Kroatiens Gedenkboykott Robert Misiks Perspektiven Guatemalas Wahrheit Jüdische Gemeinschaft protestiert gegen Ustascha-Verharmlosung. Seite 8 Der Publizist über den sterbenden Kapitalismus und neue Hoffnung. Seite 15 Forensiker bringen Tote aus dem Krieg zum »Reden«. Seite 3 Foto: Knut Henkel Donnerstag, 7. April 2016 71. Jahrgang/Nr. 81 STANDPUNKT Katja Herzberg zu Vorschlägen der EU-Kommission in der Asylpolitik UNTEN LINKS Herr hilf! Ein anonym zitiertes CSU-Mitglied hat die Gefahr klar umrissen: Der bayerische Ministerpräsident soll kampfeslustig wie selten aus dem Osterurlaub zurückgekehrt sein. Zunächst allerdings bekam das sein Kabinett in München zu spüren. Das hat Horst Seehofer angetrieben, unkonventionelle Ideen zu entwickeln, damit die CSU nicht abschmiert, wie das ihr Chef bei der CDU beobachtet. Angeblich soll der Ingolstädter – freilich nur scherzhaft – sogar das Wort Kabinettsumbildung in den Mund genommen haben. Da müssen bei seinem Finanzminister Markus Söder alle Osterglocken läuten. Er, der an keinem Starkbierhahn oder Hunderennen vorbeigehen kann, ohne sich in Pose zu werfen, ist nun wirklich voller Ideen. Aber womöglich stört genau das Seehofer. Und das Fest von Kreuzigung und Auferstehung brachte ihn auf die geniale Idee, wie er den ungeliebten Kronprinzen los wird – und über seinen angekündigten Rückzug hinaus weiter das Zepter schwingen kann. oer ISSN 0323-3375 www.neues-deutschland.de EU will Asylsystem überarbeiten Scheitern mit Anstand Ein faires, solidarisches und tatsächlich gemeinsames EU-Asylsystem wäre die logische Folge aus den Katastrophen des vergangenes Jahres im Mittelmeer. Doch mit rationalen Entscheidungen und Maßnahmen ist in Sachen Flüchtlingspolitik in dieser gespaltenen Europäischen Union derzeit nicht zu rechnen. Und so traut sich die einzige EUInstitution, die überhaupt Gesetzesvorschläge vorlegen darf, nicht einmal mehr, genau das zu tun. Die neue Strategie der Kommission, erst einmal »Optionen« zur Debatte zu stellen, ist das Eingeständnis ihres Scheiterns. Dabei setzt sich die Kommission nicht einmal für vermeintlich utopische Ziele ein wie Flüchtlinge in jenes EU-Land gehen zu lassen, wo sie bereits familiäre Anknüpfungspunkte haben, oder Schutzsuchende nicht zu internieren. Brüssel fordert lediglich die einheitliche Umsetzung von Standards und Maßnahmen, die längst beschlossen wurden – wie die Umverteilung von 160 000 Flüchtlingen auf alle EU-Staaten oder die Gewährleistung eines ordentlichen Asylverfahrens. Selbst das ist einigen Regierungen zu viel. Und dessen ist sich Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos bewusst. Er stellte klar: Es fehlt am politischen Willen für eine gemeinsame, solidarische Asylpolitik. Die 28 EUStaaten wollen so wenige Menschen wie möglich bei sich aufnehmen. Dieser Prämisse opfern sie die Grundwerte ihrer Gemeinschaft. Darauf reagiert die Kommission viel zu anständig. Bundesausgabe 1,70 € Kommission plant neuen Verteilungsmechanismus Seit dem Zusammenbruch des Dublin-Systems wird in der EU darüber nachgedacht, wie Flüchtlinge verteilt werden können. Nun hat die Brüsseler Kommission einen neuen Vorstoß unternommen. Von Aert van Riel Wenn aus Menschen nur noch Nummern werden Foto: Corbis/Michele Amoruso Die EU-Kommission will das europäische Asylsystem reformieren. Hierfür haben der Vizepräsident der Brüsseler Behörde, Frans Timmermans, und Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos zwei mögliche Vorschläge vorgelegt. Im Kern geht es um Änderungen bei den Dublin-Regelungen, nach denen das Land für Asylverfahren zuständig ist, in dem die Schutzsuchenden erstmals den Boden der Europäischen Union betreten haben. Faktisch ist dieses System gescheitert. In der Praxis sind die Staaten der EU-Peripherie nämlich mit dem Zuzug der vielen Flüchtlinge überfordert. Sie haben diese Menschen in der Vergangenheit oft nach Mittel- oder Westeuropa