Rede von Jean-Claude Juncker, Präsident der

Europäische Kommission - Rede - [Es gilt das gesprochene Wort]
Rede von Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, bei
der Gedenkfeier für Guido Westerwelle
Berlin, 4. April 2016
Sehr verehrter Herr Mronz, liebe Familie Westerwelle, liebe Familie Mronz, sehr verehrter Herr
Bundesaußenminister, lieber Frank, Herr Parteivorsitzender, Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen
und Herren,
Wenn Schreckliches passiert im Leben der Menschen, im Leben der Nationen - und der Tod von Guido
Westerwelle betrifft sowohl Menschen als auch eine große Nation - dann erscheint einem jedes Wort zu
viel. Weil Worte unterbrechen die eingekehrte Stille. Man hätte eigentlich Lust für längere Zeit
sprachlos zu bleiben. Nicht nur weil einem die Worte fehlen angesichts des nicht zu Begreifendem,
angesichts der Revolte, die wir in uns spüren, wegen diesem brutalen Bruches einer wertvollen
Biographie versagt die Sprache mangels Worte. Und doch – es gibt vieles zu sagen.
Zentrum für Existenzgründer und Start-Ups in Tunis, Stipendien für aufstrebende südafrikanische
Modedesigner, Praktikum für junge Mediengestalter in Ruanda. Drei Initiativen der WesterwelleStiftung, für die diese Stiftung steht; drei Initiativen, drei Ambitionen für die auch Guido Westerwelle
stand. Er wollte Zukunft gestalten und indem er das tat, hat er anderen Zukunft geschenkt.
Er hatte Haltung, war standhaft – vor allem in Sachen Europa, das ihm eine Herzensangelegenheit war.
Europa war für ihn nicht eine gehobene Freihandelszone, nicht ein Warenbinnenmarkt. Europa war für
ihn viel mehr, nämlich eine Wertegemeinschaft: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die Werte der
Aufklärung und der Friedensrevolutionen im ausgehenden 20. Jahrhundert bildeten für ihn den
normativen Kern der europäischen Gesellschaften.
So erklärt sich auch sein Aufenthalt auf Maidan und Tahir, weil er hat Europa nicht nur für ein Angebot
an uns selbst empfunden, sondern auch für eine Offerte an den Rest der Welt; und deshalb hat er
spontan gefühlt, dass er auch dort sein müsste, wo europäische Werte angestrebt wurden und das
Europäische Ensemble noch nicht angelangt war.
So erklärt sich auch sein Einsatz für die Schaffung eines europäischen Rechtsmechanismus, der in den
nächsten Wochen noch eine Rolle spielen wird. Europa war für ihn eine Schicksalsgemeinschaft. Daher
auch sein konstanter Einsatz für die deutsch-französische Freundschaft, die für ihn Motor aller
europäischen Bewegungen war. Für ihn war die deutsch-französische Freundschaft Teil der deutschen
und der französischen Staatsraison. Und er hat diese deutsch-französische Freundschaft stets als einen
Glücksfall für den Kontinent empfunden, und die Nachbarn der Deutschen und der Franzosen noch in
viel stärkeren Maße. Er hat versucht, stets - wie seine Amtsvorgänger auch - Polen einzubinden: Polen
als Motor der europäischen Integration, nicht als das vierte Rad am Wagen, sondern als ein fester
Bestandteil des europäischen Einigungsgedankens. Er hat sich für einen stabilen Euro eingesetzt, hat
die europäische Wirtschafts- und Währungsunion, den Euro als Friedenspolitik mit anderen Mitteln
begriffen, und daher auch sein konstanter Einsatz für eine stabile Währung in Europa.
Er hat sich um Außen- und Verteidigungspolitik bemüht. Früh und später auch noch hat er sich für eine
europäische Armee eingesetzt. Das trägt nicht zu erhöhter Popularität bei, wie ich aus eigener
Erfahrung weiß. Aber er hat das gemacht, weil er über den Tellerrand hinaussah, weil er Dinge in
Bewegung bringen wollte. Dies hat er getan, obwohl er sich eigentlich der Kultur der militärischen
Zurückhaltung verschrieben hatte.
Immer trat er – wenn es um Europa ging – für das Gemeinsame ein, für eine "Gemeinschaft unter
Gleichen". Er hat keinen Unterschied gemacht zwischen Groß und Klein, ist besonders den Kleinen mit
hohem Respekt begegnet, was ihm sehr viel Sympathie bei den nicht so ganz Großen in Europa
eingebracht hat.
Er hat sich für die Stärkung der Kommission eingesetzt, weil er Europa nicht nur begriff als das
Miteinander von und mit Staaten, sondern auch als das Miteinander von Institutionen, die im Dienste
der Staaten und der Nationen stehen. Er hat eine Reorganisation der Kommission angemerkt. Das
haben wir inzwischen gemacht. Und dieser Aufruf ging eigentlich von ihm aus.
In Sachen Europa blieb er dran. Mit "Friends of Europe" hat er vieles in Bewegung gebracht, was weiter
wirken wird. Er hat nie aufgegeben, nicht in Europa, nicht in seinem eigenen Leben - bis ganz zum
Schluss. Er hat Mut gehabt und er hat anderen Mut gemacht - bis ganz zum Schluss. Nun hat er
aufgehört Zukunft zu gestalten. Aber wir müssen an der Zukunft, die er uns geschenkt hat, weiter
arbeiten; in Europa, mit Beharrlichkeit und Tag für Tag aufs Neue. Er hat sich um Deutschland und um
Europa verdient gemacht. Er wird uns fehlen, aber er wird auch bleiben. Er hat das Leben vieler
Menschen zu einem besonderen Leben gemacht. Und er hat die Welt besser gemacht.
Dafür, lieber Guido, vielen Dank.
SPEECH/16/1222