dauerhaft in sich! Und
stellt viele Fragen!
Predigt:
(Die Fragen können von einer anderen Stimme gelesen werden, sie sind im
Text kursiv.)
Der Engel fragt: Was hast Du, Hagar?
Das fragst Du mich im Ernst? Dort drüben liegt mein Sohn in der glühenden
Sonne.
Hörst Du sein Schreien? Immer leiser wird es: Wasser! Durst! Er wird
sterben! Ich halte das nicht aus.
Und der Engel sagt: Fürchte Dich nicht. Gott hat sein Schreien gehört. Sei
Du jetzt stark und steh auf.
Und Hagar sieht einen Brunnen, wo eben nur Sand und Ödnis waren.
Und Hagar steht auf. Sie schöpft Wasser aus dem Brunnen.
Sie gibt ihrem Sohn zu trinken. Er überlebt. Sie überlebt.
Sein Name Ismael – Gott hört – hat seine volle, lebensrettende Kraft
entfaltet.
8/16
Unverhofft und wunderbar kann Rettung sein, wenn Gott hört und mensch
sieht.
Es braucht allerdings Boten, Übermittlerinnen, Engel, damit das möglich ist
und wirklich wird.
Diese „Übermittlungsinstanzen“ geraten heute, am MichaelisEngelTag ins
Blickfeld.
Engel sind beliebte Flügelwesen. Sie helfen und beschützen. Viele
Menschen glauben an einen persönlichen Schutzengel, der auf sie aufpasst.
Er gibt ihnen das Gefühl, dass Gott sie sieht und hört.
In der biblischen Erzählung von Hagar, Ismael, Sarah, Isaak und Abraham
spielt das Fragen beim Beschützen und Retten eine Rolle. Der Engel
begegnet Hagar mit der Frage: Was hast Du? Mit dieser Frage beginnt der
Umschwung vom Lebensfeindlichen ins Lebensfreundliche. Der Engelname
Michael, der diesen Sonntag überschreibt, ist selbst eine Frage ist: Wer ist
wie Gott? Fragen sind offenbar wichtig. Möglicherweise sind sie sogar
wichtiger als Antworten. Denn Fragen machen offen und bereit zu hören
und zu sehen. Gottes Dasein in der Welt wahrzunehmen. Dafür steht der
Engel. Deshalb nähere ich mich noch einmal fragend der Erzählung.
Warum wird Hagar, die Fremde, die ägyptische Sklavin in die Wüste
geschickt?
Was ist da eigentlich los?
Schon einmal – so wird es wenige Kapitel (Genesis 16) zuvor erzählt –
flüchtet die schwangere Hagar in die Wüste. Schon einmal begegnet ihr ein
Gottesbote. Schon einmal wird sie gefragt: Hagar, Du Sklavin Sarais, woher
kommst du, wohin willst Du? Als Antwort wird sie zurückgeschickt:
Demütige Dich unter die Hand Deiner Herrin Sarai! Akzeptiere die Regeln
der Gemeinschaft. Das ist hart. Aber eine Möglichkeit zu überleben. Für sie
und das Kind in ihrem Bauch. Als Fremde im Land, als entlaufene Sklavin
wären ihre Überlebenschancen sonst gering gewesen. Hagar gehorcht. So
lebt sie weiter im Stamm der Urfamilie. Kann Mutter sein. Irgendwie. Neben
Sarai. Ihr Sohn ist immerhin der einzige Sohn und Stammhalter vom „Chef“
des Clans, von Abram. Gott selbst hat seinen Namen bestimmt: Ismael –
Gott hört.
9/16
13 Jahre lang geht das gut. Sie leben alle zusammen im Südland, in Gerar.
Sie leben alle als Fremde. Das stärkt den Zusammenhalt. Sicher nicht ohne
Konflikte, aber die Gemeinschaft funktioniert. Es klingt nach friedlichen
Zeiten, in denen das Überleben gesichert ist und es auch Zeiten der Freude
gibt.
(In diesen 13 Jahren gibt es zwei große Ereignisse, die die Gemeinschaft
prägen und verändern:
Alle männlichen Stammesmitglieder werden beschnitten, darunter auch der
heranwachsende Ismael, als Zeichen des Bundes mit Gott. Ismael ist ganz
dicht bei seinem Vater, der jetzt Abraham (Vater einer lärmenden Menge
von Völkern) heißt.