weiterreisen lassen. Inzwischen ist die EU dazu übergegangen, Schutzsuchende aus Griechenland in die Türkei abschieben zu lassen, ohne deren Fluchtgründe gründlich zu prüfen. Nun könnten nach der ersten Option der EU-Kommission die Dublin-Regelungen weitgehend beibehalten werden. Bei einem starken Andrang von Asylbewerbern soll allerdings ein »Fairness-Mechanismus« greifen, nach dem die Betroffenen auf die Staaten der EU umverteilt werden. Die zweite Möglichkeit sieht die dauerhafte Verteilung von Flüchtlingen nach einem bestimmten Schlüssel auf die EU-Staaten vor. Vor allem osteuropäische Länder wollen allerdings keinem verpflichtenden Mechanismus zustimmen. Konkrete Gesetzesvorschläge der EUKommission sollen folgen. Sie will erst einmal die Reaktionen auf ihre Vorschläge abwarten. Sturm auf »die letzte große Bastion« Panama-Papiere lösen bei Regierungen und Organisationen hektischen Aktivismus aus Nach Enthüllungen über Briefkastenfirmen in Steueroasen werden die Forderungen nach mehr Transparenz und gemeinsamem Vorgehen im Kampf gegen Steuerflucht lauter. Paris. Frankreich forderte am Mittwoch eine stärkere internationale Zusammenarbeit gegen Steuerflucht und eine Zurechtweisung Panamas. Bei einer Kabinettssitzung sagte Präsident François Hollande, sein Land werde sich für eine Stärkung der internationalen Kooperation einsetzen, »sei es mit den G20 oder im Rahmen der OECD«. Auch beim deutsch-französischen Ministerrat an diesem Donnerstag in Metz würden die »Panama Papers« zur Sprache kommen. Auch in der kommenden Woche soll das Thema auf der Agenda stehen, wenn sich die Finanzminister der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) am Rande der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington treffen. Frankreichs Finanzminister Michel Sapin rief die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf, es seinem Land gleichzutun und Panama auf eine schwarze Liste mit Steuerparadiesen zu setzen. »Wir dürfen nicht alleine sein«, sagte Sapin. Deswegen sollten die OECD-Mitgliedsstaaten die gleiche Entscheidung fällen. US-Präsident Barack Obama hatte am Dienstag gefordert, die internationale Kooperation bei der Bekämpfung der Steuerflucht müsse verstärkt werden. »Steu- »Unfair und diskriminierend.« Panamas Regierung zur Kritik an dem mittelamerikanischen Staat erflucht ist ein gewaltiges globales Problem«, sagte er. Er forderte den US-Kongress auf, Reformen anzugehen, damit in seinem Land Schlupflöcher für reiche Bürger und Unternehmen geschlossen werden könnten. Panama selbst wies die Kritik der OECD im Zusammenhang mit den Enthüllungen als »unfair und diskriminierend« zurück. In einem Brief an OECD-Generalsekretär José Ángel Gurría schrieb der Vizeaußenminister Panamas, Luis Miguel Hincapié, die »Unrichtigkeit« der Vorwürfe Gurrías sei »leicht« zu beweisen. Gurría hatte erklärt, Panama sei »die letzte große Bastion« für Steuerflüchtlinge. Diese Äußerung nannte Hincapié in seinem Brief »bedauerlich«. Die Unternehmensgesetze in Panama seien nicht »grundsätzlich anders« als in anderen Ländern. Zudem befinde sich die Hälfte der Briefkastenfirmen auf den Britischen Jungfraueninseln, die britischer Rechtsprechung unterlägen. Am Dienstagabend legte Gurría bei einem Besuch in Berlin nach und sagte, der Skandal biete die Möglichkeit, »Druck auszuüben auf Panama, damit sich Panama den anderen Staaten der Welt anschließt und auf dem Weg der Transparenz Fortschritte macht«. Panama hinke im internationalen Vergleich »sehr weit hinterher«. Unter anderem weigere es sich, dem automatischen Informationsaustausch beizutreten, an dem sich im kommenden Jahr mehr als 90 Länder beteiligen wollen. Die in den »Panama Papers« beschuldigte Kanzlei Mossack Fonseca geht strafrechtlich gegen die Verantwortlichen des Da- ten-Lecks vor. »Niemandem gefällt es, bestohlen zu werden«, teilte ein Sprecher der Kanzlei mit. »Wir werden unser Möglichstes tun, um die Schuldigen zu bestrafen.« Die »Süddeutsche Zeitung« hatte berichtet, die 2,6 Terabyte Daten seien ihr von einer anonymen Quelle zugespielt worden. Mossack Fonseca geht davon aus, dass ihr Server gehackt wurde. »Ein Hackerangriff ist eine Straftat. Ein schweres Verbrechen, das mit Gefängnis bestraft wird«, sagte KanzleiTeilhaber Ramón Fonseca Mora in einem Interview. Die Kanzlei habe in Panama bereits Strafantrag gestellt, sagte die Chefin der Rechtsabteilung, Sara Montenegro. Agenturen/nd Seite 5 } Lesen Sie auf Seite 10 Gesund leben Millionen Menschen haben Diabetes und wissen es nicht. Die Check-ups der Kassen versagen. Prävention findet nicht statt. In der EU dürfte es nicht leicht sein, eine Einigung zu finden. Zumal selbst die Bundesregierung seit Monaten über die Flüchtlingspolitik streitet. Nun wiesen Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) die Pläne von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über ein mögliches Ende der Kontrollen an der Grenze zu Österreich zurück. De Maizière hatte als Voraussetzung hierfür genannt, dass die Flüchtlingszahlen so niedrig bleiben wie zuletzt. Eine Entscheidung soll im Mai fallen. »Wir sind als hauptbetroffenes Land nicht beteiligt und nicht informiert worden. Das ist ein selbstherrlicher Regierungsstil«, sagte dagegen Seehofer der »Mittelbayerischen Zeitung« (Online-Ausgabe). »Diese Selbstherrlichkeit richtet sich zunehmend gegen Bayern. Wir sind den Berlinern einfach zu stark.« Derweil wird hierzulande auch diskutiert, wie Flüchtlinge schneller integriert werden können. Eine von der Robert Bosch Stiftung eingesetzte Expertenkommission, der Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Behörden und Zivilgesellschaft angehören, forderte mehr Anstrengungen, um Asylbewerbern eine berufliche Perspektive zu eröffnen. Hierfür müssten die Asylverfahren beschleunigt werden, sagte der ehemalige Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt. Als weiteren Schritt forderte er, dass es bei allen Ausbildungs- und Arbeitsangeboten einen Zugang nach drei Monaten geben solle. Die oft übliche Wartezeit von 15 Monaten müsse ebenso bei Berufsausbildungshilfen und Bafög entfallen. Hintergrund der Vorschläge waren aber nicht immer altruistische Gedanken, sondern auch Unternehmensinteressen. Eine Forderung des Gremiums lautete, den Zugang zur oft ausbeuterischen Zeitarbeit für alle arbeitsberechtigten Asylbewerber zu öffnen. Mit Agenturen Seite 2 Gericht erlaubt Anbau von Hanf Kranke dürfen Cannabis zu Hause züchten / Drogenstudie vorgelegt Leipzig. Das Bundesverwaltungsgericht hat erstmalig einem Schwerkranken den Anbau von Cannabis zu Hause erlaubt. Wenn keine andere Therapiemöglichkeit zur Verfügung stünde, müsse einem Patienten so der Zugang zu Cannabis ermöglicht werden, entschieden die Bundesrichter am Mittwoch in Leipzig. Damit hatte die Klage eines an Multipler Sklerose leidenden Mannes in dritter und letzter Instanz Erfolg. Der 52-Jährige lindert die Symptome seiner Krankheit seit vielen Jahren durch den Konsum von Cannabis. Die Pflanzen baut er zu Hause an. Weil das nicht legal ist, kämpfte er für eine Ausnahmegenehmigung. Unterdessen haben die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die neue Drogenaffinitätsstudie in Berlin vorgelegt. Das Ergebnis: Noch nie haben so wenige Jugendliche geraucht wie im vorigen Jahr. Nur noch 7,8 Prozent der 12bis 17-Jährigen greifen zur Zigarette. Das ist der niedrigste Stand seit den ersten Vergleichsstudien der Bundeszentrale in den 1970er Jahren. Unter den 18- bis 25-Jährigen liegt die Raucherquote bei rund 26 Prozent und ist ebenfalls seit Jahren rückläufig. Auch der regelmäßige Alkoholkonsum nimmt laut der Untersuchung ab. Im vorigen Jahr hat jeder zehnte Jugendliche und jeder dritte junge Erwachsene einmal in der Woche und damit regelmäßig Alkohol getrunken. Agenturen/nd Seiten 4 und 6
© Copyright 2024 ExpyDoc