Und:
Sarai heißt jetzt Sarah (Befehlshaberin). Allerdings wird sie beinahe aus der
Gemeinschaft ausgestoßen, denn Abraham gibt sie Abimelech, dem König
von Gerar gegenüber als seine Schwester aus. Abimelech, der Herr im Land,
will sie daraufhin zur Frau nehmen. Gott verhindert das, Abimelech
beschenkt den Stamm reich mit Vieh und Land und Sarah kehrt zu Abraham
zurück. Dann wird sie, die hochbetagte, kinderlose Stammhalterin
schwanger. Sicher wird es in den Zelten Getuschel gegeben haben: Na, wer
da wohl der Vater ist? Ungeachtet dessen gebiert Sarah dem Abraham ihren
Sohn. Sie nennt ihn Isaak: Lachen. Oder Jauchzen.)
In dieser Geschichte ist viel los.
Sie macht sichtbar, wie verwickelt Beziehungen zwischen Menschen sein
können.
Wie konfliktreich Familienkonstellationen sind.
Wie zerbrechlich Zusammenleben überhaupt ist.
Sie stellt Fragen, die bis heute bestehen:
Wie kann Zusammenleben funktionieren? Was bringt es an seine Grenzen?
13 Jahre lang war Ismael Hagars Sohn und Saras Sohn und Abrahams Sohn.
Schon damals, als Familien noch in Stämmen zusammenlebten, begann,
was viele Familien bis heute leben: Ein Kind kann mehr als eine Mutter
(oder einen Vater) haben. Jede sogenannte Patchworkfamilie übt sich darin
ein. Es ist nicht leicht, ein gutes Auskommen für alle zu finden.
10/16
In der biblischen Erzählung gerät das gute Zusammenleben an seine
Grenzen. Die Stimmung ändert sich als Isaak abgestillt wird, also ungefähr
2 Jahre alt ist. Aus diesem Anlass wird ein großes Fest gefeiert. Isaak nimmt
jetzt einen anderen, eigenen Platz in der Gemeinschaft ein.
Was hast Du, Sarah?
Ich habe Angst. Jetzt kann ich nicht mehr so gut auf Isaak aufpassen. Er
wird jetzt seinen Platz unter den anderen Kindern finden und behaupten
müssen. Sein Bruder Ismael ist schon 15. Er ist groß und stark. Ich sehe die
Kinder herumtoben. Ein Spiel, sicher. „Pass doch auf, Ismael. Du wirst ihm
noch wehtun!“
Das Lachen, in Isaaks Namen eingeschrieben, die Freude über das
spätgeborene Kind verliert an diesem Tag seine Leichtigkeit. Das
brüderliche Herumtoben, Jauchzen und Lachen verliert seine
Unbeschwertheit. Martin Luther übersetzt: Ismael trieb seinen Mutwillen mit
Isaak.
Wo ist die Grenze zwischen Spiel und Ernst?
Für Sarah ist sie hier erreicht.
Sie sorgt dafür, dass Ismael zusammen mit seiner Mutter Hagar aus der
Gemeinschaft ausgeschlossen wird. „Abraham, bitte, verstoße sie, Isaak
gebührt Dein Erbe allein!“
Wenn es ums Erben geht, brechen in vielen Familien Konflikte auf.
Darin bildet sich immer auch die Gesellschaft ab. Damals, wie heute.
Wenn wir an dieser Stelle den Blick weit machen, können wir sehen, dass
Ismael und Isaak bis heute um das Erbe streiten. In Israel. Wo die
arabischen Nachkommen Ismaels mit den jüdischen Nachkommen Isaaks
bis heute keinen Frieden finden. Wem gehört das Land?
Die Frage ist nicht beantwortet. Das ist die schmerzhafte Realität der
kämpferischen Auseinandersetzungen. Lachen und Weinen liegen eng
beieinander.
Und Abraham?
Er tut, was Sarah sagt, obwohl es ein „böses Wort in seinen Augen“ ist.
Er schweigt, obwohl er der Chef des Stammes ist.
11/16
Und für ihn einiges davon abhängt.
Gilt die Verheißung noch, dass seine Nachkommen zahlreich sein sollen?
Warum schickt er seinen Erstgeborenen samt seiner Mutter in die Wüste?
Riskiert sein Leben?
Opfert ihn?
Was hast Du, Abraham?
„____“.
Immerhin legt er einen Wasserschlauch auf Hagars Schultern und gibt ihnen
Brot mit auf dem Weg. Er schickt sie nicht unversorgt los in den neuen Tag.
Reicht das?
Gesellschaftlich üben wir bis heute, wie Versorgung von Kindern geht.
Rein wirtschaftlich. Aber auch auf der Gefühlsebene.
Wollen Väter (und Mütter) die Beziehung zu ihren Töchtern und Söhnen
ihrem Beruf „opfern“?
Wie verteilen sich die Aufgaben in der Familie?
Darin liegt reichlich Konfliktpotential.
Wie kommen alle zu ihrem Recht? Wie sieht es mit der Anerkennung aus?
Für Hagar und Ismael ändert sich das Leben dramatisch.
Ihr Leben in der Gemeinschaft bricht an jenem frühen Morgen völlig ab.
Es gibt keinen Weg zurück.
Sie brechen auf in eine ungewisse Zukunft.
Und die Vorräte reichen nicht lange.
Gibt es eine andere Aussicht als den Tod?
So ausgestoßen erscheint Ismael plötzlich wie ein Kleinkind und nicht wie
ein 15jähriger.
Und Hagar braucht die Länge eines Bogenschusses Abstand von ihm.
Plötzlich gibt es kein Miteinander, keine Nähe, keine Zukunft mehr.
Ausgestoßen zu werden ist lebensgefährlich, ja tödlich.
12/16
In diese Situation hinein tritt der Engel.
In diese Situation hinein trifft seine Frage: Was hast Du?
Diese Frage knüpft noch einmal an das Geschehene an.
Sie lässt Platz für den Zorn über die Ungerechtigkeit und die
Mitleidlosigkeit, die Ismael und Hagar getroffen haben.
Sie lässt Platz für ein Kopfschütteln darüber, was Menschen einander
zufügen können.
Sie lässt Platz für Konflikte, die das Zusammenleben von Menschen fast
unmöglich machen.
Und sie regt zu einer weiteren Frage an.
Hätte es nicht auch anders kommen können?
Hätte Sarah so geredet, wenn sie gewusst hätte, was ihre Worte mit sich
bringen?
Hätte Abraham geschwiegen, wenn er gewusst hätte, was passiert?
Hätte Ismael so wild mit dem kleinen Bruder herumgetollt, wenn er gewusst
hätte, was das für Folgen hat?
Sicher hätte alles auch anders kommen können, aber das, was geschehen
ist, lässt sich nicht ungeschehen machen. Die Entscheidungen, die
Menschen treffen, haben Folgen. Das Leben in Gemeinschaften bringt
Konflikte mit sich und nicht immer gibt es gute Lösungen für alle.
Die Frage: „Hätte es nicht anders kommen können?“ ist dennoch nicht
vergeblich gestellt.
Sie hält die Sehnsucht in uns wach, dass Dinge sich ändern lassen.
Dass unsere Entscheidungen, unsere Wege, die wir gehen, immer zu neuen
Entscheidungen führen und neue Wege eröffnen.
Sie hält die Sehnsucht nach Gott in unserem Leben wach.
Die Sehnsucht danach, Gott möge die Irrtümer und falschen
Entscheidungen der Menschen zum Besseren wenden.
Die Sehnsucht danach, Gott möge unsere Geschicke lenken.
Uns beistehen und helfen.
Die Sehnsucht nach all dem, wofür Schutzengel landläufig stehen.)
13/16
Überraschend ist, dass Gottes Verbindung mit den Menschen, hier mit
Hagar, offensichtlich über eine Frage zustande kommt.
Was hast Du, Hagar?
Diese Frage ist eigentlich längst beantwortet, weil Gott ihr Herumirren in
der Wüste gesehen hat und das Jammern des verdurstenden Ismaels und
Hagars lautes Weinen gehört hat.
Was hast Du, Hagar?
Mit dieser Frage beginnt das Ende der Todesangst: Fürchte Dich nicht!
Mit dieser Frage wird Gottes Wirklichkeit im Ödland sichtbar:
Ein Brunnen zum Wasserschöpfen.
Neue Kraft für Hagar. Und Ismael.
Die Möglichkeit aufzustehen und weiterzugehen.
Was hast Du? – eröffnet weiten Lebensraum. Für Hagar und für Ismael.
Sie lebt in der Folge als freie (!) Frau und sucht – als die Zeit gekommen ist
- ihrem Sohn eine Ehefrau aus ihrem Heimatland Ägypten.
Er wird Bogenschütze, hat zahlreiche Nachkommen und die Zusage, dass
Gott mit ihm ist (Immanuel!).
Und auch wenn beide nun von der biblischen Bildfläche verschwinden,
finden sie im Islam/Koran bis heute ihre Heimat. (Hagars Suche nach
Wasser in der Wüste wird bei der Haddsch, der Wallfahrt nach Mekka,
symbolisch nachvollzogen. Die Gräber Hagars und Ismaels sollen sich
innerhalb der Ḥaṭīm genannten halbkreisförmigen weißen Marmormauer an
der Nordwestwand der Kaaba befinden.)
Es ist eine große, folgenreiche Geschichte, die die Bibel uns hier im ersten
Buch vom Werden überliefert.
Sie erzählt von Menschen und vom Leben in der Welt wie sie ist – verwickelt
und kompliziert, konfliktreich und zerbrechlich.
In der Engelfrage: Was hast Du? macht sie uns hellhörig. Für Gott.
Wenn der Engel – viele Jahre später - zu Maria sagt: Fürchte Dich nicht, du
wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, klingt da nicht etwas von
der alten, lebensverändernden und rettenden Gotteskraft der Anfänge an?
Auch Jesus trägt den Beinamen Immanuel - Gott mit uns.
14/16
Wenn wir uns so in der lebensrettenden Kraft Gottes verbunden wissen,
kann es dann nicht doch Lösungen für die uralten Konflikte zwischen
Menschen jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens geben?
Wenn wir uns trauen, anderen Menschen, ob sie uns nahestehen oder ganz
fremd und fern sind, fragend zu begegnen: Was hast Du? Was hast Du zu
erzählen? Wie ist Deine Geschichte? Was hast Du vor? – dann ist es
möglich, dass wir einander sehen und hören lernen, offen und bewusst
verbunden mit dem Engelwort: Fürchte Dich nicht. Und dann müssen wir
uns vielleicht gar nicht voneinander abgrenzen oder gegenseitig ausstoßen.
Der Name dieses Sonntags, Michaelis, stellt die Frage: Wer ist wie Gott?
Sie ist schnell zu beantworten. Keine. Keiner.
Gott ist Gott, anders als die Menschen. Es gibt einen Abstand zwischen Gott
und Menschen.
Aber es gibt Botinnen und Boten, die diesen Anstand überwinden.
Sie verhelfen dazu sehen zu können, dass es wunderbarerweise Brunnen
gibt, Quellen, die Überleben im Ödland möglich machen.
Sie halten die Erfahrung lebendig, dass Gott hört.
Sie machen Mut, nach Wegen für gute Gemeinschaft zu suchen: Fürchte
Dich nicht.
Sie halten die Sehnsucht nach Gott in der Welt wach und lassen uns immer
neu nach Gottes lebensspendender Kraft fragen.
Und der Friede Gottes, der größer ist als alles, was wir mit unserem
Verstand begreifen können, bewahren unsere Herzen und Sinne in Jesus
Christus.
Amen
Kirstin Müller, Goslar; [email protected]
Quellen:
• BIGS:
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache, Dr. Ulrike Bail / Frank Crüsemann /
Marlene Crüsemann (Hrsg.), Bibel in gerechter Sprache © 2006,
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House
GmbH
15/16
16/16
Diese Predigthilfe wurde zur Verfügung gestellt
von:
Feministisch predigen
Feministisch Predigen ist ein selbstverwaltetes und -organisiertes Projekt
von Pastorinnen, Pfarrerinnen und Diakoninnen, die ihre feministische Arbeit
mit anderen bundesweit vernetzt haben. Dabei steht die gegenseitige Hilfe
und Anregung im Mittelpunkt.
Seit mehr als 25 Jahren steht dabei das Prinzip der Solidarität im
Mittelpunkt: Für einen erarbeiteten Gottesdienstentwurf inkl.
Liedvorschlägen, liturgischen Texten und Predigten bekommen die
Autorinnen im Gegenzug eine CD-Rom mit Gottesdienstentwürfen für das
gesamte Kirchenjahr.
Alle Predigten werden von sieben im gesamten Bundesgebiet arbeitenden
Lektorinnengruppen gelesen, kommentiert und nach der erneuten
Überarbeitung durch die Autorin für die Veröffentlichung freigegeben.
Bei der Predigtvorbereitung gilt der geschlechterbewusste Blick - wie
tauchen Frauen- und Männerperspektiven in den biblischen Texten und den Predigtgedanken auf?
Feministisch-wissenschaftliche Erkenntnisse haben oft einen
Perspektivwechsel auf die Texte erarbeitet. Sie sollen in der Predigtarbeit
ihren Ausdruck finden.
Gleichzeitig bewegt Autorinnen und Lektorinnen das Bewusstsein für die
jüdischen Wurzeln unserer Theologie und der bewusste Umgang mit dem
Kontext der biblischen Überlieferung.
Weitere Informationen und aktuelle Hinweise finden sich auf:
www.feministisch-predigen.de